Bernd Leitenbergers Blog

Die neue russische Raumstation ROSS

Inzwischen gibt es immer mehr Indizien, wofür Russlands neue Raumstation gedacht ist. Wie schon bekannt soll sie eine sonnensynchrone Umlaufbahn erreichen. Diese Bahn hat einige Vorzüge für Russland. Zum einen ist sie von allen Weltraumbahnhäfen – Baikonur, Plessezk und Woschodny erreichbar. Zum anderen eignen sie sich vorzüglich für jede Form der Erdbeobachtung.

Will man von Bord der ISS aus die Erde beobachten so gibt es mehrere Einschränkungen. Das eine ist das jeder Ort der Erde zu einer anderen lokalen Uhrzeit überflogen wird. Damit ist der Schattenwurf der Aufnahmen variabel und nicht vergleichbar. So kann man schwer Bilder die zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen wurden vermessen und vergleichen. Aus dem Schattenwurf kann man z.B. die Höhe von etwas errechnen. Der Schatten kann bei niedrigem Sonnenstand aber auch viel verdecken.

Das zweite ist die räumliche Ausrichtung der Aufnahmen. Die Kurve eines Satelliten über den Erdball aufgetragen ist die einer Sinuskurve. An den Wendepunkten hat ein Foto eine weitestgehend horizontale Ausrichtung an den steilsten Punkten eine weitestgehend vertikale. Bei der Bahnneigung der ISS von 52 Grad muss man so viele Bilder drehen, um sie in eine einheitliche Ausrichtung zu bekommen. Daher spielt Erdbeobachtung an Bord der ISS auch keine große Rolle. Bei einer sonnensynchronen Umlaufbahn mit 90 bis 99 Grad Inklination sind davon nur die polnahen Gebiete betroffen, die für Aufnahmen weitestgehend uninteressant sind. Dies sieht man hier an der Kurve der Satellitenbahn eines Landsat. Weiterhin kann man von der ISS so auch keine Regionen untersuchen, die jenseits des 52 Breitengrads sind, in Deutschland wäre das Schleswig-Holstein und natürlich alles nördlichere wie Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen, Kanada, Alaska, Island, Grönland – und einen Großteil des Gebietes Russlands.

Der Hauptvorteil eines sonnensynchronen Umlaufbahn gegenüber einer polaren Umlaufbahn, die gar keine Wendepunkte hätte, ist aber das die Rückwärtsbewegung der Bahn (Der Winkel der Bahn liegt ja über 90 Grad) genauso so groß ist wie die Vorwärtsbewegung der Erde um die Sonne, die ja in 365 Tagen einmal durchlaufen wird. Als Folge passiert ein Satellit auf eine sonnensynchronen Umlaufbahn jeden Punkt der Erde zur gleichen lokalen Uhrzeit – für optimalen Schattenwurf hat man die Zeit kurz vor oder nach Mittags gewählt. Die Beleuchtung der Aufnahmen ist so vergleichbar.

Für die Erdbeobachtung ist diese Bahn ideal, so nehmen sie praktisch alle zivilen und militärischen Satelliten ein, welche die Erde beobachten. Aber Satelliten die das Wetter oder Klimaveränderungen beobachten profitieren von immer gleichen Voraussetzungen der Messungen. Für Russland kommt als zusätzlicher Vorteil hinzu, das von der ISS aus ein Großteil des Staatsgebietes nicht beobachtbar ist.

Doch reicht das als Begründung für eine eigene Raumstation aus? Natürlich nicht. Nahezu die gesamte Weltraumaktivität in Russland hat nur zwei Antriebsfedern. Das eine ist das Militär – die Zahl der Forschungssatelliten, die es seit 1990 gibt, kann man an einer Hand abzählen und das zweite ist die Öffentlichkeit. Da nun die USA nicht mehr von Russland für den Astronautentransport abhängig ist, fällt das prestigeträchtige Starten von Astronauten mit der Sojus weg. Damit konnte man lange über die eigentlich kleine rolle Russlands in der ISS hinwegtäuschen. Damit auch die Triebfeder Öffentlichkeitsarbeit. Eine eigene Station wäre wieder ein Alleinstellungsmerkmal.

Doch da Russland schon Probleme hat ihr letztes Modul für die ISS zum Start zu bekommen – geplant diese Woche nach 13 Jahren Verzögerung, reicht das alleine sicher nicht. Wie schon früher in der Geschichte der russischen Raumstationen geht es nicht ohne das Militär. Saljut 2,3 und 5 waren militärische Raumstationen des Typs Almaz. Kosmonauten sollten in ihnen bessere Bilder machen, indem sie die Kameras bedienen, als unbemannte Satelliten. Ein ähnliches Programm hatte auch das US-Militär mit der Raumstation „Mol“, doch dieses Programm wurde schon 1969 eingestellt, mehrere Jahre vor der ersten Almaz.

Russland hat noch lange Spionagesatelliten mit Film gestartet, selbst noch als die USA diese Technologie längst aufgegeben hatten. Doch inzwischen setzen auch sie auf Halbleitersensoren. Zivile Satelliten erreichen mit ihnen bis zu 25 cm Auflösung, man rechnet damit das militärische US-Satelliten noch höhere Auflösungen haben und Russland dürfte sicher ähnlich gute Systeme haben. Das Problem das Russland hat, ist aber nicht die Technik der Satelliten. Es sind die Datenraten welche die Sensoren liefern. Der Sensor in den Worldview Satelliten hat 16 Links, jeder fähig bis zu 50 Mpixel pro Sekunde zu übertragen. Ein Pixel belegt meist zwei Byte, da die Digitalisierungstiefe bei 12 bis 14 Bit liegt. Das bedeutet. Ein Sensor liefert bis zu 1,6 Gbyte/s an Daten. Diese Daten werden im Satelliten zwischengespeichert, müssen aber doch irgendwann übertragen werden. Digiglobe hat für den Empfang der Daten Bodenstationen auf der ganzen Welt, darunter welche nahe beider Polgebiete, die bei jedem Umlauf Kontakt haben. Wahrscheinlich kann die Firma gegen Bezahlung auch Kommunikationssatelliten des US-Militärs nutzen, denn dieses ist mit der NRO der größte Kunde von Digiglobe. Russland hat nur Bodenstationen auf dem eigenen Gebiet. Die haben zwar durch die große Ausdehnung Russlands auch Kontakt bei jedem Umlauf, aber bei Passage des Nordpols und ein Großteil der Satellitenbahn ist nicht abgedeckt.

Das beschränkt natürlich den Nutzen dieser Satelliten. Ein Netz von geostationären Satelliten, die es kompensieren können, wäre teuer und richtig große Datenübertragungsraten erreicht man heute mit Laserterminals, die Russland bisher noch nicht im Einsatz hat.

Vieles spricht dafür, das Russland eine bemannte Raumstation baut, um diesen Nachteil zu kompensieren. Eine Raumstation hat gegenüber einem Satelliten einige Vorteile:

Hardware kann gewartet, repariert oder ausgetauscht werden um z.B. neue Technologien einzusetzen. Das erspart langfristig die kosten für neue Satelliten.

In dem Druckmodul herrschen erdähnliche Bedingungen. Damit ist Hardware, die nicht weltraumqualifiziert ist, einsetzbar. In dieser hängt Russland weit hinterher. Phobos Grunt ging 2011 verloren, weil man deswegen nicht strahlenresistente Bauteile einsetzte, der neue Bordcomputer der Sojus hat z.B. nur eine Leistung von 8 MIPS, ein gängiger PC Prozessor kommt auf die 1000-fache Leistung. Damit kann man auch hohe Datenraten effizient komprimieren und so die Datenrate senken.

Menschen können selbst entscheiden, ob sich ein Foto lohnt – dieser Vorteil wird aber mit immer besseren Vorhersagen über die Bewölkung durch Wettervorhersagen aber immer kleiner.

Für eine bemannte Station bekommt man wegen der Öffentlichkeitswirksamkeit mehr Gelder.

Als Knackpunkt, wie die Station wohl arbeitet, ist ein Auftrag der für eine Subkapsel ausgegeben wurde, die mit der Progress transportiert wird. Es ist eine Kapsel die den Wiedereintritt überlebt und einen Fallschirm ausstößt. Zwei weitere Systeme sind ein Kaltgassystem zur Lageänderung und ein Antrieb zum Abbremsen.

Warum sollte aber eine Progress kleine Subkapseln – anscheinend nicht nur eine, sondern mehrere mitführen? Nun um etwas zur Erde zurückzubringen. Die Progress ist ein unbemannter Transporter der an der geplanten Raumstation andockt und sie versorgt. Kosmonauten könnten die Kapseln aus dem Frachtraum der Progress entnehmen, befüllen, über die Luftschleuse ins All aussetzen. Das Kaltgassystem könnte auf Sicht fernbetätigt werden, um den Antrieb gegen die Bahnrichtung zu positionieren. Entsprechende Vehikel mit Kaltgasantrieb zur Inspektion der ISS wurden angedacht und innerhalb der Station auch erprobt. Russland dürfte also über diese Technologie im Bilde sein.

Doch was kann die Kapsel zurückbringen? Materialproben? Möglich, allerdings stand diese Forschung nie bei Russland im Fokus, genauso wenig wie biologische oder medizinische Proben. Fotografischen Film, wie ihn die Foton Satelliten (ebenfalls mit Rückkehrkapseln) einsetzten, dürfte heute nicht mehr zum Einsatz kommen. Doch es gibt eine Möglichkeit große Informationsmengen auf kleinstem Raum mit geringem Gewicht zu speichern: SSD. In Form von SATA-SSD liegt heute der Rekord bei (im freien Handel käuflichen bei 15 Terabyte und eine solche SSD wiegt gerade mal 70 g. Selbst der Sensor von Worldview benötigt fast 10.000 s um sie zu füllen. Noch kleiner sind SSD im M2-Format als Platine, doch die sind nicht hotswap-fähig. Denn ich denke Russland wird die Strategie fahren wie Deutschland/USA bei der SRTM Mission. Bei dieser Radar-Kartierungsmission eines Space Shuttles hatten die Astronauten nur die Aufgabe, die Bänder im Bandrekorder laufend zu wechseln – ähnlich könnten zwei an einen Rechner angeschlossene NAS alternativ betrieben werden. Eines zeichnet auf, ein zweites wird mit neuen SSD bestückt oder beschriebene SSD werden entnommen. Eine Kapsel könnte Hunderte dieser SSD transportieren, eine Progress sicher mehrere, vielleicht sogar ein Dutzend dieser Kapseln, sodass bei wöchentlichem Abwurf einer Kapsel eine Mission alle drei bis vier Monate nötig ist – ein ähnliches Intervall wie bei Mir und der Versorgung der ISS und eine Woche ist auch das Intervall das früher zwischen Start eines Aufklärungssatelliten und Landung der Kapsel vergingen.

Die Station könnte am Anfang aus dem Basisblock bestehen, der alle Systeme für die Kosmonauten hat, dieses Element FGB ist das Kernstück der Mir und auch des russischen Teils der ISS (Swesda). Er bietet sechs Koppelstellen. An einer wird ein „Forschungsmodul“, eigentlich aber militärisches Modul mit den Optiken angekoppelt. Das ISS-Pendant wäre Nauka. Es könnte um weitere „Forschungsmodule“ ergänzt werden, die z.B. abbildende Radargeräte beinhalten oder Antennen für die elektronische Aufklärung. Denkbar wären auch IR-abbildende Systeme mit aktiver Kühlung für die das Kühlmittel von Progress gebracht wird, entsprechend der Kamera NICMOS bei Hubble.

Russland müsste zwar mehrere Progress- und Sojusstarts pro Jahr durchführen, würde aber dafür ein kompletten Kommunikationsnetzwerk einsparen, kännte die Nachteile ihrer Aufklärungssatelliten kompensieren, die zudem nicht so langlebig sind wie westliche Gegenstücke. Die Sensoren können leicht auf den neuesten Stand gebracht werden, ohne jedes Mal einen neuen Satelliten zu starten, bei dem die Sensoren nur geringen Anteil an den Kosten haben. Die Optik ist dagegen weitestgehend unveränderlich. Schon seit Jahrhunderten kann man beugungsbegrenzte Optiken bauen.

Angesichts der Serienbauweise der Progress- und Sojusraumschiffe kann sich dieses Konzept sicher rechnen, zumal es eben noch den Vorteil gibt, das man immer noch damit Eindruck schinden kann, dass man eine eigene Raumstation hat. Das die neue Raumstation nicht einfach nur eine Kopie von Mir ist, dafür sprechen auch die Kosten. Russland nennt 3 Milliarden Dollar für die Station. Für die Fertigung von Swesda zahlte die NASA 250 Millionen Dollar. Gut das ist 20 Jahre her, aber bei der zwölffachen Summe ist das sicher mehr als nur der Inflationsausgleich.

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