Bernd Leitenbergers Blog

Das europäische Dilemma – Teil 2

In meinem zweiten Teil über meine Kritik an der Raketenpolitik der ESA aber auch der europäischen Staaten geht es nun speziell um die Ariane 6. Dafür muss ich aber etwas ausholen, weil die Ariane 6 ja auf der Ariane 5 basiert und sich so an sie anschließt.

Die Ariane 5 war ursprünglich eine Säule des anspruchsvollen Vorhabens das die ESA-Staaten Mitte bis Ende der Achtziger Jahre hatten, nämlich dem einer eigenen Raumstation und einem Raumgleiter der Astronauten und Fracht zu ihr befördert. Beides wurde im Laufe der Neunziger Jahren gestrichen bzw. aus dem eigenständigen Raumlabor Columbus wurde ein Forschungslabor für die ISS.

Ariane 5 wurde als Träger beider Projekte entwickelt, anders als der Vorgänger Ariane 1 der für den Transport in den GTO entwickelt wurde. Anders wäre wohl auch keine Mehrheit für die Rakete zustande gekommen, die um ein mehrfaches teurer war als die Entwicklung von Ariane 1 bis 4 zusammen. Von Bedeutung für die Geschichte der Ariane 6 ist, dass die erste Version der Ariane 5, die Ariane 5G eine kleine Oberstufe mit lagerfähigen Treibstoffen hatte. Diese reicht für die Transporte in den LEO oder SSO wie für das bemannte Programm vollkommen aus, die Nutzlast für den GTO ist aber weit unter den Möglichkeiten, die eine Stufe wie die H10 der Ariane 4 bot.

So begann nach wenigen Jahren ein Upgradeprogramm das zur „Evolution“ Variante der Ariane 5 führte. Überall gab es Veränderungen, aber die beiden am meisten Nutzlast bringenden war ein neues Haupttriebwerk mit mehr Schub, dass auch eine neue schwerere Oberstufe erlaubte, die für die Ariane 5 G zu schwer gewesen wäre. Da die Konstruktion einer komplett neuen Oberstufe viel Zeit benötigt, entschloss sich die ESA zu zwei Schritten: Als „schnelle“ Lösung wurde die Oberstufe H10 mit dem HM-7B Triebwerk die noch auf die Ariane 1 zurückgeht, also schon damals 20 Jahre auf dem Buckel hatte angepasst. Als zweiter Schritt sollte eine neue Oberstufe entstehen, mit einem Triebwerk mit höherem Schub, größerer Effizienz durch den Einsatz des Expander Cycles und Wiederzündbarkeit.

Die erste Stufe ESC-A (Etagé Secondaire Cryogenique) übernahm das Triebwerk HM-7B und den Schubrahmen an dem es hing von der H10 unverändert. Der Sauerstofftank darüber wurde auch nur leicht verändert – sein kleiner Durchmesser blieb, er wurde lediglich etwas gestreckt, da mehr Treibstoff zugeladen wurde. Neu war nur der Wasserstofftank der nun 5,40 anstatt 2,60 m Durchmesser hatte und so zu der Elektronikbucht VEB und der unteren Stufe passte. Diese Konstruktion ist suboptimal, weil der optimale durchgängige Durchmesser für diese Stufe bei 3,0 und nicht 5,4 m liegt, die Tanks sind so unnötig schwer, der obere Tank hat praktisch Linsenform.

Ab 2003 sollte dann die Nachfolgestufe ESC-B mit dem Vinci Triebwerk entstehen. Der fehlgeschlagene Jungfernflug der Evolutionvariante setzte diesen Plänen ein Ende. Man brauchte Geld für Nachbesserungen und entnahm diese dem Haushalt für die ESC-B deren Entwicklungsstart so verschoben wurde. Später wollte Frankreich die Sojus vom CSG aus starten und der Rest der Mittel wurde als Credit an die CNES für den Bau der Startanlagen vergeben.

So weit so gut. Schon lange, bevor es SpaceX gab, kam Arianespace aber in Probleme. Der Grund war das Russland seine Proton und Zenit zu sehr günstigen Preisen anbot und gleichzeitig George W. Bush durch seine Politik dafür sorgte, dass der US-Dollar gegenüber dem Euro sehr schwach war. International werden Raketenpreise in US-Dollar verhandelt. Bis zur Einführung des Euros war das kein Problem, denn gegenüber dem US-Dollar war der französische Franc immer eine schwache Währung. Arianespace ist eine französische Firma und vorher waren alle Preise in französischen Franc. Als der Euro eingeführt wurde, änderte sich dies. Innerhalb kurzer Zeit kletterte der Kurs des Euro und eine Ariane 5 wurde so in US-Dollar um 20 Prozent teurer. Die ESA reagierte mit Subventionen an Arianespace.

Das rief sowohl Deutschland wie Frankreich auf den Plan, die beiden am stärksten bei der Ariane 5 beteiligen Nationen. Deutschland wollte nun endlich die Oberstufe ESC-B entwickeln. Sie würde 1 bis 1,5 t mehr Nutzlast zum gleichen Preis liefern und sollte in Deutschland zusammengebaut werden. Frankreich wollte dagegen gleich zu einer neuen Rakete wechseln. 2010 kam man so nicht überein. Die CNES würde mit 500 Millionen Euro erst einmal eine Vorentwicklung starten und dann würde man über die Vorschläge beraten.

2013 beim nächsten ESA-Konzil wollte Deutschland immer noch die ESC-B und Frankreich die Ariane 6. Man einigte sich auf eine Entwicklung der ESC-B so, dass sie auf beiden System würden eingesetzt werden können. Frankreich bastelte weiter an Vorschlägen. 2016 stand der nächste Ministerrat an. Mittlerweile waren sich Frankreich und Deutschland näher gekommen. Frankreich kam von radikalen Konzepten wie dem PPH-Konzept ab. Das Kürzel steht für die französischen Abkürzungen für Pulver-Pulver-Hydrogen. Sprich: erste und zweite Stufe sollten aus identischen Feststoffraketen bestehen und die einzige Stufe mit flüssigem Treibstoff wäre eine Oberstufe mit dem Vinci Triebwerk. Dieses Konzept wurde von Deutschland abgelehnt, weil sie nur noch an der Oberstufe beteiligt wären. Deutschland hatte anders als Frankreich und Italien nicht in die Erforschung von modernen Feststoffantrieben investiert.

Was schließlich als Ariane 6 herauskam, wurde 2015 beschlossen und war dann fast die heutige Ariane 6:

Im Wesentlichen war dies eine modernisierte Ariane 5. Während der Entwicklung wurde sie sogar noch ähnlicher, denn die Zentralstufe hatte ursprünglich nur 4,6 m Durchmesser, was zu einem sehr günstigen Voll-/Leermasseverhältnis der ebenfalls 4,6 m großen Oberstufe führte. Dann entschied man sich den alten Durchmesser von 5,4 m beizubehalten, die Rakete wurde 60 t schwerer, aber man kann die alten Fertigungsmethoden weiter einsetzen. Was ich nie verstand ist, warum man nicht die Boosterzahl variierte, wie es bei Ariane 4 der Fall noch war. Zumindest die Konfiguration mit drei Boostern wäre technisch möglich gewesen, hätte nur eine andere Startplattform erfordert.

Nun wird man aber, wenn man die Konstruktion nicht radikal ändert, nicht hohe Kostensenkungen umsetzen können. Die kamen nicht durch den Aufbau der Rakete, sondern zwei andere Maßnahmen:

Die gesamte Fertigung sollte in nur noch drei Standorten anstatt in über einem Dutzend erfolgen und so rationeller sein. (Zur Problematik siehe Teil 1). Und man erwartete mehr Starts pro Jahr. An diesem Punkt habe ich schon damals meine Zweifel, 11 bis 12 Raketen pro Jahr galten als Vorgabe. Damals gab es schon deutlich weniger Starts in den GTO als Ariane 5 ihren Erstflug hatte und die war für 7 bis 8 Starts pro Jahr ausgelegt. Gut es kamen noch die Starts der Sojus hinzu, die Ariane 62 hat in etwa deren Nutzlast, aber das waren wenige Starts. Zudem liefen zwei Programme aus, die in der Vergangenheit zur Auslastung der Ariane 5 beitrugen: das ATV (fünf Starts von 2008 bis 2013) und Galileo (drei Starts von 2016-2018). Wie sollte diese Startfrequenz zustande kommen?

Die Zusammenlegung derv Fertigung dürfte eine Reaktion auf SpaceX gewesen sein, 2015 als die Entwicklung beschlossen wurde, waren diese noch keine Bedrohung für Arianespace, aber Elon Musk war schon damals so medienpräsent wie heute und da die Pläne von Politikern abgesegnet werden, macht das viel aus. Das ist die Reaktion auf die InHouse-Fertigung von SpaceX.

Warum die Ariane 6 nun vier Jahre später fliegt – man hatte übrigens den Jungfernflug damals um ein Jahr vorgezogen von 2021 auf 2020 – wurde nicht kommuniziert. Die Kommunikation ist überhaupt wesentlich schlechter geworden. Gut, Verzögerungen sind im Raketenbau nicht selten. Ariane 5 flog auch ein Jahr später als geplant. Aber vier Jahre bei einer Rakete, die eigentlich nur zum Teil eine Neuentwicklung ist, sind doch viel. Corona mag seinen Anteil daran haben, auch der Start der Jupitersonde JUICE verzögerte sich durch die Epidemie um ein Jahr, aber vier Jahre kann man damit nicht begründen. Ebenso scheint es keine gravierenden Probleme bei den Tests gegeben zu haben, die eine Verzögerung rechtfertigen würden, wie dies beim Space Suttle der Fall war.

Was mich persönlich auch nervt, ist dieses typisch europäische Vorgehen, dass man zuerst eine Rakete entwickelt und kaum das sie fliegt – oder sogar vorher – man an Upgrades arbeitet. Das war bei Ariane 1 so: Ariane 2 bis 4 sind nur Upgrades der Ariane 1. Das war auch bei Ariane 5 so: die erste Version Ariane 5G flog nur zehnmal und wurde dann von der Ariane 5E abgelöst. Bei der brachte man es fertig, ohne neue Version einfach durch laufende Verbesserungen in der Produktion die Nutzlast in den GTO von 9,2 auf 10,9 t zu steigern. Ähnliches scheint auch bei der Ariane 6 der Fall sein, die während der Entwicklung von 10,9 auf 11,5 t anstieg. Trotzdem ist dies wenig, die Rakete wiegt 10 Prozent mehr als die Ariane 5E, hat eine bessere Oberstufe und bessere Booster und sollte so eigentlich zu noch höherer Nutzlast kommen. In meiner Modellierung komme ich auf so niedrige Nutzlasten nur, indem ich die Trockenmassen der beiden flüssigen Stufen drastisch erhöhe – auch das man viel weniger über die Technik erfährt, als früher hat sich verschlechtert.

Wie bei den beiden Modellen zuvor gibt es jetzt schon Programme, die Nutzlast zu steigern. Am meisten soll das Ersetzen des Materials für die Tanks durch CFK bringen 1 bis 2 t mehr Nutzlast. Etwas bringen 14 t mehr Treibstoff in den Boostern, davon profitiert vor allem die kleine Version Ariane 62. Dazu kommt eine Kickstufe die wahrscheinlich nur europäische Raumsonden benötigen, die so keinen eigenen Start benötigen, sondern sich diesen mit einer zweiten Nutzlast teilen können. Die Frage die ich habe ist: warum man wenn man die Ariane 6 neu entwickelt, dies nicht gleich von Anfang an angehtm insbesondere unter der Prämisse, dass die Ariane in der heutigen Form ja eher eine Evolution als Revolution ist.

Schwarz sehe ich für eine neue Rakete auf Basis eines neuen Triebwerks wie des Prometheus. Bei den Investitionen, die es jetzt in die Ariane 6 gibt wird diese sicher 20 Jahre lang fliegen. Das Prometheus hat zudem nur etwa 100 bis 120 t Schub, will man nicht sehr viele dieser Triebwerke einsetzen, so käme es nur für eine kleine Rakete in Frage und da haben wir ja schon die Vega C die heute schon nicht oft fliegt, warum also für wenige Starts pro Jahr was Neues entwickeln?

Da schon vor dem Jungfernflug absehbar ist, dass Ariane 6 nicht die geplante Startrate erreicht, wird sie wieder subventioniert, wie dies auch mal bei Ariane 5 der Fall war – sie erforderte in den letzten Jahren übrigens keine Subventionen, weil der Dollarkurs von einer Spitze von 1,36 Dollar/Euro wieder herunterfiel auf 1,08 Dollar/Euro heute Morgen.

Wenn ich aber eine Rakete subventionieren muss, dann hätte ich auch gleich bei der Ariane 5 bleiben können. Die 4 Mrd. Euro die in der Ariane 6 stecken hätten problemlos für 15 Jahre Subvention der Ariane 5 gereicht. Eine besondere Schuld sehe ich auch bei der bundesdeutschen Regierung. Die bucht nämlich sehr gerne Starts woanders, wenn es billiger ist, früher bei russischen Raketen, heute bei SpaceX. Würden alle europäischen Regierungen nur Ariane und Vega nützen, so käme man auf mehr Starts und jeder einzelne wäre billiger. Mehr noch: 30 Prozent der Ariane 6 wird von Deutschland gebaut. Also 30 Prozent des Startpreises kommen wieder zurück. Die damit beschäftigten zahlen Steuern und sind von ihnen einige arbeitslos, weil weniger Raketen gebaut werden, so kosten sie den Staat sogar Geld. Das sollte ja eigentlich ein Politiker verstehen. Das ist interessanterweise nur bei den Raketen so, man könnte ja bei der Beschaffung von Rüstungsgütern, die jetzt anstehe auch die in den USA kaufen, da ist das aber kein Thema, obwohl diese schon wegen der viel größeren US-Army viel größere Produktionskapazitäten haben.

Ein Versäumnis von Arianespace war es auch, dass obwohl spätestens 2020 als Corona anfing, absehbar war das Ariane 6 später kommt als geplant keine weiteren Ariane 5 als Überbrückung gebucht wurden. Nach dem gescheiterten Jungfernflug der Ariane 5 war dies noch anders, da wurden weitere Ariane 4 nachbestellt.

Man kann nun Hoffnungen setzen das Arianespace Aufträge aus den Konstellationen bekommt, um die geplante Startrate zu erhalten, doch bei Kuiper hat schon mal die Vulcan das Rennen gemacht und ob das EU-Netzwerk IRIS kommt, wage ich zu bezweifeln, zumindest konnte ich bei der Recherche keine Fortschritte in den letzten Jahren feststellen.

Meine persönliche Meinung ist, dass wir nicht einen Startpreis subventionieren sollten um kommerzielle Aufträge zu erhalten. Ariane wurde entwickelt, um einen unabhängigen Zugang zum Weltraum zu bekommen. An dieses Dogma wurde jetzt ja erinnert weil es die Lücke gibt und ESA-Nutzlasten ausweichen müssen. Jeder Start wird ohne Subvention teurer, und liegt wahrscheinlich in der Region die Ariane 5 jetzt besetzt. Aber das ist der Normalfall. Japan hat in mehreren Jahrzehnten nur einen kommerziellen Start ergattern können, als durch die Wirtschaftskrise der Yenkurs mal besonders niedrig war. Indien konnte bisher gar keinen kommerziellen Auftrag ergattern. Chinas und Russlands Träger sind außer Konkurrenz, da die Arbeitslöhne dort extrem niedrig sind. Inzwischen gibt es gegen beide auch ein Embargo. Auch die US-Konkurrenz war über Jahrzehnte keine Konkurrenz, sei war ebenfalls teurer als Arianespace. Ich sehe in einem Titel wie „führender kommerzieller Launch service Provider“ keinen Wert an sich. Wenn man es ist, ist es schön, aber wenn ich Subventionen abdrücken muss, dann sollte ich drauf verzichten.

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