Bernd Leitenbergers Blog

Verschüttetes Wissen und absinkendes Niveau

Auf den heutigen Blogeintrag hat mich Hans gebracht. Wer in den frühen achtziger Jahren einen Heimcomputer kaufte, wurde nach 1-2 Sekunden mit einem „Ready“ und einem blinkenden Cursor empfangen, oder wenn er mehr ausgab mit einem „A:>“ und ebenfalls einem blinkenden Cursor.

Ohne ein Handbuch zu lesen, wäre man da nicht weitergekommen. Ich bin aber auch der Überzeugung, das wenn man so ein Gerät heute auf den Markt bringt würden die wenigsten damit klarkommen.

Jede Zeit hat ihr Erwartungsniveau ausgehend von dem was die Leute als „normal“ ansehen. Als diese Heimcomputer auf den Markt kamen waren sie fortschrittlich. Computer kannte man nicht. Rechnen konnte man allerhöchstens mit Taschenrechnern. Da waren selbst Heimcomputer fortschrittlich. Mit ihnen konnte man Texte bearbeiten ohne Tipp-Ex bemühen zu müssen. Man konnte mit einem kleinen Programm Dinge berechnen für die man bei einem Taschenrechner lange tippen müsste. Heute kann man vieles mit Excel & Co erledigen, selbst nichtlineare Abhängigkeiten auflösen. hätte ich kein Programm für Raketenberechnungen, ich würde das wohl mit Excel erledigen. Ein Rechner der einen auffordert erst mal was zu programmieren, noch dazu ohne sofortigen Syntaxcheck erscheint da als Zumutung, wie ich auch bei den Studenten bemerkte, wenn ich bei den Bemerkungen Dinge lesen musste wie „Wofür muss ich Syntax lernen, das kann doch der Compiler prüfen“. Entsprechend sah es dann auch aus. Da gab es dann bei einigen Lösungen neue Befehle.

Dabei ist das nicht das Hauptproblem sondern das logische Denken an dem es hapert und das braucht man nicht nur beim Programmieren. Die Beschränktheit der Möglichkeiten zwang auch ein planvolles Vorgehen, denn sonst kam bei BASIC nur Spagetti-Code heraus.

Was für uns „normal“ ist hängt davon ab was wir gewöhnt sind. Damit liegt aber auch fest, was wir schon können ohne das wir es lernen müssen. Bei jedem der ein Betriebssystem benutzt und nur einige Texte schreibt oder surft liegt enorm viel impliziertes Wissen vor. Das merkt man wenn man eine komplett andere Umgebung hat in der man dieses nicht umsetzen kann. Das war früher z. B. beim Wechsel auf Linux der Fall, heute wegen der Angleichung weitgehend nicht mehr. Das umgekehrte liegt vor, wenn jemand heute erst mit Computern in Berührung kommt. Das merkt man erst, wenn man damit zu tun hat. Mein Bruder ist so ein Fall. Obwohl er als Architekt eigentlich einen Beruf hatte (inzwischen im Altersruhestand) der computeraffin ist, war er bald Bauleiter und musste selbst nichts mehr zeichnen. Also kam er um den Computer herum. Erst 1992 wurde einer angeschafft, vor allem um Texte zu schreiben. Internet wurde erst 2006 entdeckt und so richtig vertraut ist er mit der Bedienung immer noch nicht. alle paar Monate muss man Windows komplett neu aufsetzen weil es schon nicht mehr startet, wie er das schafft weiß ich bis heute nicht. Und wenn er mal an meinem Computer ein Ticket bei der Bahn bucht, finde ich im Downloadordner immer einen „Neuen Ordner(1)“ als Verzeichnis – das ist das typische Verhalten von Schnellklickern.

Vieles was man früher konnte, können wir heute nicht mehr. Es gibt ja ein eigenes Wissenschaftsgebiet „Experimentelle Archäologie“. Da versucht man Werkzeuge, Geräte oder Waffen mit den damaligen Methoden ehrzustellen oder auch diese Methoden erst zu verstehen. Wir bekommen so nicht nur ein besseres Bild von der damaligen Zeit, wie etwas entstand, aber auch was die Leute damals konnten. Im Extremfall würden die meisten, die in die Steinzeit zurückversetzt wären wohl mangels Jagderfolg verhungern.

Wir brauchen das aber auch heute nicht mehr, dafür zählen andere Qualitäten. Fakten kann man heute viel einfacher im Internet nachprüfen als früher in Büchern. Auch bei Software wird erwartet, dass man einfach so loslegen kann (anders als bei den oben angesprochenen Heimcomputern). Heute liest kaum noch einer das Handbuch, oder wie es bei den Programmieren heißt „RTFM“. Um so wichtiger sind bei vielen Fächern, wenn die Fakten an Bedeutung verlieren die mysteriösen“ Grundlagen. Sie sollen einen befähigen mit sich verändernden Anforderungen und Fakten schneller zurecht zukommen, indem man Basiswissen durch neue Fakten ergänzt oder Methoden auf neue Gebiete anwendet. Das erstaunliche ist, dass es meiner Erfahrung nach gerade daran hapert. Programmieren ist ja vor allem Logik und die Fähigkeit ein Problem in Teilprobleme aufzulösen und diese mit den Mitteln einer Programmiersprache zu formulieren. Diese selbst und die Syntax ist eher nebensächlich. Das es hier einen Mangel gibt habe ich auch von anderen Dozenten gehört die länger als ich dabei waren und auch das es schlechter wird.

Also eigentlich sollte es einfacher werden. Als ich das erste mal studierte gab es viele Grundlagen zu lernen, aber noch mehr Fakten. Ich selbst hatte ja schon bei meinem zweiten Studium, das nicht an einer Uni, sondern einer FH war, ein Gefälle festgestellt. Natürlich im Stoff, wo die Uni auf einem Niveau startete das ich von der Schule nicht kannte. Entsprechend groß war der Zeitaufwand den Vorlesungen zu folgen. Bei der FHTW war dem nicht so. Bei den Fächern, die ich schon an der Uni hatte (Physik und Mathematik) konnte ich direkt vergleichen und da schaffte man trotz 66% mehr Stunden in Mathematik weniger als auf der uni. Ob dies nun mehr an dem unterschiedlichen Studium mit unterschiedlichen Abschlüssen ist (Master und Bachelor) oder das Eingangsniveau real gesunken ist, kann ich nicht beurteilen.

Doch ein Zitat eines anderen Dozenten macht mich nachdenklich „Als ich Abitur machte, waren das 8% eines Jahrgangs, heute sind es 50%, das muss ja folgen haben“. Ja muss es, da man nach Vorschrift so korrigieren muss, das ein Durchschnitt herauskommt der zwischen 2,5 und 3 liegt, da dies so gegeben wäre wenn die Noten „gleichverteilt“ sind. Natürlich bedeuten mehr Studienanfänger nicht automatisch, dass mehr Dumme anfangen, weil es auch eine wirtschaftliche Frage ist. aber die Tendenz ist gegeben. Die Frage ist auch ob wir so viele Studenten brauchen – wer macht dann eigentlich die ganzen anderen Arbeiten die kein Studium erfordern?

Ich habe übrigens gerade mal nachgeschaut und in dem Jahr in dem ich Abitur machte, war die Studienanfängerquote 2,5-mal kleiner als heute. Als größeren Unterschied sehe ich aber die Organisation: Das FH Studium mit „Stundenplan“ für jedes Semester festgelegten Fächern und das Unistudium mit Vorlesungen und Kursen die man zwar nicht in beliebiger Reihenfolge aber doch weitestgehend selbstverantwortlich belegen kann. Das zwingt einen zu selbstständigem Arbeiten, Eigenverantwortlichkeit und Selbstorganisation. Aber mit diesem System wird man wohl nicht so viele Studenten durchschleusen können.

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