Bernd Leitenbergers Blog

Weltraummüllvermeidung

Michael Khan hat einen Blog über Astroscale, einem Startup zur Müllbeseitigung geschrieben. Das Problem hat ja durch immer mehr Satelliten zugenommen, die nun geplanten Konstellationen von Tausenden von Satelliten in relativ großen Höhen werden es aber gravierend verschärfen. Ich habe das Thema ja schon mal behandelt, aber warum nicht öfters?

Problemanalyse

Ich gehe davon aus, das wie im wirklichen Leben es besser ist Müll zu vermeiden als ihn zu beseitigen. Also sollte man konsequent Satelliten aber auch Oberstufen entsorgen. Das geschieht am besten, wenn man sie verglühen lässt.

Idealerweise erledigt sich das Müllproblem von selbst. Die Atmosphäre der Erde wird mit zunehmender Höhe immer dünner, bremst aber noch in Hunderten von Kilometern Höhe ab. Als Faustregel für nicht besonders kompakt oder ausladend aufgebaute Satelliten gilt:

Die einzige US-Raumstation Skylab brauchte rund 5 Jahre, um von 435 km Höhe herabzusinken, der deutsche Satellit ROSAT 21 Jahre ausgehend von 560 km Höhe. Bisher trat noch keine Nutzlast wieder in die Atmosphäre ein, deren Umlaufbahn in 800 km Höhe oder darüber lag, außer sie wurde gezielt deorbitiert oder hatte untypische Bauform, dazu noch mehr.

Ich habe mit einem einfachen Modell der Atmosphäre mal die Lebensdauer eines 1 kg schweren 1U Cubesats (10 x 10 x 10 cm groß) modelliert. (SFU=66,9) das ist der derzeitige relativ niedrige Wert) Beginnend mit 500 km Höhe:

Tage Jahre Höhe [km]
1509,2 4,13 490,0
2722,8 7,46 480,0
3696,3 10,13 470,0
4475,0 12,26 460,0
5096,3 13,96 450,0
5590,7 15,32 440,0
5983,0 16,39 430,0
6293,5 17,24 420,0
6538,7 17,91 410,0
6731,7 18,44 400,0
6883,2 18,86 390,0
7001,9 19,18 380,0
7094,6 19,44 370,0
7166,8 19,64 360,0
7222,9 19,79 350,0
7266,4 19,91 340,0
7300,0 20,00 330,0
7325,9 20,07 320,0
7345,8 20,13 310,0
7361,1 20,17 300,0
7372,8 20,20 289,9
7381,7 20,22 279,9
7388,5 20,24 269,9
7393,6 20,26 259,9
7397,5 20,27 249,9
7400,5 20,28 239,6
7402,7 20,28 229,6
7404,3 20,29 220,0
7405,6 20,29 209,6
7406,5 20,29 199,9

Für die ersten 10 km von 500 auf 490 km Höhe braucht der Cubesat 4,13 Jahre, für die ersten 50 km dann schon nur 14 Jahre, nicht 5 x 4,13 = 20,6 Jahre. 400 km Höhe, hat er nach 18,44 Jahren, also 4 weiteren Jahren erreicht. Während der Cubesat über 18 Jahre brauchte, um die ersten 100 km zurückzulegen, schafft er die nächsten 200 km in zwei Jahren und verglüht dann. Die letzten 100 km legt er in 50 Tagen zurück. Man sieht: die Abbremsung nimmt rapide zu, nicht linear.

Daraus kann man folgern, dass Satelliten wie Onewebs oder Space-Konstellation in Höhen über 1000 km noch sehr lange die Erde umkreisen würden. Umgekehrt sind Satelliten, die durch die ISS ausgesetzt werden, wie dies mit zahlreichen Cubesats inzwischen erfolgt, kein Problem. Sie verglühen in rund zwei bis drei Jahren.

Die Dauer ist nicht generalisierbar. Es hängt von der Form und Größe des Satelliten ab. Normalerweise wäre ein rund 4.000 km hoher Orbit wie in Pageos A am 24.6.1966 erreichte (3978 x 4496 x 87,1 Grad) langzeitstabil. Doch Pageos A war ein Ballonsatellit mit einer großen Hülle aber kaum Gewicht. Pageos wog keine 57 kg und hatte aufgeblasen eine Größe von 30,48 m. Er verglühte so am 2.9.2016. Wäre unser Satellit kein leichter Cubesat, sondern ein Würfel aus einem dichten Metall wie Wolfram oder Uran mit Dichte 20, er würde viel länger im Orbit bleiben, rund 381 Jahre lang anstatt 20. Auch solche Satelliten gibt es. Sie sind besonders kompakt, damit die Atmosphäre sie nicht beeinflusst, und tragen Laserreflektoren, damit Bodenstationen sie anpeilen können. Sie reagieren aber auf Ungleichheiten des Erdgravitationsfeldes und so vermaß man dieses früher. Ein typischer Vertreter dieser Satelliten ist Lageos. Er wiegt bei nur 60 cm Durchmesser 410 kg. Seine Umlaufbahn in 5900 km Höhe ist so noch über 8,4 Millionen Jahre stabil.

Nett ist weiterhin, dass diese Betrachtung nur für kreisförmige Bahnen gilt. Ist die Bahn elliptisch, so reicht es, wenn das Perigäum niedrig ist. Die Folge der Abbremsung nur im Perigäum (erdnächsten Punkt der Bahn) ist das dabei, dass Apogäum (erdfernster Punkt der Bahn) absinkt und damit auch die Umlaufdauer. Der Satellit wird dadurch immer schneller abgebremst und hat er mal eine kreisförmige Umlaufbahn erreicht so geht es dann genauso schnell, wie wenn er schon in dieser Umlaufbahn gestartet wäre. Der erste Explorer hatte eine Umlaufbahn von 214 x 1.659 km, also wenn man die durchschnittliche Höhe (Halbachse der Bahn) betrachtet, entsprechend einer Kreisbahn von 936 km Höhe. In einer kreisförmigen Umlaufbahn in 900 km Höhe würde Explorer 1 immer noch die Erde umkreisen. So wurde er aber in dem niedrigen erdnahen Punkt rasch abgebremst und verglühte am 14.4.1958, nur etwa zwei Monate nach dem Start. Vanguard 1, nur wenig später in eine 657 x 3.932 km hohe Bahn geschossen umrundet wegen des hohen Perigäums dagegen bis heute die Erde. Die Umlaufbahn hat sich seitdem kaum geändert: Derzeit hat er eine 656,2 x 3814,2 km Bahn.

Wenn eine Umlaufbahn sehr weit ins All hinausreicht, dann muss der Störeinfluss des Mondes berücksichtigt werden. Er kann dazu führen, dass das Perigäum absinkt und die Nutzlast so verglüht, er kann aber auch das Apogäum anheben, wodurch er noch mehr vom Mond angezogen wird und irgendwann entweder auf eine Sonnenumlaufbahn getrieben wird oder auf dem Mond aufschlägt. Die Aufklärungssatelliten Vela 1A und 1B hatten elliptische Bahnen, die ein Perigäum von 101.000 km und ein Apogäum von 119.000 km hatten. Also noch weitaus höher als die Bahn von Lageos oder Vanguard 1. Durch den Störeinfluss des Mondes traten beide am 12.10.2018 nach 55 Jahren wieder in die Erdatmosphäre ein.

Höhere Satelliten

Neben den erdnahen Satelliten, die nun durch die Konstellationen Zuwachs bekommen, gibt es noch zwei populierte Zonen. Das eine sind Navigationssatelliten:

Aufgrund der unterschiedlichen Bahnhöhe sind hier Kollisionen unwahrscheinlich. Sie können nur zwischen den maximal acht Satelliten einer Bahnebene vorkommen. Die sind aber im Normallfall Tausende von Kilometern voneinander entfernt.

Noch mehr Satelliten gibt es im geostationären Orbit. Da allerdings wie in den Navigationsorbits alle Satelliten die Erde in der gleichen Bahn, nur an unterschiedlichen Positionen. Damit ist aber auch ihre Relativgeschwindigkeit zueinander gering und eine Kollision unwahrscheinlich. Trotzdem hat sich schon vor Jahrzehnten eingebürgert mit dem letzten Rest des Treibstoffs den Satelliten in einen Friedhofsorbit zu verschieben, einen Orbit jenseits des GEO.

Folgerungen

Es gibt also für Satelliten, aber auch die letzten Raketenstufen, die einen Orbit erreichen folgende Möglichkeiten:

Dabei muss, wenn man abbremst, nicht die ganze Bahn absenken. Es reicht, das Perigäum abzusenken. Das spart Treibstoff. Die zweite Möglichkeit dürfte für ganz hohe Bahnen wie beim GEO-Orbit nicht praktikabel sein. Für Oberstufen wird man ebenfalls nur die zweite Möglichkeit nutzen.

Für Oberstufen ist eine praktikable Möglichkeit, einen Treibstoffrest zu belassen und mit ihm die Bahn abzusenken. Da sie nur einen Teil der Masse des Satelliten hat (im Idealfall) benötigt man wenig Treibstoff. Der Orbit von Oneweb liegt in 1.200 km Höhe. Senkt man das Perigäum auf 300 km ab, so benötigt man eine Geschwindigkeitsänderung von 233 m/s. Bei der rund 950 kg schweren Fregat Oberstufe sind das 72 kg Treibstoff. Bei 32 Satelliten pro Start jeder 145 kg schwer sind das nur 1,6 Prozent weniger Nutzlastmasse. Da man hier keine Reserven vorhalten muss, anders als bei Satelliten kann in der Praxis das Perigäum noch niedriger liegen und die Oberstufe rasch verglühen. Bei 63 m/s, rund 19 kg Treibstoff mehr würde die Fregat z. b. 80 km Perigäumhöhe erreichen und damit sofort verglühen.

Bei den Transporten in den GTO ist es ganz einfach: der Orbit hat schon ein niedriges Perigäum. Hier wird durch das Entlassen des Treibstoffs gegen die Bewegungsrichtung dieses nochmals abgesenkt und die Oberstufen verglühen rasch. Stufen die Satelliten direkt in den GEO bringen oder Navigationsorbits müssen analog in Friedhofsorbits gebracht werden. Ebenso sind Friedhofsorbits die einzige Alternative bei den Satelliten in dieser Höhe.

Für Satelliten kann man dasselbe machen – hier braucht man bei einem Feststoffantrieb – er ist zuverlässig und liefert einen hohen Schub, sodass nur ein Bahnpunkt abgesenkt wird, nur rund 10 Prozent Zusatzmasse um einen Satelliten aus 1.200 km Höhe in eine 300 x 1200 km Bahn zu bringen. Für niedrigere Bahnen ist es sogar noch weniger.

Die Alternative ist es, die Reibung zu erhöhen. Auch hier gibt es eine brauchbare Rechenvorlage. Echo 2 gelangte am 25.1.1964 in eine 1.088 x 1.388 km hohe Bahn, also in etwa so hoch wie eine 1.200 km Bahn. Er verglühte nach 6 ½ Jahren am 7.6.1969. Echo 2 wog 126 kg. Wenn man einen der 145 kg schweren Oneweb-Satelliten in etwa so schnell deorbitieren wöllte, müsste man also ebenfalls mindestens 126 kg Masse addieren. Das ist deutlich mehr als die Lösung mit dem Raketenantrieb bei dem 15 kg für den Antrieb reichen.

Mögliche Umsetzung

Jeder Satellit, der die Erde beobachtet oder zu einer dieser Konstellationen gehört hat im Orbit eine definierte Ausrichtung, diktiert durch die Ausrichtung von Sensoren auf die Erde oder der räumlichen Ausrichtung der Antennen. Dann kennt man aber auch die Seite, die gegen die Bahnbewegung zeigt. An dieser muss man nur ein kleines Feststofftriebwerk mit einem Mikrocontroller, einer Batterie und einer Leitung zum Bordcomputer und Stromversorgung anbringen. Reist die Stromversorgung ab, so versorgt die Batterie den Mikrocontroller. Hat sich diese bis zu einem bestimmten Maße entladen, so zündet er den Antrieb und senkt so die Bahn ab. So kann er einem katastrophalen Ereignis wie Verlust der Orientierung und damit Stromversorgung begegnen. Stürzt die Elektronik aus irgendwelchen Gründen ab, so gibt sie kein Signal mehr ab. Die Programmierung müsste dann so sein, dass nach einer bestimmten Zeit (nicht sofort, um Rettungsversuche von der Erde aus zu erlauben) auch dann der Antrieb ausgelöst werden. In jedem Falle müsste es ein vom Bordcomputer unabhängiges System sein.

Internationale Absprachen

Das Problem ist das international durchzusetzen. Noch immer ist bei China und Russland es nicht mal üblich das sie ihre Raketenstufen passivieren, also den Resttreibstoff ablassen. Das senkt nicht den Orbit ab, außer es erfolgt kontrolliert gegen die Bewegungsrichtung, aber es sorgt wenigstens dafür, dass die Stufen dann nicht irgendwann explodieren, wenn der Treibstoff verdampft und die Tanks sprengt.

Noch schwerer ist es kommerziellen Unternehmen, die derzeit Kleinsatelliten zur Erdbeobachtung bauen, und starten oder größeren wie Oneweb Vorschriften zu machen. Doch auch diese Unternehmen sind nicht unabhängig. Sie hängen von anderen Unternehmen ab. Ihre Satelliten müssen in den Orbit gebracht werden und zumindest alle westlichen Anbieter brauchen auch öffentliche Aufträge. Arianespace, welche den Großteil der Satelliten startet, könnte die ESA vorschreiben, dass sie diese nur startet, wenn es ein Deorbitkonzept gibt – für Satelliten und Fregat. SpaceX scheint hier fein raus zu sein, aber sie benötigen auch Aufträge von NASA und DoD. Die Firma ist zu über 70 % staatsfinanziert, weil die meisten Einnahmen aus dem CCdev / CRS-Programm kommen. Daneben brauchen sie noch etwas anderes: Funkfrequenzen. Auch hier kann man die Frequenzvergabe an ein Deorbitkonzept koppeln – nicht mal zu unrecht, denn ein toter aber noch sendender Satellit stört alle anderen Services.

Aufgrund dessen, das es immer billiger wird in den Orbit zu starten, und das noch ohne BFR, die alles ja noch viel preiswerter machen soll, wäre auch das Zusatzgewicht verschmerzbar, zumal die Satelliten ja auch viel leichter sind als ihre Vorgänger Iridium und Globalstar.

Die mobile Version verlassen