Bernd Leitenbergers Blog

Russland und seine Nervengifte

Alexei Nawalny, ein bekannter russischer Oppositioneller und Kritiker des Kremls, im August 2020 eine Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok erlitten. Er wurde in ein Krankenhaus in Omsk, Russland gebracht und später nach Berlin in ein Krankenhaus verlegt, wo er behandelt wurde.

Seitdem hat sich Nawalny langsam erholt und ist aus dem Krankenhaus entlassen worden. Allerdings bleibt unklar, ob er vollständig genesen ist und ob seine Gesundheit auf Dauer beeinträchtigt wurde.

Ich war erstaunt, dass man im Fall Nawalny in der Charité noch nachweisen konnte, dass er vergiftet wurde, auch wenn man nur die Stoffgruppe der Cholinesterasehemmer ausmachen konnte und nicht den konkreten Wirkstoff. Ich dachte sofort an den Fall Skripal, wo vor zwei Jahren der Agent und seine Tochter mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet wurden, das genau zu dieser Stoffgruppe gehört. Es ist nicht der einzige Fall dieser Art

  1. Skripal-Vergiftung: Im März 2018 wurde der ehemalige russische Geheimdienstoffizier Sergei Skripal und seine Tochter in Großbritannien mit dem Nervengas Nowitschok vergiftet.
  2. Vergiftung von Kim Jong-nam: Im Februar 2017 wurde der Halbbruder des nordkoreanischen Führers Kim Jong-un in Malaysia mit dem Nervengas VX vergiftet.
  3. Giftgasangriff in Syrien: Im April 2017 gab es einen giftgasangriff in der syrischen Stadt Khan Sheikhoun, bei dem mehrere Menschen getötet und hunderte verletzt wurden. Die Vereinten Nationen haben festgestellt, dass das giftige Gas Sarin eingesetzt wurde.

Zuerst einmal eine ganz kleine und ganz einfache Einführung denn es geht nicht um die Wirkung des Gifts, sondern das Verhalten Russlands. Mehr über die genaue Wirkungsweise in den Links.

Acetylcholin ist einer der Neurotransmitter im Körper. Alle Nervenzellen enden irgendwann einmal und der Impuls muss zwischen zwei Nervenzellen weitergegeben werden. Dazu dienen Botenstoffe, einer dieser ist Acetylcholin. Er wird aus Acetyl und Cholin in der Nervenzelle synthetisiert die einen Impuls weitergeben will, dann ausgeschüttet und diffundiert im interzellulären Medium. Einige Moleküle docken an einen Rezeptor an, der nur auf eine bestimmte chemische Struktur reagiert die Acetylcholin aufweist, das löst wenn eine bestimmte Schwelle an besetzten Rezeptoren erreicht ist, in dieser Zelle einen Übertragungsimpuls aus indem Kanäle Ionen einströmen lassen was die elektrische Ladung verändert. Damit der Impuls nicht dauerhaft die Zelle belastet, wird das Acetylcholin durch ein Enzym, die Cholinesterase wieder in seine Bestandteile zerlegt.

Viele Nervengift wirken, indem sie in diesen Mechanismus eingreifen. Die beiden häufigsten Ansatzpunkte sind:

Da Acetylcholin Transmitter in den Nerven ist, die Organe und Muskeln steuern, treten, wenn die Cholinesterase gehemmt wird, dauernde Kontraktionen auf, bedingt durch dauernd feuernde Nerven. Die Krämpfe sind schmerzhaft, und wenn die Atemorgane betroffen sind, ersticken die Personen.

Soviel zur Wirkung. Schon in den Dreißigern entdeckte man die Vorfahren der heutigen Kampfstoffe Sarin und Tabun. Auch Nowitschok basiert letztendlich auf der Grundstruktur dieser Moleküle. Sie hemmen die Cholinesterase permanent und führen deswegen bei ausreichender Dosis zwangsläufig zum Tod. Medikamente für Alzheimer enthalten auch Cholinesterasehemmer aber diese hemmen das Enzym nicht permanent und bei Abbau der Wirkstoffe stellt sich wieder ein normales Niveau an Acetylcholin ein. Sie sollen die Acetylcholinkonzentration erhöhen, was die Symptome der Alzheimerkrankheit etwas bessert.

Zeitlich dazwischen liegen Insektizide. Denn der Mechanismus der Nervenleitung ist universell und tritt auch bei anderen Lebewesen auf. Nur hat die Cholinesterase bei ihnen einen anderen Aufbau. Die ersten Insektizide, die das Prinzip nutzten hatten Cholinesterasehemmer, die auch eine hohe Warmblütertoxizität hatten. Bekannt wurde E605, Parathion mit der in den Fünfziger Jahren eine Frau ihre Ehemänner vergiftete. Heutige Substanzen sind so designt, dass sie bei Insekten gut wirken, aber für Warmblüter nur gering toxisch sind. Dies geht, weil die Enzyme unterschiedliche aktive Zentren haben, die man mit unterschiedlich gebauten Molekülen blockieren kann.

Gegen eine Blockierung der Cholinesterase kann man wenig tun. Die wirksamste Soforthilfe ist es einen der Stoffe einzusetzen, welche die Rezeptoren blockieren, z.B. Atropin, das sonst selbst ein Nervengift ist. Dann unterbleibt wenigstens die Nervenleitung. Ansonsten kann man nur die Leute so lange am Leben erhalten, bis der Körper den Cholinesterasehemmer abgebaut hat und wieder genügend Cholinesterase gebildet hat. Umgekehrt sind dann Cholinesterasehemmer Gegengifte gegen Substanzen, die den Rezeptor blockieren wie z.B. beim Pfeilgift Cuare.

Nowitschok ist ein neurotoxisches chemisches Mittel, das im Rahmen des chemischen Kriegsprogramms der ehemaligen UdSSR entwickelt wurde. Es gehört zur Gruppe der Nervengiftstoffe und wirkt auf das Zentralnervensystem, wodurch es die Übertragung von Impulsen zwischen Nervenzellen unterbricht. Dies kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, einschließlich Übelkeit, Atemnot, Lähmungen und sogar dem Tod.

Nach dieser kleinen Einleitung zum eigentlichen Punkt. Als Nawalny vergiftet wurde und es zuerst vom Krankenhaus in Omsk das Statement gab, es wäre eine Stoffwechselentgleisung und es gäbe einen niedrigen Blutzucker. Da meinte ich Russland hat es geschickt gemacht. Besser als mit radioaktivem Polonium oder Nowitschok, die man beide nachweisen kann, wenn auch nicht gerade einfach. Es gibt genügend Gifte, die man nicht nachweisen kann – die Aussage stammt nicht von mir sondern einem Gerichtsmediziner aus einer Reportage. Natürlich hat er nicht gesagt welche dies sind. Aber ich kann es mir denken. Das sind körpereigene Substanzen, wahrscheinlich vor allem Hormone, die wenn falsch dosiert, tödlich sein können. Ich weiß das wenn man einem Gesunden, nicht an Insulinmangel (Diabetes) erkrankten Insulin in hoher Dosis spritzt das den Blutzucker so weit sinken lassen kann das der Patent in das diabetöse Koma fällt und versterben kann, wenn das Gehirn so zu wenig Glucose bekommt. Nur ist Insulin ein Protein, das bei de Verstauung zerstört wird. Für Typ II Diabetes gibt es aber auch oral aufgenommene Medikamente und als ich von niedrigem Blutzuckerspiegel und Stoffwechselentgleisung hörte, dachte ich sofort an diese Medikamentengruppe. Wahrscheinlich würde ein Mediziner der ein nicht nachweisbares Gift beibringen muss aber noch was Wirkungsvolleres und weniger gut Nachweisbares kennen.

Die Nachricht der Charité lässt so aber das Krankenhaus in Omsk schlecht aussehen. Also entweder sind diese völlig inkompetent, wenn sie sofort nach dem Einliefern nicht ein Nervengift feststellen können oder sie wurden vom Staat verdonnert nichts zu sagen – wurden sie auch verdonnert, ihren Patienten nicht richtig zu behandeln? In jedem Falle habe ich kein Vertrauen in ein russisches Krankenhaus. Die Charité hat nach Tagen sicher nicht die Substanz nachweisen können. Es scheint als wäre die Hauptstrategie gewesen, Zeit zu gewinnen, um den Nachweis unmöglich zu machen. Die Charité wird wahrscheinlich nur noch festgestellt haben das Acetylcholin in zu hoher Konzentration im Serum vorlag, als Folge der Hemmung der Cholinesterase.

Was für mich auch bleibt, ist das Russland wohl überall abgebaut hat. In der Raumfahrt ist das offensichtlich, aber ich dachte bei den Stützen des Systems, dem Militär und den Geheimdiensten, würde man noch ein Niveau halten schon um das Regime am Leben zu erhalten. So sehe ich aber drei Fälle in denen unerwünschte Personen mit Nowitschok vergiftet wurden und alle drei haben es überlebt. Man nimmt als Laie ja an das Sie die LD50 Dosis ihres Giftes kennen und mindestens diese applizieren, besser ein vielfaches davon. Aber das klappt wohl nicht. Wahrscheinlich auch deswegen wurden die meisten anderen unerwünschten Personen erschossen, ist auffälliger, sieht zwar garantiert nicht nach Unfall aus, scheint aber wenigstens noch zu klappen.

In jedem Fall zeigt es die Schwäche Putins. Schon wer darauf angewiesen ist, seine politischen Gegner zu beseitigen ist schwach, aber nicht mal das bekommt sein Apparat hin.

Es gibt eine Reihe von Fällen, bei denen Dissidenten und Kritiker des russischen Staates vergiftet wurden. Einige bekannte Fälle sind:

  1. Alexander Litvinenko: Der ehemalige russische Geheimdienstoffizier wurde 2006 mit Polonium-210 vergiftet und starb wenige Tage später. Die britischen Behörden haben Russland als Verantwortlichen identifiziert.
  2. Sergei Skripal: Der ehemalige russische Geheimdienstoffizier und Doppelagent wurde 2018 in Großbritannien mit einem nerventoxischen Agens vergiftet. Die britischen Behörden haben Russland als Verantwortlichen identifiziert.
  3. Viktor Juschtschenko: Der ukrainische Präsidentskandidat wurde 2004 vor der Präsidentschaftswahl vergiftet. Die Ärzte diagnostizierten Toxine aus Pflanzen und Schädlingen als Ursache.
  4. Alexei Navalny: Der russische Oppositionelle Aktivist wurde 2020 mit einem nerventoxischen Agens vergiftet. Deutschland hat Russland als Verantwortlichen identifiziert.

[Edit 21.12.2022]

Nachdem Nawalny nach seiner Erholung in Deutschland nach dem Giftanschlag im Januar 2021 nach Moskau zurückgekehrt war, wurde er noch am Moskauer Flughafen festgenommen und per Gerichts-Eilentscheid für 30 Tage in Untersuchungshaft genommen. Ende Februar 2021 wurde Nawalny in das Straflager Nr. 2 in Pokrow 100 Kilometer östlich von Moskau verlegt. Ab März verschlechterte sich Nawalnys Gesundheitszustand. Im Juni 2022 wurde Nawalny in ein Straflager (IK-6) bei Melechowo verlegt. Aufgrund starker Rückenschmerzen wegen ausbleibender physiotherapeutischer Behandlung wird Nawalny Schmerzmittel gespritzt. Ihm wurde dabei angedroht, ihn zum Invaliden zu machen, sollte er nicht schweigen. Weitere Verurteilung zum Teil wegen Banalitöäten wie wegen angeblicher Verleumdung eines Veteranen des Zweiten Weltkriegs. Schließlich wurde Nawalny wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern seiner Stiftung und Beleidigung einer Richterin am 22. März 2022 zu neun Jahren Lagerhaft unter verschärften Haftbedingungen verurteilt.

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