Bernd Leitenbergers Blog

Wo steht Chinas Raumfahrt?

Der neue NASA-Administrator Nelson nutzte die erfolgreiche Landung von Zhurong um vom Kongress neue Mittel zu erbeten. China wäre nach Nelsons Aussage ein starker Konkurrent im Weltraum und plane weitere Mondmissionen, auch bemannt. Nun ist eines unbestreitbar, China startet immer mehr Raketen. Letztes Jahr waren es mehr als die USA und dies obwohl die meisten Starts der USA kommerzieller Natur waren und die wenigsten Starts von China kommerzieller Natur. Allerdings sind dies vor allem Anwendungssatelliten und militärische Satelliten, relativ wenige wissenschaftliche Satelliten und darum geht es ja bei der NASA. In den letzten zehn Jahren hat sich die Startzahl verdoppelt und sie liegt höher als bei den USA, zumindest wenn man bei den USA die kommerziellen Starts und Starlink Starts abzieht. Nur so macht der Vergleich Sinn, da China ja keiner kommerziellen Aufträge an Land ziehen kann und selbst bisher kein Netz aus erdnahen Satelliten aufbaut. Vergleichen wir also die von den Regierungen beider Länder finanzierten Starts, so liegt China schon heute vor den USA. Daneben gibt es immer mehr Semi-staatliche Firmen die neue Trägerraketen, vor allem für leichte Nutzlasten (unter 500 kg Maximalnutzlast) entwickeln und etliche hatten schon ihren Jungfernflug, wenngleich diese meistens scheiterte. Semi-Staatlich heißt, das diese als Ausgründung der Universitäten entstehen die Weltraumforschung betreiben und diese Universitäten auch die Anschubfinanzierung leisten.

Doch ist China auch ein starker Konkurrent für das bemannte Mondprogramm? Denn für das HLS Programm (Human Landing System = HLS) wollte Nelson mehr Geld haben. Ich sehe das nicht. Ich habe gerade einen Artikel über die Raumstationen neben der ISS fertiggestellt, bei dem ich kurz die einzelnen Stationen umreiße. Nun hat China gerade das Kernmodul Tianhe ihrer operativen Raumstation TSS gestartet. Die vorherigen beiden Module als Experimentalstationen waren gedacht, um sich die Technologie anzueignen. Gerade TSS (Tianhe Space Station) zeigt, wie China entwickelt. Es sind zwei Wege. Der eine Weg ist es Bekanntes zu kopieren und der Zweite eine inkrementelle Entwicklung. Zum Abkupfern. Die ersten beiden Raumstationen waren Kopien der Saljut. Das Raumschiff Shenzhou selbst eine Kopie des Sojusraumschiffs. Sicher gab es chinesische Anpassungen, so mussten die ersten beiden Raumstationen gekürzt werden, weil die Trägerrakete Langer Marsch 2F keine 20 t schweren Module transportieren konnte. Das Ende April gestartete Kernmodul entspricht dem Mir Kernmodul und erlaubt wie dieses das Ankoppeln von vier weiteren Modulen und je zwei Raumschiffen vorne und hinten. China baut also die Mir nach.

Die inkrementelle Vorgehensweise sieht man auch. Tiangong 1 war eine Kopie von Saljut 1 bis 5. Die Station war nicht versorgbar und nach Verbrauch der Vorräte nicht weiter nutzbar. Tiangong 2 eine Kopie von Saljut 6/7. Sie wurde – allerdings erst nach dem einzigen bemannten Aufenthalt – von einem Frachter besucht, der auch vor der ersten Besatzung Tianhe anfliegen soll.

Das Kopieren und die inkrementelle Vorgehensweise findet man auch beim Mondprogramm. Das Kopieren wird offensichtlich, wenn man sich die Landeplattform ansieht, auf der der Rover transportiert wird (analoges gilt beim Marsprogramm) und sich dann mal Fotos von Luna 17 oder Luna 21 mit den Plattformen der Lunchods ansieht. Das iterative Vorgehen sieht man an dem Steigern der Missionsanforderungen. Beim Mondprogramm waren die ersten beiden Sonden Chang‘e-1 und 2 reine Orbiter, es folgten Chang‘e-3 und 4 als Landesonden und Chang‘e-5 und 6 sind Sonden zur Bodenprobengewinnung und Rückführung. Zwischendurch wurde die Rückführung mit einer eigenen Mission erprobt und für die Kommunikation noch ein Satellit gestartet. Es sind jeweils Doppelmissionen, falls eine scheitert. Ist die erste Mission erfolgreich, kann man die zweite Mission mit besseren Instrumenten ausrüsten oder zu einem anspruchsvolleren Ziel senden, z.B. einer Landung auf der Mondrückseite anstatt der Vorderseite.

In der Wissenschaft gibt es ja keine Konkurrenz. Da ist jede Sonde willkommen und niemand freut sich, wenn eine chinesische Sonde verloren geht. Allerdings nimmt man in der Wissenschaft die Sonden Chinas auch nicht so ernst. Eine Planetenforscherin des DLR sagte in einem Fernsehinterview, als die Sonden zum Mars letztes Jahr gestartet waren und es einen Bericht über Mars 2020, Hope und Tianwen-1 gab, das man vor allem mit den USA zusammenarbeite, China würde sich mehr abschotten und die Instrumente würden auch nicht dem aktuellen Stand der Technik entsprechen. Beides kann ich bestätigen. Mit der Mission und Instrumentierung habe ich mich für meinen Artikel beschäftigt und die Abschottung kann jeder in den letzten Tagen selbst sehen, wenn eine Landung gemeldet wird. Bilder es aber erst nach Tagen gibt. Und ich wage zu prophezeien: nach diesen ersten Bildern werden wir lange keine mehr sehen, denn so war es auch bei den Mondsonden. Das ist kein Vergleich zu der Öffentlichkeitspolitik der NASA oder ESA, auch wenn diese oft kritisiert wird, vor allem bei der ESA, wo man auch mit Bildern geizt (Stichwort Cassis) – 84 veröffentlichte Bilder in drei Jahren Betrieb…). Immerhin gibt es aber immer wieder Veröffentlichungen von Ergebnissen, meist als Kopie der Paper in wissenschaftlichen Zeitschriften und nach sechs Monaten kann, jeder auf die Rohdaten zugreifen. Das fehlt bei China. Dort geht es primär um Öffentlichkeitswirksamkeit. Es geht um Schlagzeilen. Eine Schlagzeile ist „Es gibt das erste Marsbild“. „Wir sind im Orbit“, „Wir haben den Landeplatz selektiert“, „Wir sind gelandet“ und „Der Rover ist herabgerollt“. Dann ist die Liste der Erstlingsdaten aber schon weitestgehend erschöpft und über Fehlschläge wie ein frühes Ausfallen des Rovers von Chang‘e-3 erfährt man nichts. In dieses Bild entfallen die bei der aktuellen Marssonde ausgesetzten Kameras. Vereinfacht gesagt: Rover und Orbiter haben kleine Kameras mit Wlan Sendern und Batterien an Bord die sie aussetzen können. Der Rover positioniert sich dann vor die Kamera, sodass er aufgenommen werden kann. Bei den Orbitern kann man diesen im Weltraum oder vor dem Mars sehen wie er mit jedem Bild kleiner wird. Der wissenschaftliche Nutzen ist gleich null, es geht darum „pretty nice pics“ zu produzieren, vor allem für die chinesische Öffentlichkeit.

Daher glaube ich kaum, das China eine bemannte Mondlandung anstreben wird. Zum einen können sie in dieser Hinsicht nichts von den Russen abkupfern, die es ja nicht geschafft haben. Zum andern ist, das doch ein Projekt das sehr teuer ist. Die bemannte Raumfahrt hat in China in 22 Jahren elf Starts des Raumschiffs Shenzhou mit drei Aufenthalte an Bord von Tiangong 1+2 erreicht. Das ist ein Programm mit niedrigem Mitteleinsatz und einem Start alle zwei Jahre. Die Entwicklungskosten für die Hardware und die Flugerprobung gingen zu Lasten Russlands. Ein Mondprogramm wäre um Größenordnungen aufwendiger. Sie hinken in anderen Bereichen allgemeinen Standards hinterher. So kam die Zentralstufe des Tianhe Starts in die Schlagzeilen, weil sie nicht deorbitiert wurde – etwas was selbst Russland inzwischen durchführt. Bei dem niedrigen Erdorbit wäre das kein Problem gewesen, man hätte nur zum richtigen Zeitpunkt den Treibstoff entgegen der Bewegungsrichtung ablassen müssen, um durch den entstehenden Schub die Stufe zu verlangsamen. Das die Booster das Zweitstufentriebwerk der Zenit einsetzen sei nur am Rande bemerkt – erneut ein Beispiel für das Abkupfern. Ein Mondprogramm wäre anders als die häufig gestarteten „nützlichen2 Satelliten eines ohne direkten Nutzen. Es ist damit dem Wissenschaftsprogramm oder in propagandistischer Hinsicht dem bemannten Programm vergleichbar und gerade diese Sektoren sind ja bei China nicht so ausgeprägt. Warum sollten sie dann ein vielfaches der heutigen Mittel in ein Mondlandeprogramm investieren?

Die USA haben ein anderes Problem. Das Problem ist nicht neu. Es gibt es seit Jahrzehnten. Es ist der fehlende Wille für ein wirkliches Mondprogramm. Die inzwischen einkassierte überhastete Auftragsvergabe für das HLS Programm ist ein Symptom. Ich vermute, man wollte bei den Entscheidern Fakten schaffen, bevor ein neuer Präsident das Programm kürzt oder ganz einstellt. Aber auch die Forderung der unterlegenen Mitbewerber, nun zwei Konzepte zu finanzieren, ist ein Symptom der US-Raumfahrt. Sie arbeitet seit Jahrzehnten mit Redundanz. Jedes andere Land der Welt kommt mit einer Trägerrakete für einen bestimmten Nutzlastbereich aus, die USA haben beim EELV für denselben Nutzlastbereich Delta 5 und Atlas V entwickelt, nun sollen sie erneut durch zwei Träger nämlich Falcon Heavy und Vulcan abgelöst werden. Es gibt für maximal vier bemannte Starts pro Jahr zur ISS zwei Vehikel und nun soll man auch zwei Mondlandesysteme finanzieren? Nichts gegen eine weitere Runde, in dem man mit kleinem Mitteleinsatz die drei Konzepte verbessern lässt. Die Mängel sind ja jetzt bekannt, aber danach sollte man wirklich nur eines selektieren. Der Grundgedanke das durch die Konkurrenz ein Monopol vermieden wird und es so billiger wird. Aber das ist nun ja schon beim CRS nicht eingetreten, obwohl hier inzwischen drei Firmen beteiligt sind. Vielmehr gleichen sich die Preise an, bzw. wenn eine Firma im Sattel sitzt, so hebt sie die Preise an, ganz wegnehmen kann man ihr die Aufträge kaum. CRS-2 ist so pro Kilogramm um 14 % teurer als CRS-1, obwohl die schon bei CRS-1 beteiligten Firmen die Nutzlast ihrer Vehikel systematisch erhöht haben und so bei in etwa gleichen Fixkosten für Start und Vehikel dann ja eigentlich billiger werden, müssten. Etwas Ähnliches gab es schon vorher beim EELV. Vor allem geht die Förderung immer in die falsche Richtung. Wollen die USA wirklich Konkurrenz, so hätten sie bei den neuen Trägern nicht ULA und SpaceX den Auftrag vergeben, sondern Blue Origin und ATK/Grumman mit ihren Konzepten. Die Falcon Heavy gibt es ja schon und Lockheed muss die Triebwerke ersetzen, will es nicht alle Starts der Regierung verlieren. So gäbe es dann vier Raketen nicht nur zwei. Beim Mondlandeprogramm kann man ähnlich argumentieren. Wenn SpaceX sowieso das Starship entwickelt, warum die Firma dann auch noch fördern? Wenn der Auftrag an einen der beiden anderen Konsorten geht, hätte man vielleicht sogar zwei Systeme, denn das SpaceX sich einen gut dotierten Auftrag für eine Mondlandung entgehen lässt, dürfte kaum der Fall sein.

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