Bernd Leitenbergers Blog

Visionen von Raumfahrt und Forschung

Heute wieder ein Gastblog von Hans, der sicher genug Diskussionsstoff für einige Tage liefert:

Angeregt von der Diskussion hier jetzt mal ein längerer Beitrag dazu, auch wenn meine Kommentare im Blog nicht wirklich kurz sind. Wie sich heraus gestellt hat, sehe ich ja einige Dinge etwas anders, das will ich hier jetzt näher erläutern.

Ich hole weit aus und fange mit einem Beispiel aus der SF an: Es gibt doch die Serie Stargate Atlantis, die sich zumindest in den Gründzügen auch an die Atlantislegende hält, die uns von den alten Griechen überliefert ist: Eine von einer technologisch sehr fortgeschrittenen Hochkultur erbaute, mehrere tausend Jahre alte Stadt, die im Meer versunken ist. Diese Stadt bietet dem menschlichen Forscherteam das dort hin kommt, neben einer Unterkunft eine Menge technischer Wunder deren Erforschung einen grossen Teil der Serienhandlung ausmacht. Eines ist die Möglichkeit, dass die Stadt immer noch bewohnbar ist, obwohl sie auf dem Meeresgrund liegt. Ein weiteres, dass sie im Laufe der Handlung auftaucht, und dann in der Regel auf dem Ozean schwimmt. Das spektakulärtste Wunder dieser Stadt ist jedoch, das sie Triebwerke besitzt, mit denen sie von einer Planetenoberfläche abheben und als interstellares Raumschiff von einem Planeten zum Nächsten fliegen kann, der sich auch in einer benachbarten Galaxie befinden kann. In einem Fanforum wurde dazu mal die Frage nach den Kosten aufgeworfen, die so ein Projekt erfordern würde. Meine Antwort auf diese Frage war und ist, das es der Kultur, die dieses Projekt realisiert hat, auf die Kosten nicht ankam, sondern das es zum einen darum ging die technologischen Fähigkeiten bis zum Maximum auszutesten und zum anderen eine mobile Basis zu haben, mit der sie das Universum noch weiter erfoschen konnten als es ihnen ohnehin schon möglich war. Über das Gesellschaftssystem der Antiker, wie diese Hochkultur in den Stargateserien heisst, die u.a. auch dieses Atlantis gebaut haben, wird zwar nicht viel gesagt, aber meiner Ansicht nach sahen sie die Erforschung der Universums als kulturelle Aufgabe an, die sie unter anderem mit dieser Stadt angegangen sind.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, was diese Einleitung mit Bernd’s Blogbeitrag zu tun hat? – Nun, ganz einfach: So wie ich die Intensionen der Antiker zum Bau von Atlantis interpretiere, so stell ich mir eine optimale Wissenschaft im Allgemeinen und die Raumfahrt im besonderen vor. Die moblie Basis zur Erforschung des Universums ist zwar noch Zukunftsmusik, aber wir können Schritte in diese Richtung machen. Dazu ist allerdings eine hohe Akzeptanz der Wissenschaft in der Gesellschaft erforderlich. Ich würde sogar soweit gehen und sagen, das die Weiterentwicklung der Wissenschaft von allen Teilen der Gesellschaft gerade zu gefordert werden sollte, bzw. das wir es als Gesellchaft ebenfalls als kulturelle Aufgabe betrachten sollten, das Universum im allgemeinen und das Sonnensystem im Besonderen zu erforschen. Davon sind wir derzeit aber weit entfernt.

Stattdessen wird heutzutage in erster Linie nach dem ökonomischen Nutzen von Projekten gefragt. Nicht nur in der Raumfahrt, sondern allgemein. Meine Antwort auf diese Frage ist, dass der ökonomische Nutzen in der Forschung grundsätzlich und bei gesellschaftlich-kulturellen Grossprojekten auch erst mal Zweitrangig zu sein hat. Da man in der Raumfahrt auch immer noch Grundlagenforschung betreiben muss, ist ein ökonomischer Nutzen nicht immer gegeben oder er stellt sich erst später, d.h. in ein paar Jahren oder gar Jahrzehnten ein. Gute Beispiele dafür sind die praktische Anwendung der Zahlentheorie und der Quaternionen 1). Beides Themen aus der Matehmatik, für die man zur Zeit ihrer Entdeckung keinerlei praktische Anwendungen wusste. Heute wäre die gesamte Kryptografie und darauf aufbauende Sicherheitstechnik ohne Zahlentheorie sowie komplizierte Bewegungsabläufe bei Industrierobotern oder Visualisierungen in der Computergrafik ohne Quaternionen nicht denkbar. Weitere Beispiele dazu findet man in einer Artikelserie von Spektrum online.(Teil 1 und Teil 2 )

Nun kennen die Wirtschaftswissenschaften neben der betriebswirtschaftlichen (BWL) Perspektive aber auch noch die volkswirtschaftliche (VWL) Perspektive. Diese unterscheidet sich in ihren Fragestellungen von der BWL unter anderem dadurch, dass sie den Nutzen einer Unternehmung nicht für einen einzelnen Betrieb, also eine einzelne Firma oder einem privaten Haushalt untersucht, sondern den Nutzen, den eine Gesellschaft davon hat. Da geht es dann um Fragen, die sich um die Abhängigkeiten einzelner Menschen oder Haushalte von einer Firma oder auch die Abhängigkeiten von Firmen untereinander drehen. Dazu kommen Fragen nach Infrastrukturen die notwendig sind, damit einzelne Firmen zusammen arbeiten bzw. alle Firmen grundsätzlich arbeiten und private Haushalte existieren können. Oder auch, welche Basisqualifikationen jeweils an das Firmenpersonal zu stellen sind, wo die herkommen sollen und wie man es als Gesellschaft bewerkstelligt, dass sie da sind. Diese volkswirtschaftliche Betrachtungsweise ist, wenn man so will, die ökonomische Basis meiner Argumentationen.

Nun schreibt Bernd: „… dass es mir nicht um bemannte oder unbemannte Raumfahrt geht, sondern darum wenn Raumfahrt schon teuer ist, die Mittel sinnvoll einzusetzen. …“  Dem widerspreche ich ja gar nicht. Ich bin im Gegenteil sogar auch dafür. Etwas weiter heisst es in dem Abschnitt: „Schlussendlich gibt es ja nur einen Topf für die Forschung und wenn ich an die Universitäten denke und mit welchen Budgets dort geforscht wird, dann ist schon unbemannte Raumfahrt um ein vielfaches teurer als was wir pro Forscher so auf der Erde ausgeben.“ Das ist sicher richtig, aber nur ein Teil des Problems, denn da schimmert mir schon wieder zu sehr die BWLer Perspektive durch.

Nun meint Bernd weiter: „Was relativ unstrittig ist, ist das für die Forschung man keine bemannte Raumfahrt betreiben muss.“ – Ja schon, grundsätzlich lässt sich vieles auch mit rein robotischen Missionen erforschen und das sogar recht erfolgreich. Aber das ist nur die halbe Herausforderung. Die wesentlich grössere Herausforderung liegt darin, das menschliche Überleben in einer Umgebung möglich zu machen, die im Grunde lebensfeindlich ist. Damit wären wir beim „sportlichen Nutzen“, den ich im Gegensatz zu Bernd oder dem von ihm in diesem Zusammenhang genannten Herrn Weinberg sehr wohl als Inspiration oder auch als Antrieb betrachte. Frei nach dem Motto: „Was die erreicht haben, will ich auch erreichen.“ So kann man auch die Motivation der Chinesen deuten, die mit ihrem bemannten Raumfahrtprogramm ja genau das machen. Bernd schreibt: „Das nun China, obwohl es bisher kaum ein wissenschaftliches Weltraumprogramm hat gleich an ein bemanntes Weltraumprogramm geht ist genauso nachvollziehbar. Damit kann man die eigenen Landsleute beeindrucken.“ – Damit kann China nicht nur die eigenen Landsleute beeindrucken, sondern auch andere, denen sie damit zeigen, dass sie ebenfalls in der Lage sind, Menschen in den Weltraum zu schicken und auch lebendig wieder zurück holen können. Damit lässt sich sicher auch gut Propaganda machen, was insbesondere die USA verärgern dürfte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Oder hier: „da jammert man dass ELV und OSC so teuer geworden sind, aber dass man US-Satelliten auf europäischen oder russischen Trägern startet ,kommt ja nicht in die Tüte.“ Okay, da kommt jetzt die Politik ins Spiel, zumindest was die Preise angeht. Ansonsten passt es aber zum „Grossmachtgehabe“ einer Nation, die besonders viel von sich hält. Übrigens hab ich kürzlich gelesen, dass es in der Anfangszeit der Raumfahrt auch nicht in die Tüte kam, dass die NASA irgendwelche Satelitten startet, die nicht aus US-Entwicklungen stammten, was schlieslich dazu führte, das die Europäer die Ariane entwickelt haben.2) Und schliesslich:

Bernd kritisiert in den Kommentaren, das immer irgendwer mit Visionen für die Zukunft oder Vergleichen mit der Vergangenheit kommt, obwohl er nur die Gegenwart betrachet. Diese Kritik geht meiner Ansicht nach aber von der Prämisse aus, dass Forschung und Entwicklung in der Raumfahrt auch im betriebswirtschaftlichen Sinne immer „Zielorientiert“ sein sollte. Das sehe ich aber anders. Um das zu erläutern wäre erst mal die Frage zu klären, was ich mit „im betriebswirtschaftlichen Sinne „Zielorientiert““ meine? – Nun, das ist in etwa das gleiche, was Industrievertreter meinen, wenn sie an Schulen und Hochschulen eine zielorientierte Ausbildung fordern, die die Absolventen zwar dazu befähigen soll, die am Arbeitsmarkt geforderten Tätigkeiten auszuführen, aber möglichst verhindert, dass sie mehr können, als dort gefordert wird, so dass sie den tieferen Sinn einer Tätigkeit letztlich nicht in allen Einzelheiten beurteilen können, weil sie die Zusammenhänge nicht kennen oder nicht verstehen.

Im Zusammenhang mit der Raumfahrt verstehe ich unter „Zielorientiertheit“, dass ein Projekt, wenn nicht gerade sofort, dann doch nach möglichst wenigen Jahren Gewinn abwerfen soll. Das ist aber Unsinn! Die Erforschung des Mars oder der Gasplaneten und ihrer Monde wird in den kommenden 10 bis 20 Jahren sehr wahrscheinlich keinen Gewinn abwerfen. Sie ist allerdings reichlich kostspielig. Ebenso die Erforschung der Sonne. Nun geht es bei der Sonne heutzutage aber vielfach auch darum, ihr Verhalten zu prognostizieren, damit sie unsere komplexen Infrastrukturen, die nicht gegen alles immun sind, was von ihr kommen kann, best möglich zu schützen. Hier hat die Grundlagenforschung, also auch ganz harte betriebswirtschaftliche Interessen im Rücken. Aber: Die Ergebnisse, die diese Erforschungen von Sonne, Mond und Planeten liefern, die haben meiner Ansicht nach grundsätzlich allgemein zugänglich zu sein, so das jede/r darauf aufbauend weiter arbeiten kann. Meinetwegen auch mit kommerziell nutzbaren Anwendeungen. Die Forschungsergebnisse selbst haben aber „Marktfrei“ zu sein.

Das wäre ein Beispiel für eine Volkswirtschaftliche Betrachtungsweise, da ja nur einige Wenige die eigentliche Forschung betreiben, die Ergebnisse aber der Allgemeinheit d.h. dem ganzen Volk zugänglich gemacht werden, so das jeder damit (weiter) arbeiten kann. So sehe ich das ganz allgemein mit der Forschung, völlig unabhängig davon, ob sie an Universitäten oder anderen Einrichtungen betrieben wird. In diesem Zusammenhang meine ich auch, dass industrielle Forschungsergebnisse nach ca. 5 Jahren lizenzfrei Publikationspflichtig werden sollten. Und für alle zusammen wiederum, dass auch Miserfolge und „Holzwege“ publiziert werden sollten.

Diese Betachtung geht im übrigen davon aus, dass die Forschung selbst, da sie ja auch Geld kostet, von der Allgemeinheit (also aus Steuergeldern) bezahlt wird. Denn was die Allgemeinheit bezahlt, kann sie auch nutzen.

Jetzt noch zum Thema Raumstation: Da es mit der ISS ja sowieso eine Menge Chaos bei der Fertigstellung gab, weil die Beteiligten sich nicht immer so einigen konnten oder wollten, wie es der Sache dienlich gewesen wäre, wäre es nur vernünftig, wenn Europa sich aufraffen würde, und eine eigene Raumstation samt erforderlicher Infrastruktur entwickeln und aufbauen würde. Damit könnte man den Amerikanern auch klar machen, dass man zwar gerne mit ihnen zusammen arbeitet, sie aber nicht unbedingt braucht. Also genau dass, was sie mit Europa ja auch gerne machen.

Dann hätte man nebenbei auch einen Grund, eine Schwerlastvariante der Ariane zu entwickeln, die sagen wir mal 20 Tonnen in einen mittleren LEO von ca. 500km bei etwa 60° inklination befördern kann. Dazu ein modulares Konzept für eine Raumstation bei der man möglichst die Fehler vermeidet, die man bei der ISS gemacht hat. Wenn man die also erst mal für drei Leute auslegt, erweiterbar auf 10 und das konsequent durchzieht, ohne sich von den Amis drein reden zu lassen, dann sollte man sich damit auch bei einigen Leuten Respekt verschaffen, die Europa in dieser Hinsicht bisher eher belächeln um nicht zu sagen auslachen.

Am Ende schreibt Bernd: „Man könnte den Spieß ja umdrehen: bemannte Raumfahrt ist ein Relikt des kalten Krieges, wer sie heute noch betreibt beweist eher dass er nicht den Anschluss an die Zeit gehalten hat. Es ist Angeberei, dem keine Substanz dahinter steht. Das sind die Klassenclowns, die immer auffallen müssen, aber die letzten in der Klasse sind, während die echten Spitzen ruhig und stil sind, damit sie nichts verpassen.“ Nun ja, das kann er gerne auch so sehen, obwohl ich nicht ganz sicher bin, das er’s auch tut. Ich halte davon aber nichts. Ich denke eher, das man die bemannte Raumfahrt so weiter entwickeln sollte, das wir Ende der 2020er / Anfang der 2030er Jahre permanent besetzte Basen auf dem Mond bauen können und werden. Wenn wir das gemeistert haben, können wir auch mal ernsthaft darüber nachdenken, Menschen zum Mars fliegen zu lassen. Aber dazu ist vor allem eines notwendig, das bisher zu wünschen übrig lässt: Die Erforschung der Weltraums und damit auch die Raumfahrt als kulturelle Aufgabe zu betrachten. Und damit wäre ich wieder beim Anfang dieses Beitrages angelangt: Denn so, wie es die fiktiven Antiker aus Stargate als kulturelle Aufgabe angesehen haben, das Universum zu erforschen, so sollten wir es auch machen.


  1. http://www.wissenschaft-online.de/artikel/1116948
  2. Johannes Weyer (Hg.); Technische Visionen – politische Kompromisse, Geschichte und Perspektiven der deutschen Raumfahrt; edition sigma® rainer bohn Verlag; Berlin 1993

 

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