Bernd Leitenbergers Blog

Das letzte ISS Modul

Es sieht so aus, als würde ich diese Woche noch einen Witz verlieren. In Anlehnung an den Spruch „UNIX ist das Betriebssystem der Zukunft – und das schon seit 20 Jahren!“ sprach ich davon dass Nauka konstant zwei Jahre vom Start entfernt sei, und das schon seit zehn Jahren.

Doch nun soll das Modul endlich starten, es wurde auf eine Proton M montiert und die wird bald zum Startplatz gefahren. Zeit an die wechselvolle Geschichte dieses Moduls und auch der russischen Module insgesamt zu erinnern.

Das alles fing im September 1993 an, als Russland und die USA den Rahmenvertrag für die ISS unterzeichneten. Auf dem Papier sah er nach einer Win-Win Situation aus. Die USA würden bei ihrer Raumstation, die seit 1984 unter Bezeichnung „Alpha“ Gestalt annahm, Module einsparen und so knapp 2 Milliarden Dollar weniger benötigen – die Kosten für Alpha waren eigentlich seit Konzeptbeginn zu hoch. Zudem sollte die Station durch die Hinzunahme von russischen Modulen früher den Status erhalten, bei dem man Forschung betreiben kann. Russland wollte Mir durch ein Nachfolgemodell, Mir-2 ersetzen und könnte die russischen Module, die dafür im Bau waren, nun für die ISS nutzen. So spart Russland die Kosten für neue Module.

Doch nur auf dem Papier war dies eine Win-Win Situation. In Wirklichkeit verlor die russische Wirtschaft schon seit Jahren an Produktivität, sanken die Staatseinnahmen, war zeitweise nicht mal die Versorgung der Bevölkerung mit Dingen des täglichen Bedarfs gesichert. Im Raumfahrtsektor, der eigentlich nur ein Teilbereich des militärischen Sektors war, wurden massiv Stellen abgebaut. Mir-2 sollte eigentlich fünf Jahre nach der ersten Mir gestartet werden, doch die Mir war bei Vertragsunterzeichnung schon acht Jahre im Orbit. Wenn es also schon bei Russland nicht mit Mir-2 klappte, warum dann mit der ISS?

Die NASA unterstützte sogar die ISS, indem das Spektr-Modul mitfinanziert wurde und Space Shuttles an die Mir andockten und Fracht und Kosmonauten brachten, sodass Russland Progress-Raumtransporter und Sojus-Raumschiffe einsparte.

Schon bevor 1998 das erste ISS-Modul gestartet wurde 1995 das erste russische Modul gestrichen. Die NASA sagte zuerst zu, das Modul mit einem Space Shuttle zu starten. Das war die Science Power Plattform, die den Strom für das russische Segment liefern sollte. Die NASA rechnete ab 2001 nicht mehr mit einem Start, Russland gab die Einstellung aber erst 2008 bekannt. Auch von den drei russischen Forschungsmodulen blieb nach dem Jahr 2001 nur noch Nauka übrig. Ebenso gestrichen wurde ein Universal Docking Modul, ein Nachbau von Swesda, das weitere Kopplungsadapter für Sojus und Progress zur Verfügung stellte. Immerhin, das konnte eingespart werden, weil ja drei weitere Module wegfielen. Der russische Teil der ISS (nur die größeren Module) schrumpfte von sieben auf drei Module.

Doch die Probleme begannen damit erst. Selbst für die beiden Module, die eigentlich schon im Rohbau waren, fehlte das Geld. Die NASA musste ausstehende Löhne beim Hersteller bezahlen, die ESA lieferte das Computersystem. Das war deswegen von Bedeutung, weil die russischen Module die einzigen mit Antrieb sind. Sie müssen also vor den US-Modulen im Orbit sein, damit die Station ihre Bahnhöhe halten kann. Sarja und Swesda waren denn auch die ersten Module der Station. Damit konnten die anderen Partner die ISS weiterbauen. Russland war aber noch nötig, um die Station zu versorgen und die Besatzungen auszutauschen – ursprünglich nur geplant bis zur Fertigstellung, dann sollte das Space Shuttle diese Rolle übernehmen, wurde nach Ausmusterung der Shuttles eine Dauerrolle daraus.

Nauka ist das letzte verbliebene russische Modul. Es ist das einzige Forschungsmodul: Sarja ist im Prinzip ein großer Lagerraum für Fracht und Treibstoff und in Swesda steckt die ganze Logistik der Station auf russischer Seite wie das Lebenserhaltungssystem, Kontrollen und Schlafplätze. Entsprechend sieht Russlands Anteil in der Forschung bei offiziellen Dokumenten auch recht bescheiden aus.

Doch da die internationalen Partner das Modul Nauka („Wissenschaft“) nicht benötigten, gab es für dieses Modul keine Finanzhilfe von NASA, ESA und JAXA. Geplant war ein Start im Jahr 2007. Als ich meine erste Auflage des ISS-Buches im Jahre 2010 schrieb, war er schon auf den Dezember 2011 gerutscht und damit nach allen anderen Modulen. Das er auch zu dem Termin erfolgen würde, bezweifelzte ich schon 2010. Seitdem verzögerte er sich immer weiter. Dabei war das eigentliche Kernmodul ohne die Ausrüstung, ein Backup von Sarja schon beim Start von Sarja zu 70 % fertiggestellt. 2013 entdeckte man das der Treibstoff mit Metallstaub kontaminiert war. Zwischendurch erwog Roskosmos sogar das Modul sogar zu verschrotten. Nun ist es endlich fertig, nur 15 Jahre nachdem der Auftrag für die endgültige Fertigung unterschrieben wurde (es gab nachdem die beiden anderen Wissenschaftsmodule gestrichen wurde natürlich Änderungen).

Was könnte nun kommen? Nun es könnte einfach weiter gehen wie bisher. Russland hätte mehr Forschungsgelegenheit durch ein eigenes Modul. Da Russland nun auch keine (westlichen) Astronauten der anderen Partner befördern muss, können sie mehr Kosmonauten zur ISS bringen, die dann auch forschen können. Ich bezweifele das, denn schon früher ging es auch bei der Mir Russland die um Forschung, die spielt im Raumfahrtorgramm auch bei den unbemannten Satelliten und Sonden keine große Rolle.

Die zweite, für mich wahrscheinlichere Möglichkeit ist, das Roskosmos nach wie vor zu wenig Mittel hat. Die Beförderung der Passagiere hat ja auch die Starts zumindest mitfinanziert. Im Mittel wurden 1,5 von 3 Sitzen von den Partnern Russlands genutzt, dass brachte bei vier Sojus-Missionen pro Jahr knapp 500 Millionen Dollar in die Kasse. Bei einem Gesamtbudget von 2,77 Mrd. Dollar für Roskosmos, weniger als das der ESA, ist das schon fast 20 % des gesamten Haushalts.So kann es sein das Russland seien Beteiligung an der ISS herunterschraubt oder wie zu Mir-Zeiten die Astronauten länger im Orbit lässt, um Starts einzusparen. Alternativ könnte man die freien Plätze für Weltraumtouristen nutzen. Das Problem: Hier gibt es mit SpaceX eine Konkurrenz, die einige Vorteile hat:

Und dann gibt es noch die Verlautbarungen aus Russland. Die sprechen sogar von einer eigenen Station, bei der man dieses neue Modul natürlich gut brauchen könnte. Immer dann, wenn die Beziehungen zu den USA nicht gut sind, kommen solche Drohungen von russischer Seite, wobei die NASA auf Nauka gut verzichten kann, weniger aber auf Sarja und Swesda. Doch neu ist das nicht. Denn schon 1995 schlug Russland vor, anstatt neue Module zu bauen einfach die beiden neuesten ISS Module Spektr und Prioda für die ISS zu nehmen. Später wollte man die ganze Mir an die ISS andocken. Also wenn man sich nichts Neues leisten kann, verwendet man das alte neu. Das ist Russlands Weg des Recycling.

Aber wer weiß, vielleicht ist das ja auch der Beginn von neuen Modulen? Als 2005 Constellation angekündigt wurde, wurden auch auf westlicher Seite Module gestrichen und die Besatzungsstärke von sieben auf sechs reduziert – sieben hat man nun ja wieder, vielleicht startet man auch die damals vorgesehenen Module. Es könnten auch kommerzielle Module sein, die von US-Anbietern stammen, auch wenn Bigelow als größer Anbieter inzwischen insolvent ist. Russland könnte – letzte Option – auch den zusätzlichen Platz, den sie durch Nauka gewonnen haben, nutzen um US-Touristen einen Aufenthalt zu ermöglichen, ohne sie aber selbst zu transportieren. Die sind bisher ja auf Kurzzeitmissionen beschränkt und sie könnten den Preiskatalog der NASA für Ressourcen unterbieten, nachdem diese die Preise kürzlich stark erhöht hat, auch wenn ich nicht glaube das sie kostendeckend sind. Zumindest vor einigen Jahren kostete der Transport von Fracht und die Touristen benötigen ja auch Verbrauchsgüter, weniger als mit den US-Systemen.

Wer weiß – vielleicht nutzt man in einigen Jahren die volle Sitzplatzkapazität von Starliner und Dragon aus, dann wären dauerhaft 10 Personen auf der ISS anstatt bisher sechs bis sieben. Da alleine mindestens vier nur für Houskeeping arbeiten nötig sind, bringt dies der Forschung einen richtigen Boost. Dazu benötigt man natürlich mehr Platz, idealerweise ein Modul nur zum Wohnen – das wurde ja 2005 gestrichen. Alternativ könnte auch die NASA jeweils drei Touristen mit zur ISS mitnehmen und mit der letzten Besatzung zurückkehren lassen. Da dies praktisch kaum mehr kostet, der Start mit vier Personen ist ja schon finanziert, würde man sogar so Geld verdienen. Aber das wäre ein Abkehren von der bisherigen ISS-Politik, aber wer weiß, COTS und CCDev waren ja auch schon ein Bruch mit dem bisherigen System. Und Anzeichen dafür gibt es denn, solange Touristen nur mit der Sojus zur ISS kommen konnten, war die NASA strikt gegen „Weltraumtourismus“, die Torsuiten mussten im russischen Segment oder in angekoppelten ATV übernachten. Nun da der Anbieter ein US-Unternehmen ist, ist das natürlich okay, obwohl der Tatbestand eigentlich der gleiche ist.

Dabei ist offen, wie lange die ISS betrieben werden kann. Beschlossen ist ein Betrieb bis 2028, also 30 Jahre nach dem ersten Modul. Das Ergeben Studien und Beobachtungen über den Zustand der Station. Diese Frist wurde schon dreimal verlängert, von 2016 auf 2020, dann 2024 und nun 2028. Es wäre zu wünschen, auch wenn ich nichts von der ISS halte, aber nun hat man runde 10 Milliarden in US-Vehikel für die Versorgung und den Mannschaftstransport investiert und dann sollten diese auch möglichst oft zum Einsatz kommen.

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