Zeit sich mal wieder mit meiner „Liebingsfirma zu beschäftigen. Zuerst mal zu einer Nachlese. Gwen Shotwell hat angekündigt, dass SpaceX dieses Jahr 18-mal und nächstes Jahr 24-mal oder mehr starten will.
Ein anspruchsvolles Ziel, zumal fast drei Monate rum sind und vor dem 4.4.2016, der CRS-8 Mission, kein Start angekündigt wird, das heißt 16 Missionen in nur neun Monaten. Bisher hat SpaceX mal in wenigen Wochen zwei Starts durchgeführt, dann gibt es wieder eine Pause von einigen Monaten. Sie haben also offensichtlich ein Problem bei der Fertigung und Startdurchführung. Dabei müsste die Fertigung kein Problem sein. Schon 2011 kündigte Elon Musk an man würde „bald“ 40 Cores pro Jahr fertigen. Die müssten meiner Definition von „bald“ inzwischen einige Hallen füllen. Nachdem die Firma ja schon vor dem Fehlstart im letzten Jahr nur noch eine v1.1 hatte, alle anderen Raketen in der Pipeline also v1.2 sind, müsste sie durch 6 Monate Pause auch genügend Träger auf Halde liegen haben. Ein Problem dürfte wohl eher die Startvorbereitung sein. Nach Shotwells Ausführungen wird man LC39A nicht für unbemannte Starts einsetzen. isher hat SpaceX sonst nur noch Vandenberg und LC40. Vandenberg wird kaum Starts durchführen. Dort finden nur polare Starts statt, das heißt fast alle muss LC40 abwickeln. Auch wenn die Startrampe neu ist, stellt sich die Frage, ob die Infrastruktur die Starts abwickeln kann. Ich habe mal meine Statistikfunktionen im Launchlog-Converter angeworfen: Keine US-Rampe hat mehr als 10 Starts pro Jahr abgewickelt. ELA-2 schaffte mehr und russische Startrampen auch, bis zu 28 Starts pro Rampe. SpaceX meint, es gibt keine Probleme, vom zweiten Weltraumbahnhof Brownsville gibt es seit Längerem kaum Fortschritte zu vermelden. Die beiden Startabbrüche beim letzten Start weisen aber her darauf hin, dass es noch einiges an der Startvorbereitung zu verbessern gibt. Der Fehler ist nun gefixt, doch wie viele unentdeckte Probleme gibt es noch?
Dann hat man nun rausgelassen, was die Wiederverwendung wirklich einspart. Ich hatte ja nach dem ersten V1.2 Start ohne assoziierte Kosten für Bergung und Wiederverwendung maximal 40% genannt. Shotwell spricht bei 3 Millionen Bergungskosten und 1 Million für den Treibstoff von 30%, was den Startpreis auf 40 Millionen absenkt – für SES nicht genug. Sie wollen einen Abschlag von 50%, wenn sie einen Satelliten einer solchen Stufe anvertrauen. Neben dem, das ich wieder zu 100% richtig lag (meine 40% waren ja ohne assoziierte Kosten, subtrahiert man die genannten 4 Millionen von den 40 so ist man bei 36 Millionen – genau 40%, wie vorhergesagt) sinkt natürlich auch die Nutzlast ab.
Allerdings gibt die Firma ja auch an, dass die Landung an Land 30% Nutzlast kostet – nur die klappte aber bisher. Das wird also ein Nullsummenspiel. Sollte mal die Seebergung klappen die 15% Nutzlast kosten, dann bleibt ein Kostengewinn von 15%. Ob es sich dafür lohnt? Shotwell sagt auch, man werde nichts „refurbish“-en, sondern oberflächlich ansehen und neu starten. Das wäre das Geschäftsmodell. Also wenn es ein verstecktes Problem gibt, man wird’s nicht entdecken. Auch hier: Die Erfahrung wird zeigen, ob es so klappt. Bisher gab es nur einen 3 s-Test, der auch vor Ende abgebrochen wurde.
So viel zur Nachlese. Nun aber zum heutigen Hauptthema: die Rekonstruktion der Stufenmassen der Falcon 9. Sie sind essenziell für die Nutzlastberechnung der Rakete. Ich will auch mal zeigen, wie ich das mache und die Methode hat sich über Jahrzehnte bewährt. Die Methode ist eigentlich ganz einfach. Man braucht nur die Daten anderer Raketen entweder im Computer oder schriftlich. Für die Trockenmasse sucht man sich Die bekannten Massen anderer Stufen mit der gleichen oder ähnlichen Treibstoffkombination (von der Dichte her, die die Tankmasse bestimmt, ist LOX/Kerosin mit NTO/Hydrazinen vergleichbar) und etwa gleicher Masse der Stufen. SpaceX nennt Faktor 30 bei den Erststufen und „nearly 25“ bei der Oberstufe. Später galt die Zahl 30 nur für die Booster der Falcon Heavy. Schaut man sich im Internet um und nimmt Datenblätter, so wird man feststellen, dass kein Autor diesen Faktoren folgt, alle setzen höhere Strukturmassen an. Warum? Nun 30 sind nicht unmöglich. Die Titan II hatten schon bei der ersten Stufe eines von fast 25. Die Falcon 9 Erststufe ist größer und der Strukturfaktor sinkt bei größeren Stufen ab. Dazu kommen neue Legierungen, die leichter sind und die Merlins die ein Schub/Gewichtsverhältnis von 150 haben – auch mehr als doppelt so hoch wie die LR87 der Titan-Erststufe. Möglich ist es also schon, warum ich es und andere nicht glauben? Weil man dann für diese Rakete enorm hohe Nutzlasten errechnet. Doch dazu später mehr.
Das Erste ist es sich Daten zu besorgen. Bei SpaceX gibt es einiges auf der Website, dazu habe ich noch die Wikipedia für den spezifischen Impuls der Erststufe bemüht. Macht man dies so kommt man auf folgende Daten:
- Startmasse 541.300 kg
- Spezifischer Impuls: Erste Stufe 3050 m/s
- Spezifischer Impuls: Zweite Stufe 3413 m/s
- Brennzeit erste Stufe: 162 s
- Brennzeit zweite Stufe: 397 s
- Schub 7426 kN im Vakuum erste Stufe
- Schub 913 kN im Vakuum zweite Stufe
Das ist wenig. So hat man nicht mal das Gewicht der einzelnen Stufen. Man kann es aber abschätzen. Ich bin im Folgenden davon ausgegangen, dass die Brennzeiten für 100% Schub gelten. Wird der reduziert, so steigen die Brennzeiten an. So beim SES-9 Start brannten die Triebwerke nach dem Video 158 und 423 s. Der erste Wert lässt für 36 s Brennzeit eines Triebwerks Treibstoff (9,71 t) in den Tanks zurück. So kann man die Treibstoffmenge berechnen es gilt:
Treibstoffmenge = Schub x Brennzeit / spezifischer Impuls (zumindest in SI-Einheiten)
So kommt man auf 394,43 und 106,2 t Treibstoffmasse in Stufe 1 und 2.
Nehmen wir nun die Strukturfaktoren von 1:30 und 1:24 („nearly 25“) und ziehen jeweils 1 ab (bei der Berechnung der Strukturfaktoren nimmt man die vollbetankte Stufe nicht den Treibstoff) so kommt man auf:
Leermasse erste Stufe = 394,43 t / 29 = 13,60 t
Leermasse zweite Stufe = 106,2 t / 23 = 4,62 t
Addiert man alles zusammen, so ist man bei 518,85 t Startmasse. Doch selbst wenn ich noch 13,15 t für die Nutzlast und 2 t für die Nutzlastverkleidung hinzuaddiere, komme ich so nicht auf 541,3 t, sondern nur 536 t. Es fehlen also 7,3 t. Wenn die Angabe die für einen GTO-Start wäre, dann wäre die Differenz sogar noch größer und ohne Nutzlast sind es schon 20,45 t die fehlen. So muss man sich immerhin keine Gedanken machen, ob die Brennzeiten für einen Teilbetrieb mit reduziertem Schub gelten, denn dann wird die Diskrepanz noch größer, die Treibstoffmenge sinkt ab.
Ich sehe das als Indiz, dass die Strukturmassen eben höher sind. Man kann nun die fehlenden 7,3 t auf die Stufen verteilen, Da die erste Stufe dreimal so viel wie die Zweite wiegt würde man Ihr drei Viertel zuschlagen oder 5,5 t und der zweiten dann 1,8 t. Im Netz findet man aber noch höhere Trockenmassen. Das hängt eben auch ab, was man noch dazu zählt. Üblich ist bei Raketen die Angabe von GLOW: Gross Liftoff Weight und die ist das Startgewicht mit Nutzlast und Verkleidung.
Nähern wir uns dem Thema von einer anderen Seite: der Nutzlastberechnung. Die ist eigentlich nach der Zilokowski Gleichung recht einfach. Die Falcon 9 ist zudem eine klassische Serienrakete ohne Booster, die die Rechnung verkomplizieren. Man addiert also einfach die Nutzlast und rechnet die Endgeschwindigkeit aus. Die wird immer größer sein, als die Orbitgeschwindigkeit. Das liegt daran, dass der Orbit auch erreicht werden muss. Größter Posten sind da die Aufstiegsverluste. Während die Rakete die Orbithöhe erreicht, brennt sie ja und verbraucht Treibstoff. Eine Kanone hätte keine Gravitationsverluste, doch das Konzept hat sich irgendwie nicht durchgesetzt. Diese können beträchtlich sein. Sie hängen von der Aufstiegsbahn ab. Will man vergleichen, so braucht man den richtigen Vergleich, denn Gravitationsverluste können 1200 m/s groß sein oder 2400 m/s. Am unteren Ende liegen schnell beschleunigende Raketen wie die Athena oder Kosmos B-1. Am oberen Ende liegen Raketen mit mehreren Stufen und langen Brennzeiten, die Ariane 5 EPS hat z. B. Einen der höchsten Werte. Man schaut also nach Raketen, wo die Stufen in etwa gleiche Brennzeiten haben. Im US-Arsenal wäre das z. B. Die Titan 3B-Serie mit Gravitationsverlusten von 1380 bis 1590 m/s. Dann gibt es noch die Vorläufer von SpaceX Falcon 1 und Falcon 1e für die es noch genaue Stufenmassen gab, Sie liegen bei 1590 bis 1663 m/s. Nimmt man den höchsten Wert (1663 m/s) als Worst-Case-Szenario so kommt eine Falcon 9 auf 21.796 kg LEO Nutzlast (7802 m/s 186 km Standardorbit) und 7667 kg in den GTO (10255 m/s 186 x 35887 km Standardorbit).
SpaceX spricht von 15% Nutzlastverlust bei Wasserbergung und 30% bei Landbergung. Doch die publizierten Werte von 13,15 und 4,85 sind geringer (jeweils 38-40 % geringer). Das deutet schon mal auf höhere Stufenmassen hin. Dann war nun ja der Start von SES-9. Man kann nun einfach die 9,7 t Treibstoff bei der Leermasse der ersten Stufe addieren und die Nutzlast für einen 332 x 40621 km Orbit berechnen. Der Orbit hat mit größeren Aufstiegsverlusten in 332 km Höhe einen Geschwindigkeitsbedarf von 10288 m/s. Selbst wenn man noch die 9,7 Treibstoff in den Tanks hinzunimmt, kommt man auf eine Nutzlast von 6.700 kg und nicht 5.330 kg wie SES-9 wog. Sicher hätte SpaceX wenn der Satellit wirklich viel kleiner als die Nutzlastgrenze wäre, mehr Treibstoff für ein erfolgreiches Bergungsmanöver reserviert. Das tat man aber nicht. So denke ich, wird SES-9 an der Nutzlastgrenze sein. Der naheliegende Gedanke ist es, nun die 7.3 t Differenz in der Masse zu den Stufen zu addieren. Addiert man sie zur ersten Stufe, so sinkt die Nutzlast auf 6.197 kg ab. Beim Aufteilen 3:1 auf 4.422 kg. Das zeigt schon: die Zweitstufe ist empfindlich hinsichtlich Strukturmasse. Wird sie zu schwer, so sinkt die GTO-Nutzlast stark ab. Bei 800 kg mehr für die zweite Stufe und 6500 kg für die erste kommt man auf 5400 kg GTO-Nutzlast (ein Adapter ist ja auch noch da). In den Standard-GTO wären es dann 5510 kg (die Angabe wurde auch mal von Elon Musk für die v1.2 genannt) und 18200 kg für den LEO-Orbit – das sind 28% mehr als ausgewiesen auf der Webseite. So könnte es hinkommen.
Es gibt aber noch ein zweites Indiz und das steckt im Users Manual versteckt in zwei Abbildungen auf S.20 und 21. Es sind die maximalen G-Belastungen für Nutzlasten über 4000 lbs (1814 kg) und 2000 lbs. Geht man für diese kleinen Nutzlasten von einer maximalen Drosselung der Triebwerke 119 bzw. 81 klbf aus, so sieht man bald, dass die zweite Stufe das Limit setzt. 81 klbf sind 360 kN. Bei 6 g Beschleunigung bei 1814 kg Nutzlast dürfen Nutzlast und Oberstufen zusammen nur 6123 kg wiegen, die Oberstufe also 4310 kg. Das passt zu der Angabe des Strukturfaktors von „nahezu 25“ (24,62). Für 2000 lbs (914 kg) beträgt die Maximalbeschleunigung 8,5 g mithin 4322 kg Maximalmasse oder 3408 kg Oberstufenmasse. Wie passt das zusammen? Nun wir wissen nicht wie stark herunterregelt wurde. Es kann sein das selbst bei einer so geringen Masse man nicht auf das 36% Niveau geht. Damit einher geht auch ein Nutzlastverlust durch Absinken des Brennkammerdrucks und spezifischen Impulses. Man wird den Schub dann reduzieren wenn man nur kurze Brennzeiten braucht z. B. Um eine SSO-Bahn zu synchronisieren. Bei hohem Schub hat man sonst nur Brennzeiten von wenigen Sekunden und großem Fehler durch das Hochlaufen und Abschalten. Ich würde trotzdem nicht die Stufenmasse auf 4,3 oder gar 3,4 t reduzieren. Denn sonst bekommt man nicht nur viel höhere Nutzlasten, dass selbst bei 30% Sicherheitsreserve die SpaceX Angaben zu niedrig sind, es stimmen dann auch die Angaben von Strukturfaktoren von 25 nicht.
Auf der anderen Seite verringert eine geringe Oberstufenmasse ein Problem: Die Leermasse ist bestimmend für die Abnahme der Nutzlast von LEO zu GTO. Modelliert man die Masse der Oberstufe für GTO und berechnet dann die LEO-Masse so stellt man, wenn man die GTO-Nutzlast festlegt, dass es hier gravierende Unterschiede zu den SpaceX-Angaben gibt, selbst bei 30% Nutzlastdifferenz. Die Differenz wird um so kleiner, je kleiner die Oberstufentrockenmasse ist. Bei 3,4 t Leermasse wäre z. B. (mit Bergung) die theoretische Nutzlast für LEO 14,6 t. Doch ohne Bergung werden die Unterschiede extrem: 8886 kg zu 23.000 kg – da fällt es schwer zu glauben, dass man da die Stufe bei SES-9 nicht mehr bergen konnte, der deutlich weniger wog. Daher halte ich 20,02 t für die erste Stufe Leermasse und 5,52 t für die zweite für die plausibelsten Werte. Daraus leiten sich 20.100 kg / 6.375 kg für die Nutzlastmassen ohne Bergung ab.
Kommen wir zu Falcon Heavy. Nimmt man die letzten Werte für die Falcon Heavy, setzt Crossfeeding ein, so kommt man auf 53 t Nutzlast in LEO, 21,7 t in GTO. Das passt also – allerdings – nur ohne Bergung. Setzt man hier dieselben Reserven an wie bei der Falcon 9 (um die Nutzlast so weit abzusenken, muss man die Abtrennmasse der ersten Stufe von 20,02 auf über 70 t erhöhen) so sinkt die GTO-Nutzlast auf 10,6 t und die LEO auf 30,3 t. Dies ist jedoch noch unsicherer, weil die Booster bei geringerer Geschwindigkeit, die Zentralstufe aber bei höherer Geschwindigkeit abgetrennt werden als bei der Falcon 9. Die einfachere Prognose wäre aber, das bei der Falcon Heavy derzeit keine Bergung mit der angegeben Nutzlastenmasse vorgesehen ist. Es gibt zu wenige Flüge und der logistische Aufwand ist bei drei Boostern größer. SpaceX hat inzwischen ja auch die Preispolitik geändert, von dem Preis für die ganze Rakete auf den für einen 6,4 t Satelliten. Daher wird man, wenn man die Bergung betreibt, wohl die Nutzlast nicht ausschöpfen. Wenn man hier niedrigere Strukturmassen für die Booster ansetzt, (der Wert von 30 soll ja für die Booster gelten die wegen der Abtrennung nach nur 108 s geringeren Belastungen ausgesetzt sind) ändert das aber kaum was an der Nutzlast. Es sind nur 1 t mehr in GTO, 3 t in LEO- der Grund: die Zentralstufe, die ja auch geborgen wird, bestimmt nun den Nutzlastverlust.
Insgesamt gibt es viele Unstimmigkeiten, das war schon immer bei SpaceX so, weil die angegebenen Zahlen oft für zukünftige Versionen galten oder Annahmen enthielten, die nicht stimmten. Die Falcon 1 verlor z.B. Ein Drittel ihrer Nutzlast, als man nach drei Fehlstarts nachbessern musste und vor allem die zweite Stufe schwerer wurde. Trotzdem: Das ist meine bisher beste Schätzung der Falcon 9:
Vollmasse |
Leermasse |
Spezifischer Impuls |
---|---|---|
414.450 kg |
20.020 kg |
3050 m/s |
111.720 kg |
5.520 kg |
3413 m/s |
Nutzlastverkleidung: |
2.000 kg |
|
Nutzlast ohne Bergung: |
20.100 kg LEO |
6.350 kg GTO |
Auch diese Annahme ist nicht unproblematisch. Modelliert man die Rakete z. B. Auf eine GTO-Nutzlast von 4850 kg, indem man die erste Stufe schwerer macht (Resttreibstoff für die Bergung auf den Tanks) so muss die Abtrennmasse bei 42 t liegen. Dann aber beträgt die LEO-Nutzlast immer noch 16,9 und nicht 13,15 t. Modelliert man auf 13,15 t Nutzlast bei LEO (77 t Abtrennmasse der ersten Stufe) so kommt man auf nur 3,1 t GTO-Nutzlast. Die Differenz bleibt, auch wenn man geringere Oberstufenmassen ansetzt.