Bernd Leitenbergers Blog

Nachlese zum Orbcomm 2 Start

Eigentlich wollte ich mich ja voll auf mein Buch konzentrieren, doch da ich derzeit sowieso sehr gefrustet über die chinesischen Trägerraketen und die mageren und widersprüchlichen Daten zu ihnen bin, widme ich mal dem Thema an dem ihr auch gerade diskutiert. (wie sich später zeiegn wird, sind die Chinesen ja geradezu freizügig mit den Informationen verglichen mit SpaceX – dafür werfen sie mit Bezeichnungsnebelkerzen um sich).

Die Landung der Falcon 9.

Das ist natürlich nicht an mir vorbeigegangen. Ich will das Thema auch nicht totschweigen, ich halte die Landung nur nicht für so wichtig. Wichtig wäre die Wiederverwendung und ob die wirtschaftlich ist. Doch kommen wir zuerst mal zu einer Einschätzung, der technischen Leistung.

Was SpaceX erreicht hat, ist eine Raketenstufe nach der Abtrennung erneut zu zünden, die Flugbahn umzukehren und präzise auf einer Plattform zu landen ohne umzukippen. Das sie das schaffen würden, ist mir klar gewesen, denn es hat ja schon vorher auf See fast geklappt, nur eben nicht mit dem Landen ohne umkippen. An Land ohne schwankende Plattform geht das vielleicht sogar einfacher. Das ist auch nicht so technisch schwierig. Schon 1967 landeten die Surveyor durch einfache Rückkopplung von Radardaten mit den Triebwerken sanft auf dem Mond. Zwei Jahre später konnten die Lunar Modules schon präzise auf einem Punkt landen, und das mit einem Computer von der Leistung eines IBM PC (von 1981, nicht heute!). Die Space Shuttles landeten vom Orbit aus (das heißt bei größerer Eintrittsgeschwindigkeit, größerem Abstand und mehr Störgrößen) präzise auf einer Startbahn – im Unterschied zu der Falcon 9, ohne aktive Triebwerke, die die Bahn korrigieren.

Und heute haben wir GPS, leistungsfähige Computer welche in Sekundenbruchteilen alle Störgrößen ermitteln und eine neu Bahn berechnen und Aktionen durchführen können. Alles Dinge die man bei den Space Shuttles und LM nicht hatte. Man sollte also annehmen, das SpaceX das hinkriegt. Zuletzt wurden sie von Blue Origin um einen Monat geschlagen. Bevor jemand aufheult: ja das ist vergleichbar. Die Abtrenngeschwindigkeit der Falcon 1  Erststufe ist nicht höher als die Geschwindigkeit, die man braucht um 100 km Höhe zu erreichen. Beides ist eine suborbitale Bahn.

Das wirklich interessante ist doch ob es wirtschaftlich ist. Mit diesem Flug gibt es erstmals dazu Zahlen, auch wenn ich das schon mal vor Jahren geschätzt habe und auf 20% Nutzlasteinbuße kam. Inzwischen werden 30% genannt, da war ich nicht so schlecht, doch rechnen wir mal nach.

Das Hauptproblem ist, dass die erste Stufe bei Abtrennung eine vertikale Geschwindigkeit hat die sie weiter in die Höhe beschleunigt und eine horizontale, welche ihr Anteil an der Orbitalgeschwindigkeit ist. Nimmt man das Video, so hat die Stufe bei 2:24 Minuten bei 6000 km/h in 74,8 km Höhe Brennschluss. 6000 km/h, das sind lediglich 1666 m/s. Offen ist ob dies die Geschwindigkeit relativ zur Erdoberfläche oder nur horizontal ist. Das letztere wäre eine Vektoraddition aus vertikaler und horizontaler Geschwindigkeit. aber selbst im günstigsten Falle ist das eine sehr niedrige Abtrenngeschwindigkeit. Beim Suchen bei anderen Videos von SpaceX-Starts ohne Landung fand ich leider keines mit eingeblendeten Geschwindigkeitsdaten (die von den anderen Landeversuchen kann man nicht nutzen, weil wir ja vergleichen wollen ohne Wiederverwendung – mit Wiederverwendung). Aber es gibt eine wichtige Information: Die Stufe wird nach dem Video bei 144 s abgetrennt. Da sieht man das verlöschen der Triebwerke, eine Sekunde später dann Jubel und Kommentar dazu. (Das Presskit weist sogar 2:20 aus, also nochmal 4 s weniger, abgehoben hat sie nach Video aber bei t:0.

Die Brennzeit der Triebwerke wird mit 162 s angegeben. Bei der Falcon 9 v 1.1 wurden sie in den letzten 30 s langsam auf 70% heruntergefahren. Wenn wir das auf die Falcon 9 v 1.2 übertragen so wäre das nach 139 s der Fall,  Allerdings ist die Oberstufe größer und so kann man annehmen, dass sie noch mit 100% arbeiten, ich habe im Video zumindest beim Kommentar nichts von einem Throtteling gehört. Dann wurden (162-140) s x 7426 kN Schub verschenkt, das sind 163,4 GJ. Das passt recht gut zu dem Artikel von Musk auf der SpaceX Webseite welche den Energieunterschied einer Landung auf See und der auf Land mit 180 GJ angibt. Auch interessant ist das der Geschwindigkeitsunterschied 3000 km/h oder 833 m/s ist – wohlgemerkt auch bei einer See Landung, die auch etwas Treibstoff erfordert.

180 GJ entsprechen bei dem Vakuumimpuls (der liegt in 70 km Höhe vor) von 3050 m/s rund 59 t Treibstoff. Ich habe nun (mit da von SpaceX nichts bekannt ist geschätzten Stufendaten) dies simuliert. Die Daten habe ich von SpaceX, der Wikipedia und eben Berechnungen. Die v1.2 habe ich mit den ursprünglichen 16.150 kg Nutzlast angesetzt, die mal auf der SpaceX Webseite standen, nun findet man 13.150 kg, doch sollen die für wiederverwendete Raketen gelten (der nächste Start wird z.B. 5300 kg in den GTO entsenden und das Maximum nach Webseite ist 4850 kg). Doch wie sieht es aus wenn man zur Stufenmasse der ersten Stufe die 59 t Treibstoff hinzurechnet, die nicht verbraucht wurden? Nun die Nutzlast sinkt nicht nur um 30%, sondern bedeutend stärker, bei gleicher Endgeschwindigkeit auf 9,6 t.

Woher die Diskrepanz zu den SpaceX Werten? Nun die Orbcomm Satelliten sind extrem leicht. Es sind 11 Satelliten, jeder wiegt 380 amerikanische Pfund, das sind nicht mal 1900 kg Nutzlast. So kann man es sich leisten viel mehr Treibstoff in der ersten Stufe zu lassen als man für die Landung braucht, weil die zweite eine viel leichtere Nutzlast hat. Man kann damit rechnen, dass es in der Praxis weniger sein werden. Ansonsten könnte man wirtschaftliche Aspekte gleich begraben. Wenn die Nutzlast von 16,15 auf 9,8 t einbricht so sind das 40%. Mit 59 t Treibstoff könnte die stufe bei den von mir geschätzten 25 t Leergewicht um 3700 m/s – ändern das ist weitaus mehr als die doppelte Geschwindigkeit bei der Abtrennung.

Man kann sich dem Problem auch anders nähern – nach Elon Musks Angabe ist die Abtrenngeschwindigkeit bei der Seebergung um 3000 km/h geringer – die 3000 km/h muss also die Oberstufe aufbringen. Addiert man die nun zur Orbitalgeschwindigkeit 833 m/s (=3000 km/h) hinzu und berechnet dann die Nutzlast neu, so sinkt sie von 16.150 auf 10.783 kg ab – auch mehr als 30%.

Nebenbei bemerkt rechnet SpaceX nicht damit dass jemand die Nutzlast ihrer Falcon 9 ausschöpft. Seit ein paar Wochen gibt es einen neuen Payload Users Guide. es gab mal einen für die Falcon 9, der verschwand wieder und nun wieder ein neuer. Er liefet nur wenig, was nicht auf der Webseite steht, also nicht so was „brisantes“ wie Stufenvoll- und Leermasse oder spezifischen Impulse anhand deren man selbst rechnen kann, ohne Detektiv spielen zu müssen. Aber eine Angabe gibt es: Kein Nutzlastadapter von SpaceX trägt mehr als 10.886 kg. (S.15). Da die beiden Zahlen recht eng beieinander liegen, würde ich auf 10,8 t als Nutzlast für eine wiederverwendbare Falcon 9 tippen.

Nebenbei bemerkt: es muss sich einiges im Design des Trägers geändert haben. Musk hat ja mal Strukturfaktoren von 30 für die erste Stufe und 25 für die Oberstufe genannt. Ich habe die Falcon 9 bei anderen Trägern üblichen Faktoren modelliert. Setzt man die Faktoren von Musk ein, und normale 1800 m/s Differenzgeschwindigkeit zum Orbit, (Eher zu hoch für eine nur zweistufige Rakete die bis zu 6 g beschleunigt) so müsste die erste Stufe bei Abtrennung noch 84 t wiegen, bei 14,4 t Leermasse, also ihre Geschwindigkeit um mehr als 5378 m/s ändern können – viel zu viel, selbst für eine Bahnumkehr. Bei dem Strukturfaktor 30/25 betrüge die theoretische Nutzlast ohne Wiederverwendung 21,6 t LEO und 7,8 t GTO. Also entweder ist die Rakete sehr viel schwerer als von SpaceX reklamiert oder die Wiederverwendung kostet enorm viel Nutzlast. (nach dem Bericht kostet ja schon die Seebergung 15% Nutzlast)

Neben der Nutzlasteinbuße gibt es natürlich noch eine zweite Frage – die der Wirtschaftlichkeit. Nach Äußerungen von Musk kostet die erste Stufe <75% der Kosten der Rakete. Das sind aber nicht die Startkosten, die schließen auch Gewinn und Startdurchführung ein. Letzteres macht bei Arianespace ungefähr 15-20% der Gesamtkosten aus. Nehmen wir 25% zusammen mit dem Gewinn, die Firma will ja auch was verdienen bzw. muss in neue Weltraumbahnhöfe investieren, so sind das bei 61,2 Millionen Dollar <34.42 Millionen Dollar, in etwa die gleiche Summe kommt raus wenn man vom Startpreis der Heavy (128,5 Mill.) den der Falcon 9 abzieht und durch zwei teilt (denn die hat ja bekanntlicherweise zwei Erststufen mehr) – das sind dann 33,65 Millionen Dollar. Also so um die 33 bis 35 Millionen Dollar kostet sie. Würde man sie unendlich oft wiederverwenden können und das Aufarbeiten würde nichts kosten, dann wäre die Wiederverwendung also um etwa 40% billiger, allerdings eben auch einhergehend mit Nutzlasteinbußen. Sicher im Normalfall nicht so hoch wie diesmal, aber lassen wir es mal 30% sein, die Zahl haben auch ULA und Airbus bei ihren Konzepten als Vergleich genannt dann ist Wiederverwendung eben nur noch um 10% billiger.

Das ganze hat aber noch zwei andere Aspekte. Das erste ist die Inspektion/Reparatur. Die unterscheidet sich deutlich von der Fertigung. wer einmal ein Gerät zum Reparieren gegeben hat weiß ein Lied davon zu singen. Es ist teuer etwas schon fertiges auseinander zu bauen und dann etwas zu ersetzen. Bei der Produktion muss man das überprüfen was man gerade gemacht hat, man kommt in der Regel noch überall heran und baut die Dinge die Zugänge versperren erst zuletzt sein. Bei einer Inspektion, selbst ohne Reparatur wird man viel auseinander nehmen müssen, Dinge untersuchen die man bei der Produktion nicht untersucht (z.B. bei den Tanks ob nicht nur die Schweißnähte in Ordnung sind sondern auch die einzelnen Platten aus denen die Tanks bestehen). Paradebeispiel war das Space Shuttle bei dem man diesen Wartungsaufwand enorm unterschätzt hatte.

Das zweite ist, dass keine Hardware ewig hält. Normale Raketentriebwerke die nicht auf Wiederverwendung getrimmt sind, werden in Prüfständen auch länger betrieben als normal. Ihre Lebensdauer beträgt meist zwischen dem 5 und 10-fachen der Sollbetriebsdauer. Die SSME kamen auf 55-Zyklen, waren dafür aber auch sehr teuer. Pläne von anderen Firmen für die Wiederverwendung haben, sehen einige Zyklen (bis zu 7) vor. Das heißt 1/7 der eingesparten 36 Millionen wird man für neue Hardware hinzuaddieren müssen und schon nähert man sich 0% Gewinn.

Das hat übrigens noch eine zweite Folge: SpaceX strebt ja Massenproduktion an, nach der wikipedia (unter Produktion nachschauen) wollen sie 400 Stück Merlin pro Jahr bauen (im Oktober 2014 waren sie aber nur bei 4 pro Woche, also bei 50 Arbeitswochen maximal 200 Stück oder 20 Cores pro Jahr). Wenn nun 9/10 der Triebwerke wieder verwendet werden sollen, dann sinkt die Produktion beträchtlich und der Preis der Triebwerke steigt an. Bei Wiederverwendung wäre ja schon der Produktionsstand vom Oktober 2014 zu hoch. Mit 200 Triebwerken pro Jahr könnte man dann 200 Raketen starten da man nur eines pro Oberstufe braucht, die unteren sind ja beliebig oft wiederverwendbar. Selbst bei 7-maliger Verwendung würde das für 87 Träger pro Jahr reichen Nimmt man die noch kleinere Zahl der bei SpaceX absolvierten Tests (4-fache Lebensdauer) so sind es über 60 Träger pro Jahr, das bedeutet die Produktion ist heute schon völlig überdimensioniert und erzeugt so unnötige Kosten.

Zuletzt noch ein Ausblick, warum ich dem ganzen nicht so sehr glaube. Nach Musk sollen die Flüge ja später nicht nur ein bisschen billiger werden, sondern wirklich billig: um den Faktor 100. Da nach eigener Aussage aber die Treibstoffe 0,3% des Preises ausmachen, muss der Rest nur noch 0,7% der heutigen Kosten ausmachen und zwar bei gleich hoher Nutzlast, sinkt sie ab, so gibt es bei gleich bleibenden Treibstoffkosten immer weniger Spielraum. Sinkt die Nutzlast z.B. um 30%, so darf die Rakete nur noch 0,4% der heutigen Kosten ausmachen. Bei 70% Nutzlasteinbuße muss sie sogar umsonst sein. 70% Nutzlasteinbuße sind aber nicht utopisch wenn man auch die Oberstufe wiederverwenden will. Bei Kistler rechnete man mit 4,6 t Nutzlast bei ihrer voll wiederverwendbaren Rakete von 385 t Startmasse – Die Falcon 9 v1.1 transportiert bei 505 t Startmasse (+31%) 13,15 t Nutzlast (+282%).

Nun gibt es außer der Hardware auch andere Kosten. Der Transport, die Bergung, Inspektion das kostet. Die gesamte Startvorbereitung und Miete für den Startplatz muss man auch zahlen. Wenn man heute schon für die Startvorbereitung einen größeren Anteil der Gesamtkosten ausgibt, dann muss die komplett anders verlaufen als heute. Ich halte solche Aussagen für reine Spinnerei. Nimmt man noch die Geheimnistuerei um alles was SpaceX macht, dazu dann bewirkt das zumindest bei mir, das ich auch anderen Aussagen keinen Glauben schenke. Wenn alles so toll ist, warum erfährt man dann nicht mehr Details – über Massen, Bahnänderungen, wie genau die Landung ablief. Mit Firmengeheimnissen hat das nichts zu tun, den andere Firmen wollen wenn überhaupt andere Konzepte umsetzen und nur die Triebwerke bergen oder gleitend eine Stufe bergen, eventuell noch mit Düsenantrieb.

Wie immer: wenn jemand mit eigentlich nicht so wichtigen Informationen zurückhält auf der anderen Seite völlig überzogene Erwartungen schürt, dann kann ich dem nicht glauben, das hat viel mit Ehrlichkeit und Offenheit zu tun. Daher bleibe ich skeptisch. Aber wir werden sehen. Die Stufe wird nun ja inspiziert werden, und wenn es geht erneut fliegen und da wird ein Kunde sicher einen rabatt aushandeln wollen. Mal sehen wie viel das ausmacht. Dann sind wir alle schlauer.

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