Bernd Leitenbergers Blog

Die engine out capability

Also erst Mal einen Dank an ALDI und SpaceX – dank des Trekking Fahrrades im aktuellen ALDI Prospekt und des SpaceX Startversuchs wurde der Sonntag der bisher am meisten besuchte Tag des Blogs. Und SpaceX ist doch auch ein schönes Thema.  Zeit einmal die viel beschworene Engine-out capability zu beurteilen. Zum einen, was ist das und wie ist es nützlich.

Es ist die Fähigkeit ein Triebwerk während des Fluges abzuschalten und diesen Ausfall auch abzufangen. Das erste ist relativ gut beherrschbar. Heute kann man so viele Triebwerksdaten in so kurzer Zeit verarbeiten, dass man selbst bei gravierenden Ereignissen noch rechtzeitig die Ventile zu einem Triebwerk schließen kann. Als zusätzlichen Schutz kann man jedes Triebwerk durch einen Kevlarvorhang vor Splittern schützen.

Das ist Punkt 1, schwieriger ist Punkt 2. Was passiert bei einem Triebwerksausfall? Der erste Punkt ist, der Schub fällt ab. Nehmen wir an, es ist recht spät, dann ist die einfachste Folge, dass man einen höheren Treibstoffverbrauch hat. Bei der ersten Stufe (die oberen Stufen haben meist weniger Triebwerke, sodass ein Ausfall kaum abfangbar ist) ist die Hauptaufgabe, eine Aufstiegsbahn zu erreichen die ihren Scheitelpunkt in der Höhe des Orbits hat. Nur der Teil der Beschleunigung, der über 1 g hinaus geht, bewirkt eine Beschleunigung in der Vertikalen, also einer Aufstiegsbahn mit dem gewünschten Scheitelpunkt (später kann man noch einen Teil für den Aufbau der horizontalen Beschleunigung nutzen). Fällt nun spät ein Triebwerk aus, so fehlt Beschleunigung was sich in einem höheren Treibstoffverbauch neiderschlägt, da nun die Erdgravitation länger wirkt (die Brenndauer ist ja durch das ausgefallene Triebwerk verlängert).

Problematischer ist ein Ausfall sehr kurz nach dem Start. Die Falcon 9 der COTS Flüge wiegt rund 314 t nach SpaceX Presskit. (ich meine es sind mehr, da die Brenndauer der Stufen länger als COTS 1 sind, die Tabelle aber vom ersten Presskit übernommen wurde) Der Startschub beträgt 3.800 kN. Das entspricht einer Beschleunigung von 12,1 m/s. Das ist auch die Minimalbeschleunigung die ein Träger aufweisen darf. Bei meinen Recherchen für die Saturn stolperte ich immer wieder über die Beschleunigung 1,25 g (12,26 m/s) als Minimalwert. Darunter steigen die Gravitationsverluste stark an und auch die Steuerung ist schwieriger. Das letzte ist leicht nachvollziehbar. Eine Rakete die gerade mit 1 g beschleunigt also praktisch still steht ist nicht gerade stabil, eine Rakete die ständig schneller wird, ist durch ihre Geschwindigkeit stabiler. Aus diesem Grunde musste bei der Saturn auch bei Ausfall eines Triebwerks eine Beschleunigung von mindestens 1,25 g gewährleistet sein.

Überträgt man dieses Kriterium auf die Falcon 9, so müsste sie mit mehr als 13,7 m/s beschleunigen um einen Triebwerksausfall direkt nach dem Start abzufangen. Sie startet aber mit 12,1 m/s. So ist die Engine-out capability nicht nach dem Start gegeben.

Das zweite Kriterium ist die Steuerbarkeit nach dem Ausfall. Es gibt hier zwei Möglichkeiten. Das eine ist es ein gegenüberliegendes Triebwerk abzuschalten und so die Schubsymmetrie aufrecht zu erhalten. Das ist die technisch einfachste Lösung, bedeutet aber dass man noch größere Reserven im Treibstoffvorrat und beim Startschub vorrätig halten muss. Das zweite ist die Möglichkeit die Triebwerke zu schwenken und so den asymmetrischen Schub aufzufangen. Bei den bei der Falcon eng zusammenliegenden Düsen erscheint es sehr schwer denkbar, dass sie so weit geschwenkt werden können um einen Ausfall aufzufangen.

Immerhin gibt es hier einen Präzedenzfall. Beim Arianestart V36 fiel ein Triebwerk nicht aus, aber der Brennkammerdruck betrug nur knapp die Hälfte. Trotz acht Triebwerken in der ersten Stufe fiel es immer schwerer diesen asymmetrischen Schub (das Triebwerk hatte nun nur noch 50% seiner Leistung) auszugleichen. Nach 90 s standen die Triebwerke beim Maximalausschlag und konnten den asymmetrischen Schub nicht mehr kompensieren, die Rakete drehte sich und 11 s später gab es Brüche in der Struktur, die das Selbstzerstörungssystem auslösten.

In diesem falle konnte also bei acht Triebwerken nicht der teilweise Ausfall eines Triebwerks kompensiert werden.

Basierend auf diesen Daten kann man nun folgendes ableiten:

Falcon 9 (Merlin 1C) Falcon 9 (Merlin 1D) Falcon Heavy
Mittleres Triebwerk darf ausfallen nach 44 s 41 s 10 s
Äußere Triebwerke dürfen ausfallen nach 67 s 65 s 26 s

Die Daten beruhen auf der Annahme, dass die Beschleunigung nicht unter 1,25 g fallen darf und den von SpaceX angegebenen Werten für den Schub und Startmasse (Merlin 1C: 423 kN, Merlin 1D: 620 kN, Falcon 9: 314 und 4780 t, Falcon Heavy 1.400 t) sowie der Annahme, dass bei einem Ausfall eines äußeren Triebwerks zwei Triebwerke abgeschaltet werden müssen, während beim mittleren Triebwerk die Symmetrie erhalten bleibt.

Man sieht: die Falcon Heavy ist hier gutmütiger, aber durch 27 Triebwerke ist ein Ausfall auch dreimal wahrscheinlicher.

Schwer zu beziffern ist der erhöhte Treibstoffverbrauch. Man findet aber bei SpaceX keinerlei Angaben, dass es hier Reserven gibt um diesen aufzufangen. Dabei ist dieser unstriittig aufgrund der höheren Gravitationsverluste. Im Extremfall (zwei Triebwerke werden nach 67 s abgeschaltet) müssten die verbliebenen Triebwerke 31,7 s länger arbeiten, was bedeutet, dass die Erdbeschleunigung 31,7 s lang länger auf den Träger winwirken kann. Das dies mit einem höheren Treibstoffverbrauch einhergeht, dürfte klar sein. Genaue Werte sind jedoch nur bei Kenntnis der Aufstiegsbahn ermittelbar.

Natürlich, nur um dies noch zu erwähnen ist ein Ausfall bei der zweiten Stufe nicht abfangbar. Aufgrund dessen ist die Zuverlässigkeit schwer direkt berechenbar. Ich habe daher eine Monte Carlo Simulation durchgeführt. Dreh- und Angelpunkt ist natürlich die unbekannte Zuverlässigkeit eines Triebwerks. Das Vulcain 1 wurde für eine Zuverlässigkeit von 0,9946 ausgelegt. Es wurde anders als die Merlin wirklich extensiv getestet. Nimmt man dieses Kriterium auch für die Merlin an, so ergibt sich für die Falcon 9 eine Zuverlässigkeit von 0,977 und für die Falcon Heavy eine von 0,974. Das sind natürlich nur die Werte für die Triebwerke, andere Ereignisse die Katastrophal sein können (Stufentrennung, Steuerung, Avionik …) sind nicht berücksichtigt. Nimmt man nur 0,99 an, so sinkt die Zuverlässigkeit schon auf 95,8% (Falcon 9) bzw. 95,3% (Falcon Heavy) ab.

Doch man kann auch das vorliegende Datenmaterial nehmen. Bisher gab es fünf Falcon 1 Starts und zwei Falcon 9 Starts. Beim ersten Falcon 1 Start fiel ein Merlin aus, und beim letzten Falcon 9 Start ebenso. Bei 25 eingesetzten Triebwerken sind dies zwei Ausfälle oder eine Zuverlässigkeit von 23/25 oder 0,92. Nimmt man dies als Vorgabe für die Simulation, so wird es wirklich übel: 70,4% für eine Falcon 9 und 67,7% für eine Falcon Heavy. Das halte ich schon für zu gering. Doch irgendwo zwischen 0,985 und 0,99 würde ich die Triebwerke schon einsortieren. Das ergibt dann eine Zuverlässigkeit der Rakete von 0,93 bis 0,958 je nach Konfiguration. Ariane 5 sollte 0,985 aufweisen.

Die Zahl hat nicht nur akademische Bedeutung: Sollte die Versicherungsprämie um 5% höher sein, so ist bei den typischen Kosten eines kommerziellen Starts dies mit Mehrkosten von rund 12,5 Millionen Dollar bei einem Falcon 9 Start verbunden, die natürlich den niedrigeren Startpreis der Rakete relativieren (oder sie um diesen Betrag teurer machen. Bei der Falcon Heavy wären es wegen der teureren Satelliten (größere Nutzlast) rund 26 Millionen Dollar.

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