Bernd Leitenbergers Blog

Schon wieder ein Proton Fehlstart

Es ist der achte bei 83 Starts der Proton M, bedenklicher: von den letzten 36 Starts die seit 2010 erfolgten ist es der fünfte. Die Proton M scheint also nicht zuverlässiger zu werden. Im Gegenteil. Das ist besorgniserregend, denn normalerweise haben die meisten Träger eine erst schnell, dann immer langsamer ansteigende Zuverlässigkeit. Es gibt als ungefähre Regel auch das Quadratwurzelgesetz: Ein Träger ist gut, wenn die Zahl der Fehlstarts kleiner als die Quadratwurzel der Starts ist, also maximal 3 bei 10 Starts, maximal 10 bei 100 Starts und maximal 33 bei 1000 Starts. Im ersten Fall liegt die Versagensquote bei 30%, im letzten bei 3,3%.

Bedenklicher ist noch, dass dieses Gesetz für einen neuen Träger geilt, die Proton M aber nur eine neue Version ist. Neu ist nur die Oberstufe, wobei diese auch nicht richtig neu ist, sondern um Kosten zu sparen, die Breeze einer Rockot mit einem abwerfbaren Zusatztank. So sollte man nicht so viele Fehlstarts erwarten. ich habe hier mal die jährliche Erfolgsstatistik/summierte Zuverlässigkeit der R-7 (alle Versionen) und der Proton angezeigt.

Beide beginnen wie die meisten Träger mit vielen Fehlstarts und einer niedrigen Erfolgsquote sie wird dann in den nächsten Jahren besser. Dann laufen die Statistiken jedoch auseinander. Charakteristisch ist für die Proton das es bis in jüngste Vergangenheit fast jedes Jahr einen oder mehrere Fehlstarts gibt. Dagegen gibt es bei der Sojus kaum noch Fehlstarts und viele Jahre ohne Fehlstarts. So sinkt die Erfolgsquote der Proton sogar leicht ab, die der Sojus bleibt dagegen auf einem höheren Niveau. Heute liegt die summierte Erfolgsquote der Sojus bei 95%, die der Proton bei 89,6. Diese 5,4% Unterschied entsprechen in der Praxis einem Fehlstart in 20 Flügen und einem in 10 Flügen, also einem durchaus signifikanten Unterschied,

Doch das ist nur eine Seite der Medaille: die meisten Fehlstarts der Proton M und alle der jüngeren Zeit, hatten nationale Nutzlasten. Die Proton wird kommerziell von ILS vermarktet und sie transportiert russische Kommunikationssatelliten oder Satelliten des Glonass Netzes. Auf der anderen Seite haben die Fehlstarts auch die Folge, dass kommerzielle Aufträge seltener werden. Nach dem letzten bekam im folgenden Jahr ILS nur noch 4 anstatt 8 Starts wie in den Vorjahren. Der Auftragsrun bei SpaceX ist eine Folge davon, denn Arianespace hätte maximal zwei Starts in den Terminkalender integrieren können. So ist es nur natürlich das immer mehr Fehlstarts auf die russischen Träger entfallen. Die Zahl der Starts und Fehlstarts ist leider sehr gering für eine statistisch abgesicherte Aussage. Den Schluss, den andere Autoren vorschnell geschlossen haben (das es immer nur russische Nutzlasten trifft) würde ich mich nicht hinreisen lassen, zumal von den frühen Fehlstarts die meisten auf kommerziellen Nutzlasten entfielen. Nun sind es viel weniger kommerzielle Starts und das kann auch ein Effekt der mangelnden Nachfrage sein.

Die Erklärungsmethode ist für viele einfach: die Qualitätssicherung. Vor etwa 10 Jahren zahlte die russische Regierung 25 Millionen Dollar für die Fertigung einer Proton. Der komplette Start kostete zum selben Zeitpunkt bei ILS 90 Millionen Dollar. Nun muss die russische Regierung noch Pacht an Kasachstan zahlen und den Start durchführen, Das Management von ILS fällt weg, und einen Gewinn wie die Eigentümer von ILS muss auch nicht erzielt werden. Aber der Unterschied von mehr als dem Faktor 3 ist schon eklatant. Es muss dann gespart werden und das ist am einfachsten bei der Qualitätssicherung möglich. Die ist bei Raketen im Vergleich zu Massenprodukten viel aufwendiger. Der Grund ist, dass man nur wenig automatisieren kann. Menschen machen aber anders als Roboter Fehler und die müssen vermieden werden, den Reparaturen oder Rückrufaktionen sind nicht möglich. Mir ist ein älterer Beitrag über Ariane 4 in Erinnerung. Da wurde die zweite Stufe mit der ersten verschraubt, Dafür gab es drei Arbeiter. Der erste zog die Schrauben fest, der zweite maß nach ihm das Drehmoment und der dritte trug es in eine Liste ein. Oder eine Arbeit an der EPS Stufe. Ein Arbeiter braucht ein Werkzeug und entnimmt es einem Werkzeugwagen. Der ist ähnlich wie andere auch, nur hat jedes Werkezeug eine individuelle Vertiefung in das nur es passt. Er muss die Entnahme in einem Buch protokollieren. Wenn er es wieder zurücklegt muss er es wieder protokollieren.

Das klingt aufwendig, aber es hat sich in Jahrzehnten des Betriebs eingebürgert. Der Grund: Es gab schon Missionen die scheiterten, weil Stufen sich nicht trennten oder Nutzlastverkleidungen von zu stark gespannten Bändern an der Stufe hängen blieben. Es fielen Raketen aus, weil man Wischtücher oder Werkzeuge in Leitungen vergessen hatte. Zahlen wie viel diese Qualitätssicherung kostet gibt es wenige, doch eine kenne ich: Bei der bemannten Saturn IB betrug der Anteil der Qualitätssicherung 66% des Gesamtpreises. Sprich: Hätte man diese auf die Hälfte reduziert so wäre die Rakete um ein Drittel billiger gewesen. Vieles spricht dafür das SpaceX dieses Konzept umsetzt: die geringe Testzeit der Triebwerke, die vielen Probleme der Träger vor dem Start. Redundanz sollte zumindest in der ersten Stufe ein Scheitern verhindern. Bisher geht dieses Konzept auf, doch es gibt zu wenige Starts um zu sagen ob es langfristig sich lohnt. Bei der Proton scheint man meiner Ansicht nach etwas zu viel bei den Regierungsnutzlasten gespart haben. Daraufhin weist die genaue Fehlerursache einiger Fehlstarts, wie verkehrtherum eingebaute Beschleunigungssensoren oder zu voll betankte Stufen hin. Das sind keine Designfehler, das sind menschliche Fehler die einer Kontrolle entgingen. Übrigens gibt es auch das entgegengesetzte: Die Atlas Centaur war lange Zeit der US-Träger mit der höchsten Ausfallrate – bis die Starts privat erfolgten. Das letzte Modell Atlas 2 hatte dann keinen einzigen Fehlstart mehr.

Was aber auffällig ist, ist das die Proton schon vorher immer wieder Fehlstarts hatte, also nicht wie andere Träger immer zuverlässiger wurde. Sie war also auch schon zu Sowjetzeiten nicht richtig zuverlässig. Schaut man sich um, so trifft dies auch auf die Zenit zu, die bei 81 Starts auch schon zehn Fehlstarts hatte. Dabei ist die Zenit zwanzig Jahre jünger und verwendet eine Stufe weniger. Sollte also nominell zuverlässiger sein.  Was auffällig ist, ist das beide Träger Triebwerke mit dem Hauptstromverfahren einsetzen, die anderen älteren russischen Träger wie Kosmos, Sojus und Zyklon dagegen das Nebenstromverfahren. Auf der anderen Seite ist das RD-180 als Derivat des RD-170/171 in der Atlas sehr zuverlässig. Man kann es also nicht so einfach machen. Wahrscheinlich gibt es gute Gründe, nur werden die wohl nicht veröffentlicht.

Kleine Neuigkeit am Rande: Nachdem Boeing während der Zeit in Chapter 11 von Sealaunch aus dem Unternehmen ausstieg gehört es nun fast vollständig den Russen. Diese wollen nun mit Sealaunch russische militärische Satelliten starten. Das ging vorher aus zwei Gründen nicht: der größte Teil der Rakete wurde in der Ukraine gebaut und die Startvorbereitungen mit Nutzlastintegration in Kalifornien erfolgten. Mit dem russischen Sealaunch hat sich das zweite Problem erledigt und in wenigen Wochen wird wohl auch Dnipropetrowsk Bestandteil von Russland sein, dann hat sich das erste Problem auch erledigt.

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