„man rated“ – an den Triebwerktests festgemacht

Der Begriff „man rated“ ist nicht so fest definiert, wie man es gerne hätte und ich denke er hat sich auch im Laufe der Zeit geändert. So würde man wohl die Atlas D und Titan II die man für den Start von Mercury und Gemini benutzt hat sicher nicht mehr heute als „man rated“ bezeichnen. Weiterhin ist es natürlich ein Begriff, der eigentlich auf ein System als ganzes angewandt werden muss. Vereinfacht gesagt muss ein System als Ganzes sicher sein. Die schlechte Zuverlässigkeit früher Trägerraketen wurde durch den Fluchtturm ausgeglichen. Doch ich will mich mal auf etwas beschränken, von dem man relativ viel weiß, den Triebwerken.

Triebwerke werden ausführlich getestet bevor der erste Start ansteht. Es fängt an mit den Tests einzelner Komponenten wie Turbopumpen oder der Brennkammer, es geht weiter über Prototypen. Die Tests fangen an mit kurzen Zündungen an, dann folgen längere Tests. Schließlich welche über die nominelle Betriebsdauer hinaus und unter verschärften Bedingungen wie höhere, Schub als normal. Natürlich werden auch Störungen simuliert.

Dieses Programm durchlaufen alle Triebwerke. Triebwerke für bemannte Einsätze unterscheiden sich dabei von denen für unbemannte Flüge, dass selbst kleine Abweichungen genauer untersucht werden und nach Lösung eines Problems viel mehr weitere Tests erfolgen um wirklich sicher zu sein, das das Problem gelöst ist. Das ergibt sich schon aus der Statistik. Nehmen wir an, ein Triebwerk soll zu 99% zuverlässig sein. Dann ist eine statistische Aussage darüber nur möglich, wenn man mindestens so viele Tests absolviert hat, dass ein Fehler statistisch wahrscheinlich ist. Hier ist es einer bei 100 Einsätzen, also sind mindestens 100 Tests nötig, damit ein solcher statistisch vorkommt. Eher mehr, weil die Fehler ja zufällig auftreten und es genauso wahrscheinlich ist, dass in 100 Tests kein Fehler auftritt wie dass man zwei Ereignisse davon hat. Und 99% Zuverlässigkeit ist für bemannte Einsätze nicht wirklich hoch, während es für unbemannte Einsätze völlig ausreichend ist. Das Shuttle SSME (Block II) hat eine Zuverlässigkeit (und zwar beweisen, nicht berechnet) von 0,9983, basierend auf 970.000 Einsatzsekunden.

Ich will eines herausgreifen von dem das Testprogramm sehr gut bekannt ist: Das F-1 Triebwerk. Beim F-1 Triebwerk gab es bei der Entwicklung zwei Probleme. Das eine war das Problem der Verbrennungsinstabilität. Eine instabile Verbrennung drückt sich in schankenden Brennkammerdrücken und Temperaturen aus, die wiederum Folgen haben können. So muss das Treibstofffördersystem gegen den Brennkammerdruck arbeiten. Schwankt dieser so schwankt auch dei Treibstoffzufuhr und oft ist dies mit Vibrationen verbunden. Beim F-1 trat dies während des zweiten Entwicklungsjahr elfmal vor, dabei wurden drei Triebwerke zerstört. Die Folge war, dass die Anordnung der Blenden im Injektor fünfzehnmal verändert wurde und 14 Injektordesigns erprobt wurden, bis das Phänomen wegging und dann wurde es bewusst durch „Bomb“ tests projiziert wobei es bei neun Fällen gelang einen instabilen Zustand zu induzieren. Danach wurde das Design des Injektors soweit verfeinert bis er den Test bestand. Später gab es ein Problem bei der LOX-Turbopumpe. Viermal zerlegte sich der Flügel der Turbine und zerstörte das Triebwerk. Obwohl dies immer um den gleichen Zeitpunkt herum geschah konnte man keinen Fehler finden. Da es nun schon 1965 war kam eine Neukonstruktion nicht mehr in Frage. Allerdings fiel auf, dass alle Triebwerke bei denen es passierte sehr lange betrieben wurden. Eines über 5.000 s lang. So setzte man eine feste Lebensdauer für die LOX-Turbine von 3.500 s fest die bei Tests und Einsatz nicht überschritten werden dürfte. Trotzdem waren alle am F-1 Testprogramm beteiligten erleichtert, wenn die 110 Flugsekunde verstrichen war – alle vier Vorkommnisse traten zwischen der 107 und 110 Betriebssekunde auf. Insgesamt gab es beim F-1 Triebwerk 28 Vorkommnisse bei den Tests. Die letzten Mitte 1964. Trotzdem wurde weitere drei Jahre getestet um sicher zu sein, dass sie nicht nochmals vorkommen.

Das nächste war die Lebensdauer. Ein F-1 Triebwerk wurde maximal 165 s lang betrieben. Es war jedoch als wiederverwendbar konzipiert und hatte eine Solllebensdauer von 2.250 s und 20 Zündungen. Immerhin bedeutete dies, das die Triebwerke vor dem Start extensiv getestet werden konnten. Jedes Triebwerk hatte vor dem Start folgende Akzeptanztests absolviert:

  • einen Test mit 40 s Dauer
  • einen weiteren Test über 165 s Dauer
  • Einen Tests mit vier anderen Triebwerken mit 125 s Dauer. (Das Maximum das beim Michoud Teststand möglich war, bevor das abnehmende Gewicht des darüberlegenden Treibstoffs geringer als der Schub der Triebwerke war).
  • Danach wurden die Triebwerke in die S-IC eingebaut und die komplette Stufe absolvierte in Huntsville einen erneuten Test über die volle Betriebsdauer von 165 s.

In der Summe wurde jedes Triebwerk vor dem Start schon 495 s lang getestet, obwohl sie danach maximal 165 s lang betrieben wurden. Auch dies gehörte zum „All up Testing“ : Nicht nur die Beschleunigung indem ganze Träger auch für Testflüge genommen wurden, sondern auch das jedes Triebwerk vor dem Start alleine, mit den anderen zusammen und nochmals in der Stufe integriert getestet wurde. Das führte auch zum Entdecken der Fehlinstallation einer Leitung bei der elften gefertigten S-II Stufe, welche zur Beschädigung von zwei Triebwerken beim letzten Test führte, aber eben vor dem Flug noch korrigiert werden konnte.

Alleine die eingesetzten Triebwerke kamen so auf 336 Tests/Einsätze mit über 50.000 s Betriebszeit. Die Gesamtzahl aller Tests ist noch erheblich höher und darin drückt sich auch der Hauptunterschied zwischen „man rated“ und nicht aus. Hier einige Daten von Triebwerken die ich habe:

 

Triebwerk Tests vor dem ersten Einsatz akkumulierte Betriebszeit vor dem ersten Einsatz nominelle Betriebszeit
F-1 2-471 239.124 s 165 s
SSME 730 110.253 s 480 s
NK-33/43 677 108.000 s 120 s
Vulcain 1 278 87.000 s 590 s
Vulcain 2 122 64.600 s 535 s
RS-38 180 18.915 s 251 s
Merlin 3.200 s 158 s
RD-191  120 24.797 s 207 s

Da die Betriebsdauer eine wichtige Rolle spielt (60.000 s Brenndauer entsprechen 100 Einsätzen bei 600 s Brenndauer oder 500 Einsätzen bei 120 s Brenndauer) habe ich die auch mit aufgeführt. Es ist recht deutlich zu sehen, dass die Testdauer bei den oberen drei Typen die für bemannte Einsätze konzipiert wurden. Das Vulcain steht wohl dazwischen. War die Ariane 5 bei Entwicklungsbeginn für bemannte Einsätze konzipiert, so fiel das später weg. Ich denke am Testprogramm hat es aber nicht mehr viel geändert, weil die Planungen für Hermes doch noch einige Jahre weiter gingen und erst kurz vor dem Jungfernflug es auf „unbestimmte“ Zeit verschoben wird.

Einzigartig ist sicher dieses Testprogramm der F-1 Triebwerke vor dem Einsatz: 495 s Abnahmetests bei einem Triebwerk das später 165 s lang läuft. Das Vulcain wird immerhin noch so lange getestet, wie später die Stufe arbeitet. Dasselbe finden wir bei den NK-33 Triebwerken, die vor dem Einbau in die Taurus II getestet werden. Bei dem Merlin ist es noch ein kurzer statischer Test über wenige Sekunden. Wie es beim RS-68 aussieht weiß ich nicht.

Natürlich sind Tests nur ein Punkt. Es spielt auch die Auslegung des Triebwerks eine Rolle, doch das ist ein anderer Punkt. Klar dürfte aber sein, dass ein Triebwerk, das vor jedem Flug getestet wird, das 500 Tests vor dem ersten Einsatz absolviert hat, nominell besser erprobt ist als eines ohne Prüfung und nur 100 Tests. Das schützt allerdings nicht vor Designfehlern, die erst unter Flugbedingungen auftreten können, wie das axiale Ausbeulen und dadurch das Durchbrennen der Vulcain 2 Düse.

Ich meine aber eines ist sicher: Die NASA die nun auf die Erfahrungen von SSME und F-1 zurückgreifen kann, wird sich nicht auf Designs einlassen die erheblich weniger erprobt sind, wie dies einige postulierte Alternativen sind. Natürlich nur solange, wie es nicht anderen (finanziellen, politischen) Druck gibt. Denn das dies zu Fehlentscheidungen führt zeigte sich schon beim Space Shuttle – er war in der Form nicht zu finanzieren, wie er gewünscht war, wodurch praktisch die Flugsicherheit bis zum Abtrennen der Feststoffbooster geopfert wurde. Das er auch als System nicht die Sicherheit hat, die nötig wäre, wissen wir spätestens seit 1986. Trotzdem gab es keine Alternative, weil niemand eine finanzieren wollte.

7 thoughts on “„man rated“ – an den Triebwerktests festgemacht

  1. Das eine, das die SSME, F-1 und NK-33 Triebwerke gemeinsam haben, ist in erster Linie der technische Stand zum Zeitpunkt der Entwicklung.

    Alle drei waren Pionierleistungen, die den Bereich des technisch Möglichen überschritten – und somit erweiterten. Sie litten unter einer langen Reihe komplexer Probleme und mussten immer wieder aufs neue getestet werden, um zu sehen ob die Modifikationen wirklich funktionieren.

    Das Merlin hatte nie diese Ambition. Es hat keinen besonders hohen Schub, keinen ungewöhnlich hohen spezifischen Impuls, benutzt eine vereinfachte Einspritzung in die Brennkammer, setzt die konservativste Treibstoffmischung und einen Gas-Generator-Zyklus ein.

    Es sollte nicht überraschen, dass SpaceX viel weniger testen muss, wenn sie längst erprobte Technologie zum Einsatz bringen anstatt neue technische Großtaten zu vollbringen.

    Und bis die bemannten Missionen kommen, hat SpaceX noch sehr viel Zeit. In der Zwischenzeit läßt man die Falcon 9 fliegen und sammelt Erfahrung sowohl mit dem Triebwerk, als auch mit dem Gesamtsystem. Danach kann man in der direkten Vorbereitung auf bemannte Missionen immernoch Stundenweise Testzeit auf dem Teststand buchen – ohne das diese Tests durch die bis dahin durchgeführten Flüge in der geringsten Weise an Wert verlieren würden. Ganz im Gegenteil.

  2. Wenn man eine Rakete nur durch die Zuverlässigkeit im praktischen Einsatz als “man rated” qualifizieren will, braucht man dafür mehrere hundert Flüge. Bis SpaceX die zusemmenbekommt dauert das Jahrzehnte. In dieser Zeit schafft es selbst die NASA mit ihrer übertriebenen Bürokratie, eine “man rated” Rakete samt Triebwerk neu zu entwickeln.

    Zu der Feststellung, daß SpaceX nur seit langem bewährte Technik einsetzt, stellt sich mir eine Frage: Warum sind sie dann so weit hinter ihrem Zeitplan zurück? Technik, die eigentlich schon ein alter Hut ist, sollte man ohne größere Probleme im Griff haben.
    Oder liegt das daran, daß diese „alten Hüte“ für SpaceX doch Pionierleisetungen sind, mit allen daraus entstehenden Konsequenzen? Einige Fakten deuten darauf hin, daß es so ist, wie die Probleme durch Verzicht von Prallblechen und Retroraketen. Erfahrenen Fachleuten wären solche Anfängerfehler nie passiert. Oder durften sie nicht? Wenn aber alles was zur sicheren Funktion nötig ist von ahnungslosen Laien in der Führung verboten wird, kommt man wohl nie zu einer “man rated” Konstuktion. Das gilt nicht nur für Triebwerke und Raketen, auch für die Raumkapsel selber.

  3. Ich finde es interessant, das ohne das ich die Firma anspreche, andere das einbringen. Die Alternativen die ich sehe sind eher RS-68 und RD-180. Das eine sollte in der Ares V eingesetzt werden und für die Atlas haben sich schon einige Firmen als Träger ihrer Entwürfe für den kommerziellen Crewtransport ausgesprochen, so sogar Boeing welche ja selbst einen Träger fertigen, der für ihr Raumfahrzeug geeignet wäre,

  4. Hier noch eine Ergänzung für die Tabelle:

    RD-191 (1. Stufe der Angara) 17.000 s
    14D23 / RD-0124 (2. SStufe der Angara) mehr als 50.000 s

    Beide Triebwerke benutzen die gleiche Treibstoffkombination wie das Merlin.
    Wobei das RD-191 noch nicht mal eine Neuentwicklung ist, sondern aus dem RD-170 / RD-180 abgeleitet wurde.
    Dagegen ist das RD-124 eine völlige Neuentwicklung. Beides keine wirklichen Pionierleistungen mit neuen Treibstoffen, aber trotzdem deutlich höhere Testzeiten.

    Quelle: http://www.russianspaceweb.com/angara.html
    (Damit es nicht wie bei Copyberg aussieht)

  5. Die Aussage ist merkwürdig. Zum einen benutzt die Naro-1 kein RD-191, sondern die schubschwächere RD-151 Variante – auf die man die Testzeiten des „großen Bruders“ nicht wirklich anwenden kann.

    Aber selbst wenn es das RD-191 wäre, würde die Aussage nur bekräftigen was ich bereits sagte. Nämlich dass die bloße Menge der kumulierten Testzeit wenig Aussagekraft bezüglich der letztlichen Zuverlässigkeit eines Triebwerkes hat.

    Denn ansonsten hätten von den 24 Merlin 1C Triebwerken die bisher geflogen sind schon mehrere ausfallen müssen.

  6. Das RD-151 ist ein Ableger des RD-191. Wenn Du dem obigen link von elendsoft folgst findest Du auch, dass der Fehlstart der NARO-1 den Jungfernflug der Angara von 2012 auf 2013 verschoben hat, weil man sicher gehen muss, dass das RD-191 nicht davon betroffen ist.

    Es ist bisher ein Merlin ausgefallen – beim ersten Start der Falcon 1, als es einen Brand gab nach einer korrodierten Mutter.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.