Bernd Leitenbergers Blog

Der Kurs von Blue Origin

Als ich den Vorschlag für Blue Origin ausarbeitete, habe ich natürlich mich auch bisschen mit der Firma befasst – um ehrlich zu sein, mehr als ein bisschen kann man auch kaum über die Firma herausbringen.

Das eine ist die Triebwerksentwicklung. Bisher hat Blue Origin folgende Triebwerke entwickelt:

Die Entwicklung ist also inkrementell. Der Schub steigt an und auch der technologische Anspruch. Über die ersten beiden Triebwerke BE-1 und BE-2 weiß man fast nichts. Das BE-3 nutzt einen Abzweigzyklus, den man auch woanders untersucht hat, den man bisher aber noch nirgends in einem eingesetzten Raketentriebwerk findet. Dabei wird ein Teil des Gases aus der Brennkammer abgezweigt und treibt die Turbopumpen an. Der combustion tap-off cycle oder chamber bleed cycle wurde schon bei der J-2S eingesetzt und hier gibt es auch ein paar Informationen. Beim J-2S wurde das Gas in dem oberen Bereich der Düse angezweigt. Das grundlegende Problem dieses Zyklus ist es, das das Gas nicht zu heiß sein darf. Zu weit oben sollte man es also nicht abzweigen, denn sonst schmelzen die Pumpen durch. Typische Temperaturen für Antriebsgas sind unter 500°C. Wenn man in der Düse abzweigt, hat man niedrigere Temperaturen, aber auch einen niedrigeren Druck und der darf einen Mindestdruck nicht unterschreiten, sonst hat man nicht den Massestrom, den man für den Antrieb braucht. Alternativ könnte man das Gas direkt aus der Brennkammer abzweigen und dann kühlen, so mit Treibstoff, bevor er eingespritzt wird.

Das J-2S und BE-3 haben gemein, dass man den Schub bei beiden Triebwerken sehr stark senken kann auf 20% des Normalschubs. Das ist aber auch beim RL-10 möglich, muss also nicht unbedingt am Triebwerkszyklus liegen. Allerdings nutzt man das beim BE-3 bei der Landung aus und das heißt, dass das Triebwerk dann immer noch einen Expansionsdruck haben muss, der ausreicht, dass es nicht an der Düsenendung zu turbulenten Störungen kommt. Das lässt auf einen hohen Brennkammerdruck schließen. Dazu passt auch das man das BE-3 beim Steigern auf 670 kN Schub mit einer verlängerbaren Düse austratest, wie man sie für eine Oberstufe benötigt.

Das BE-4 wird dagegen mit dem sauerstoffreichen Prozess der gestaffelten Verbrennung angetrieben. Derartige Triebwerke hat Russland seit Mitte der Sechziger Jahre entwickelt (das Erste soweit ich weiß das RD-253 in der Proton). Für die USA ist es ein Novum, auch wenn Aerojet nahezu zeitgleich ein ähnliches Triebwerk entwickelt.

Die Entwicklung ist also sowohl im Schub wie in der Technologie sich steigernd. Das ist sinnvoll, aber heute doch eher ungewöhnlich. Kann Blue Origin als Firma in den USA auf viele ausgebildete Luft & Raumfahrttechniker zurückgreifen. Es ist zumindest finanziell nicht die optimale Strategie. Sich im Schub steigern ist sinnvoll, doch dann müsste man sich nicht auch noch in der Technologie steigern. Wie ich beim Betrachten meines Vorschlags für Blue Origin schon erläutert habe, könnte man das BE-3 sehr gut für eine Oberstufe der New Glenn nehmen. Nur müsste es dann weniger schubstark sein. Die Hälfte des Schubs würde ausreichen, ja vielleicht sogar der Schub des BE-2, nur hat das wegen der Verwendung von Kerosin/Wasserstoffperoxid nicht den benötigten hohen spezifischen Impuls.

Ich finde hier also keine „rote Linie“ in der Triebwerksentwicklung hin zu einem konkreten Einsatz. Für einen Lernzyklus, beginnend von Bull ist es natürlich sinnvoll.

Das gilt auch für andere Entwicklungen. Zuerst fokussiert sich Blue Origin auf den Suborbitaltourismus. Der New Shepard, eine Rakete mit Kapsel wurde inzwischen mehrfach getestet und man hat hier auch die Wiederverwendung hin bekommen. Sinnvoll wäre es nun, den New Shepard in die kommerzielle Phase überzuführen. Ich halte die Idee nicht einmal für schlecht, denn zumindest gibt es für en Suborbitaltourismus eine solide Basis an Interessenten Virgin Galactics hat ja schon viele Tickets verkauft. Vielleicht schreckt man gerade deswegen zurück, denn potenziell hat die Methode von Virgin Galactics (Hochschleppen mit einem Trägerflugzeug, dann Nutzung eines Raketentriebwerks in einem Gleitflugzeug und Landung des Flugzeugs) das Potenzial preiswerter zu sein, als eine Kapsel zu starten, diese vor der Landung abzutrennen und am Fallschirm zu landen und die Rakete separat. Zudem braucht Blue Origin so eine viel größere Rakete als Virgin Galactics. Die kommen mit einem kleinen, schubschwachen Low-Tech-Antrieb aus.

Nun der Schwenk in der Firmenpolitik zum Zulieferer für andere Firmen und Entwicklung von Trägerraketen. Ein eigenes Produkt ist die New Glenn, der die noch größere New Armstrong folgen soll. Dabei ist die New Glenn schon etwas überdimensioniert für alle heutigen Nutzlasten. ULA wird wahrscheinlich das BE-4 in der Vulkan einsetzen. Zwar ist auch das AR-1 im Spiel, doch alle bisherigen Verlautbarungen sprechen dafür, dass Blue Origin weiter in der Entwicklung ist und ULA der Firma auch mehr zutraut. Seitens ULA wundert mich das etwas, denn mit der New Glenn hat ja Blue Origin ein Konkurrenzprodukt in der Entwicklung. Dort braucht man acht BE-4 pro Träger, was höhere Produktionszahlen bedeutet und mit den Triebwerken für ULA werden es noch einige mehr. Da man die Triebwerke selbst produziert, nehme ich an, dass die New Glenn billiger als die Vulkan wird. Bei, wenn Blue Origin nicht an anderer Stelle patzt, mit ähnlicher Zuverlässigkeit. ULA sponsort also einen Konkurrenten.

Das BE-3 für die ACES-Oberstufe der Vulkan (eine Option, die viel größer als die Centaur sein wird und sonst mehrere (4) RL-10 braucht) kommt noch dazu. Es wird auch für eine Oberstufe einer neuen Rakete von Orbital diskutiert, dort sogar mit noch mehr Schub (670 kN). Nebenbei: Auch für eine SLS-Oberstufe wäre es vom Schub eine gute Wahl, denn die braucht derzeit vier RL-10, die trotzdem noch schubschwächer sind.

Was die beiden etablierten Firmen angeht, ist mir ihr Vorgehen ein Rätsel. Wir haben ja schon genügend US-Träger und nun kommen drei neue hinzu, dafür sollen Atlas und Delta wegfallen. Trotzdem gibt es ja nicht mehr Nutzlasten. Gerade den etablierten Firmen wie ULA und Orbital dürfte ja auffallen, dass die Kritik an den hohen Startkosten für die US-Regierung nicht abnimmt, seit SpaceX mit weitaus günstigeren wirbt. Orbital hat bisher keine Versuche unternommen die Antares von der NASA zertifizieren zu lassen, will sie also nur für die Cygnus einsetzen. ULA kann derzeit noch auf die Probleme von SpaceX verweisen. Für NASA, USAF und NRO zählen 100% Erfolg mehr als ein kleinerer Startpreis. Doch Blue Origin scheint anders als SpaceX vorzugehen. Zugegeben, viel weis man nicht. Es geschieht alles im Geheimen, aber gerade dieses inkrementelle Vorgeben ist ein typischer Low-Risk Ansatz und bisher gab es zwar auch Rückschläge, aber nicht so viele wie bei SpaceX und vor allem nicht im Einsatz, sondern in der Testphase. Zudem kaufen Orbital und ULA ja selbst die Triebwerke von Blue Origin, so schlecht können ihre Produkte also nicht sein. Wenn die Blue Origin dann eigene Trägerraketen entwickelt, dann wird sie sicher ein stärkerer Konkurrent als SpaceX sein, zumal sie ja auch die Bergung zur Kostensenkung anstrebt.

Was mich etwas verwundert ist der Gigantismus, den wir derzeit haben. Die Falcon Heavy mit nun über 70 t Nutzlast, die New Glenn mit angekündigten 45 t Nutzlast, ich vermute sie wird bei der Startmasse auch noch über 50 t rutschen und die Vulkan mit neuer Oberstufe mit 22-35 t Nutzlast. Dabei startet die Atlas V schon heute am meisten mit der kleinsten Nutzlast. Für die NASA ist sie schon meist zu groß, und auch für die häufigen Starts von GPS-Satelliten ist die Atlas 401 zu groß. Die Atlas 551 (als größte) Version startet selten und die noch stärkere Delta 4H noch seltener: neunmal in bisher 12 Jahren. Kurzum: Den Markt für diese Träger gibt es nicht, auch nicht im kommerziellen Markt. Für Mars- oder auch nur Mondmissionen sind sie dagegen zu klein. Vor allem bei privat arbeitenden Firmen verwundert das, erwarte ich dort doch eine Fokussierung auf den Markt, also wo habe ich die potenziell meisten Kunden und da landet man bei Einzelstarts in den GTO mit 7 t Maximalnutzlast, also der Halben oder einem Drittel der Nutzlast dieser Giganten.

Wozu es aber kommen könnte, wäre, dass ULA und Orbital ihre Entwicklungen einstellen. Denn die sind noch vorwiegend vom Staat finanziert. Bisher haben sie erst wenige Gelder für Vorentwicklungen bekommen. Es könnte durchaus passieren, dass es ohne weiteres Geld nie eine Vulkan geben wird. Bei Orbital ist man noch weiter zurück und die Firma wird wahrscheinlich nur im Auftrag entwickeln.

De Fakto gibt es sehr viele offene Fragen hinsichtlich Kurs der Firma. So würde ich bei einer Firma mit der man Geld verdienen will eine Ausrichtung auf den Markt erwarten. Die Firma hat vier Triebwerke entwickelt. Sie könnte aus den kleineren drei Triebwerken eine Rakete für kleine Nutzlasten produzieren. Hier gibt es nur teure Alternativen wie die Minotaur Serie. Der Markt ist nicht groß, aber er ist gegeben und die Konkurrenz ist ziemlich teuer und im Falle der Taurus auch nicht sehr zuverlässig. Noch größer ist der Bedarf für eine Trägerrakete für mittelgroße Nutzlasten, die man aus einem BE-4 und einem BE-3 konstruieren kann mit einer Nutzlast von 6 bis 7. Das ist in etwa die Nutzlast der Delta II und sowohl USAF wie auch NASA haben Nutzlasten in der Größe, die derzeit mit alten Delta II und Falcon 9 gestartet werden. Letztere ist teuer, die zweite ist völlig überdimensioniert.

Vielleicht die einzige rote Linie ist das die Firma ja mal angekündigt hat, dass man langfristig auch privaten Personentransport ins All anstrebt. Dazu würde die New Shepard als einfache Möglichkeit für Tests passen und die größere New Glenn als Träger, den man dafür braucht. Wobei sie auch schon nur für ein Raumschiff zu groß ist. Aber vielleicht soll sie ja auch eine Raumstation transportieren oder man will Mondumrundungen anbieten (für eine Mondumlaufbahn ist sie schon wieder zu klein). Dank der Geheimhaltungsstrategie kann man nur spekulieren. Das ist auch der wesentliche Grund warum ich bisher nichts über die Firma geschrieben habe.

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