Bernd Leitenbergers Blog

Der Polxit

Nach einigen längeren Blogs will ich nun mal einige kürzere schreiben zu Themen, die mir seit Tagen im Kopf herumgehen. Das erste ist die Entscheidung des obersten polnischen Gerichtes, dass Teile der EU Verträge, genauer gesagt Artikel 1 und 14 der polnischen Verfassung widersprechen. In der Berichterstattung habe ich zwar viel über die Diskussion gelesen, aber nichts über die Artikel selbst, also habe ich das mal nachgeholt. In Artikel 1 überträgt ein Mitgliedsstaat Zuständigkeiten an die Union zur Verwirklichung gemeinsamer Ziele. Artikel 14 umreißt die Befugnisse und Aufbau des europäischen Parlaments.

Nun hatten wir bereits den Brexit und schon wird nach einem Polxit gerufen, zumindest der Vorschlag steht im Raumm die fianziellen Mittel für Polen zu blockieren.

Ich denke man kann Brexit und was in Polen vor sich geht nicht vergleichen. Dem Austritt Englands ging eine Volksabstimmung voraus, basisdemokratischer geht es nicht. Es wurde ein Vertrag ausgehandelt, auch wenn das schwierig war und Jahre dauerte. In Polen gibt es eine Regierung, die ihre Macht erweitern will und dafür andere Institutionen des States, welche die Regierung kontrollieren oder zumindest ihre Fehler aufdecken, wie eben unabhängige Justiz und Medien eingeschränkt oder verboten. Das Urteil des Verfassungsgerichts ist ja auch durch die Bestellung regierungstreuer Richter zustande gekommen. Ich denke aber die Bevölkerung will in der EU bleiben, vor allem kann eine Regierung wechseln und wenn man anfängt, jeden EU Mitgliedsstaat auszuschließen nur, weil für einige Jahre eine Regierung auf Konfrontationskurs geht, dann wird die Union bald kleiner. Auf der anderen Seite ist was in Polen passiert ein Verstoß gegen grundsätzliche Rechte, die wir in Europa gemeinsam achten, wie die das es in einem Staat mehrere Säulen gibt, die sich gegenseitig kontrollieren, sodass es nicht zu einer Machtanhäufung wie in einer Diktatur kommt. Zudem ist das jetzt nicht neu, sondern geht seit Jahren so.

Beitrittsstaaten müssen die Voraussetzungen der Verträge erfüllen, aufgrund dessen gibt es schon seit Jahren Beitrittsverhandlungen mit einigen Ex-Jugoslawischen Teilrepubliken und der Türkei und die Bedingungen scheinen eben noch nicht erfüllt zu sein. Müsste dann ein Staat nicht auch konsequenterweise bei einem Verstoß wieder austreten? Ich meine nein, denn wie wir beim Brekxit sahen, dauert das Jahre, und wahrscheinlich genauso lange wieder beim Eintritt alles auszuhandeln. Zudem könnten die Polen die derzeitige Regierung abwählen und dann müsste man, wenn die neue Regierung die „Reformen“ rückabwickelt, auch wieder die ganze Vertragsabwicklung rückabwickeln.

Ich halte es für besser die Mitgliedschaft, wenn ein Staat die grundlegenden Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft nicht erfüllt, ruhen zu lassen, wobei man dies auch in mehreren Stufen gestalten kann. In Stufe 1 wäre der organisatorische Aufwand für alle Staaten gering. Polen wäre kein Mitglied der EU, Abgeordnete würden aus dem Parlament ausscheiden, Regierungsvertreter aus der Kommission und natürlich müssten die kein Geld bezahlen und keines bekommen. Das wäre bei einem Netto-Nehmerland schon gravierend, zudem könnten sie nicht wie bisher Beschlüsse blockieren wie sie es zusammen mit Ungarn und der Slowakei in der Vergangenheit getan haben. Alle bisherigen EU Beschlüsse und Vereinbarungen würden aber weiter gelten, ebenso wäre Polen noch Bestandteil des Binnenmarktes. Sie können eben von nun an keinen Einfluss mehr auf die politische Entscheidung nehmen und keine EU Fördermittel mehr bekommen.

In Stufe 2 wird das Land dann wie ein Drittstaat ohne Vertrag mit der EU behandelt, also einem Staat außerhalb der EU ohne ein Handels- oder sonstiges Abkommen. So was hätte England gedroht, wenn sie ohne Vertrag ausgeschieden wären. Das ist ziemlich hart, selbst mit Nicht-EU Staaten, die an die EU angrenzen, gibt es Verträge die Dinge regeln, an denen gemeinsames Interesse besteht wie Warenverkehr, Reisen und Visa. Solche Verträge gibt es z.B. mit der Schweiz. In dem Falle würde Polen aus dem Binnenmarkt herausfallen. Es gäbe wieder Grenzen mit Grenzkontrollen. Positiv für Polen wäre, das zahlreiche Vorschriften der EU nicht mehr gelten. Sie müssten sich weder an Vorschriften für den Verbraucherschutz noch das Klimaabkommen halten und dürften weiter ihre Kohlekraftwerke betrieben und ungeklärtes Abwasser in die Ostsee einleiten. Polen würde dann wirtschaftlich noch schlechter und isolierter dastehen als England und wie es denen geht, sieht man jetzt ja. Dabei hat England nur eine Grenze mit der EU gemeinsam, während Polen bis auf die Grenze zu Belarus nur von EU-Staaten umgeben ist.

Das ist hart, aber konsequent, denn wenn Artikel 1 gegen die polnische Verfassung verstößt, heißt das nichts anderes als das Polen der EU das Recht abspricht Gesetze zu beschließen, die in Polen dann gelten müssen. Ohne dies geht es aber bei einer Union nicht. Wenn dies nicht akzeptiert wird oder tatsächlich der Fall ist, dann dürfte Polen gar nicht Mitglied der EU sein, hat die Regierung die der EU beitrat einen Fehler gemacht. Ein Austritt wäre dann zwangsläufig, sofern Polen nicht seine Verfassung ändert.

Vor allem finde ich ist es Zeit jetzt zu handeln. Diskutiert wird seit Jahren und seit Jahren verbietet die polnische Regierung Medien oder erlässt Gesetze wie das zum Schwangerschaftsabbruch, das Frauen zu Gebärmaschinen ohne jede eigene Entscheidungsmöglichkeit degradiert. Das verstößt meiner Ansicht nach auch gegen Grundrechte des Menschen wie Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Wie lange kann man sich als Union das Anschauen, ohne zu handeln, ohne sich selbst unglaubwürdig zu machen?

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