Ich schließe an meinen Artikel vom Anfang dieses Monats an und bschäftige mich etwas weiter mit dem Starship, aber auch den Weiterentwicklungen V2 und V3. Es geht darum, dass man einiges an der Konstruktion hätte besser machen können.
Nutzlastabschätzungen
Ein eigenes SpaceX-Kapitel, weit über das Starship hinausgehend, ist die Nutzlastabschätzung. Bevor man eine Rakete baut, will man ja wissen, wie viel Nutzlast sie hat. Die einfachste Methode benötigt nur einen Taschenrechner. Man nimmt die Raketengrundgleichung und errechnet mit einer angenommenen Nutzlast die Endgeschwindigkeit. Davon zieht man ab, was man als Verluste annimmt, basierend auf Erfahrungswerten von bekannten Raketen ähnlicher Konstruktion. Mit der Differenz der Geschwindigkeit zur Zielgeschwindigkeit für einen Orbit kann man die Nutzlast dann leicht anpassen und diese Rechnung iterativ wiederholen.
Alternativ macht man es wie ich: man simuliert einen Raketenstart, berechnet für einen Bruchteil einer Sekunde die aktuelle Beschleunigung in allen drei Raumachsen, zieht Gravitation und Luftwiderstand ab und integriert dies über die gesamte Betriebszeit. Das ist schon alleine deswegen nötig, weil für einen späteren Zeitpunkt ja bekannt sein muss, wie sich die Rakete neigen muss, damit sie den korrekten Orbit erreicht. Die Winkel zu bestimmten Zeitpunkten kann man durch Variation der Simulation berechnen.
Es ist also kein Hexenwerk, die Nutzlast vorher zu berechnen, und so erreichen die meisten Raketen auch die geplante Nutzlast. Oftmals übertreffen sie diese sogar, weil man während der Entwicklung etwas verbessert hat. So war es bei vielen europäischen Raketen. Ariane 1-4 und die Ariane 5E übertrafen die Zielnutzlast jeweils deutlich. Auch die Saturn V hatte das Ziel, 45 t zum Mond zu befördern, und schaffte schließlich 49 t.
Bei SpaceX haben wir seit der Falcon 1 jedoch den genau gegenteiligen Trend. Keine der angekündigten und umgesetzten Raketen hat die Zielnutzlast erreicht:
Rakete | Nutzlast angekündigt | Netzlast real | Abweichung |
Falcon 1 | 670 kg | 420 kg | 37 % |
Falcon 9 V 1.0 | 4.536 kg GTO | 3.000 kg | 34 % |
Falcon 9 aktuell | 8.300 kg GTO | 6.500 kg (nicht wiederverwendbar) | 22 % |
Falcon Heavy | 26.700 kg GTO | 15.000 kg (nicht wiederverwendbar) | 45 % |
Starship | 100.000 kg LEO | 40.000 – 50.000 kg ITF-3 | 50 – 60 % |
Warum dem so ist, ist mir auch nach vielen Jahren ein Rätsel. Es macht absolut keinen Sinn eine Nutzlast anzukündigen, die man nicht erreicht. Man verliert so Glaubwürdigkeit und es wirkt ein bisschen lächerlich.
Es macht auch teure Nachbesserungen nötig. Die Falcon 9 hätte in der ersten Version mit 4,5 t GTO-Nutzlast durchaus mittelgroße Satelliten transportieren können. Mit 3 t in den GTO war sie jedoch zu klein und musste in mehreren Schritten in der Leistung gesteigert werden. Schon bevor das Starship überhaupt zum ersten Mal eine echte Nutzlast transportiert, kündigt Elon Musk bereits neue Versionen V2 und V3 an. Auch das sind unnötige Nachbesserungen. Warum baut man das Starship nicht gleich so, dass es die Sollnutzlast erreicht?
Es kommt noch besser: Auch für die neuen Modelle wird eine Nutzlast angekündigt, die sie nicht erreichen können. Für das Starship V3 sollen 41 % mehr Treibstoff 150 % mehr Nutzlast bringen. Jeder, der etwas Verstand hat, kann mal überlegen, wie dies gehen soll. Sicher steigt die Trockenmasse nicht im gleichen Maße, aber eine solche Steigerung ist physikalisch kaum glaubhaft.
Stufendurchmesser
Eine weitere Besonderheit bei SpaceX sind „Spargelraketen“, die sich aus den Nachbesserungen ergeben. Das Starship schlägt hier ein neues Kapitel auf, da es schon in der ersten Version eine Spargelrakete ist.
Für Tanks kann man berechnen, bei welchem Durchmesser-Längen-Verhältnis sie das geringste Gewicht bei einer vorgegebenen Treibstoffmenge haben. Für einen einzelnen zylindrischen Tank ist das relativ einfach durch die Mathematik vorgegeben: Die Länge sollte dem doppelten Durchmesser entsprechen. Für eine mehrstufige Rakete, die pro Stufe je einen Treibstoff- und Oxidatortank hat, muss man Optimierungen durchrechnen. Bei einer zweistufigen Rakete, die in beiden Stufen denselben Durchmesser und denselben Treibstoff einsetzen, wird man etwa auf eine Gesamtlänge im Bereich des acht bis zehnfachen Durchmessers kommen. Dazu kommt noch die Nutzlastverkleidung. So war es auch bei den ersten Versionen der Raketen von SpaceX.
Beim Starship ist es schon in der ersten Version die 13,4-fache Länge, ansteigend auf das 17-fache, ähnlich wie bei der Falcon 9, die aktuell auf das 19,4-fache des Durchmessers kommt. Von der Physik vorgegeben, sollte SpaceX eigentlich den gegenteiligen Kurs verfolgen. Zumal Musk schon recht früh wusste, dass es nicht die Sollnutzlast erreicht – das schrieb er schon vor Jahren. Da man eine Rakete viel leichter verlängern als verbreitern kann, sollte sie also eher zu „pummelig“ dimensioniert werden.
Bei der Falcon 9 ist der Grund bekannt und es ist der gleiche wie bei vielen anderen Raketen. Eisenbahntunnel sind international standardisiert und erlauben maximal eine Fracht, die knapp unter 4 Meter hoch ist. Über die Straße geht etwas mehr, so wurde ich schon angeschrieben, weil jemand auf der Autobahn einen 5,4 Meter durchmessenden Tankdom einer Ariane 5 gesehen hat. Aber es gibt dort andere Probleme: Kurven sind enger und man hat dann bei ganzen Stufen Probleme mit deren Länge.
Das Starship wird am Startplatz in einem Hangar zusammengebaut und dann zur Startrampe gefahren. Diese Vorgehensweise teilt es mit der N-1, die ebenfalls in Baikonur aus Einzelteilen zusammengebaut wurde. Mal sehen, wie dies wird, wenn SpaceX im Kennedy Space Center Starts durchführt, und ob dort auch eine Fabrik entsteht.
Mit der Montage am Startplatz wären sie aber frei, einen noch größeren Durchmesser zu wählen. Die N-1 hatte an der Basis einen Durchmesser von über 15 Metern. Folgt man der Regel der optimalen Form, so würde er beim Starship zwischen 11 und 12 Metern liegen. Bei der Superheavy hat der geringe Durchmesser gravierende Folgen. Ein Bild des Hecks zeigt dies deutlich: Die Triebwerke sitzen dicht an dicht, so dicht, dass die Triebwerke im äußeren Ring fest eingebaut sind und nicht schwenkbar sind. Dies geht nur mit den inneren 13 Triebwerken. Dies dürfte der Grund sein, dass die Superheavy mit so viel Schub startet. Normalerweise ist bei Raketen mit flüssigen Treibstoffen ein Schubüberschuss von 25 Prozent üblich. Das bedeutet, wenn man den Schub in der Maßeinheit „Tonnen, die gegen die Erdgravitation angehoben werden können“ ausdrückt, sollte der Startschub bei der etwa 5000 Tonnen schweren Rakete rund 6250 Tonnen betragen. Er liegt aber bei 7590 Tonnen. Fällt eines der Triebwerke aus, so stehen nur 13 der Triebwerke zur Verfügung, um die Schubasymmetrie zu kompensieren. Trotzdem ist die Zahl der Triebwerke noch zu hoch. Nach Musk dürfen bis zu drei Triebwerke ausfallen, und dies kann noch kompensiert werden.
Warum aber wappnet man sich gegen so viele Triebwerksausfälle? Sicher, bei 33 Triebwerken ist ein Ausfall 33-mal wahrscheinlicher als bei einem Triebwerk. Aber man kann berechnen, wie zuverlässig ein Raptor sein muss, damit die Wahrscheinlichkeit für zwei Ausfälle bei 33 Triebwerken nicht höher ist als die für ein Triebwerk bei anderen Raketen. Ich komme auf 0,99. Das ist schlechter als bei anderen Triebwerken, die einzeln eine Rakete antreiben und die meist bei 0,994 bis 0,998 liegen. Das heißt, die hohe Zahl von Triebwerken lässt es eigentlich zu, dass diese erheblich unzuverlässiger sind als ein einzelnes Triebwerk. Doch selbst bei moderater Zuverlässigkeit ist ein Ausfall von drei oder noch mehr Triebwerken recht unwahrscheinlich, sodass man sich nicht mit mehr Schub dagegen wappnen müsste.
Würde man sechs Triebwerke entfernen und so auf 25 % Schubüberschuss kommen, könnte man auch die Triebwerke im äußeren Ring schwenken und würde diesen Schubüberschuss nicht benötigen. Mehr noch – der heutige Schubüberschuss lässt heute schon die Verlängerung, die geplant ist, zu, ohne den Schub zu steigern. Es werden immer mehr Fragen aufgeworfen.
Die Raptoren
Ein Paradoxon sind die Raptoren. Elon Musk reklamiert, dass eine Rakete 1.000-mal wiederverwendet werden kann und seine Angaben für den Startpreis werden immer kleiner und bewegen sich inzwischen im einstelligen Millionenbereich. Ein Start ist also mehr als zehnmal billiger als der einer Falcon 9, obwohl die Rakete zehnmal so schwer ist. So etwas geht eigentlich nur, wenn man die Rakete landet und sofort wieder ohne sie zu überprüfen zum Startturm fährt. Würde man sie prüfen und dazu gehört ja auch die Überprüfung jedes Triebwerks, würde dies den Start verteuern. Der nach Musk nur wenig teurer als die reinen Treibstoffkosten ist. Das heißt, auch die Raptoren müssen 1.000-mal über die volle Brenndauer arbeiten, ohne Wartung. Sie müssen also erheblich zuverlässiger und langlebiger sein als bisherige Triebwerke. Selbst die Space Shuttle-Triebwerke, die auch wiederverwendbar waren, waren nur für 55 Missionen ausgelegt. Nicht wiederverwendbare Triebwerke liegen meist bei weniger als 10 Missionen.
Wenn ich aber so zuverlässige Triebwerke habe, dann sollte ein Triebwerksausfall, gegen den sich SpaceX offensichtlich wappnet, sehr unwahrscheinlich sein und keine Rolle spielen. Der hohe Schubüberschuss wäre also nicht nötig.
Leider zeigen die Teststarts das genaue Gegenteil. Die Raptors sind die derzeit unzuverlässigsten Triebwerke weltweit. Beim Jungfernflug fielen in der Antriebsphase 6 von 33 Triebwerken aus. Seitdem klappte diese Phase, aber vier Tests, bei denen versucht wurde, die Triebwerke im Flug erneut zu zünden, endeten mit Triebwerksausfällen und dem Verlust der Superheavy in zwei Fällen.
Was SpaceX nicht schafft, ist ein Raptor abzuschalten, bevor es explodieren und andere Triebwerke beschädigen kann. Das ist weniger ein Problem des Triebwerks als der Regeltechnik. Erkennt man ein Problem rechtzeitig, so kann man ein Triebwerk abschalten, bevor es sich zerlegt. Rudimentäre Überwachung hatten schon die erste Generation der Space Shuttle-Triebwerke, und diese basierte auf Elektronik der Siebziger Jahre. Dies ist auch nicht geplant, vielmehr sollen die Raptor 3 schlanker werden und so die Umhüllung mit einem Schutzvorhang erlauben. Diese wenig elegante Lösung steht im krassen Widerspruch zu Musks und SpaceX‘ sonstigem Streben, führend in der Technik zu sein.
Nun werden die Raptoren weiterentwickelt auf noch mehr Schub. Die folgende Tabelle informiert über einige Zusammenhänge:
Triebwerk | Raptor 1 | Raptor 2 | Raptor 3 |
---|---|---|---|
Brennkammerdruck: | 250 bar | 300 bar | 350 bar |
Schub (Vakuum) | 178 t | 230 t | 300 t |
Verhältnis Brennkammerdruck | 1,0 | 1,2 | 1,4 |
Verhältnis Schub | 1,0 | 1,29 | 1,68 |
Physikalisch bedingt ergibt sich der Schub aus dem Produkt des Brennkammerdrucks und der Fläche des Düsenhalses. Steigere ich also nur den Brennkammerdruck, so steigt der Schub linear dazu an. Der nicht lineare Schubanstieg beim Raptor 2 erfolgte durch Aufweiten des Düsenhalses. Es ist anzunehmen, dass dies auch beim Raptor 3 in noch größerem Maße stattfindet.
Das hat aber eine negative Folge. Es sinkt das Verhältnis der Düsenendfläche, die gleich groß bleibt und wegen der Enge im Heck der Superheavy auch nicht weiter gemacht werden kann, und des Düsenhalses. Das heißt, das Gas expandiert weniger, hat an der Düsenmündung einen höheren Restdruck und damit mehr Energie, die nicht genutzt werden kann. Die Energieausbeute – eine Maßeinheit wäre der spezifische Impuls – sinkt ab. Vom Raptor 1 zum Raptor 2 zum Beispiel um 30 m/s. Beim Raptor 3 dürfte es noch mehr sein.
Während man immer weniger Energie aus dem Treibstoff herausholt, wird an einer anderen Stelle der Verlust ebenfalls größer. Der Brennkammerdruck muss ja erst erzeugt werden. Dazu verbrennt ein Vorbrenner Teile des Treibstoffs. Er erzeugt so Gas unter hohem Druck. Je höher der Druck sein muss, umso mehr Treibstoff wird in diesem Vorbrenner umgesetzt. Er kann zwar noch nachverbrannt werden, aber einen Teil seiner Energie hat er schon eingebüßt.
Auch hier: Bei einem größeren Durchmesser wäre es kein Problem, einfach mehr Triebwerke einzubauen, anstatt den Schub zu steigern.
Landung
Inzwischen scheint man bei SpaceX ja nachgedacht zu haben. Was mich von Anfang an wunderte, war das man die Landung auf dem Dronenschiff bei SpaceX nicht mehr weiter verfolgte. Bei der Falcon 9 ist dies die häufigste Landemethode und sie ist die mit der geringsten Nutzlasteinbuße. Bei GTO Nutzlasten sinkt diese z.B. von 5,5 auf 3,5 t wenn man Land gelandet wird.
Die Landlandung hat zwei Nachteile: Zum einen muss die Superheavy bei niedriger Geschwindigkeit abgetrennt werden, denn je schneller sie ist desto mehr Treibstoff benötigt sie, um zum Landeplatz zurückzufliegen. Daher ist das Starship so schwer, es wiegt ein Drittel der Superheavy, bei der Falcon 9 Oberstufe ist es nur ein Viertel der Mase der ersten Stufe und optimal bei einer Nicht-Wiederverwendbaren Rakete wäre es in etwa ein Fünftel bis ein Sechstel. So muss das Starship den Großteil der Geschwindigkeit aufbringen und hat eine hohe Leermasse was die Nutzlast stark absinken lässt und es extrem empfindlich gegenüber Gewichtssteigerungen macht.
Nun ist beim Cape Canaveral neben der Rückkehr zum Startplatz eine Landung auf einem Dronenschiff geplant. Ich denke diese einfache – nicht irgendeine technsiche Maßnahme, wird der Schlüssel sein, dass das V3 diese versprochene Nutzlaststeigerung erreicht und nicht die Verlängerung der Stufen und drei Triebwerke mehr im Starship.