Bernd Leitenbergers Blog

Die konservativste Branche

Es gibt ja das Gerücht, Weltraumfahrt wäre progressiv. Ich erinnere mich noch an Jochaim Bublath und da fiel in fast jeder Sendung ein Spruch wie „Als Ergebnis der modernen Weltraumforschung“… Das hat man dann bei Switch auch aufgenommen und karikiert.

Nun war die Weltraumfahrt mal sehr innovativ. Von Brennstoffzellen habe ich Jahrzehnte bevor die Automobilindustrie die entdeckt hat gehört – sie wurden kaum dass sie erfunden wurden in den Gemini Raumkapseln eingesetzt. Um die mangelnde Zuverlässigkeit von Computern auszugleichen erfand man das Voting und Redudante Auslegung aller Teile. Der Apollo Rechner war eines der ersten Realzeitsysteme und der erste Microcontroller. Auch später noch waren Entwicklungen in der Weltraumfahrt vor allem im instrumentellen Bereich dem kommerziellen Bereich weit voraus. Als man den CCD-Chip für Galileo auswählte konnte man bei Tausenden von hergestellten Chips nur zwei Exemplare finden, die die Flugqualität erreichten – der Chip hatte fünfmal so viele Pixel wie kommerziell verfügbare Exemplare.

Inzwischen hat man überall einen Gang zurückgeschaltet. Dafür gibt es auch gute Gründe. Bei der Mikroelektronik steigen sowohl die Kosten mit kleiner werdenden Strukturen an wie auch deren Empfindlichkeit. so hinken die Chips für Bordcomputer um Jahre bis Jahrzehnten hinter kommerziellen Exemplaren hinterher. Spitze dürfte derzeit der japanische HR5000S sein, eine MIPS 64K Architektur im 0,15 Mikrometerprozess. In derselben Auflösung entstanden 2001 kommerzielle Chips wie der Pentium 4, wobei die auch noch über eine größere Chipfläche (der HR5000s belegt nur 50 mm²) hatten. So ist selbst die erste Pentium 4 Generation doppelt so schnell wie dieser Chip.

Bei der Antriebstechnik ist am deutlichsten sichtbar, dass man heute einen Gang zurückschaltet. Verglichen mit vor 50 Jahren schaffen heute Antriebe maximal 10% mehr Performance und das oft für deutlich höhere Kosten, weshalb man oft drauf verzichtet das letzte Quäntchen Leistungen herauszuholen.

Noch immer führend sind neuentwickelte Instrumente die Gigapixelkameras bei Kepler und Gaia zeigen doch auch hier wird inzwischen oft recycelt und ein Experiment eingesetzt, das schon vor Jahren schon flog.

Innerhalb der Raumfahrt gibt es aber eine Branche die ist noch um einiges konservativer als der Rest der Branche: die Hersteller von Nachrichtensatelliten. Sonst gilt die ja als Vorzeigebeispiel. Wenige Jahre nach dem ersten Sputnik startete man die ersten geosynchronen Satelliten und die waren gleich so gewinnbringend, das gleich zwei Organisationen INETLSAT und COMSAT gegründet wurden. Europa entwickelte die Ariane, weil die USA ihre Kommunikationssatelliten nicht starten wollte. Allerdings ist dieser Teil der Branche extrem konservativ. Hier nur einige Beispiele:

Lange Zeit setzte man nur auf die Drallstabilisierung. Dabei war der ganze Satellit trommelförmig und rotierte schnell um die eigene Achse. Die Solarzellen befanden sich auf der Zylinderoberfläche. Intelsat wandte sich erst mit der Intelsat V Serie davon ab, und nur weil die immer größeren Zylinder nun nicht mehr in die Nutzlastverkleidung der Atlas Centaur passten. Als dann das Space Shuttle wieder mehr Raum bot, hat man die intelsat VI wieder mit Drallstabilisierung konstruiert. Würde SpaceX für die Branche eine Nutzlastverkleidung bieten, die 100 m² große Zylinderflächen erlaubt (so 7 m Durchmesser, 14 m Höhe), sicher würden sie sofort wieder zurückwechseln …

Lange Zeit nutzten die Satelliten Feststoffantriebe als Apogäumsmotoren, auch das ging bis in die frühen 90-er so. Die haben einen festen Impuls, erfordern also eine hohe Genauigkeit beim Einschuss, binden die Nutzlast an eine Rakete und erlauben nur einen Impuls (kein Problem bei Standard-GTO, aber große Probleme bei sub- oder supersynchronen GTO). Auf lagerfähige Treibstoffe stellte man erst um als man sowieso große Treibstoffmengen für den immer längeren Betrieb /heute bis 15 Jahre) brauchte. Solarzellenausleger, Drallradstabilisierung und Apogäumsmotor mit flüssigen Treibstoffen wurden übrigens mit den deutsch-französischen Symphoniesatelliten eingeführt. Die Entwicklungskosten übernahmen so DFVLR und CNES.

Und dabei ist es bis heute geblieben. Die ganze Branche verbessert ihre Produkte evolutionär und wartet drauf, dass die Regierung neue Entwicklungen finanziert. In den USA hat die NASA sechs ATS Satelliten gebaut. Einige ihrer erprobten Techniken wurden erst Jahrzehnte später breit eingesetzt so Faltantennen mit einer Oberfläche aus einem Metallgitternetz. Dazu kamen die TDRS Satelliten und bis heute entwickelt das Militär neue Kommunikationssatelliten mit neuen Technologien die dann wenn sie funktionieren in kommerziellen Satelliten übernommen werden und in Europa macht das die ESA auch so. Olympus, Artemis, Alphasat bzw. Alphabus seien als Schlagworte mal in den Ring geworfen.

Wo die Branche wäre, wenn sie die Entwicklung selbst finanzieren müsste – man kann nur spekulieren. Immerhin jammert sie schnell, wenn die Konkurrenz doch was neues entwickelt. Als vor ein paar Jahren Hughes einen alten Bus so modifizierte das er ganz ohne chemischen Treibstoff auskommt „All electric“ genannt, jammerte zumindest die europäische Industrie angesichts dieser neuen Konkurrenz und nun fördert die ESA das natürlich auch noch. Dabei sollte man annehmen angesichts der heutigen Situation (Satelliten mit 15 Jahren Lebensdauer bestehen zu 2/3 aus Treibstoff und da dann auch die Tanks viel wiegen macht das Antriebssystem 75% der Startmasse aus) man wenigstens Ionentriebwerke für die Lageregelung einsetzt. Doch das scheiterte zumindest in Europa bei TV-Sat wo man das Zusatzgewicht für zwei RIT-10 nicht unterbringen konnte. So wartet die Branche heute in Europa noch auf das Regierungsvorbild ….

Dabei ist diese Branche hochprofitabel. Kein Satellitenhersteller muss eine Regierung bitten ihr die Entwicklungskosten für eine neue Serie zu finanzieren, wie dies bei den Trägerraketen gang und gäbe ist und gemessen an den Einnahmen über die Transponder die 2012 bei 160% der Abschreibungskosten lagen also 60% Reingewinn (mit straken regionalen Schwankungen in Europa sind es z.B. 220%) ist das noch gar nichts. Man sollte da annehmen das die Käufer der Satelliten eher an Innovation interessiert sind, denn sie machen noch höhere Gewinne, aber auch ihnen scheint wohl Zuverlässigkeit wichtiger zu sein. Verständlich bei 60% Gewinn ist es Wurst wenn die Trägerrakete bei „All-Electric“ Satelliten nur noch die Hälfte kostet, das steigert ihn dann nur von 60 auf 70%, erhöht aber wahrscheinlich in ihren Augen die Wahrscheinlichkeit eines Totalausfalles um ein mehrfaches dessen.

Manchmal habe ich das Gefühl selbst Beamte sind heute innovativer als die Hersteller von Kommunikationssatelliten.

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