Bernd Leitenbergers Blog

„man rated“ – an den Triebwerktests festgemacht

Der Begriff „man rated“ ist nicht so fest definiert, wie man es gerne hätte und ich denke er hat sich auch im Laufe der Zeit geändert. So würde man wohl die Atlas D und Titan II die man für den Start von Mercury und Gemini benutzt hat sicher nicht mehr heute als „man rated“ bezeichnen. Weiterhin ist es natürlich ein Begriff, der eigentlich auf ein System als ganzes angewandt werden muss. Vereinfacht gesagt muss ein System als Ganzes sicher sein. Die schlechte Zuverlässigkeit früher Trägerraketen wurde durch den Fluchtturm ausgeglichen. Doch ich will mich mal auf etwas beschränken, von dem man relativ viel weiß, den Triebwerken.

Triebwerke werden ausführlich getestet bevor der erste Start ansteht. Es fängt an mit den Tests einzelner Komponenten wie Turbopumpen oder der Brennkammer, es geht weiter über Prototypen. Die Tests fangen an mit kurzen Zündungen an, dann folgen längere Tests. Schließlich welche über die nominelle Betriebsdauer hinaus und unter verschärften Bedingungen wie höhere, Schub als normal. Natürlich werden auch Störungen simuliert.

Dieses Programm durchlaufen alle Triebwerke. Triebwerke für bemannte Einsätze unterscheiden sich dabei von denen für unbemannte Flüge, dass selbst kleine Abweichungen genauer untersucht werden und nach Lösung eines Problems viel mehr weitere Tests erfolgen um wirklich sicher zu sein, das das Problem gelöst ist. Das ergibt sich schon aus der Statistik. Nehmen wir an, ein Triebwerk soll zu 99% zuverlässig sein. Dann ist eine statistische Aussage darüber nur möglich, wenn man mindestens so viele Tests absolviert hat, dass ein Fehler statistisch wahrscheinlich ist. Hier ist es einer bei 100 Einsätzen, also sind mindestens 100 Tests nötig, damit ein solcher statistisch vorkommt. Eher mehr, weil die Fehler ja zufällig auftreten und es genauso wahrscheinlich ist, dass in 100 Tests kein Fehler auftritt wie dass man zwei Ereignisse davon hat. Und 99% Zuverlässigkeit ist für bemannte Einsätze nicht wirklich hoch, während es für unbemannte Einsätze völlig ausreichend ist. Das Shuttle SSME (Block II) hat eine Zuverlässigkeit (und zwar beweisen, nicht berechnet) von 0,9983, basierend auf 970.000 Einsatzsekunden.

Ich will eines herausgreifen von dem das Testprogramm sehr gut bekannt ist: Das F-1 Triebwerk. Beim F-1 Triebwerk gab es bei der Entwicklung zwei Probleme. Das eine war das Problem der Verbrennungsinstabilität. Eine instabile Verbrennung drückt sich in schankenden Brennkammerdrücken und Temperaturen aus, die wiederum Folgen haben können. So muss das Treibstofffördersystem gegen den Brennkammerdruck arbeiten. Schwankt dieser so schwankt auch dei Treibstoffzufuhr und oft ist dies mit Vibrationen verbunden. Beim F-1 trat dies während des zweiten Entwicklungsjahr elfmal vor, dabei wurden drei Triebwerke zerstört. Die Folge war, dass die Anordnung der Blenden im Injektor fünfzehnmal verändert wurde und 14 Injektordesigns erprobt wurden, bis das Phänomen wegging und dann wurde es bewusst durch „Bomb“ tests projiziert wobei es bei neun Fällen gelang einen instabilen Zustand zu induzieren. Danach wurde das Design des Injektors soweit verfeinert bis er den Test bestand. Später gab es ein Problem bei der LOX-Turbopumpe. Viermal zerlegte sich der Flügel der Turbine und zerstörte das Triebwerk. Obwohl dies immer um den gleichen Zeitpunkt herum geschah konnte man keinen Fehler finden. Da es nun schon 1965 war kam eine Neukonstruktion nicht mehr in Frage. Allerdings fiel auf, dass alle Triebwerke bei denen es passierte sehr lange betrieben wurden. Eines über 5.000 s lang. So setzte man eine feste Lebensdauer für die LOX-Turbine von 3.500 s fest die bei Tests und Einsatz nicht überschritten werden dürfte. Trotzdem waren alle am F-1 Testprogramm beteiligten erleichtert, wenn die 110 Flugsekunde verstrichen war – alle vier Vorkommnisse traten zwischen der 107 und 110 Betriebssekunde auf. Insgesamt gab es beim F-1 Triebwerk 28 Vorkommnisse bei den Tests. Die letzten Mitte 1964. Trotzdem wurde weitere drei Jahre getestet um sicher zu sein, dass sie nicht nochmals vorkommen.

Das nächste war die Lebensdauer. Ein F-1 Triebwerk wurde maximal 165 s lang betrieben. Es war jedoch als wiederverwendbar konzipiert und hatte eine Solllebensdauer von 2.250 s und 20 Zündungen. Immerhin bedeutete dies, das die Triebwerke vor dem Start extensiv getestet werden konnten. Jedes Triebwerk hatte vor dem Start folgende Akzeptanztests absolviert:

In der Summe wurde jedes Triebwerk vor dem Start schon 495 s lang getestet, obwohl sie danach maximal 165 s lang betrieben wurden. Auch dies gehörte zum „All up Testing“ : Nicht nur die Beschleunigung indem ganze Träger auch für Testflüge genommen wurden, sondern auch das jedes Triebwerk vor dem Start alleine, mit den anderen zusammen und nochmals in der Stufe integriert getestet wurde. Das führte auch zum Entdecken der Fehlinstallation einer Leitung bei der elften gefertigten S-II Stufe, welche zur Beschädigung von zwei Triebwerken beim letzten Test führte, aber eben vor dem Flug noch korrigiert werden konnte.

Alleine die eingesetzten Triebwerke kamen so auf 336 Tests/Einsätze mit über 50.000 s Betriebszeit. Die Gesamtzahl aller Tests ist noch erheblich höher und darin drückt sich auch der Hauptunterschied zwischen „man rated“ und nicht aus. Hier einige Daten von Triebwerken die ich habe:

 

Triebwerk Tests vor dem ersten Einsatz akkumulierte Betriebszeit vor dem ersten Einsatz nominelle Betriebszeit
F-1 2-471 239.124 s 165 s
SSME 730 110.253 s 480 s
NK-33/43 677 108.000 s 120 s
Vulcain 1 278 87.000 s 590 s
Vulcain 2 122 64.600 s 535 s
RS-38 180 18.915 s 251 s
Merlin 3.200 s 158 s
RD-191  120 24.797 s 207 s

Da die Betriebsdauer eine wichtige Rolle spielt (60.000 s Brenndauer entsprechen 100 Einsätzen bei 600 s Brenndauer oder 500 Einsätzen bei 120 s Brenndauer) habe ich die auch mit aufgeführt. Es ist recht deutlich zu sehen, dass die Testdauer bei den oberen drei Typen die für bemannte Einsätze konzipiert wurden. Das Vulcain steht wohl dazwischen. War die Ariane 5 bei Entwicklungsbeginn für bemannte Einsätze konzipiert, so fiel das später weg. Ich denke am Testprogramm hat es aber nicht mehr viel geändert, weil die Planungen für Hermes doch noch einige Jahre weiter gingen und erst kurz vor dem Jungfernflug es auf „unbestimmte“ Zeit verschoben wird.

Einzigartig ist sicher dieses Testprogramm der F-1 Triebwerke vor dem Einsatz: 495 s Abnahmetests bei einem Triebwerk das später 165 s lang läuft. Das Vulcain wird immerhin noch so lange getestet, wie später die Stufe arbeitet. Dasselbe finden wir bei den NK-33 Triebwerken, die vor dem Einbau in die Taurus II getestet werden. Bei dem Merlin ist es noch ein kurzer statischer Test über wenige Sekunden. Wie es beim RS-68 aussieht weiß ich nicht.

Natürlich sind Tests nur ein Punkt. Es spielt auch die Auslegung des Triebwerks eine Rolle, doch das ist ein anderer Punkt. Klar dürfte aber sein, dass ein Triebwerk, das vor jedem Flug getestet wird, das 500 Tests vor dem ersten Einsatz absolviert hat, nominell besser erprobt ist als eines ohne Prüfung und nur 100 Tests. Das schützt allerdings nicht vor Designfehlern, die erst unter Flugbedingungen auftreten können, wie das axiale Ausbeulen und dadurch das Durchbrennen der Vulcain 2 Düse.

Ich meine aber eines ist sicher: Die NASA die nun auf die Erfahrungen von SSME und F-1 zurückgreifen kann, wird sich nicht auf Designs einlassen die erheblich weniger erprobt sind, wie dies einige postulierte Alternativen sind. Natürlich nur solange, wie es nicht anderen (finanziellen, politischen) Druck gibt. Denn das dies zu Fehlentscheidungen führt zeigte sich schon beim Space Shuttle – er war in der Form nicht zu finanzieren, wie er gewünscht war, wodurch praktisch die Flugsicherheit bis zum Abtrennen der Feststoffbooster geopfert wurde. Das er auch als System nicht die Sicherheit hat, die nötig wäre, wissen wir spätestens seit 1986. Trotzdem gab es keine Alternative, weil niemand eine finanzieren wollte.

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