Bernd Leitenbergers Blog

Vor 30 Jahren – der Vorbeiflug von Voyager 2 an Neptun

Ja es ist wirklich schon 30 Jahre her seit Voyager 2 an Neptun vorbeiflog. Was hat sich in der Zeit nicht alles geändert. Damals gab es die ersten Nachrichten über Massenflucht von DDR Bürgern aus Ungarn – ein Jahr später fiel die Mauer. Der Kalte Krieg endete und zehn Jahre später begann ein neuer, nun gegen den islamischen Terrorismus. 1989 war noch Orwells Buch „1984“ und die Verfilmung im selben Jahr präsent. Vorstellen konnte sich das keiner. Heute haben viele Amazon Echo zu Hause, und Amazon Mitarbeiter (und wohl bald auch die NRA) können alles Gesprochene mithören. Kameras im Fernseher nehmen dazu noch die ganze Szene auf und keiner regt sich auf. Vor 30 Jahren demonstrierten bei uns die Leute gegen die Volkszählung mit vergleichsweise harmlosen Fragen. Kurz: die Welt hat sich in 30 Jahren gravierend geändert.

Der Vorbeiflug von Voyager 2 an Neptun war etwas Besonderes. Es war der einzige Vorbeiflug im ganzen Programm, bei der das Team die Möglichkeit hatte die Bahn frei zu wählen. Vorher war die Geometrie immer festgelegt, weil man von einem Planeten zum nächsten kommen musste. So gab es schon beim Start 1977 den Termin des Vorbeiflugs an Neptun. Er stand durch die Himmelsmechanik fest.

Es gab intensive Diskussionen, denn Voyager hatte 12 Experimente an Bord, die verschiedenste Phänomene messen. Auch das ein Relikt einer vergangenen Zeit, heute haben Sonden nur wenige Experimente an Bord und erheben nicht den Anspruch alles über einen Himmelskörper herausfinden zu wollen. Es gab Experimente zur Untersuchung der Teilchenumgebung und des Magnetfeldes. Andere stellten die chemische Zusammensetzung von Atmosphären und Oberflächen fest und wieder andere nahmen Bilder auf. Der Kernpunkt war: wie nahe sollte man Neptun passieren. Die Forderungen gingen von „so großer Abstand wie nur möglich“ (die von den Teilchen- und Wellenexperimenten kamen – dadurch war die Aufenthaltszeit in der Umgebung von Neptun maximal, da er die Sonde bei einer nahen Passage beschleunigte) bis zu „Sturz in die Atmosphäre“, die von den Atmosphärenexperimenten kamen, die so viel näher am Objekt waren. Die Distanz war deswegen so bedeutend, weil nach der Passage Neptuns das nächste Ziel Triton war. Der Mond wurde wenige Stunden nach der Passage von Neptun passiert. Da er sich auf einer geneigten retrograden Umlaufbahn befand, bedeutete eine nahe Neptunpassage eine starke Umlenkung der Sonde und eine nahe Passage an Triton. Da Triton der einzige Mond war, der nahe passiert werden konnte – Neptun hatte bis zum Vorbeiflug von Voyager 2 nur zwei bekannte Monde und der zweite Mond, Nereid war zu weit entfernt um ihn passieren zu können, galt ihm die volle Aufmerksamkeit nach der Passage Neptuns. Das war überzeugend und so setzte sich die nahe Passage durch. Doch wie nah? Optimal wäre eine Passage in 1.000 bis 1.300 km über der Wolkenobergrenze. Tiefer wollte man aus Sicherheitsaspekten nicht gehen. Doch man musste die Passage schon im Sommer 1986 festlegen und damals gab es Hinweise für Ringe, die genau in der Zone waren, die die Sonde passieren würde, wenn sie den Äquator kreuzt. Dort liegt die Ringebene. Aus Sicherheitsgründen wurde so die Distanz auf 4.800 km angehoben, das ergab einen Abstand von 5.000 km zu der vermuteten Zone mit den Ringen, dafür stieg der Abstand bei Triton auf 38.500 km an.

Bedingt durch die nahe Passage war Voyager 2 auch bei der Passage voll ausgelastet. Bei früheren Vorbeiflügen gab es in regelmäßigen Abständen vorher schon niedrige aufgelöste Aufnahmen der Hauptmonde. Die entfielen bis auf wenige Aufnahmen von Triton. Die nahe Passage bot optimale Bedingungen für die Untersuchung der Atmosphäre, dann eine lange Bedeckungsperiode, in der Sender ihr Signal zur Erde schicken konnte und man sie so zusätzlich durchleuchten konnte. Erst lange nach dem Vorbeiflug an Neptun richtete sich das Hauptaugenmerk auf Triton.

Ich habe schon vor einem Jahrzehnt einmal alle Voyager Bilder aus dem NASA Datenarchiv herunterladen und konvertiert und ich wunderte mich immer, warum es so wenige Aufnahmen von Triton aus der nächsten Nähe gibt. Es sind insgesamt nur 55 Teleaufnahmen und noch eine Handvoll Weitwinkelaufnahmen. Für den Blog habe ich nun mal einen Blick in die offizielle Ankündigung zum Vorbeiflug geworfen, übrigens viel besser lesbar als heutige Publikationen der NASA zu ähnlichen Ereignissen und auch viel detaillierter – noch etwas, was in 30 Jahren rapide schlechter wurde. Es sind in der Tat nur drei Bildsequenzen. Eine in Farbe über die halbe Oberfläche und zwei Mosaike von dem Zentrum der Scheibe und dem Terminator. Man hat nicht ein vollständiges Mosaik des Mondes angefertigt. Bei 38.500 km Minimaldistanz hätte ein Bild einen Ausschnitt von etwa 300 km x 300 km abgebildet, bei 33 % Überlappung hätte man also 49 Aufnahmen benötigt, um den Mond komplett zu erfassen. Da die Distanz zunimmt und Voyager 2 recht schnell unterwegs war – etwa 6,5 km/s relativ zu Triton und die besten Bilder es nicht am nächsten Punkt, sondern aus 53.500 km Distanz gab, hätte man in der Praxis weniger Aufnahmen benötigt.

Ich habe mir die Angaben zu den Aufnahmen angesehen und gefunden, dass sie in einem Abstand von 96 s aufgenommen wurden. Das entspricht der Datenrate des Bandrekorders der 100 Aufnahmen zwischenspeichern konnte. Die Datenrate zur Erde war trotz Kompression und dem Zusammenschalten von Empfangsantennen geringer. Also ich hätte wahrscheinlich den Bandrekorder voll ausgenutzt, zumal es nur noch ein Experiment gab, das eine ähnlich hohe Datenrate erzeugte, das war das Plasmawellenexperiment und das war zu dem Zeitpunkt nicht aktiv.

Trotzdem waren die Bilder eine Sensation. Triton war ganz anders als alle Monde vorher. Fast ohne Krater, mit verschiedenfarbigen Regionen, Runzeln, hellen und dunkeln Flecken – wie man später feststellte, waren das Geysire. Heute, nachdem man auch Bilder von Pluto hat, fallen die Parallelen auf – auch hier eine zweifarbige Oberfläche, auch hier komische Geländeformationen, die man zuerst nicht erklären kann und ebenfalls eine Atmosphäre, bei Pluto sogar noch ausgedehnter als bei Triton. Da ist aber auch nicht Neptun in der Nähe, der mit seiner Gravitationskraft die Gase „absaugen“ kann.

Voyager sticht in vielen heraus. Natürlich dadurch, dass das Programm vier Planeten anflog. Das ist für die nächsten 134 Jahre ausgeschlossen, zumindest nicht vertretbarem Geschwindigkeitsbedarf. Aber die Sonde brillierten auch durch ihre Technik. Als sie beschlossen wurden, dauerte die längste Raumsondenmission, die von Mariner 9 gerade mal eineinhalb Jahre. Für Voyager wurde eine Arbeit über 5 Jahre gefordert, schon das war ehrgeizig. Inzwischen haben sie 42 Jahre auf dem Buckel. Dann die Technik. Drei Computersysteme jeweils redundant vorhanden, für unterschiedliche aufgaben. Ein Sendesystem das aus Jupiterentfernung, einem Mehrfachen der Marsentfernung die achtfache Datenrate von Viking, der letzten Mission. Vergleichen mit der letzten Jupitermission (Pioneer 10/11) war der Sprung mit dem Faktor 108 sogar noch höher.

Und sie arbeiten immer noch. Natürlich sind die meisten Experimente abgeschaltet, die Kameras als Erste schon 1990, weil sie ja nichts mehr aufnehmen konnten. Die anderen Experimente folgten sukzessive, vor allem um Strom zu sparen. Um 2025 wird man kein Instrument mehr betreiben können. Ich bin trotzdem dafür das die NASA die Raumsonden weiter kontaktiert, auch wenn sie nur noch Telemetrie senden können. Wahrscheinlich nicht ewig, auch wenn es interessant wäre, zu wissen, wie lange sie noch arbeiten können, aber ich denke das 50-ste Jubiläum – die Sonden starteten am 20.8.1977 und 5.9.1977 sollten sie noch erleben.

Ich habe auch an anderes zurückgedacht. Die Voyager-Ergebnisse gab es damals vor allem auf Papier. In Sientific American oder in Fachbüchern. Ich habe 1983 jeweils 30 Mark für zwei dünne Bände (je 96 Seiten) ,mit den Ergebnissen von den Vorbeiflügen an Jupiter und Saturn ausgegeben. Das wären heute sicher um die 60 bis 90 Euro. Hat mir nichts ausgemacht, das wahr es mir wert. Heute beschweren sich Leute, wenn sie umsonst in einer Website viel mehr Informationen als in vielen Büchern finden über die Rechtschreibung.

Mit den beiden Voyagers begann mein Interesse für Raumfahrt, genauer gesagt mit dem Farbteil des Buchs „Planetenlexikon“ das ich mir im Juli 1980 kaufte. Bei den Vorbeiflügen an Saturn fotografierte ich mit einer Pocketkamera die Aufnahmen in den Nachrichten vom Fernseher ab, weil ich nicht Monate oder Jahre bis zu einem Buch warten wollte. . Wie man sich denken kann, wurden die meisten Bilder nichts. Die Kamera war dafür nicht geeignet und von den Tücken des Zeilensprungs hatte ich auch keine Ahnung. Über die ganzen Achtziger verfolgte ich die Sonden. Zugegeben – viel mehr gab es damals auch nicht zu verfolgen. Richtig viele Sonden kamen erst in der zweiten Hälfte der Neunziger zum Start. Doch da gab es schon Internet und ich konnte damals aus dem Vollen stöbern. Doch auch das ist mittlerweile 20 Jahre her und das Rad dreht sich rückwärts. Über eine aktuelle Raumsonde könnte ich weniger schreiben als über Voyager. Ebenso über Ariane 6 weniger als über Ariane 1. Wer Lust hat, sollte mal die eingescannten PDF der JPL Bulletins ansehen. Vergleichen, mit dem was man heute über Missionen erfährt, waren die episch und sie waren aktuell: Die Tritonaufnahmen, die am 25.sten entstanden und erst am Morgen des 26.sten überspielt wurden erschienen am gleichen Tag im Bulletin. Zum Vergleich: Heute meldet Skyweek, das die Mascot-Aufnahmen der Landung auf Ryugu veröffentlicht wurden. Wahnsinn, lediglich 10 Monate nach der Landung am 3.10.2018. Oder was ist mit den Aufnahmen von CASSIS, der Kameras des TGO? Die kann man an den Fingern der Hand abzählen. Dabei haben die Schweizer sogar angekündigt, das die Community mitbestimmen darf, was abgelichtet wird. Ja versprechen kann man viel. Wie vieles andere in den letzten 30 Jahren ist es nicht schlimmer geworden.

Manchmal komme ich mit vor wie die Fans des Fußballs. Es ist nicht mehr das gleiche wie früher. Fußball ist heute nur noch kommerziell, Raumfahrt geheim oder es gibt nur Werbeslogans oder geschönte, seichte Pressemitteilungen. Man sollte sich von beidem verabschieden und seine Zeit in etwas anderes investieren. Aber wie die meisten Fußballfans bleibe ich noch dabei. Wahrscheinlich wird es auch weitergehen wie beim Fußball. Wer Bundesliga und Co ansehen will, muss zahlen. Echte Ergebnisse und Fakten aus der Raumfahrt wird es wahrscheinlich auch bald nur noch in Nature, Science oder ähnlichen Publikationen geben. Die europäische Raumfahrt hat dieses Niveau ja schon erreicht.

Wer in Erinnerungen schwelgen will: Die Tagessschau von damals.

Die mobile Version verlassen