Bernd Leitenbergers Blog

Ein Rätsel um Apollo 10?

Bei meiner Recherche zum Gemini Buch habe ich mal wieder in der Wikipedia nachgeschaut und bin über folgenden Passus in der Biographie Eugene Cernans gestolpert:

“In einem Interview, das in einer mehrteiligen Dokumentation namens “When We Left Earth” gezeigt wurde, sagte Cernan über Apollo 10, dass die Aufstiegsstufe “short fueled” war, das heißt dass man sie nicht vollständig aufgetankt hatte. Als Begründung führte er an, dass man seitens der NASA den Astronauten aufgrund ihrer kompetenten Persönlichkeit, nach der sie unter anderem ausgewählt worden waren, nicht ganz traute, sich an die Missionsvorgaben zu halten. “Wenn wir also gelandet wären, hätten wir nicht mehr vom Mond weg kommen können”, schloss er den Kommentar.”

Tja das ist doch mal wieder typisch Wikipedia: Da die Enzyklopädie von Laien gepflegt wird, findet man dort als Quellenangeben eben Fernsehinterviews oder Zusammenfassungen von Pressemitteilungen. So bleibt eben die Qualität niedrig oder auf Hörensagen-Niveau. Das System ist noch anwendbar bei News-Portalen (so veröffentlichen im Prinzip alle Space Websites der US nur Kopien der Pressemitteilungen von Firmen und Raumfahrtbehörden) schon beim deutschen Raumfahrer.net wäre eine Nacherzählung und kritische Würdigung besser als die 1:1 Übersetzung (die zudem oftmals fehlerbehaftet ist). Aber bei einer Enzyklopädie sollte ein Artikel aus einem Guss sein, gut mit Quellen belegt.

Aber zurück zu Apollo 10. Apollo 10 war niemals als Mondlandung ausgelegt. Nach den ursprünglichen Planungen war auch Apollo 11 nicht sicher als erster Mondlandungstermin. Damit diese für Apollo 11 angegangen werden sollte, mussten Apollo 7-10 ohne Probleme verlaufen. Schon diese Missionen wurden sehr schnell immer anspruchsvoller:

Vergleicht man die Fortschritte mit denen von Gemini oder auch den ersten Shuttle Flügen, wo die Schritte viel kleiner war, so ist klar, dass schon diese Missionen recht anspruchsvoll waren und auf den Erfahrungen der jeweils vorhergehenden aufbauten. Eine Mondlandung mit Apollo 10 war daher nie geplant.

Hätten die Astronauten diese gewagt? Ich kann in den Lebensläufen und den bisherigen und nachfolgenden Missionen von Stafford, Cernan und Young nichts erkennen, was auf Rebellentum, Ignorieren der Missionsregeln oder Anweisungen hindeutet. Das gab es bei dem Mercury Flug von Carpenter, bei Apollo 7 und bei Skylab. Warum kommt man also auf die Idee die Astronauten würden selbstständig landen – ohne eine entsprechend vorbereitete Bodenkontrolle, die auch wichtig war (unter anderem weil sie genauere Werte vom Raumschiff hatte und Hintergrundinformationen, z.B. wusste was die 1201/1202 Fehlermeldungen bei Apollo 11 bedeuteten.

Die wichtigste Frage: Hätten sie landen können. Nun anders als die Schreiber von Wikipedia bin ich in der Lage Suchmaschinen zu benutzen. Tippt man z.B. in Google die magischen Worte “Apollo 10 Press kit” und “Apollo 11 Press kit” und folgt man jeweils dem ersten Link, so erhält man das offizielle NASA Presskit. Aus merkwürdigen Gründen traut der Autor diesem mehr als einer Fernsehdokumentation. Da die Presskits 150 Seiten groß sind ist das natürlich etwas umständlicher. Doch auf S.87/S.107 findet man folgende Daten über das LM:

(alle angaben in amerikanischen Pfund) Apollo 10 Apollo 11
Aufstiegsstufe trocken 4.781 4.804
Abstegsstufe trocken 4.703 4.483
RCS Treibstoff 612 604
Abstiegsstufe Treibstoff 18.134 18.100
Aufstiegsstufe Treibstoff 2.619 5.214
Gesamt: 30.849 33.205

Die Aufstiegsstufe war in der Tat nur teilbefüllt. Nur warum sollte sie auch voll befüllt sein? Bei Apollo 10 war nicht vorgesehen die Aufstiegsstufe zu benutzen. Warum sollte sie also voll gefüllt werden? Wenn dadurch Gewicht gespart werden konnte, gab es mehr Reserven für Manöver des Kommandomoduls in der Mondumlaufbahn, z.B. wenn dieses bei einem Notfall mit dem LM koppeln musste anstatt wie vorgesehen den passiven Partner zu stellen.

Relevant für die Landung ist das Trockengewicht und das ist bei der Aufstiegsstufe fast identisch zu Apollo 11. Die Abstiegsstufe ist rund 220 Pfund, also 100 kg schwerer als bei Apollo 11. Doch hätte das eine Landung verhindert? Meiner Ansicht nach nein. Denn Apollo 10 trug anders als Apollo 11 keine Experimente zum Mond, die ja auch etwas wiegen. Dazu kommt das die Treibstoffreserven ja noch eine Zeit des Schwebeflugs vorhersahen. Bei einem Schweben (v= 1.6 m/s²) über die Oberfläche braucht man einen Schub von 24.000 Pfund (10,67 kN).Dabei werden rund 3 kg Treibstoff pro Sekunde verbraucht. 100 kg reichen also für 30 Sekunden mehr, wenn man die leichtere Aufstiegsstufe berücksichtigt (benötigt dann auch weniger Treibstoff), dann sind es vielleicht 15 Sekunden. Bei Apollo 11 blieben aber noch mindestens 770 Pfund Treibstoff übrig, was für 50 Sekunden Betrieb gereicht hat, jede andere Mission hinterließ weitere 500 Pfund mehr Reserven.

Also das Apollo 10 nicht hätte landen können (wenn es vollgetankt gewesen wäre) ist eine Mär. Aber Leute denkt mal nach – wo? Das gesamte Computerprogramm bei Apollo basierte auf einer korrekten Einhaltung des Zündungszeitpunktes, der anhand genauer Vorhersagen der Bahn durch die Missionskontrolle ermittelt wurde. Es gab keine Möglichkeit die Position im Verhältnis zu einem Zielpunkt festzustellen, nur die Höhe über der Mondoberfläche, sobald die Fähre etwa 15 km Höhe erreicht hatte. Bei späteren Apollomissionen wurde der Kurs sogar noch während des Betriebs nachjustiert. Ohne die Missionskontrolle hätte sicher Apollo 10 irgendwo landen können, aber bestimmt nicht da wo es sicher gewesen wäre. Das ergibt keinen Sinn. Apollo 11 verpasste den primären Landepunkt um einige Kilometer und kam deswegen erst in die Treibstoffprobleme, weil bei dieser ersten Mission die Bahn den Veränderungen die durch Mascons, aber auch Bewegungen die beim Abkoppeln und der Inspektion resultieren noch nicht angepasst wurde (was ab Apollo 12 durch ein verändertes Computerprogramm möglich war). Ohne Hilfe der Bodenkontrolle irgendwo genau zu landen? Vergiss es!

Doch angenommen es wäre geglückt was dann? Dann muss auch noch später mit dem CSM ein Rendezvousmanöver durchgeführt werden. Das ist nicht weniger kritisch und auch hier ist die Kenntnis des Landeortes wichtig. Aus zwei Gründen. Zum einen muss das CSM den Landeplatz überfliegen bevor das LM startet. Beide müssen in einer Ebene liegen. Auf der Erde gibt es durch die tägliche Rotation pro Tag ein solches Startfenster, beim Mond wegen der viel langsameren Rotation nur eines alle 14 Tage. Alle Missionen ab Apollo 12 haben daher ein “Borken Plane” Manöver durchgeführt bei der die Bahnebene angepasst wurde. Bei Apollo 11 war dies nicht nötig weil die Bahn direkt über den Äquator führte (aus Sicherheitsgründen). Daher war es auch nicht so schlimm, das Mike Collins aus dem Orbit die Landefähre nicht ausmachen konnte und der Landeort so nicht genau bekannt war.

Das zweite sind dann die Bahndaten der Aufstiegsbahn. Auch diese wurden von der Bodenkontrolle errechnet. Sie musste zum einen wenig Treibstoff verbrauchen und zum anderen eine schnelle Ankopplung gewährleisten, da die Ressourcen begrenzt waren. Apollo 15 hatte nach Erreichen der ersten Transferbahn noch 2,5 % Resttreibstoff, nach Erreichen des Rendezvouskurses waren es noch 1,5 % – genug um die Geschwindigkeit noch um 33 m/s zu verändern – nicht viel. Gemini hatte Manövriertreibstoff für 222 m/s an Bord. Zwar kann man mit beliebig viel Zeit in jedem Fall das CSM erreichen – doch die Vorräte in der Aufstiegsstufe waren begrenzt. Auch hier lag der Schlüssel in einer genauen Kenntnis des Landeorts und einer präzisen Einhaltung des Startzeitpunktes und aufstiegsbahn. Auch hier wäre eine Landung “irgendwo” sehr kontraproduktiv gewesen.

Schade ist eine schöne Story, aber eben nur eine Story.

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