Bernd Leitenbergers Blog

Das Problem mit vielen Triebwerken

Nun die Antwort auf die obige implizit gestellte Frage ist ganz einfach: Jedes Triebwerk ist eine Fehlerquelle. Ich will mich auf Triebwerke mit flüssigen Treibstoffen beschränken, da Feststoffbooster insgesamt zuverlässiger sind, zumindest sagt uns das die Statistik der Fehlstarts von Trägerraketen. Ein Triebwerk mit flüssigen Triebwerken hat aufgrund der beweglichen Teile mehr Möglichkeiten auszufallen.

Nehmen wir ein Beispiel: Eine Rakete mit zwei Stufen und je einem Triebwerk, z.B. die Delta IV, verglichen mit einer mit drei Stufen und sechs Triebwerken in den drei Stufen (4, 1, 1), z.B. die Ariane 1-3. Nehmen wir an jedes Triebwerk hat ein Ausfallsrisiko von 1%. Daneben gibt es noch andere Subsysteme in der Rakete z.B. Steuerung, Stufentrennung, Tanks, Ventile, die versagen können. sagen wir diese sind für 1% der Fehlstarts verantwortlich.

Im einen Fall beträgt dann das Risiko eines Fehlstarts 3%, im anderen 7% – klingt nach wenig, doch absolut bedeutet das eine Steigerung um 133%. Wenn man nun übergeht wie bei der Saturn IB, Ariane 4 oder Falcon 9 auf acht bis neun Triebwerke in der ersten Stufe, so wird das Risiko noch größer und bei der N-1 mit insgesamt 44 Triebwerken in fünf Stufen ist ein Ausfall schon recht wahrscheinlich.

Wie kann man dem begegnen?

Nun zum einen natürlich mit der technischen Auslegung der Triebwerke. Entweder, indem diese sehr einfach sind, sodass die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls klein ist – also arbeiten mit bewährter Technik, hohe Sicherheitsschwellen. Ein Beispiel sind z.B. die Viking Triebwerke: sie arbeiteten mit niedrigem Brennkammerdruck, der Treibstoff entzündet sich hypergol (kein Zündsystem nötig), neben der regenerativen Kühlung wird auch Filmkühlung eingesetzt.

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, wenn dies aus Performancegründen nicht möglich ist, die Triebwerke extensiv zu testen um alle Designfehler und versteckten Fehler zu finden. So ging man bei den NK-33 und 43 vor, aber auch den F-1 und J-2.Dadurch sollte die Zuverlässigkeit steigen. Problematisch wird es wenn aber ein Triebwerk komplex, mit geringen Sicherheitsreserven und kaum getestet ist. Dann ist ein Ausfall vorprogrammiert. So wundert es nicht, dass die erste Generation der N-1 Triebwerke eine erschreckend niedrige Zuverlässigkeit hatte.

Eine weitere Möglichkeit ist es, sich gegen einen Ausfall zu wappnen, wenn er schon statistisch wahrscheinlich ist. Nun kommt das berühmte Stichwort, der „engine out capability“. Auf gut deutsch: Eine Rakete sollte ihre Mission auch absolvieren können, wenn ein Triebwerk ausfällt. Dabei wird es immer Situationen geben die zum Verlust führen. Wenn ein Triebwerk explodiert genauer gesagt die Turbine/turbopumpe mit ihren beweglichen Teilen sich zerlegt, dann dürften die Splitter die umgebenden Triebwerke beschädigen. Dagegen helfen auch keine Kevlarumhüllungen, wie sie bei der N-1 oder Falcon 9 eingebaut sind. Bei der N-1 verhinderten sie zumindest keinen der Fehlstarts.

Doch das ist eher die Ausnahme. Oft genug sind Störungen rechtzeitig erkennbar und ein Triebwerk kann abgeschaltet werden bevor es beschädigt ist, zumindest wenn es über separate Treibstoffleitungen verfügt.

Das Problem das sich ergibt, ist die Schubasymmetrie und der Schubverlust. Zuerst einmal zum letzteren: selbst wenn die Rakete eine so hohe Startbeschleunigung hat, dass der Schubverlust nicht zum Höhenverlust führt, so erhöht er doch die Gravitationsverluste. Es muss daher immer eine Treibstoffreserve vorhanden sein um dies abzufangen. Bei der Saturn IB mit engine-out capability betrug sie rund 1.000 kg. (Nicht nur für diesen Fall). Da die Reserve hier nur eine Fehlfunktion der ersten Stufe auffangen sollte, ist ihre Größe unabhängig von der Nutzlast, da diese ja kaum das Gesamtgewicht beeinflusst. Mögen die 1.000 kg (entsprechend 7 % der LEO Nutzlast) bei LEO-Missionen noch tolerierbar sein, So machen sie bei Mondmissionen schon rund 20% der Nutzlast aus.

Das zweite ist die Schubasymmetrie. Denn nun fehlt an einer bestimmten Position ja der Schub. Ohne Regelung bricht die Rakete in diese Position aus. Nun haben alle Träger schwenkbare Triebwerk, doch dies geht nur um einen bestimmten Winkel, üblich sind 6-9 Grad. Reicht ein Maximalausschlag nicht zur Kompensation aus, so ist die Mission verloren. Dazu ein Beispiel: Bei Ariane V35 sank der Schub in einem der acht Triebwerke durch einen Lumpen in einer Treibstoffleitung ab. Nach 90 s erreichten die Triebwerke den Maximalausschlag und konnten nun den asymmetrischen Schub nicht mehr kompensieren. Die Rakete drehte sich und nach 110 s gab es Brüche in der Struktur, welche die Selbstzerstörung initiierten.

Die Standardvorgehensweise bei einem Ausfall eines Triebwerks bei einem Träger mit „Engine-Out capability“ ist es daher die Triebwerke punktsymmetrisch zur Rotationsachse einzubauen und das gegenüberliegende Triebwerk ebenfalls abzuschalten, so erfolgt beim zweiten Testflug der Saturn V. Die Schubsymmetrie ist dadurch gewahrt. Dadurch verdoppelt sich allerdings auch der Schubverlust und daher auch die hohen Reserven die nötig sind. Bei der Falcon 9, als neuestem Modell mit dieser Fähigkeit bedeutet dies, dass sie mit 7 Triebwerken noch arbeiten sollte. Mit den derzeitigen Triebwerken ist das noch nicht gegeben, da der Schub bei einem Ausfall direkt nach dem Abheben zu gering ist um die Rakete weiter zu beschleunigen. Bei den geplanten Upgrade wird das gegeben sein.

Erstaunlicherweise ist es nun so, dass je mehr Triebwerke eine Rakete einsetzt, ein Ausfall um so leichter abgefedert werden kann. Nehmen wir die N-1 mit 30 Triebwerken in der ersten Stufe. ein Ausfall wäre bei 99% Zuverlässigkeit in jedem dritten Start zu erwarten. Aber der Schub würde nur um 3,3% absinken. Mit Abschalten des gegenüberliegenden Triebwerks um 6,7 %. Der Verlust wäre aber auch noch in diesem geringen Maße durch Schwenken der Triebwerke abfangbar.

Trotzdem geht der Trend zu einem Triebwerk. Ein Triebwerk mit höherem Schub ist billiger zu produzieren als mehrere mit geringerem Schub, das System ist einfacher und ein Ausfall unwahrscheinlicher, wenn auch mit katastrophalen Konsequenzen. Es gibt nur wenige Gründe viele Triebwerke einzusetzen. Bei sehr großen Triebwerken sind es die hohen Entwicklungskosten gekoppelt mit nur wenigen Einsätzen für Mond- oder Marsmissionen, weshalb sowohl Ares V wie auch Saturn V fünf bzw. sechs Triebwerke in der ersten Stufe einsetzten. Ein anderer Grund kann es sein so nur wenige Triebwerkstypen für alle Stufen zu benötigen. So bei Ariane 1-4 einen Typ für zweite Stufe, erste Stufe und Booster. Bei der N-1 jeweils einen Typ für erste und zweite und einen weiteren für die vierte und dritte Stufe. Es ginge sogar mit nur einem Typ, z.B. in der Kombination ein Triebwerk – vier Triebwerke – 16 Triebwerke bei drei Stufen.

Kombiniert man Engine-Out capability mit Schubüberschuss und erprobten Triebwerken, so rettet das Missionen. Bei der Saturn I+V fielen Triebwerke bei drei Missionen aus und es gab keinen Verlust. Kombinieren aber „faule“ Triebwerke, mit keiner guten Umsetzung der „engine-Out capability“, dann resultieren Träger wie die N-1 – kein Start glückte. Was in jedem Falle nicht abgefangen werden kann ist ein Ausfall in einem Booster – diese haben eigene Treibstofftanks ohne Verbindung zur Hauptstufe. Selbst wenn ein Triebwerk abgeschaltet werden kann so verbleibt dort noch Treibstoff, der Schwerpunkt ändert sich und das Gewicht zur Brennschluss steigt an – es wird eine Menge tote Masse mitgeführt.

Es wird interessant sein wo die Falcon 9 da steht.

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