Bernd Leitenbergers Blog

SpaceX im Technikfaktencheck

Der heutige Blog ist nicht prinzipiell neu. Die Sachverhalte findet man in älteren Artikeln. Leider liegt es in der Natur des Blogs, das dies, weil es in der Vergangenheit liegt, gerne verschütt geht, weil man nicht leicht an die Artikel kommt. Es geht wieder mal um die Blasenfirma SpassX. Wie zumindest denen die sich mehr mit ihr beschäftigen bekannt, glänzt sie vor allem durch Aussagen, die sich dann als falsch erweisen.

Bei den vielen Projektankündigungen ist das von jedem leicht zu prüfen. Man nehme nur eines der SpaceX Projekte, tippe den Namen plus „SpaceX“ in Google ein und lese einige Suchergebnisse aus unterschiedlichen Jahren durch. Wenn man das mit dem Stichwort „Red Dragon“ macht, kommt man auf folgende Schlagzeilen:

In meinem System sind das 1,8 Musk und 5,6 Elon. Man wird so etwas bei fast allen Projekten von SpaceX feststellen. Sie werden groß angekündigt. Dann zuerst verschoben, dann substanziell modifiziert und schließlich eingestellt. Sei es Falcon 1e, Falcon 5, Falcon 9 Block II, Falcon 9 Heavy oder Gray Dragon. Die BFR ist gerade in dem Zustand der substanziellen Modifikation, Starlink in der Phase der Terminverschiebung.

Anders sieht es bei technischen Fakten aus. Die sind persistenter und werden erst nach Jahren dementiert und sind auch meist nicht durch ausstehende direkt falsifizierbar. Zumindest benötigt man Raumfahrtwissen, um sie als falsch oder unglaubwürdig zu bewerten. In diesem Blog werde ich einige der falschen technischen Angaben beleuchten. Sie drehen sich alle um die Falcon 9.

Nimmt man die angaben auf der Website von SpaceX und andere Angaben aus Tweets, wie sie die Wikipedia wiedergegeben hat, so handelt es sich bei der Falcon 9 um ein Wunderwerk der Technik mit einer für die verwendete Technologie enormen Nutzlast. Stimmen, die Angaben, so sind sie auch erreichbar, ich habe das selbst nachgerechnet. Das Dumme nur: ich halte sie für falsch.

Rekordverdächtiger Vakuumimpuls

Fangen wir mal mit dem Rekord-Impuls der zweiten Stufe an. Sie wird mit 348 s angegeben. Die Angabe in imperialen Einheiten ist in Sekunden, weil eine Geschwindigkeit (m/s) durch die Erdbeschleunigung (m/s²) fgeteilt wird. Wenn man den Faktor 9,81 m/s² für die Erdbeschleunigung als Multiplikator nimmt, kommt man auf die SI-Einheit in m/s für eine Geschwindigkeit, nämlich die des Gases, wenn es die Düse verlässt. (Wer noch das Rechnen in Kilopond anstatt Newton gewöhnt ist, kommt so zwanglos auch auf denselben Zahlenwert).

Der spezifische Impuls ist als Größe an zwei andere Größen gekoppelt: Den Schub und den Treibstoffdurchsatz.

Da das Merlin 1D Vakuum der zweiten Stufe eine Variante des Erststufentriebwerks ist ist der Treibstoffdurchsatz gleich hoch. Der Schub aber nicht. Es ist schubstärker: 987 anstatt 914 kN. (Angabe nach aktuellem User-Manual vom Januar 2019). Das liegt an der einzigen Änderung dies es gibt: einer verlängerten Düse. Sie hat ein Flächenverhältnis von 165 anstatt 16. Dafür beträgt der spezifische Impuls 348 anstatt 311 oder 363 m/s mehr. Wer sich mit Triebwerken auskennt, staunt – 363 m/s mehr nur durch eine längere Düse? Bei anderen Triebwerken gibt es das nicht. Da erreicht man typisch 150 bis 200 m/s mehr.

Es geht noch weiter: Das Merlin ist ein Nebenstromtriebwerk mit mittlerem Brennkammerdruck von 97 Bar. Ein solches Triebwerk ist vergleichbar mit anderen LOX/Kerosintriebwerken der USA wie dem F-1 oder RS-27. Während der Impuls der Erststufe in der gleichen Größenordnung wie diese liegt, ist der Impuls des Zweitstufentriebwerks viel höher, höher als bei Hauptstromtriebwerke. Diese haben einen höheren Brennkammerdruck und nutzen den Treibstoff vollständig. Bik Nebenstromverfahren gehen typisch 2 bis 5 Prozent im Gasgenerator verloren, abhängig vom Brennkammerdruck. Sie muss man vom Gesamtimpuls abziehen. Kurzum: Wer technischen Sachverstand hat, wird diesen Wert anzweifeln. Doch mit der Abhängigkeit

Spezifischer Impuls = Schub/Treibstoffdurchsatz

kann man bei gleichem Treibstoffdurchsatz in erster und zweiter Stufe pro Triebwerk auch schreiben:

Spezifischer Impuls Zweitstufentriebwerk = spezifischer Impuls Erststufentriebwerk * Schub Zweitstufentriebwerk / Schub Erststufentriebwerk

und in Werten:

335,8 s = 311 s * 987 kN / 914 kN

Man kommt also auf einen spezifischen Impuls von 335,8 und nicht auf einen von 348. Ein wesentlich glaubhafter Wert, das sind 3294 m/s. Man kann auch mit den bekannten Daten über Brennkammerdruck (97,2 Bar), Expansionsverhältnisse (16 und 165) und Mischungsverhältnisnehmen und das NASA-Programm FCEA bemühen. Das liefert zwar nicht die realen Daten des Merlin, sondern nur Grenzen für idealisierte Bedingungen, doch man kann die Differenz dort zwischen Vakuumwert bei 16 und 165 nehmen und kommt auch nur auf 278 m/s Zugewinn und nicht 446 m/s. Das sind dann maximal 3328 m/s, nahe am wert nach der Schubberechnung.

Der Thrust-To-Weight Faktor

Für jedes Triebwerk kann man einen weiteren Kennwert angeben, den TW oder im Deutschen Schub/Gewichtsverhältnis. Er gibt an das wievielfache des Triebwerksgewichts das Triebwerk durch den eigenen Schub in der Schwebe halten kann und wird berechnet nach:

TW = Schub / g / Gewicht

mit g als Erdbeschleunigung (9,81 m/s²) und ist wenn man die Einheiten betrachtet dimensionslos:

TW = Schub [N = kg*m/s²] / [m/s²] / [kg]

Der TW ist abhängig von der Größe des Triebwerks – wie bei den meisten Maschinen werden diese effizienter, wenn sie größer werden – ein Ottomotor in einem PKW liefert auch mehr PS pro Kilogramm Masse als ein Rasenmähermotor. Daneben spielt die Treibstoffwahl eine Rolle. LOX/LH2-Triebwerke haben einen anderen Faktor als LOX/Kerosin da Temperaturen und mittlere Molmasse des Gases und damit Brennkammerdruck unterschiedlich sind und nicht zuletzt spielt auch der Druck eine Rolle: Je höher er ist desto höher der TW-Faktor.

Ab 1000 kN Schub steigt der TW kaum noch an und LOX/Kerosintriebwerke im Nebenstromverfahren erreichen einen TW von etwa 90 bis 100. Das Merlin 1C lag auch in dem Bereich: 483 kN Vakuumschub bei 522 kgh Masse, ergibt einen TW von 92,5.

Nun wird für das Merlin 1D ein TW von 180 angegeben: Das entspricht 468 kg Gewicht und 914 kN Schub. Die Frage ist, ist dies glaubwürdig? Man kann natürlich die SpaceX-Angabe glauben, was impliziert, das alle anderen Firmen die seit 60 Jahren Raketentriebwerke entwickelt haben, unfähig sind, ein leichtes Triebwerk zu bauen. Nicht nur in den USA, sondern auch Russland, China, Europa, Indien und Japan. Insbesondere pikant das, damit auch alle russischen Triebwerke geschlagen werden. Die USA haben ab Mitte der Sechziger Jahren kaum noch neue Triebwerke entwickelt: die vorhandenen reichten für die Trägerraketen aus und militärische Raketen waren nur noch Feststoff angetrieben. Russland entwickelte weiter mit flüssigen Treibstoffen angetriebene Triebwerke, setzte das Hauptstromverfahren mit Hochdruck ein. Den Rekord an TW, den ich kenne, bisher hielt das NK-33 mit 125:1. (Es gibt noch einige russische Triebwerke mit höheren TW-Faktoren, doch bei denen ist die Faktenlage relativ unpräzise, und keines erreicht einen TW von 180).

Es gibt aber einige Gründe daran zu zweifeln. Der Hauptgrund ist der, dass das Merlin 1D aus dem Merlin 1C entwickelt wurde. Das arbeitete bei 58 Bar. Das Merlin 1D aber mit 97 Bar und einer größeren Düse. Selbst wenn ich annehme, das SpaceX beim Merlin 1C eine Brennkammer verwendete, die einem viel zu hohen Brennkammerdruck standhält und diese schon auf die 97 Bar ausgelegt hat, muss das Merlin 1D durch die längere Düse (Flächenverhältnis 16 anstatt 14,5 zu 1) und das leistungsfähigere Treibstofffördersystem, das mehr Treibstoffe mit höherem Druck einspritzen muss und den Aktoren, die ja das Triebwerk bewegen, müssen schwerer als das Merlin 1C sein. Es ist aber nach SpaceX-Angaben leichter! Das ist wie wenn Porsche aus einem 300 PS Motor einen mit 600 PS entwickelt und der dann noch weniger wiegt, ein physikalischer Widerspruch.

Daneben liegt der Brennkammerdruck zwar üfr ein Nebenstromtriebwerk hoch, aber nicht auf dem Niveau des NK-33 von 146 Bar. Je höher der Druck, desto besser kann die TW werden, weil die Brennkammer kleiner wird und damit auch die Düse. Ich vermute der Wert bezieht sich auch nur auf die Brennkammer, die etwa die Hälfte des Triebwerks wiegt. Dann kämme das Gesamt-TW in einen Bereich von 90 bis 100 und damit in einen Bereich, der plausibel ist.

Strukturfaktoren

Rekordverdächtig sind auch die Strukturfaktoren der Falcon 9. Musk nennt 30 für die Erststufe und „nearly 25“ für die Oberstufe. Der Strukturfaktor ist definiert als:

Strukturfaktor=Vollmasse einer stufe/Leermasse einer Stufe

Sehr große LOX/Kerosinstufen (er ist wegen der Tankgröße vom Treibstoff abhängig) kommen auf 17 bis 18. So die Thor und die S-IC aber auch die Atlas D-F als Trägerrakete. Frühe ICBM Erststufen von Atlas und Titan kommen auf höhere Werte, doch waren diese nicht ausgelegt, schwere Oberstufen und aerodynamisch ungünstige Nutzlasten zu transportieren, so kollabierte bei MA-1 dem ersten Einsatz der Atlas fürs Mercuryprogramm die Atlas weil die aerodynamische Belastung durch die Mercury zu hoch war. Spätere Versionen der Erststufen, die größere Oberstufen aufnahmen, lagen dann auch bei 17 bis 18 Startmasse/Trockenmasse. Ein Strukturfaktor von 30 bedeutet das SpaceX die Stufen also mit der halben Trockenmasse herstellen kann, die woanders üblich ist. Dabei geht der Trend heute eher wieder zu schlechteren Strukturfaktoren und dafür preiswerter Fertigung.

Der Grund sollen neben den Merlin 1D mit dem TW-Faktor von 180 leichte Aluminium-Lithiumlegierungen sein. Nun erfindet SpaceX nichts Neues. Die Legierung gibt es wirklich, es ist die AL 2195. Wie die Nummer verrät, gehört sie zur Gruppe der Aluminium-Kupfer-Legierungen enthält aber auch ein wenig Lithium wund wird deswegen fälschlicherweise als Al-Li-Legierung bezeichnet. Wie bei vielen Legierungen ist der Gewichtsvorteil zu eingeführten, wie der 2219 und 2014 abhängig vom Einsatz und damit der Art der Kräfte die einwirken. SpaceX setzt sie für Tanks ein. Das tat auch die NASA als sie 1998 vom LWT des Space Shuttles auf den SWLT überging. Beim LH2-Tank senkte die Legierung die Masse von 13.155 auf 11.340 kg ab also, 16 %. Damit kommt man nicht auf den Strukturfaktor von 30, zumal bei der Erststufe durch die große Düse des Zweitstufentriebwerks ein sehr langer Stufenadapter hinzukommt. Die Tanks machen bei einer LOX/Kerosin-Rakete etwa die hälfte der Masse aus. So kann man, wenn man dort 16 % einspart, auf 8 % insgesamt kommen.

Es gibt einige Hinweise, dass die Werte nicht stimmen. Die Besten liefert SpaceX selbst. Als die Falcon 9 noch in der ersten Version flog, gab man an, dass der Triebwerksblock 7756 kg wog, die Hälfte der Gesamtmasse der Stufe, die nach NASA-Angaben 17.726 kg wog. Nun ist die aktuelle Falcon 550 t beim Start schwer, verglichen mit 333 t bei der ersten Version. Die Tanks sind im Durchmesser identisch, nur länger. Trotzdem müsste die aktuelle Falcon Erststufe, wenn man die Treibstoffmenge aufgrund der Angaben über Schub, Brennzeit und spezifischen Impuls berechnet, leichter sein als ihre Vorgängerin mit 60 % Treibstoffmasse. Das geht nur mit Materialien die negatives Gewicht haben.

Noch lustiger wird das, wenn man die aktuellen Daten von SpaceX nimmt. Von der SpaceX-Website der Falcon 9:

Nimmt man noch g = 9,81 m/s² hinzu um die US-Impulse ins metrische System umzurechnen, so kann man die Treibstoffmenge wie folgt berechnen:

Treibstoffmenge = Schub * Brennzeit / spezifischer Impuls / g

Man kommt auf 448378,6 und 100954,3 kg. Zieht man das von der GLOW ab so kommt man auf -279 kg für die Restmasse also das Trockengewicht!. Ja sie haben richtig gelesen, die Falcon 9 hat negative Strukturmasse! Und das, obwohl die GLOW (Gross-Liftoff-Wetmass) noch die Nutzlastverkleidung und Nutzlast selbst enthält. Ein echtes Wunderwerk der Technik!

Bei anderen Anbietern von Trägerraketen könnte man nun in den Users Guide für potenzielle Kunden schauen. Da findet man die wesentlichen Daten der Rakete wie Strukturmasse, Treibstoff und spezifischer Impuls. Nicht so bei SpaceX. Dort findet man – das ist absolut einmalig – bei einem Launch Service Provider, der also Satelliten starten will – nicht mal eine einzige Angabe für typische Nutzlasten für bestimmte Orbits.

Nicht zuletzt widerlegt SpaceX die Angaben schließlich selbst. In dieser Aussage schreibt, der für Trägerraketen verantwortliche bei SpaceX das die GTO-Nutzlast maximal (ohne Bergung) bei 6500 kg liegt, nicht 8300 kg wie auf der Website angegeben. Wer sich die Liste der Starts ansieht, wird auch etliche Starts entdecken, bei denen es keine Landung gab und trotzdem nur ein subsynchroner GTO erreicht wurde, obwohl der Satellit weit unter den 8,3 t lag.

Meiner Meinung nach ist die Website auch völlig unbrauchbar als Informationsmedium, weil SpaceX so etwas wie eine Medienabteilung nicht hat. Sie hat zwar dafür Verantwortliche, doch die dürfen keine Informationen herausgeben. So einhält sie nur die Informationen die Musk selbst schon getwittet hat. Musk aber redet wahrscheinlich nicht von realen Daten, sondern seinen Vorgaben, egal ob diese erreicht werden oder nicht. Vieles was er entscheidet macht bei näherer Betrachtung auch keinen Sinn. So hat er die Manager seines Starlink-Projekts gefeuert. Die Satelliten seien zu schwer und teuer. Da SpaceX eine Frist der FAA hat innerhalb von sechs Jahren die Hälfte der über 4400 geplanten Satelliten zu starten, ist das schon mal suboptimal, denn Verzögerungen gibt es so in jedem Fall. Da Gewicht (die beiden Prototypen wogen je 500 kg) müsste eigentlich auch kein Problem sein. Denn nun kann man ja die Falcon 9 Erststufe 100-mal verwenden. Dann muss man pro Start nur noch 1/5 der Rakete neu produzieren – die Oberstufe und ohne die vielen Starts für Starlink käme eine Erststufe ja mangels anderer Starts nicht mal auf 100 Einsätze. Zudem hat man nun ja die Falcon Heavy, die rund 100 bis 120 Satelliten auf einmal starten könnte. Mit 20 Falcon Heavy in sechs Jahren wäre so die Konstellation möglich. Also nicht logisch.

Ebenfalls nicht logisch ist der Übergang von CFK auf Stahl bei der BFR. Klar CFK ist viel teurer – Musk redet von 135 $ pro Kilogramm zu 3 $. Aber das Gefährt soll ja 100 % wiederverwendbar sein, regelmäßig sogar Flughäfen für Passagiertransporte von Kontinent zu Kontinent anfliegen. Da ist doch logisch, dass sich die einmaligen Herstellungskosten, selbst wenn sie höher sind, schnell durch mehr Nutzlast, den CFK wiegt mindestens 50% weniger als Stahl bei gleicher Beanspruchung leicht nach wenigen Flügen hereinholen lassen, weil man mehr Nutzlast oder Passagiere transportieren kann. Ich vermute Musk denkt sich, was aus was cool ist und das müssen dann andere umsetzen und wenn es nicht geht, dann gibt es eben solche Schwenks.

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