Auf den heutigen Blog bin ich durch die Diskussion um den Impfstoff von AstraZeneka gekommen, das Thema ist aber auch allgemein interessant, weil man in der Medizin gerne mit Prozenten Wahrscheinlichkeit jongliert, die meisten aber nicht wissen, wie diese Zahlen zu interpretieren sind. Prozente kommen einem im Alltag meistens bei Kapitalanlagen oder Preisen unter. Zumindest bei Additionen ist das einfach, man rechnet zum Preis einfach den Preis x Prozent / 100. Etwas schwerer ist es beim Subtrahieren, also wenn es vor allem bei Angeboten heißt es „40 % weniger“, weil sich das auf den Ausgangspreis bezieht.
Die eigentliche Problematik ist aber eine andere. Es ist ein relatives Maß und das vergessen wir zu gerne. Relatives Maß bedeutet: 1 % Zinsen sind bei 10.000 Euro nicht viel, bei 10 Millionen Euro kann man komfortabel davon leben. Das ist auch ein Grund, warum Reiche immer reicher werden – selbst wenn sie ihr Geld nur konservativ anlegen, also jegliches Risiko vermeiden, können sie ab einem bestimmten Vermögen nicht mal die Zinsen durch den Lebensunterhalt verbrauchen, geschweige denn das sie wie die meisten die kein großes Vermögen haben dieses mal angreifen müssen, um eine größere Anschaffung zu tätigen, wie das bei durchschnittlichen Einlagen der Fall ist.
Richtig problematisch wird das Prozentrechnen aber bei kleinen Wahrscheinlichkeiten. Da täuschen Prozentzahlen leicht über die echte Größe hinweg. Nehmen wir mal den aktuellen Fall des AstraZeneca Impfstoffs. Da gab es (Stand 18.3.2021) 13 Fälle in Deutschland von Sinusvenenthrombosen, von denen drei tödlich verliefen bei bis dahin 1,6 Millionen verabreichten Dosen. Davon sind 12 Frauen und bei den ersten sieben Fällen gab es bei vier Fällen vorher Störungen des Blutgerinnungssystems, die Ursache für eine Thrombose.
Man kann das nun verschieden sehen. Die Sinusvenenthrombose ist relativ selten, die normale Todeswahrscheinlichkeit liegt bei einem Fall pro Million Personen und Jahr. So gesehen sind drei Tote, wenn man auch berücksichtigt das der Impfstoff nur kurz in der Anwendung ist und es auch noch die Zweitimpfung gibt viel, das sind dreimal so viel wie natürlich vorkommen würden. Also eine Steigerung um 300 %. Da zuckt man zusammen. Aber es bezieht sich auf eine geringe Wahrscheinlichkeit, nämlich 1 in 1 Million. Auf der anderen Seite ist es kein Zufall, das zwölf der 13 Patienten Frauen waren. Denn die Antibabypille steigert das Thromboserisiko (nun nicht nur auf diese spezielle Form reduziert) enorm. Ohne Antibabypille erkranken 2 von 10.000 Frauen pro Jahr an Thrombose. Je nach Präparat steigt diese Rate auf 9 bis 12 pro 10.000. Also auch hier eine Steigerung um 350 bis 500 Prozent, aber und das ist wesentlich, bei einem viel höheren Risiko nämlich 1 in 5000 anstatt 1 in 1 Million.
Das ist immer so. Man kann, wenn man die Daten, die bei der Behandlung anfallen und wenn man sie in Verbindung mit dem Auftreten von Krankheiten setzt, immer für alles ein Risiko ausrechnen und oft auch, ob ein Risiko erhöht ist. Für den Einzelnen relevant ist aber wie hoch das tatsächliche persönliche Risiko ist. Impfgegner sind unfähig diese Unterscheidung zu treffen. Es gibt bei jedem Impfstoff – auch gegen Grippe, Diphterie oder Tetanus – eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass es schwerwiegende Komplikationen gibt. Aber verzichte ich deswegen auf die Impfung? Wenn ich eine neutrale Risikoabwertung mache, was passieren kann, wenn ich die Infektionskrankheit bekomme, dann entscheide ich mich immer für den Impfstoff. Denn die Infektion ist viel wahrscheinlicher als die Nebenwirkung des Impfstoffs. Windpocken – eine für Kinder in der Regel harmlose Infektionskrankheit, erzeugt bei Erwachsenen fünf bis sechsmal häufiger Komplikationen, die bei bestimmten Vorerkrankungen sogar lebensgefährlich sein können und die können sich weil sich die Erreger wie der Wind verbreiten, daher auch der Name, auch noch leicht bei Kindern anstecken.
Ein anderes Beispiel ist die Schlagzeile, die es vor einigen Jahren gab, als es die Meldung gab, das „rotes Fleisch“ das Darmkrebsrisiko signifikant erhöht. Das stimmt. Aber es stimmt auch das andere Faktoren prozentuell erheblich mehr Risiko bringen. Um mal das Worst-Case Szenario zu nehmen: Dickdarmkrebs tritt vor allem im höheren Alter auf und es ist bekannt, dass bei einer genetischen Vorbelastung die Wahrscheinlichkeit erhöht ist. Zudem sind Männer häufiger als Frauen betroffen und der Lebensstil (Sport, Ernährung spielt auch eine große Rolle). In der Altersgruppe von 50 Jahre alten Männern mit generischer Vorbelastung gibt es eine Wahrscheinlichkeit von 13,4 % in den nächsten 30 Jahren an Darmkrebs zu erkranken. Das ist erstmal ein hohes Risiko. Doch alleine durch gesunden Lebensstil kann man das auf 7,6 % senken und mit regelmäßigen Kontrolluntersuchungen und Entfernung von Polypen, aus denen der Krebs sich bilden kann auf 2,6 %, also auch eine Reduktion von 400%. Da sind die 40 % höheres Risiko durch rotes Fleisch klein.
Vor allem kann man das Risiko mit den entsprechenden Zahlen auch klein rechnen. Quarks tat das gerade bei dem obigen Beispiel des roten Fleisches. Nur haben sie dann natürlich nicht die Bevölkerungsgruppe ab 50 genommen, sondern alle. Da der Krebs vor allem im Alter auftritt, Männer häufiger als Frauen betroffen sind und die Genetik das Risiko erhöht, senkt das schon mal den Prozentsatz. Anschließend haben sie die Zahlen nicht auf 30 Jahre, also die zu erwartende Restlebenszeit von 50-Jährigen, sondern pro Jahr bezogen und schwupps kamen sie auf 3,5 Fälle pro 10.000 Personen und Jahr. Mit dem übermäßigen Konsum von rotem Flesich und Wurstwaren steigt dann nach Quarks das Risiko um 1 Fall pro 10.000 also ein kleines Risiko.
Ja mit Prozentangaben kann man gut jonglieren und sie verbergen die Größe der Datenbasis oder den realen Effekt. Innerhalb der Blogleser ist SimonVr der Spezialist sich aus Zahlen immer gerade die rauszusuchen, die ihm passen oder noch besser Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Wenn ich z.B. beweisen will, das OneWeb beim Ausbau seines Webs einen größeren Fortschritt macht, dann gelingt mir das leicht. Heute starteten innerhalb von 24 Stunden jeweils Raketen mit Starlink und OneWeb Satelliten. Es war der 25.ste Starlink Start aber erst der fünfte für Oneweb. Oneweb ging ja durch die Coronapandemie über fast ein Jahr in die zeitweilige Insolvenz, weil Finanziers absprangen wurde mittlerweile durch die britische Regierung und einen Großanleger gerettet, hat dadurch aber ein Jahr Verloren in denen SpaceX alleine 13-mal startete.
Also sollte SpaceX ja viel weiter beim Aufbau seines Netzes sein. Tja es sind nun nach diesen beiden erfolgreichen Starts 1.385 Starlink Satelliten gestartet (ich zeihe nicht mal die inzwischen deorbitierten ab) aber nur 146 Satelliten für OneWeb. So sieht es an absoluten Satellitenzahlen besser für Starlink aus. SpaceX hat 848 % mehr Satelliten gestartet und etwas weniger noch im Orbit. Doch wenn ich auf Prozentangaben des Netzausbaus umschwenke, dreht sich alles um. Starlink umfasst als Gesamtnetz in der ersten Ausbauphase 12.000 Satelliten, Onweb lediglich 720. Beide Zahlen berücksichtigen Reservesatelliten um Ausfälle abzufangen. 1.385 von 12.000 Satelliten sind 11,5 Prozent, 146 von 720 Satelliten sind 20,3 Prozent. Oneweb ist also fast doppelt so weit wie Starlink beim Netzausbau. Man kann das noch weiter spinnen: Das Netz kann Oneweb mit weiteren 15 Starts fertigstellen, SpaceX benötigt noch 177 Starts, das sind also 1080 % mehr. Viel besser wird es auch bei der Startrate: Onweb würde bei je sechs Starts von Wostoschny und dem CSG das Netz in 15 Monaten fertigstellen. SpaceX bei der angekündigten dauerhaften Startrate von einem Start alle zwei Wochen, also 25 pro Jahr fast 7 Jahre brauchen, also auch hier 444 % mehr.
Wäre ich nun SimonVR, würde ich darin einen Beweis sehen, wie miserabel SpaceX gegenüber Oneweb aufgestellt ist …
Zuletzt noch ein Ausflug in das nun wieder häufig benutzte Wort „exponentielles Wachstum“. Auch das hängt mit der Prozentrechnung zusammen. Etwas steigt immer exponentiell wenn das, was durch einen prozentualen Zuwachs entsteht, in der Gesamtheit verbleibt. Also um ein Beispiel aus dem Alltag zu nehmen: Man für sein Geld Zinsen bekommt und die nicht abhebt. Das ist die sogenannte Zinseszinsrechnung. 1000 Euro zu 3 % angelegt liefern dann nach 1 Jahr 30 Euro Zinsen, nach 10 Jahren aber 40,32 Euro. Das ist wenig mehr, weil der Zinssatz klein ist, kann bei Wucherzinsen aber dazu führen, dass man die Zinsen bald nicht mehr bezahlen kann. In der Biologie ist exponentielles Wachstum üblich – alle Arten bringen mehr Junge zur Welt als benötigt werden, um die Sterberate bei den Erwachsenen zu kompensieren. Denn normal ist, dass nicht alle geschlechtsreif werden. Man muss nicht mal das berühmte Beispiel der Bakterien anwenden, bei denen sich die Zahl unter optimalen Umständen alle 20 Minuten verdoppeln kann. Es geht auch mit der Menschheit. Die Menschheit hat 160.000 Jahre gebraucht um vom ersten Homo Sapiens der als genetische Mutation in Afrika entstand auf eine Population von 3 Mrd. zu kommen, die etwa um 1960 erreicht wurde. Für die nächste Verdopplung auf 6 Milliarden, benötigte man dann nur 39 Jahre. Diese Grenze wurde im Jahr 1999 erreicht. Inzwischen, 21 Jahre später, sind wir bei einer Weltbevölkerung 7,8 Mrd. Wie eigentlich jedem einsichtig nützen alle Bestrebungen zur Reduktion der Klimagase nichts, wenn das so weitergeht. Im Gegenteil: Würden wir wieder die Population auf rund 2 Milliarden reduzieren, dann müssten wir gar nichts für das Klima tun. Aber wir haben hier ein anderes Problem: Der Mensch hat nur eine begrenzte Fähigkeit sozial zu reagieren, vor allem wenn es um sehr große Kollektive wie die Weltbevölkerung geht. Es scheitert ja meist schon bei viel kleineren Gruppen. Das ist in der Quintessenz auch der Grund warum der Kapitalismus als Gesellschaftsform sich gegenüber dem Kommunismus durchgesetzt hat, den ersterer hat ja das grundlegende Postulat, das wenn jeder für sich das beste anstrebt es allen besser geht und der Kommunismus das Postulat, das es allen besser geht wenn man gemeinsam an etwas arbeitet. Der Kapitalismus setzt auf den Egoismus im München, der Kommunismus auf seine Sozialfähigkeiten. Leider sind wir in der regel aber Egoisten – mehr oder weniger.