Bernd Leitenbergers Blog

Der Iridium Start: 22 t Nutzlast oder doch nur 11 t?

Ach ja, es gibt wieder Neuigkeiten von SpaceX. Nun hat man nach eigener Aussage die Ursache gefunden. Wie schon früher verlautbart, lag es an einer Heliumdruckflasche, die durch den flüssigen Sauerstoff in Brand geriet. Das soll durch andere Befüllungsprozeduren in Griff zu bekommen sein. Ich gebe gerne zu, das Problem ist zu speziell für mich, selbst als Chemiker, dafür muss man viel Ahnung von der Reaktionsfähigkeit von flüssigem Sauerstoff haben. Meine eigenen Erinnerungen an die Chemievorlesung lehren mich da, vorsichtig zu sein. Flüssiger Sauerstoff unterschiedet sich signifikant im Reaktionsvermögen von normalem Sauerstoff. So kann man mit einer Zigarre getaucht in flüssigen Sauerstoff schneller als mit jedem Schneidbrenner ein Stahlblech durchtrennen. Aber wir haben ja gottseidank im Blog genügend Fachleute, die sich jahrelang mit der Kryochemie beschäftigt haben 😉

Ich sage daher auch nichts zu der Idee, dass es am unterkühlten Sauerstoff liegen könnte. Meiner Ansicht nach müsste es auch beim normalen Treibstoff passieren. Zum einen ist der schon sehr kalt und vor allem ist das flüssige Helium noch deutlich kälter, sodass auch hier Sauerstoff zu Eis ausfrieren kann. Die Firma sagt ja nichts dazu, aber meint durch Änderung der Befüllung, die Sache in den Griff zu bekommen.

Doch darum geht es in dem Blog nicht. Es geht um die Ankündigung, nun ab dem 8.1.2017 neue Starts durchzuführen.

Die Tendenz zu mehr Starts ist ja deutlich gegeben: 2014 6 Starts, 2015 ebenfalls und 2016 schon 8. Dabei nur zwei Totalverluste. Mit etwas Glück erreicht die Falcon 9 in einigen Jahren die Startrate und Erfolgsquote der Proton.

Der Großkunde Iridium

Der Kunde diesmal ist ein großer: Iridium. Die Firma war Pionier bei der mobilen Kommunikation über Satellit und startete um die Jahrtausendwende zahlreiche erdnahe Kommunikationssatelliten. Das Geschäftsmodell ging jedoch nicht auf. Man setzte auf einen Kundenstamm, der überall auf der Erde mobil telefonieren will und dies entsprechend honoriert. Dieser Kundenstamm war erheblich kleiner als gedacht. Vor allem machte der Firma der rasante Ausbau von Mobilfunknetzen auch in Entwicklungsländern zu schaffen. Die Lücken auf der Landkarte ohne Empfang wurden schnell kleiner. Zeitweise war die Firma im Insolvenzverfahren und das Militär übernahm die Satellitenflotte. Nach Reorganisierung gelang es, die Gelder für eine Modernisierung der Flotte aufzutreiben. Trotzdem viel Spielraum hat die Firma nicht. So buchte sie sehr frühzeitig SpaceX als Launch Service Provider. Einfach weil es keine Alternative zur Firma gab. Woanders wäre es zu teuer geworden.

SpaceX wird 70 der 81 Iridium Next Satelliten starten. Meist jeweils 10 Satelliten pro Start so wie beim nächsten Start am Sonntag. Der ursprüngliche Vertrag hat einen Umfang von 492 Mill. Dollar. Er wurde schon am 16.6.2010, kurz nach dem Jungfernflug der ersten Falcon 9 abgeschlossen. Damals noch für den Start auf einer „Block I“ Falcon mit einer Nutzlast von 10,45 t. Dafür sollten die Ersten sie schon Anfang 2015 in den Orbit gelangen. Das war angesichts der Vorbuchzeit von 5 Jahren (üblich sind 1-2 Jahre) zu schaffen, okay, es wäre bei jedem anderen Launch Service Provider zu schaffen. Aber ebenso wie ein Päckchen vom Billiganbieter aus China etwas länger unterwegs ist, dauert es eben auch beim Billiganbieter SpaceX etwas länger. 2 Jahre Verzögerung sind da im Bereich des Normalen.

Die Niedrige Startbahn der Irdium Next Satelliten

Was mich an dem neuen Start verwundert ist das Bahnregime. Jeder Satellit soll in einer 625 km hohe polaren Umlaufbahn ausgesetzt werden. Dort nutzt er seinen eigenen Antrieb, um die Bahn in die operationelle Bahn in 780 km Höhe anzupassen. Dabei wiegt die gesamte Nutzlast mit Dispenser soll „mehr als 20.000 Pfund“ wiegen. Das sind, wenn man es in Kilogramm umrechnet, rund 9.100 kg. Die Nutzlast der Falcon 9 in einen LEO beträgt 22 t nach SpaceX Webseite. Eine Abnahme um mehr als 50% für eine polare Bahn? Ich halte das für sehr hoch. Normal sind etwa 20% Nutzlasteinbuße. Bei sehr schweren Oberstufen kann es auch mehr sein. Doch selbst bei der Vega mit einem schweren AVUM sind es nur 32% Einbuße, nicht 58% wie bei der Falcon 9. Doch da die Oberstufe wiederzündbar ist, kann man es ausrechnen.

Der Geschwindigkeitsbedarf für die höhere Umlaufbahn setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:

Zusammen sind das 655 m/s.

Würde die zweite Stufe diese Mehrgeschwindigkeit alleine aufbringen, so würde die Gesamtnutzlast (bestehend aus Satelliten, Dispenser und leerer Oberstufe) um Exp(655/348/9,81) = 1,211 sinken, also rund 21%. Da die Oberstufe gleich schwer bleibt, sinkt die eigentliche Nutzlast stärker. Doch um 58% abzusinken, müsste die Oberstufe eine extrem hohe Leermasse haben. In Wirklichkeit sind die 21% eine Obergrenze, da durch die leichtere Nutzlast auch die erste Stufe eine höhere Abtrenngeschwindigkeit hat, also sich die Arbeit auf beide Stufen verteilt. Bei einer auf 4,53 t geschätzten Oberstufenmasse kommt man nie auf eine so große Nutzlastabnahme. Bei meinem Modell der Falcon 9 (die Daten von SpaceX reichen ja nicht für eine korrekte Berechnung aus) komme ich auf 17,6 t Nutzlast in diesen Orbit. In 780 km höhe sind es nur wenig mehr, nämlich 737 m/s. So frage ich mich, warum man die Satelliten nicht gleich im Endorbit aussetzt. Das spart schließlich Treibstoff und bei fast allen Satelliten ist der verfügbare Treibstoff die Ressource, welche die Lebensdauer begrenzt. Die ESA hat gerade Metop A in einen neuen Orbit verschoben, damit er länger betrieben werden kann. Der Treibstoff würde noch gut reichen, aber die ESA will nun alle Satelliten am Ende ihrer Lebensdauer deorbitieren und dafür braucht man auch Treibstoff. Als Metop A gestartet wurde, gab es die Vereinbarung noch nicht. Iridium scheint dies nicht vorzuhaben, den Pläne, die alten Satelliten, die nun durch Iridium Next ersetzt werden zu deorbitieren, gibt es nicht. Doch selbst dann würden die rund 80 m/s Geschwindigkeitsänderung, die man so gewinnt, mehrere Jahren Betriebszeit entsprechen – in einer erdnahen Bahn ist der Treibstoffbedarf für Bahnanpassungen klein, viel geringer als im geostationären Orbit. Das meiste entfällt auf Lageänderungen, nicht Bahnkorrekturen.

Meine Vermutung: Die Falcon 9 könnte durchaus mehr Nutzlast transportieren. Iridium hat die Satelliten so ausgelegt, dass sie erst in dem ersten Orbit gelangen und ihn dann selbst anheben. Bei der Falcon 9 (erste Version) wären sie sonst nicht in Zehnerpack zu transportieren. Der Abschluss des Vertrages und damit auch die Auslegung der Satelliten war auf diese Trägerversion ausgelegt. Die Vorgehensweise ermöglicht dann auch den Einsatz anderer Träger. Bei der Dnepr sinkt die Nutzlast mit steigender Bahnhöhe z. B. stark ab. Doch da Iridium nie von SpaceX wechselte, ist es mir ein Rätsel, warum man sie nicht gleich im Zielorbit aussetzt, wenn man die Möglichkeit hat.

Für Iridium zu wünschen ist das bei 10 Satelliten pro Starts alle klappen. Das Risiko ist nach den letzten zwei Jahren ja gegeben: 2015 sechs Starts, ein Totalverlust, 2016 acht Startversuche, ein Totalverlust. Ein Iridium Start wird auch Grace Follow On (GFO), eine Nachfolgemission der DLR-NASA Mission Grace starten. Es bleibt zu hoffen das zumindest diese glückt. Das DLR zeigt ja typisch deutsche Tugenden: „Geiz ist Geil“. Anstatt Starts auf Trägern zu buchen die in Europa hergestellt werden sucht man die billigste Startmöglichkeit. GFO kann man auch mit einer Vega starten. Jeder Satellit wiegt nur 600 kg und gelangt in einen 490 km hohen Orbit. Damit ist er kompatibel mit der Vega.

Der Erfinder der Fake News

Mal sehen wie viele Starts es 2017 werden. Klakow hat ja am 9.6 2015 für 2015 12 Starts und für 2016 24 prognostiziert. Da ist er wohl etwas daneben gelegen. Er hat wohl zu sehr SpaceX geglaubt. Seit einigen Monaten sind ja die „Fake-News“ im Gerede. SpaceX ist in meinen Augen der Erfinder der „Fake News“. Die meisten ihrer Ankündigungen sind reine Phantasieangaben. Im August 2011 kündigte man an, von 2012 ab 400 Triebwerke pro Jahr zu produzieren. In den fünf Jahren von 2012 bis 2016 hat man so 2000 Triebwerke gebaut, aber in 30 Starts nur 300 verbraucht. Es müssen ganze Hallen voll mit Triebwerken bei SpaceX rumstehen – wenn denn die Angabe stimmen würde. Den im Februar 2016 baute man noch 6-8 Cores pro Jahr und wollte die Produktion auf maximal 18 ausbauen. (By the Way, mit 6.8 Cores kann man nicht mal die Starts abwickeln die man schon 2015 in den Auftragsbüchern hatte). Vielleicht jagt die Firma auch ihre Raketen selbst hoch, damit nicht auffällt, das sie gar nicht die Raketen haben, um alle Nutzlasten zu starten? So finanzieren die Kunden die Starts vor, ds Geld kann man in den Ausbau der Produktion stecken, um überhaupt die Raketen zu bauen. Da dann das Geld fehlt, um die Raketen herzustellen, wird auch klar, warum man so auf Wiederverwendung setzt und dann nur einen Preisnachlass von 10% gewährt. Das ist schlüssig, anders als die Marspläne.

Als Ausgleich für die Fake News bleiben sie dafür technische Grunddaten schuldig. Nicht mal in Dokumenten wie dem „Users Guide“ für Kunden. Man könnte ja sonst zumindest die Nutzlastangaben nachprüfen. So verwundert es nicht das ein SpaceX-Investor und Mitgründer nun im Beraterstab von Donald Trump sitzt.

[Edit] Mir ist erst einige Tage nach schreiben des Berichtes eingefallen, das der Nutzlastadapter von SpaxeX nur Massen von maximal 10,8 t zulässt, wahrscheinlich ist die ganze Rakete nur auf diese strukturelle Last ausgelegt (zumindest die Oberstufe, denn das spart Gewicht). Das wäre nichts neues: Auch Ariane 1-3 konnten ihre LEO-Nutzlast nicht ausschöpfen sondern waren auf die GTO oder bei Ariane 5 bei den kleineren Versionen typische SSO-Nutzlast ausgelegt.

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