Bernd Leitenbergers Blog

Warum startet Spaceship Two aus der Luft?

Nun kann man die Frage einfach beantworten. Weil die Vorteile überwiegen. Doch betrachten wir es genauer. Nehmen wir zuerst einmal eine suborbitale Mission als Vergleich:

Wir starten hier typischerweise eine Kapsel auf einer Rakete, die dann nach dem Suborbitalen „Hüpfer“ geborgen wird. Das macht zum Einen zumindest eine minimale Startrampe nötig und ein evakuiertes Landegebiet, idealerweise im Meer. Ein Flugzeug das landen kann, und daher leichter wiederverwendet werden kann, ist zwar auch von einer Rakete startbar, doch unterscheidet sich die aerodynamische Belastung durch den Start am Boden. Während Spaceship Two bei Unterschallgeschwindigkeit in 15 km Höhe abgeworfen wird, erreicht eine Rakete die Überschallgeschwindigkeit schon in niedrigerer Höhe. Dadurch wird die Struktur, aber auch Formgebung anders, sein. Ob es unbedingt schwerer wird, muss eine genaue Betrachtung zeigen, weil andere Belastungen wie die durch das Raketentriebwerk oder bei dem Wiedereintritt natürlich auch eine Rolle spielen.

Ich denke dass der logistische Vorteil – kein Startplatz wird benötigt. Start jederzeit von einem Flugplatz aus – der Hauptvorteil ist. wer Tourismus wirklich anbieten will, der ist darauf hingewiesen, dass die Leute möglichst einfach in den Orbit kommen.

So nun zu den energetischen Vorteilen:

  1. Der Start in 15 km Höhe reduziert die Geschwindigkeit um 110 km Gipfelhöhe zu erreichen. Dies ist als einzige Größe exakt berechenbar, da es eine Differenz der potentiellen Energie im Gravitationsfeld ist. Die Differenz entspricht einem Energieunterschied von 137235 J/kg Masse oder in Geschwindigkeit umgerechnet: 1457 m/s zu 1.360 m/s, also rund 100 m/s weniger.
  2. Die aerodynamischen Verluste sind geringer. Dies ist sehr schwer abzuschätzen. Bei Raketen liegt je nach Anfangsgeschwindigkeit in einer Höhe von 15 km die Zone rund um den Max-Q, also der maximalen aerodynamischen Belastung. Die Rakete ist dann schon überschallschnell. Ein Shuttle hat z.B. hier schon eine Geschwindigkeit von rund 500 m/s. Danach sinken diese trotz steigender Geschwindigkeit rasch ab, da nun die Luft schnell dünner wird. Andererseits ist die Form von SpaceShip Two nicht mit einer Rakete zu vergleichen und sie würde bei senkrechtem Aufstieg erheblich höhere Widerstandswerte aufweisen. Durch die Flügel kann aber bei einem schrägen Aufstieg, wie er ja vorliegt sogar noch der Auftrieb durch die Flügelform in der unteren Atmosphäre genutzt werden. Dies scheint bei SpaceShip 2 der Fall zu sein, denn wenn sie in 30 km Höhe Brnnschluss hat dann ist sie nur 1.070 anstatt 1.360 m/s schnell wie es bei einem Start in 15 km Höhe nötig wäre. Nimmt man an, dass rund 50% des Luftwiederstands eingespart werden, so sind dies weitere 70 m/s weniger als ein Start vom Erdboden aus.
  3. geringere Gravitationsverluste: die niedrigere Brennzeit um die Endgeschwindigkeit zu erreichen (es werden ja 170 m/s weniger Endgeschwindigkeit benötigt) bedingt bei einer durchschnittlichen Beschleunigung von 3,5 g eine Reduktion der Gravitationsverluste um 50 m/s
  4. höherer spezifischer Impuls: Der Außendruck in 15 km Höhe liegt unter 150 mbar. Ein Antrieb, dessen Düsenmündungsdruck nun doppelt so hoch wie beim Erdboden liegt ist daher erheblich effektiver. Ich habe dies mal mit der angegebenen Treibstoffkombination Lachgas (N2O)/Kunststoff (CH2)n simuliert. Je nach Mischungsverhältnis liegt der spezifische Impuls um 320 bis 410 m/s höher und zwar um so besser je mehr man sich dem idealen Mischungsverhältnis nähert.

Zusammengefasst: Ein Lachgas Kunststoff antrieb mit 30 Bar Brennkammerdruck und einem spezifischen Impuls von 1850 m/s (2 Bar Düsenmündungsdruck) der 2236 m/s erreichen muss (vom Boden aus) benötigt einen Treibstoffanteil von 70,1% (das entspricht obigen Werten bei 3,5 g mittlerer Beschleunigung 1.457 m/s Geschwindigkeit in senkrechter Beschleunigung und 140 m/s Luftwiderstandsverluste).

Derselbe Antrieb, der in 15 km höhe startet und nur 2002 m/s erreichen muss und bei einem Düsenmündungsdruck von 0,3 Bar arbeitet (spezifischer Impuls 2.360 m/s) benötigt nur einen Treibstoffanteil von 57,2%. Das Gefährt kann also bei gleichem Startgewicht erheblich schwerer sein, eine größere Passagierkabine mitführen. Der Gewinn wird etwas kleiner sein, da der spezifische Impuls auch beim ersten Antrieb noch etwas ansteigt wenn die Rakete an Höhe gewinnt, aber der Vorteil ist offensichtlich. Der Gewinn wird um so höher je schlechter der Antrieb ist, also je kleiner der Brennkammerdruck ist. Leider fand ich außer der Treibstoffkombination hier keine konkreten Daten, sodass ich hier die FCEA Simulation der NASA mit theoretischen Werten genommen habe.

Es lohnt sich also definitiv für Spaceship one/two. Nun der Sprung zu einer Orbitalgeschwindigkeit

Der Gewinn bleibt, nur ist die Auswirkung kleiner. Eine Rakete muss insgesamt rund 9.000 bis 10.000 m/s erreichen um in einen Orbit einzuschwenken (abhängig vom Aufstiegsprofil und Raketentyp). Dann machen die rund 250 m/s Geschwindigkeitseinsparung fast nichts aus. Es sind nur noch 2% der Gesamtgeschwindigkeit anstatt 12%. Auch der höhere spezifische Impuls ist nur von geringer Bedeutung, weil zum einen dort leistungsfähigere Kombinationen eingesetzt werden mit geringerem Gewinn beim spezifischen Impuls und nur bei der ersten Stufe. Zudem gibt es heute Technologien die Düse während des Flugs zu verlängern und sich so dem Umgebungsdruck anzupassen, sodass der Start bei niedrigem Ausgangsdruck nur einen Gewinn für die rund ersten 50 s von typischerweise 500 s Antriebsphase bringt.

Demgegenüber steht, dass die Konstruktion mit Flügeln die Nutzlast erniedrigt, die bei Oribtalmissionen nur noch einige Prozent der Startmasse ausmacht, zudem muss dann noch wenn der Landeteil geflügelt ist auch ein Hitzeschutzschild mitgeführt werden. Vor allem gibt es aber nicht Flugzeuge, die eine Rakete die mehrere Hundert Tonnen wiegt (und so schwer sind die Raketen wenn man einige Tonnen in den Orbit befördern will). Es ist also keine Lösung für orbitale Flüge.

Die mobile Version verlassen