Bernd Leitenbergers Blog

Gut, dass wir verglichen haben!

Eine Frage die ich als bekennender Ionentriebwerksfan immer wieder gestellt bekomme, ist warum denn trotz der Vorteile es immer bei Papierstudien bleibt. Wer mal bei NASA oder ESA nachstöbert stellt fest, dass es dort Zig innovative Konzepte gibt, bis hin zu welchen die sogar mir sehr utopisch erscheinen, wie die, nur mit dem Strom den RTG liefern, zu Saturn bis Pluto mittels Ionentriebwerken zu fliegen.

Nun unbestritten ist, das Ionentriebwerke der Kindheit entwachsen sind. Mann kann sie sicher noch optimieren wie auch heute ein Vinci Triebwerk leistungsfähiger als das RL-10A ist, doch sie haben ihre Nützlichkeit als Lagereglungsantrieb (Eureca, Artemis) und Hauptantrieb (Smart-1, DS-1, Dawn) bewiesen und Bepi-Colombo wird ebenfalls Ionentriebwerke einsetzen. Dawn wird damit die Geschwindigkeit um 11 km/s ändern, was fast so viel ist, wie die 200 t schwere Delta 2 lieferte.

Warum haben sie sich noch nicht außerhalb von Raumsonden, die herkömmlich auf Fluchtgeschwindigkeit beschleunigt wurden, durchgesetzt? Nun ich will das an einem Vergleich zeigen. Und zwar an einem zwischen Fahrrad und Golf

Fahrrad Golf V Variant
Eigengewicht: < 20 kg 1154 kg
Zuladung 120 kg 622 kg
Verhältnis Eigengewicht/Zuladung 6:1 0,53
Energieverbauch pro 100 km 6400 kJ 312800 kg
pro Kilogramm Zuladung 53,4 kJ 503 kJ
Dauergeschwindigkeit 18 km/h 150 km/h
Kohlendioxidausstoß (g/km) 7,1 158
Treibstoff: jede essbare organische Substanz, unabhängig von endlichen Ressourcen abhängig von endlich vorhandenem Erdöl

Also wenn man sich die Tabelle anschaut, dann ist das Fahrrad in praktisch allen Kriterien besser. Es weist eine höhere Nutzlast auf, der Energieverbauch und Kohlendioxidausstoß ist geringer, es (bzw. der des Fahrers) kommt mit nachwachsenden Ressourcen aus. Nur in einem nicht: in der Höchstgeschwindigkeit. Trotzdem fahren die meisten mit dem Auto, obwohl es mehr Fahrräder als Autos gibt und 80% aller Fahrten mit dem Auto so kurz sind, dass man auch ein Fahrrad nutzen könnte.

Das gleiche gilt in gewisser Weise bei Ionentriebwerken, wenn wir mal von Raumsondenmissionen absehen, also den Brot- und Buttereinsatz vom LEO in den GEO betrachten. Die Parallele: Mit dem Fahrrad kann man mehr Zuladung gemessen an dem Gewicht des Vehikels transportieren, aber es dauert eben länger um von A nach B zu gelangen. Es ist ungeeignet wenn man lange Strecken in kurzer Zeit zurücklegen muss (man kann genauso wenig mit Ionentriebwerken von der Erde starten wie mit Fahrrädern innerhalb weniger Stunden nach Italien fahren). Kommunikationssatelliten erreichen innerhalb von wenigen Tagen mit chemischen Antrieb die GEO Bahn, mit Ionentriebwerken dauert es Monate. Es ist gefährlicher mit dem Fahrrad zu fahren und auch der lange Transfer durch den van Allen Gürtel könnte gefährlich sein.

Machen wir uns nichts vor. Trotz Jammerns über steigende Startkosten ist es so, dass die Betreiber von Kommunikationssatelliten sich ganz gut an die derzeitige Technologie gewöhnt haben. Der Start selbst macht nur einen kleinen Anteil der Gesamtbetriebskosten aus. Typischerweise kostet heute der Start eines Kommunikationssatelliten rund 100 Millionen Dollar. Seine Fertigung ist etwa doppelt so teuer, dazu kommt noch die Versicherung und die Betriebskosten. Die Startkosten machen so nur ungefähr 25-30% der Gesamtkosten aus. Warum also Risiken eingehen und Entwicklungskosten aufwenden, wenn’s doch so schon gut läuft? Zumal auch eines gegengerechnet werden muss: in der Zeit in der der Satellit unterwegs ist, könnte er im Orbit ja schon Geld verdienen.

Das ganze geht solange gut, bis Ende der Fahnenstange ist. Wenn man mit dem Fahrrad schneller zum Geschäft kommt als im Stau zu stehen, wenn das Carsharing sinnvoller als ein eigenes Auto ist, dann fangen die Leute an umzusteigen und Betreiber von Satelliten werden Alternativen in Betracht ziehen, wenn es schwer wird ihre immer schwereren Ungetüme in den Orbit zu bekommen, was angesichts der derzeitigen Situation mit mehr Trägern auf dem Weltmarkt als Starts aber eher unwahrscheinlich ist.

Zeit also, für die Raumfahrtagenturen, Entwicklungsarbeit zu leisten, so wie sie ja praktisch überall tun müssen. Kommerzielle Firmen entwickeln ja nur noch was neues wenn es von staatlichen Raumfahrtagenturen gefordert wird, man könnte ja Risiken eingehen….

Also hier ein weiterer Vorschlag Ionentriebwerke salonfähig zu machen. Bei der Erprobung der Vega sind 5 subventionierte Starts im Rahmen des VERTA Programms vorgesehen, warum nicht einen davon nutzbringend einsetzen? Ich habe ja schon mal das Konzept einer Ionentriebwerksstufe für die Vega skizziert, mit der man Nutzlasten die Sonst nur eine Sojus transportieren könnte mit der Vega auf Fluchtgeschwindigkeit bringen kann. Ein Start der Vega wäre ganz nützlich um diese zu erproben und gleichzeitig Bedenken bei der Industrie zu minimieren. es geht also darum zu demonstrieren, dass Ionentriebwerke nicht nur wie bisher als Lageregelungstriebwerke oder auf Fluchtbahnen betrieben werden können, sondern auch nahe der Erde und ohne dass dies der Nutzlast schadet.

Die Herausforderung dabei ist, dass bei einer erdnahen Umlaufbahn ein Ionentriebwerk nur arbeiten kann wenn es auf der Sonnenseite der Erde ist, das sind anfangs etwa 60% der Gesamtzeit, das erhöht auch den Aufwand für die Kontrolle und Missionsüberwachung, weil man nicht dauernd Funkkontakt hat. Sehr bald spiralt sich die Nutzlast aber höher und dieses Problem wird kleiner. Dafür tritt ein anderes auf: die Raumsonde wird sich Wochen im Van-Allen Gürtel aufhalten. Die Frage ist: wie wirkt sich dies auf Elektronik und Verkabelung aus? Also einfach auch hier Gelegenheit dies auszuprobieren. Das könnte geschehen, indem die Nutzlast eben nur die Aufgabe hätte, diese Frage zu klären, z.B. eben ein verkleinertes Modell eines Kommunikationssatelliten genommen wird und seine Elektronik mehrfach vorkommt mit unterschiedlichen Schilden um vor Strahlung zu schützen und mit Meßsensoren für die Strahlungsdosis in den Elektronikkompartimenten, Bestimmt würde so die Strahlenbelastung aber auch wie die Elektonik so bei unterschiedlicher Abschirmung funktioniert. Ich möchte daran erinnern, das Hipparcos, der ja im GTO-Orbit strandete und dem man ein baldiges Verscheiden prognostizierte weil er jden Tag mehr als zweimal den Van-Allen Gürtel durchflog mehr als doppelt so lange arbeitete wie vorgesehen.

Irgendwann ist die Nutzlast im GEO Orbit angekommen und was hat man gewonnen?

Das sind dann Fakten die man nutzen kann, um Vorteile und Nachteile abzuwägen. Die „Nutzlast“ könnte dann ausgedient haben, oder wenn man etwas schlauer ist (so um die 1000 kg Netto müssten noch ankommen, was immerhin rund 1.700 kg in einer GTO Bahn entspricht) könnte man wirklich einen für heutige Zwecke „Mini“-Kommunikationssatelliten transportieren, denn man vielleicht als Ergänzung nutzen kann, z.B. um Daten der erdnahen ESA Satelliten zu empfangen und als Relais zu dienen.

Daraus könnte dann zwei Dinge werden:

Dieser Mixed Betrieb setzt voraus, dass die ESC-B Stufe kommt. Das würde dann so gehen: Die Ariane 5 startet zuerst in eine LEO Bahn in welche sie etwa 23 t transportiert. Dann wird die obere Nutzlast (Kommunikationssatellit mit Ionenentriebwerksstufe) abgetrennt. Danach die Spelda und die Stufe zündet erneut und bringt die untere Nutzlast in einen GTO Orbit. Damit ist sowohl der reine chemische Transport (11,5 in GTO, 7,1 t in GEO) wie der reine Ionentransport (> 11,5 t in GEO, abhängig von der Zeit die man sich lässt) wie auch ein Mischbetrieb (7,1 bis 11,5 t in GEO) möglich. Bei Ariane 5 ist wegen der Optimierung auf GTO Transporte der Gewinn sogar geringer als möglich, da die volle LEO Nutzlast nicht ausgenutzt wird (für ATV Missionen wird die ESC-B z.B. nur 17,5 anstatt 27,5 t Treibstoff fassen). Bei anderen Trägern wie Proton, Zenit oder Falcon 9 wäre der Sprung deutlich höher, da dort typischerweise nur ein fünftel bis Sechstel der LEO Nutzlast im GEO ankommt, während es bei Ariane 5 fast ein Drittel ist.

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