Bernd Leitenbergers Blog

Brauchen Oberstufen einen hohen Brennkammerdruck?

Unbestritten ist, dass Erststufen einen hohen Brennkammerdruck brauchen, schließlich müssen sie bei einem Umgebungsdruck von rund 1000 Hpa starten, ist das der Düsenmündungsdruck erheblich kleiner, so gibt es noch innerhalb der Düse turbulente Strömungen die zu einer Beschädigung führen können. Doch Oberstufen arbeiten im Vakuum. Brauchen sie einen hohen Brennkammerdruck? Bei einem gegebenen Entspannungsverhältnis also einer gegebenen Düse sinkt der Druck an der Düsenmündung immer um den denselben Faktor. Zwar ist die Druckdifferenz absolut höher, doch folgende Simulation mit FCEA2 zeigt dass sich dies nicht unbedingt in enorm viel mehr Leistung niederschlägt

Modelliert wurde ein LOX/LH2 Triebwerk mit einem Entspannungsverhältnis von 100 und einer LOX/LH2 Mischung von 6 zu 1.

Brennkammerdruck Brennkammertemperatur Ipsez „Frozen“ Ispez „equilibrium“ Mittel
1 2987 K 4033 m/s 4531 m/s 4381 m/s
2 3068 K 4088 m/s 4544 m/s 4407 m/s
4 3150 K 4142 m/s 4555 m/s 4431 m/s
8 3233 K 4195 m7s 4565 m/s 4454 m/s
15 3307 K 4242 m/s 4573 m/s 4474 m/s
30 3389 K 4293 m/s 4581 m/s 4495 m/s
60 3467 K 4341 m/s 4587 m/s 4513 m/s
120 3543 K 4387 m/s 4593 m/s 4531 m/s

Zur Erklärung: „Frozen“ (eingefrorenes Gelichgewicht) und Equilibrium (überall Gleichgewichtsreaktionen) sind zwei Extreme in den Berechnungsmodellen. Bei „frozen“ geht man davon aus, das sich nach dem Düsenhals nichts mehr an der Zusammensetzung der Gase ändert, was definitiv nicht richtig ist. Bei je höherer Temperatur dann das Gleichgewicht „eingefroren“ wird, desto höher ist der spezifische Impuls und dieser Wert steigt an. Bei einem sich überall einstellenden chemischen Gleichgewicht (equilibrium), das auch durch lokale Spitzen des LOX/LH2 Gehaltes nicht gegeben ist, steigt der spezifische Impuls mit sigendem Druck kaum an, weil schon bei niedrigem Druck eine vollständige Umsetzung erfolgt. Setzt man die Daten von realen Triebwerken an, so sieht man das Frozen zu pessimistische Werte liefert und „equilibrium“ zu hohe, die waren liegen aber eher bei Equilibrium. Für das SSME erhält man z.b. 4384 und 4558 m/s, der wahre Wert liegt bei 4435 m/s. In diesem Faller erhält man mit 0,724 x equilibrium und 0.276 x frozen den richtigen Wert, Für den mittleren Impuls habe ich daher 0,7 x equilibrium und 0,3 x frozen genommen.

Man sieht: der mittlere spezifische impuls steigt von 4382 m/s auf 4531 m/s, also um rund 150 m/s. Das ist nicht viel und bedenkt man dass man mit normalen durch Innendruck versteifte Tanks schon 2 Bar Brennkammerdruck erreichen kann (ohne spezielle Drucktanks die natürlich schwerer sind, sondern nur der Innendruck der zur Versteifung sowieso eingesetzt wird), so schmilzt der Vorsprung auf magere 124 m/s. Dafür soll man nun eine komplizierte Maschinerie mit Gasgenerator, Turbine und Turbopumpe entwickeln? Dabei hat man es doch so viel einfacher den auch die Brennkammertemperaturen sind um 600 K niedriger und so auch der Aufwand für die Kühlung. Kleiner Nebeneffekt: obige Systeme  weisen die meisten Ausfälle bei Triebwerken auf und das Wiederzünden ist bei reiner Druckförderung auch einfacher, da man diese Treibstoffförderungssysteme nicht separat anlasen muss.

Also warum baut man keine Oberstufen mit nur 1-2 Bar Brennkammerdruck?

Weil der spezifische Impuls nur ein Punkt ist. Er steigt in der Tat kaum noch an, weil das Gas enorm schnell auskühlt. Beim obigen Beispiel werden 693 K bei 1 Bar an der Düsenmündung und 858 K bei 120 Bar erreicht. Die meiste Energie (die Brennkammertemperatur lag ja bei 3000 Grad) hat das Gas dann schon an die Düse/Umgebung abgegeben. Nimmt man noch größere Expansionsdüsen (über 240 sind schon verfügbar), so ist die Restenergie die noch im Gas steckt fast vernachlässigbar auch bei niedrigen Brennkammerdrücken.

Aber…

Aber auch der Schub hängt vom Brennkammerdruck ab. Er hängt mit einem Proportionalfaktor an der Größe Druck x Düsenhalsfläche. Ist nun der Brennkammerdruck 120 mal höher, so ist diese Fläche für den gleichen Schub 120-mal kleiner. Dass korrespondiert mit einem 11-fach kleineren Düsenhalsdurchmesser und damit ist auch das Triebwerk 11-mal kleiner. Das spart eine Menge Gewicht, vor allem wenn man bedenkt, dass die Düse ja beim Entspannungsverhältnis 100 den zehnfachen Durchmesser des Düsenhalses hat. Kurzum: Das Triebwerk wird bei niedrigem Brennkammerdruck enorm groß und enorm schwer. Man sieht diesen Effekt schon bei druckgeförderten Triebwerken wie das AJ10 der Delta oder das Aestus der Ariane 5. Ich habe hier zwei Bilder der Sufen beigefügt. Die Delta Zweitstufe ist am oberen Ring 2,44 m breit, entsprechend kann man sich ausmalen wie groß das Triebwerk ist. Es hat nur rund 40 kN Schub. Das Aestus ist hier neben Personen zu sehen, wobei das Triebwerk über die volle Höhe geht und man nur die Düse sieht. Es ist mehr als mannshoch – auch es hat nur 29 kN Schub. Nur 50% größer ist das Vulcain 2, es hat jedoch den vierzigfachen Schub. Das zeigt auch die Tabelle mit einigen Kerndaten:

Triebwerk Aesus Vulcain 2
Gewicht: 111 kg 1.935 kg
Schub: 28,4 kN 1.390 kN
Brennkammerdruck: 11 bar 118 bar
Abmessungen: 2,18 m Höhe, 1,31 m maximaler Durchmesser 3,45 m Höhe, 2,10 m maximaler Durchmesser
Schub/Gwwichtsverhältnis 25,5 zu 1 71,8 zu 1

So lohnt es sich auch bei Oberstufen mit niedrigem Schub (verglichen mit der Startmasse liegt die Beschleunigung heute oft unter 0,5 g bei Oberstufen, beim Einsatz der Ariane 5 ESC-A z.B. bei 65 kN Schub bei 29 t Startmasse in einen GTO Orbit, bei der EPS sind es bei ATV Missionen sogar nur 29 kN bei 29,1 t Startmasse) immer höhere Brennkammerdrücke einzusetzen. Beim RL-10 stieg er von 20,7 auf 44,4 bar während des Einsatzes an. Der Schub pro Triebwerk stieg so von  66,7 auf 110 kN bei nur geringem Anstieg der Triebwerksmasse. Vinci soll mit noch höherem Brennkammerdruck von 60 Bar arbeiten und erreicht so 180 kN.

Auf der anderen Seite steigen die Anforderungen vor allem an das Treibstoffförderungssystem mit steigendem Brennkammerdruck enorm an. Beim Expander Cycle ist die Gasmenge und damit der Förderdruck durch die Größe der Brennkammer limitiert. Der Treibstoff nimmt von ihr Wärme auf und verdampft. Ist die Fläche, verglichen mit dem Fördervolumen zu klein (gegeben bei großen Triebwerken), so erreicht man keinen hohen Förderdruck. Beim Gasgeneratorverfahren steigt die Menge an Treibstoff die nur der Gasgenerator braucht, ebenfalls überproportional an, wenn der Brennkammerdruck ansteigt. Ein Minimum (in einem Treibstoffverbrauch/Förderdruckdiagramm) gibt es bei 90-100 bar je nach Treibstoffkombination. Das ist ein Grund warum nur wenige Triebwerke mit Gasgeneratorantrieb diesen Brennkammerdruck übersteigen.

Beim staged Combustioon Verfahren gibt es diese Einschränkungen nicht, vielleicht ein Grund warum Russland es auch bei Oberstufen einsetzt, aber es ist technisch doch aufwendiger als der Gasgeneratorantrieb und erst recht als der Expanded Cycle Antrieb.

Die mobile Version verlassen