Letzte Woche machte ein ULA-Angestellter bei einem Vortrag einige Anmerkungen über ULA und die Situation in den USA, einen Tag später wurde er gefeuert. Aber die Ausführungen sind interessant. Es gibt in dem Artikel einiges, was man ohne selbst involviert zu sein schwer beurteilen kann, so ob das BE-4 oder AR-1 die bessere Wahl ist. Nach den Zahlen ist es das BE-4 das weiter in der Entwicklung ist und billiger wird. Aber es gibt einiges das auch ich zu kommentieren habe.
Das erste ist die Bemerkung das Senator McCain offensichtlich nicht rational handelt. Man kann das aus verschiedenen Gesichtspunkten sehen, so als „attack dog“ von SpaceX. Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen, denn was er tut schadet nur dem eigenen Land, nützt aber niemanden außer SpaceX. SpaceX hat inzwischen auch seine Aussagen für Lobbyismus enorm erhöht und gibt dafür mehr als ULA aus – vor einigen Jahren war es noch umgekehrt. Da wird sicher viel bei McCain hängen bleiben. Die Tatsachen sind: Als man die RD-180 bestellte war die Abhängigkeit von einer russischen Firma schon ein wichtiger Punkt. Der Ursprungsvertrag war daher so ausgelegt, dass die Stückzahl hoch war und die Lieferfristen so, dass man immer genügend Triebwerke hatte, um nicht nur das aktuelle Jahr abzudecken sondern im Notfall eine eigene Produktion aufbauen zu können. Die Rechte für die Produktion bekam man ebenso wie die Unterlagen über den Aufbau und Tests. Es war der USAF aber bisher immer zu teuer, die Produktion aufzubauen, zumal die in den USA gebauten Triebwerke auch nicht billiger werden. Wenn man nun plötzlich entdeckt das man russische Triebwerke einsetzt um dann einen Bann auszusprechen, ohne irgendetwas zu tun um Ersatz zu schaffen, dann ist das nur dämlich. Russland schadet der Verkauf einiger Triebwerke gar nicht, aber die eignen Nutzlasten des Militärs sind betroffen, ja genau des Militärs, das doch sonst über allem steht und nie Haushaltskürzungen hinnehmen muss, auch wenn sonst jeder zurückstehen muss. Besonders pikant ist das Orbital während der Ukrainekrise ja einen neuen Vertrag über die Lieferung der RD-181 abgeschlossen hat. Wenn die politische Richtung wirklich ernst gemeint ist dann hätte man sicher Orbital davor gewarnt, vor allem aber schon 2014 eine Alternative gesucht. Das macht man nun, nach zwei Jahren. Das zeigt das es eigentlich nicht um die RD-180 geht oder nationale Unabhängigkeit. Würde man nur unabhängig sein wollen, so wäre es die einfachste Möglichkeit das RD-180 in den USA zu bauen, die Rechte hat man und ULA selbst sagte ja dass beide Nachfolger dem RD-180 unterlegen sind. Daher bekommt die Vulkan auch leistungsfähigere Booster um dies auszugleichen.
Das zweite ist ULA selbst: Tobey machte ja auch den Vorschlag wie bei USA (Space Shuttle Management) ULA aufzulösen, wenn die Aufträge abgearbeitet sind. Es gab ja auch das Angebot von Aerojet die Firma für 2 Milliarden Dollar zu kaufen. Man hat das abgelehnt, weil man den Wert des Geschäfts mit 4 Milliarden Dollar höher ansetzte als das Angebot von Aerojet. Nun ja ich sehe das anders. Die 2 Milliarden von Aerojet sind ja Reingewinn, während die 4 Milliarden sicherlich die ausstehenden Starts repräsentieren, doch die sind nicht 100% Reingewinn. Die meisten Firmen hierzulande haben typisch 10% ihres Umsatzes als Reingewinn. Vor allem aber bestehen ULA aus Lockheed-Martin und Boeing. ULA ist nur der Vermarkter. Aerojet hat keine eigenen Raketen sondern nur Triebwerke und Feststoffbooster, die muss auch Aerojet von den Firmen kaufen, sodass dort immer noch Geld nach dem verkauf reinkommt. Für Lockheed Martin würde der Wechsel des Auftraggebers von ULA zu Aerojet kaum was ändern, denn Booster und Triebwerke produziert man schon nicht selbst. Nur Aerojet hätte einen nutzen: es könnte nun das eigene AR-1 in der Vulkan einsetzen und der Wechsel von Aerojet zu Thiokol bei den Boostern kann man so auch rückgängig machen. Vor allem aber wird es in Zukunft kriseln. Denn mit dem Einstellen der Delta 4 produziert ja nur noch einer der beiden Partner einen Träger.
Die zentrale Diskussion ist der Preis. Meiner Ansicht nach haben sich mit SpaceX NASA, DoD, NRO ein Argument aufdrücken lassen, das vorher nicht diese Rolle spielte. Natürlich ist der Preis nicht egal. Aber es gibt einen gewichtigen Unterschied zwischen kommerziellen Nutzern und Regierungsnutzern. Erstere starten mehrere identische Satelliten, manche mehrere pro Jahr. Die Starts sind versichert und bei einem Fehlstart ist das ein Versicherungsfall. Vor allem aber ist ein Satellit typisch 2-3 mal teurer als der Träger. So machen die Starkosten ein Viertel bis ein Drittel der Hardware aus und mit anderen Kosten dann ein Fünftel bis ein Viertel der Projektkosten. Demgegenüber sind die Starts für die Regierung unversicherte Einzelexemplare die meistens viel teurer als kommerzielle Exemplare sind. Bei DOD und NRO gibt es keine genauen Zahlen, doch man muss nur den Etat durch die erfolgten Starts pro Jahr teilen und man kommt darauf das jeder Satellit mehr als eine Milliarde Dollar im Durchschnitt kostet. Bei der NASA ist es ähnlich. Schauen wir auf den aktuellen Start von Exomars. Das Projekt hat bisher nur für die ESA 1.3 Milliarden Euro gekostet, mehr wird noch fällig, weil der 2018-er Orbiter noch gebaut wird. Demgegenüber kosten zwei Proton Starts rund 200 Millionen Euro, also weniger als ein Sechstel des ESA und einen noch kleineren Teil des Gesamtetats.
NASA und DOD müssen wegen ihrer Verpflichtung nur US-Träger zu buchen auch für kleine Nutzlasten teure Starts buchen, denn zwischen Pegasus und Atlas 401 klafft eine Riesenlücke im US-Arsenal. Wenn man sparen will, dann wohl eher hier.
Scheitert ein Start dann ist der Verlust natürlich auch entsprechend größer. Entsprechend zahlen beide Behörden mehr für zuverlässige Raketen. Sie drücken den Betreibern durch die Kontrolle und Vorschriften auch weitere Kosten auf. Aussagen von SpaceX gehen dahin, dass im Prinzip dann NASA.-Mitarbeiter dauernd in der Firma sitzen und alles überprüfen, überall Fragen stellen und (nach Musks Ansicht) die anderen von der Arbeit abhalten. Es ist eine Philosophie, die man in Frage stellen kann, doch muss dann auch die Philosophie geändert werden. Die heutige ist ja nicht immer da gewesen. NASA und DoD haben lange Zeit mehr als einen Satelliten gestartet. Es wurden entweder kleine Flotten gestartet (bei der NASA z.B. Ranger 1-9, Lunar Orbiter 1-5 und Surveyor 1-7, beim Dod Dutzende Satelliten des Corona, Gambit Programms) oder zumindest zwei Exemplare einer wichtigen Nutzlast. Die NASA stellte das 1977 mit Voyager 1+2 ein. Seitdem hat man sich darauf verlassen, das die Starts fast immer klappen und es auch kaum noch Hardwareausfälle im Betrieb gibt. Zumindest beim Militär mit meist mehreren Satelliten eines Typs stellt sich die Frage ob man ein Exemplar mehr baut und für den Fehlstart reserviert, wenn man entsprechend niedrige Startpreise (dieselben wie bei kommerziellen Kunden) bekommt. Bei der NASA mit Einzelnutzlasten wird aber selbst der Nachbau der typisch 30-40% des ersten Exemplars kostet wahrscheinlich zu teuer sein. Das Problem sind aber nicht nur die Kosten eines Starts. Das Dod zahlt 880 Millionen Dollar pro Jahr dafür dass sie so viele Satelliten starten können wie sie wollen. Auch dazu gibt es eine Sicht von ULA. Aus Ansicht einer US-firma mit „Hire und Fire“ Politik ist das logisch. Da es nur wenige kommerzielle Starts gibt würden beide Firmen in einem Jahr mit wenigen Starts Mitarbeiter abbauen. Aus Sicht der Regierung die auch einen gleichbleibenden fachlichen Standard (sprich: erfahrene Mitarbeiter anstatt kurzzeitig eingestellter Arbeiter) haben will kam man auf diese Lösung. Das Problem scheint heute aber nicht mehr gegeben und eines aus der Vergangenheit zu sein, als es starke Verzögerungen bei vielen Projekten gab.
Die Frage die sich die entsprechenden Stellen stellen müssen ist wie viel ihnen Sicherheit wert ist. Ohne Einblick in die Unterlagen ist das für Außenstehende nicht möglich. Man weiß einfach nicht wie viel Sicherheitsgewinn welche Kosten aufwirft. Derzeit erkenne ich keine Änderung der Einstellung. Man muss nur die Aufträge sehen die SpaceX bisher seitens der Regierung bekommen hat:
CRS: Viele Flüge, aber mit niedrigwertiger Hardware. Es fliegt Nahrung, Wasser, Kleidung und einige Experimente nach oben. Noch dazu ist der Frachttransport gut abgesichert, wie auch der Ausfall dreier Frachter n einem Jahr zeigt der nicht den Betrieb einschränkte.
DISCOVR: Die Raumsonde wurde von der NASA bezahlt und schon 2003 fertiggestellt. Der Betrieb von der NOAA. Die USAF zahlte nur den Start für eine Raumsonde die sie selbst nicht nutzt, aber abwickelt, da die NOAA nicht selbst startet – kein Risiko für einen teuren eigenen Satelliten.
Jason-3: Der Satellit wurde von CNES/NOAA bezahlt, von der NASA stammt nur ein Experiment des JPL. Auch hier führt die NASA nur im Auftrag den Start durch. Kein Risiko für eigene Nutzlasten.
STP-2: Eine bezahlte Demomission der USAF, kein teurer Satellit sondern eine Erprobung der Falcon heavy verschiedene Bahnen zu erreichen die der USAF wichtig sind.
TESS: Eine Niedrigbudgetmission (Small Explorer) der NASA für die (wie bei Jason 3, DSCOVR) die Rakete eigentlich viel zu groß ist. Es gibt aber keine preiswertere kleinere Alternative im US-Arsenal. Bei einem Fehlstart hält sich der Verlust in Grenzen.
Kurzum: die große Begeisterung für SpaceX sehe ich nicht. Lediglich CRS Flüge die das geringste finanzielle Risiko darstellen werden in größerer Zahl gebucht. Die Frage ist ob dies so bleibt, denn klar ist natürlich, dass gerade durch SpaceX der politische Druck wächst. Dann werden sicher beide Organisatoren ihre Entscheidungen verteidigen müssen. Einfach wird es nicht, denn Fehlstarts treten eben nicht so häufig auf. Erst wenn es genügend Flüge gibt kann man eine Zuverlässigkeitsstatistik aufstellen. Nur die nimmt aber die Öffentlichkeit wahr. Natürlich gibt es interne Untersuchungen und einige Anbieter veröffentlichen auch die (theoretische) Gesamtzuverlässigkeit eines Trägers. Leider gibt es diese nicht von den US-Anbietern. Für kommerzielle Starts ist das weitestgehend egal: die Proton M hatte bisher bei 94 Starts 10 Fehlstarts, vor allem weist sie nicht die typische Erfahrungskurve aus, d.h. nach Einführung werden die Fehlstarts immer weniger. So was finden wir z.B. bei Ariane 5 – Fehlstarts bei den beiden Jungfernflügen, zwei partielle Fehlstarts bei Flug 2 und 10, aber seit 70 Flügen seit 2002 ohne Fehlstart. Trotzdem wird die Proton M weiter gebucht, erst vor wenigen Monaten konnte ILS einen neuen Auftrag akquirieren.
Ich denke man kann beides kombinieren. Die Ariane 5 ist nach einigen Problemen bei der Einführung erfolgreich. Die Atlas V und Delta 4 sind mit zwei partiellen Fehlstarts noch erfolgreicher, aber haben auch einen geringeren technologischen Sprung, vergleicht man die Erfahrung der europäischen Raumfahrt Industrie mit der der USA vor der Einführung der Modelle. Trotzdem ist sie signifikant billiger als Atlas oder gar Delta.