Immer wieder wird sich den professionellen Raketenkonstrukteuren die Frage stellen, welcher Treibstoff der für die jeweilige Aufgabe der beste, also von den Gesamt-, Entwicklungs- oder Betriebskosten her gesehen der billigste ist. Auch wenn man sich als Freizeitplaner mit der Konzeption von Trägerraketen beschäftigt, ist hier eine Entscheidung fällig, wenn auch eher auf Basis von Vermutungen. Bernd hat hier als „Wasserstofffan“ klar Stellung bezogen, auch wenn er in nachfolgenden Konzeptionen mitunter Kerosin für die Unterstufe und Wasserstoff für die Oberstufe vorsieht, mitunter kommen auch Feststoffbooster hinzu. In Anbetracht der sehr beträchtlichen Raketengesamtmassesenkungen durch Wasserstoff in allen Stufen-Konstruktionen stellt sich die Frage, ob Kerosin als Brennstoff in der Unterstufe in Anbetracht der voran geschrittenen Technik noch zeitgemäß ist. Durch einige Überlegungen kann man einen Annäherungsversuch an die Problemstellung unternehmen.
Zunächst sollte man sich vor Augen führen, wie die Kosten für einen Raketenstart eigentlich zusammenkommen:
1. Produktion
2. Transport Fabrik-Startplatz der Oberbaugruppen
3. Startvorbereitungen, Endmontage
4. Start/Flugüberwachung/Bahnverfolgung
5. Sonstige Kosten, z.B. Versicherung. Verwaltung
Auf 1-4 entfallen stets Kosten der Qualitätskontrolle, sie sind nicht explizit aufgeführt.
Auf alle Punkte hat die Konstruktion der Rakete Einfluss. Einfache Technik macht die Produktion einfacher, ebenso die Startvorbereitung oder die Qualitätskontrolle. Auch geringe Größe der Bauteile wirkt sich positiv auf 1, 2 und 3 aus. Gut durchkonstruierte Raketen erhöhen zudem die Sicherheit, was den Versicherungskosten zugute kommt oder Einsparungen bei der Qualitätskontrolle Einsparungen ermöglicht. Sind Sensoren (anders als bei der Proton, siehe Unfall) so beschaffen, dass sie schon aufgrund ihrer Form ihrer Markierungen nur richtig herum eingebaut werden können, so gibt es eine Fehlermöglichkeit weniger, die von der Qualitätskontrolle überwacht werden muss.
Man kann die Kosten auch auf die einzelnen Bauteile aufteilen, auf die dann anteilig 1, 2 und 3 entfallen. Da wären:
1. Nutzlaststpitze, z.B. Fairing, Adapter
2. Elektrik, Bordcomputer
3. Einzelne Raketenstufen, bestehend aus:
3.1 Triebwerk
3.2 Tanks+Leitungen
3.3 Zelle+Schubgerüst, Zwischenstufen
Bei einer Feststoffstufe gibt es natürlich andere Bauteile, somit sind auch die Kosten anders verteilt. Da hier nur Wasserstoff mit Kerosin verglichen werden soll, wird diese komplett andere Bauweise hier außer Acht gelassen.
Diesmal gilt für alle Punkte, dass eine einfache Bauweise zumeist zu geringeren Kosten führt. Für Strukturbauteile wie Tanks und Zelle wirkt schon eine geringere Größe kostensenkend. Auch geringe auf die Turbopumpen wirkt sich geringes Fördervolumen (durch hohe Brennstoffdichte oder hohen spezifischen Impuls) positiv aus.
Soweit zur Ausgangslage. Ein guter, das heißt kostengünstiger Treibstoff verfügt dementsprechend über folgende Eigenschaften:
1. Gohe Ausströmgeschwindigkeit/hoher spezifischer Impuls
2. Hohe Dichte
3. Einfache Handhabung, geringe Gefahr im Umgang (z.B. keine spontane Entzündung an der Luft)
4. Geringe Kosten der Chemikalie selbst
5. Geringe Anforderungen an die Technik in Form von Isolation, spezieller Schmierung von Lagern oder besonderen, nichtreaktiven Oberflächen
6. In Ländern mit anspruchsvoller Gesetzeslage auch Umweltverträglichkeit
Wasserstoff verfügt als markanteste positive Eigenschaft über 1 und 6. 3 stimmt an sich ebenfalls, allerdings entweicht Wasserstoff leicht und bildet Knallgas.
Kerosin hat die hervorstechenden Eigenschaften 2 (wenn auch dem Hydrazin unterlegen), 3, 4 und 5. Gewichtigster Nachteil ist die nur mittlere Ausströmgeschwindigkeit, während Wasserstoff eine sehr geringe Dichte und hohe technische Anforderungen aufweist. Dazu folgendes Zitat von Bernd zu technischen Problemen des Wasserstoffes aus diesem Beitrag:
- „Schmieren muss mit einem Medium erfolgen, dass nur zwischen -259 und -252 °C flüssig ist
- Dasselbe gilt für die Kühlung von Brennkammer und Düse: Kerosin kann sich auf bis zu +180 °C erhitzen (andere Kohlenwasserstoffe sogar bis +300°) und dadurch große Wärmemengen aufnehmen bevor es verdampft (der Dampf kühlt wegen der geringeren Dichte natürlich erheblich schlechter) und dabei ist eine Wasserstoff/Sauerstoff Verbrennung heißer als die von Kerosin/LOX, es muss also mehr Wärme abgeführt werden. Man muss also mit Dampf kühlen und damit muss die Kühlung sehr ausgereift sein. Fehlstartursache der ersten Ariane 5 ECA war, dass die Brennkammer und Düse im Vakuum nicht ausreichend gekühlt wurde, ein Phänomen dass bei den Bodentestes nicht auftrat, da hier die Umgebungsluft noch Wärme aufnahm und abtransportierte. Sie brannte durch und die Rakete verlor an Schub.
- Während bei Kerosin und Sauerstoff in etwa gleiche Volumina gefördert werden müssen, ist der Unterschied bei Wasserstoff und Sauerstoff so groß, das es schwer ist die beiden Turbopumpen durch eine gemeinsame Turbine zu betreiben, mit einem einfachen Übersetzungsgetriebe. Die hohen Drehzahlen, die eine Wasserstoffpumpe erfordert macht oft eine zweistufige Pumpe nötig, weil es schwer ist mit nur einer Stufe sie zu erzeugen. „
Bisher nicht beachtet wurde der zu jedem Diergol gehörende Oxidator. Dieser ist in beiden Fällen flüssig gelagerter Sauerstoff. Das Mischungsverhältnis des Brennstoffs und des Oxidators beeinflusst die Treibstoffdichte (nicht aber die Brennstoffdichte). In beiden Fällen steigt diese mit höherem Verhälnis Oxidator/Treibstoff.
Es ist offensichtlich, das die Kosten eines Raketenstarts neben der Bauweise stark von der Größe der Rakete und somit der Einzelbauteile abhängen. In der Regel wird die Güte eines Treibstoffes anhand der für eine jeweilige Transportaufgabe nötigen Gesamtmasse der Rakete oder einer Stufe festgemacht. Diese Sicht ist meiner Meinung nach zu einseitig, denn die Masse der befüllten Rakete auf der Startrampe ist weitgehend unerheblich. Viel weniger ist dagegen die nötige Größe der Bauteile. Deswegen habe ich für verschiedene Transportaufgaben einen Vergleich zwischen einer Wasserstoffhauptstufe und einer Kerosinhauptstufe gemacht. Ein Vergleich der Treibstoffe für eine Oberstufe ist hingegen sinnlos, da Wasserstoff hier klar als Sieger hervorgehen wird. Bei den Oberstufen einer Raketen ist die Stufengesamtmasse sehr wichtig, da hier jeder Zuwachs sich in einem ungleich größeren Zuwachs in der Masse der Unterstufe niederschlägt. Es lässt sich für eine Unterstufe leider keine allgemein gültige Regel für die Wahl des Treibstoffs aufstellen, da diese von den von Mal zu Mal sehr unterschiedlichen Variablen v/l-Verhältnis, Spezifischer Impuls und der zu erreichenden Geschwindigkeit abhängig ist.
Nun aber zur Vorgehensweise: Jede erste Raketenstufe hat die Aufgabe, die oberen Stufen mit der Nutzlast auf eine bestimmte Geschwindigkeit zu beschleunigen. Wie groß diese ist, hängt von der Zielbahn und Art und Anzahl der noch folgenden Stufen ab. Sind alle Ausgangsdaten bekannt, so kann die Masse der ersten Stufe durch umstellen der einfachen Raketengrundgleichung errechnet werden. w ist in diesem Fall die Leermasse, die Vollmasse ist gleich w mit dem v/l-Verhältnis k multipliziert. N entspricht der Masse der Oberstufen + der Nutzlast. v ist die Geschwindigkeit, auf im kräftelosen Raum beschleunigt werden soll.
v=Isp*loge((kw+N)/(w+N))
v/ Isp=loge((kw+N)/(w+N))
ev/Isp=(kw+N)/(w+N) /*(w+N)
ev/Isp*w+ ev/Isp*N=kw+N /- ev/Isp*w/-N
ev/Isp*N-N=kw-ev/Isp*w
ev/Isp*N-N=w*(k- ev/Isp) / : (k- ev/Isp)
w= (ev/Isp*N-N)/( k- ev/Isp)
Untersucht werden soll folgende Raketenkonfiguration:
Brennstoff | Wasserstoff | Kerosin | Konstanten: | |||
Mischungsverhältnis Oxidator/Brennstoff | 6 | 2,7 | Dichte Kerosin t/m3 | 0,79 | ||
Treibstoffdichte in t/m3 | 0,35 | 1,02 | Dichte Sauerstoff t/m3 | 1,14 | ||
Oberstufenmasse in t | 35 | 35 | Dichte Wasserstoff t/m3 | 0,069 | ||
Isp in m/s | 4300 | 3300 | ||||
Masseverhältnis v/l | 10 | 15 |
Die Treibstoffdichte bezeichnet die Durchschnittsdichte von Brennstoff und Oxidator, abhängig von deren Dichte und dem Mischungsverhältnis. Untersuch werden sollen drei realistische Zielgeschwindigkeiten, die da lauten 3000, 4000 und 5000 m/s. Als Ergebnisse erhält man die Gesamtmasse, die Leermasse (w in der Raketengrundgleichung), die Treibstoffmasse und das Treibstoffvolumen für beide Treibstoffkombinationen. All diese Daten sind für die Strukturen von Bedeutung. Das von der Turbopumpe zu förderne Volumen muss allerdings gesondert betrachtet werden. Zwar hat Kerosin eine größere Dichte, allerdings ist die Stufe auch schwerer und der Isp. geringer, wodurch sich der nötige Triebwerksschub und somit die nötige Leistung der Turbopumpe wieder vergrößert. Als Eingabewert kommt die Startbeschleunigung geteilt durch die Erdbeschleunigung gleich 9,81m/s2 hinzu, als Ausgabewert der Kalkulationstabelle das Fördervolumen pro Sekunde. Tatsächlich muss das Fördervolumen größer sein, da am Boden der Isp. geringer ist, doch soll es ja bloß um einen Vergleich gehen.
Hier die Tabelle mit den Ergebnissen:
Zielgeschwindigkeit in m/s | 3000 | 4000 | 5000 | |||
Treibstoff | Wasserstoff | Kerosin | Wasserstoff | Kerosin | Wasserstoff | Kerosin |
Leermasse in t | 4,42 | 4,14 | 7,20 | 7,10 | 11,32 | 11,89 |
Gesamtmasse in t | 44,20 | 62,16 | 71,97 | 106,48 | 113,16 | 178,36 |
Treibstoffmasse in t | 39,78 | 58,01 | 64,78 | 99,38 | 101,84 | 166,47 |
Treibstoffvolumen in m3 | 112,26 | 56,98 | 182,82 | 97,61 | 287,42 | 163,51 |
Startbeschleunigung in g | 1,20 | 1,20 | 1,20 | 1,20 | 1,20 | 1,20 |
Treibstofffördervolumen m3/s | 0,61 | 0,34 | 0,83 | 0,50 | 1,14 | 0,75 |
Verhältnis des Volumens Wasserstoff/Kerosin | 1,97 | 1,87 | 1,76 |
Eines war von vorneherein klar: Die Gesamtmasse ist für Wasserstoff geringer als für Kerosin. Deutlich zu erkennen (und vielleicht überraschend) ist das deutlich geringere Treibstoffvolumen von Kerosin. Die Leermasse ist nur wenig kleiner, was auf den ersten Blick stutzig macht; man könnte ein falsch gewähltes v/l Verhältnis vermuten. Es darf jedoch nicht die höhere Gesamtmasse der Stufe vergessen werden, die eine massivere Bauweise nötig macht. Auch die nötige Förderleistung der Turbopumpe ist bei Kerosin stets geringer, trotz des größeren Schubs (und dem damit höheren Massendurchsatz), der erbracht werden muss.
In meinen Augen sprechen diese Zahlen für den Treibstoff Kerosin in der Erststufe. Das geringere Treibstoffvolumen macht kleinere Tanks möglich, wenn auch dicker gebaut. Die Turbopumpe muss weniger förderstark sein, und auch die Leermasse ist geringer. Zudem ist wegen den geringeren Anforderungen von Kerosin auch die Konstruktion einfacher. Dagegen spricht der höhere Schub, den das Haupttriebwerk infolge der höheren Raketengesamtmasse erbringen muss. Der Eignung von Kerosin als Treibstoff nimmt allerdings mit steigender Geschwindigkeit ab, wie das Verhältnis ganz unten in der Tabelle anzeigt. Das ist die wohlbekannte Auswirkung des mittelmäßigen spezifischen Impulses. Konkurrenz bekommen Kerosin-Stufen allerdings durch immer weiter verbesserte Feststoffantriebe aus CFK.
Wer selbst einmal nachrechnen möchte: Hier ist meine Berechnungstabelle: Angarabeispiel (nicht durch den Namen verwirren lassen, er hat nichts damit zu tun)