Bernd Leitenbergers Blog

Unsinnige Nahrungsergänzungsmittel – Teil 2

Weiter geht es mit meiner lockeren Reihe über Nahrungsergänzungsmittel. Das Thema könnte ich noch sehr lange bearbeiten, wenn ich es von Inhaltsstoffen wie Vitaminen oder Mineralstoffen auf ganze Pflanzen ausdehnen würde, denn das ist das Groß der Nahrungsmittelergänzungsmittel, Extrakte oder anders aufbereitete Pflanzen wie Curcuma, Spirulina, Ingwer. Die sind wegen ihrer komplexen Zusammensetzung noch mal eine andere Baustelle. Heute geht es um einige weitere nicht essenzielle Bestandteile die man in solchen Nahrungsergänzungsmitteln findet, sprich keiner dieser Substanzen benötigt der Körper. Dazu geht es um die Megavitamindosen in vielen Präparaten. Ich denke, ich werde die Reihe dann noch über einen Beitrag über Vitamine/Mineralstoffe für besondere Bevölkerungsgruppen befassen wie Präparate nur für Männer, Frauen oder Schwangere.

L-Citrullin Malat

L-Citrullin ist eine Aminosäure, die nicht in unserem Körpereiweiß vorkommt, also nicht zu den 20 Aminosäuren gehört, aus denen es aufgebaut ist. Sie kommt natürlicherweise in Kürbisgewächsen vor und ist ein Zwischenprodukt im Stoffwechsel. Malate sind die Salze der Apfelsäure, einer organischen Säure, die in Früchten vorkommt. Auch sie ist nicht essentiell und ebenfalls ein Zwischenprodukt im Stoffwechsel.

Als Zwischenprodukte des Stoffwechsels kann der Körper beides abbauen. Aber wofür sollten wir das Präparat aufnahmen? Also die deutsche Wikipedia schweigt sich darüber aus. Dort wird nur erwähnt, dass Citrullin im Urin ein Marker für einen Stress durch ein besonderes Radikal ist. In der englischen Wikipedia findet sich ein Satz, der einen Hinweis liefert: Einige Proteine enthalten durch nachträgliche Modifikation Citrullin.

Es mag ja ein Vorurteil sein, aber bestimmte Kraftsportler, also Leute mit viel Muskelmasse schlucken so ziemlich alles, wenn man ihnen nur verspricht, dass sie davon Muskelmasse aufbauen können, wahrscheinlich haben diese Präparate dann auch einen Einfluss auf das Gehirn, denn viel nachdenken tun die Leute nicht wenn sie kritiklos alles schlucken ohne sich zu informieren was das denn genau ist.

So wird dieses Präparat für Sportler beworben – übrigens subtil, denn nirgendwo steht eine Wirkung, sondern es wird umschrieben. Dahinter steckt folgende Überlegung: Myelin, ein Protein der Muskelfasern, enthält L-Citrullin, also muss es zugeführt werden. Dass L-Citrullin erst nachträglich aus anderen Bestandteilen entstanden ist und der Körper die Aminosäuren ineinander umwandeln kann, davon schreibt der Hersteller kein Wort.

Was tatsächlich passiert, wenn man das Präparat einnimmt: Citrullin wird als nicht-proteinogene (nicht Körpergewebe aufbauende) Aminosäure nicht zur Bildung von Körpereiweiß verwendet, weder von Muskelprotein noch von Gehirnzellen, die die Käufer dieser Präparate dringend benötigen würden. Es wird verbrannt und erzeugt Energie, belastet aber durch seinen hohen Stickstoffanteil (drei Aminogruppen pro Molekül – die meisten Aminosäuren haben nur eine Aminogruppe pro Molekül) die Nieren sehr stark, die das Abbauprodukt aller Aminosäuren, den Harnstoff, aus dem Blut fischen müssen. L-Citrullin hat also nicht nur keine positive Wirkung, sondern belastet den Körper. Malate, die Salze der Apfelsäure, haben überhaupt keine Aufgabe im Körper, sondern sind nur Zwischenprodukte des Stoffwechsels und über den Sinn der Salze der Apfelsäure im Präparat schweigt sich auch der Phosphat-Hersteller aus. Als organische Säuren ohne Stickstoffanteil haben sie jedenfalls nichts mit Muskeln zu tun. Ich vermute, dass sie lediglich den pH-Wert der Lösung senken, damit sich das basische Citrullin besser in Wasser löst.

Coenzym Q10

Ein echter Dauerbrenner unter den Nahrungsergänzungsmitteln ist das Coenzym Q10, auch bekannt unter der Bezeichnung Ubichinon. Ubichinon(e) ist die deutsche Bezeichnung, in den USA ist die Bezeichnung „Coenzym Q10“ gängig. Ich verwende daher im Folgenden Ubichinon, auch wenn die meisten Präparate mit „Coenzym Q10“ werben, weil das besser klingt – dass Coenzyme wichtig sind hat sich bei Ernährungsbewussten herumgesprochen und Q10 klingt irgendwie nach James Bond. Ubichinon ist ein Molekül mit einer chemischen Ähnlichkeit zu den Vitaminen E und K, mit einer variabel langen Kette aus Isopreneinheiten. Isopren ist ein ungesättigter Kohlenwaserstoff mit 5 Kohlenstoffatomen, das in polymerisierter Form in vielen natürlichen Kettenmolekülen unter anderem in Naturkautschuk vorkommt.

Ubichonon ist ein Coenzym der Endoxidation, die in den Mitochondrien stattfindet. Die Zahl 10 bedeutet, dass 10 Ubichonon-Einheiten in einer Kette im Molekül vorhanden sind. Bei der Endoxidation wird Wasserstoff schrittweise zu Wasser oxidiert. Das können nur die Mitochondrien, kleine Zellen in der Zelle, die sich auch selbstständig teilen.

Ubichonon kann vom Körper selbst aus den Aminosäuren Phenylalanin und Tyrosin hergestellt werden. Es ist daher normalerweise nicht essentiell. Essentiell wird es nur, wenn die beiden Ausgangsaminosäuren fehlen, wenn bestimmte Vitamine, die für die Biosynthese benötigt werden, fehlen oder wenn Ubichonon durch Lipoxidperoxidasen abgebaut wird. Dann hat man aber ein so schweres Krankheitsbild, weil die oben genannten Substanzen auch noch an anderer Stelle im Stoffwechsel benötigt werden, dass man mit einer Ubichinon-Supplementierung nicht viel ausrichten kann.

Was versprechen nun die Hersteller solcher Präparate mit einer eigentlich nicht essentiellen Substanz?

Sie versprechen mehr „Energie“. Das ist natürlich Unsinn. Ubichinon ist nur ein Teil eines Enzyms in einer ganzen Kette. Wenn man mehr davon nimmt, wird die ganze Kette nicht schneller und die Endoxidation kann auch nur den Wasserstoff oxidieren, den andere Stoffwechselprozesse aus der Nahrung gewonnen haben. Zusätzliche Energie kann so nicht gewonnen werden.

Sie versprechen eine Unterstützung des Herz-Kreislauf-Systems: Das liegt daran, dass die Zellen mit den meisten Mitochondrien im Herzen sitzen, kein Wunder, das muss ja auch ständig pumpen. Aber für diese Zellen gilt das gleiche wie für Punkt 1.

Es wird eine antioxidative Wirkung versprochen. Das ist falsch. Das Molekül wird zwar schnell oxidiert, aber das ist seine Funktion bei der schrittweisen Oxidation des Wasserstoffs zu Wasser, danach wird es wieder reduziert. Radikalfänger wie Vitamin C oder Vitamin E hingegen werden bei der Oxidation verbraucht.

Was mir bei vielen Präparaten aufgefallen ist, ist das man im eigentlichen Angebotstext bei Amazon nicht erfährt, wie viel Ubichinon überhaupt in den Tabletten vorhanden ist. Eigentlich ist das doch wichtig für eine Kaufentscheidung oder? Diese Angabe findet sich in einer der Abbildungen. In diesem Fall sind es 200 mg, nur zum Vergleich, die normale tägliche Aufnahme liegt bei 5 bis 10 mg. Das leitet mich zu meinen nächsten Thema über:

Megavitamindosen

Viele Präparate haben eines gemeinsam: Die Mengen in den Tabletten betragen ein Vielfaches des Tagesbedarfs, egal ob man die Referenzwerte der DGE, der EU oder der WHO zugrunde legt. Bei vielen Vitaminen hat das einen einfachen Grund: Sie können billig hergestellt werden und von den meisten benötigt man pro Tag eine Menge im einstelligen Milligrammbereich oder sogar weniger. 1 mg entspricht etwa einem Volumen von einem Kubikmillimeter, d.h. selbst in einer kleinen Kapsel kann man leicht 100 oder 200 mg unterbringen. Oder ein anderer Vergleich: Aspirin-Kopfschmerztabletten enthalten etwa 500 mg Substanz. Da die meisten Menschen denken „viel hilft viel“, verkaufen sich Präparate mit viel Wirkstoff wahrscheinlich besser.

Aber die Frage ist: Nützt das etwas?

Zunächst einmal Entwarnung. Von allen Vitaminen hat der Körper einen Vorrat. Dieser ist unterschiedlich groß und liegt minimal bei dem Bedarf einer Woche und kann bei Vitamin B12 auch für mehrere Jahre vorhalten. Daraus folgt erstens, dass man nicht täglich Vitaminpräparate einnehmen muss und zweitens, dass sich Schwankungen in der Ernährung meist von selbst ausgleichen.

Die zweite Schlussfolgerung lautet: Wenn ein Nahrungsergänzungsmittel viel von einem Vitamin enthält, wird es dann auch vollständig vom Körper aufgenommen? Bei allen Vitaminen hängt die Resorptionsrate von der Menge in der Nahrung ab. Für das oben erwähnte Ubichonon zum Beispiel liegt die Resorptionsrate zwischen 10 und 50 Prozent. Je mehr Vitamin vorhanden ist, desto weniger wird aufgenommen. Das liegt daran, dass die meisten Vitamine nicht aktiv aufgenommen werden also über Moleküle in den Zellen der Darmschleimhut unter Energieverbrauch ins Zellinnere gelangen, sondern passiv, durch den Konzentrationsunterschied in den Zellen und dem Darminhalt – ist im Darm viel Vitamin vorhanden so enthalten auch die Darmschleimhautzellen viel Vitamin und die Konzentrationen gleichen sich an und die Aufnahmerate sinkt.

Megavitamindosen sind also auch unter diesem Aspekt unsinnig. Das meiste wird nicht aufgenommen und landet im Dickdarm. Wer also unbedingt seine Darmbakterien mit Vitaminen versorgen will, kann das auf diese Weise tun.

Bei Vitamin C, dem Vitamin mit der höchsten Tagesdosis, können die Probanden selbst beobachten, dass es in viel zu hohen Konzentrationen aufgenommen wird. Vitamin C, das im Dickdarm ankommt, führt dazu, dass der Stuhl mehr Wasser enthält, was zu Durchfall führt. Wer sich einer Darmspiegelung unterzieht, kann sich einmal anschauen, was er vorher zur Darmreinigung schlucken muss: Typische Medikamente enthalten etwa 7 bis 10 g L-Ascorbinsäure, das ist nichts anderes als Vitamin C. Das führt in dieser Menge (zusammen mit anderen Substanzen) zu wässrigen Durchfällen.

Man kann also Mega-Vitaminpräparate kaufen (abgesehen von den grundsätzlichen Zweifeln, die Ernährungsexperten gegenüber solchen Präparaten haben (sie plädieren für eine vollwertige Ernährung, das ist auch richtig, aber wenn man sich mal auf die Ebene des Käufers begibt, gibt es neben der Vitaminwirkung ja auch noch den physiologischen (Placebo-) Effekt, dass man glaubt, seinem Körper etwas Gutes zu tun), aber wenn man solche Präparate nimmt, dann reicht es, wenn man einmal pro Woche oder alle zwei Wochen eine Tablette einwirft. So lange halten auch die Kurzzeitdepots, und die sollten nach einer Megadosis wieder gefüllt sein. Es macht überhaupt keinen Sinn, jeden Tag solche Tabletten zu nehmen.

 

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