Okay, ihr könnt es nicht mehr hören, Corona hier, Corona da. Unser neuer Gesundheitsminister Lauterbach ist da noch präsenter in den Medien als sein Vorgänger Spahn – wen wundert das, war er doch vorher gefühlt in jeder zweiten Talkshow. Wir sind gerade in der vierten Welle, auch wenn die derzeit etwas abklingt, komischerweise genau an dem Tag wo wir eine neue Regierung hatten, sanken die Fallzahlen … schon werden Beschlüsse für die fünfte noch kommende Welle beschlossen und wen wundert es – es sind die gleichen Maßnahmen, wie vor einem Jahr!
Ich möchte mal einen anderen Gesichtspunkt einnehmen, und zwar einen losgelöst vom aktuellen Geschehen und dessen Bekämpfung. Was unterscheidet die vierte Welle von den vorherigen? Ganz einfach. Nun sind 70 Prozent der Bevölkerung geimpft. Der Prozentsatz steigt wegen Impfgegnern nicht mehr wesentlich an und selbst nach RKI-Informationen sind maximal 77 Prozent Geimpfte möglich, der Rest entfällt auf Kinder, die man nicht impfen kann oder Risikogruppen.
Das heißt aber auch: viel besser wird es mit dem Gesamtschutz der Bevölkerung nicht werden. 90 bis 95 Prozent derer die derzeit auf Intensivstation liegen sind Ungeimpfte, also 30 Prozent der Bevölkerung sorgen für 90 bis 95 % der Belastung, 70 % für 5 bis 10 Prozent. Würden wir nun alle impfen die man impfen könnte, dann würde die Belegung durch Ungeimpfte um 30 % / 23 % = 30 % sinken und die durch ungeimpfte um 77 % / 70 % = 10 % steigen, das wären dann netto immer noch 80 % der heutigen Belastung.
Und das wäre der Dauerzustand, denn das verschweigt uns die Politik. Eine Herdenimmunität gibt es spätestens seit der Delta-Variante nicht mehr. Da sind auch Geimpfte, die nicht erkranken ansteckend. Und schon bei der Delta-Variante kann man sich trotz Impfung anstecken, so ist es einem Bekannten von mir gegangen, der durch die Kinder der Freundin infiziert wurde, viereinhalb Monate nach der zweiten Impfung. Er hatte nur Symptome einer Erkältung, musste aber trotzdem in Quarantäne und hat freiwillig sogar eine Woche dran gehängt. Wie haben jetzt eine weitestgehend durch-geimpfte Bevölkerung, die meisten, da der Großteil der Impfungen im Sommer war, noch keine 6 Monate seit der letzten Impfung. Trotzdem schützt das nicht von der Delta-Variante und wird auch nicht vor der Omikron-variante schützen und wahrscheinlich nicht von weiteren Varianten die kommen werden.
Es ist eben wie bei der Grippe – jedes Jahr eine neue Variante und man versucht der Grippe schon seit Jahren zuvorzukommen, indem man die Variante errät bzw. die Vaccine nach der Variante, die gerade auf der Südhalbkugel aktiv ist, herstellt. Denn wie bei Grippe ist das Coronavirus in der Kälte schlimmer und da abwechselnd auf jeder Hemisphäre mal Winter ist, fährt man bei Grippe seit Jahrzehnten diese Taktik.
Der wesentliche Unterschied zu Corona sind zwei Dinge. Zum einen ist Corona viel gefährlicher. Derzeit bei 70 % Geimpften sterben etwa 1 Prozent der Infizierten, bei der Grippe ist das stark unterschiedlich. Bei der bisher größten Grippewelle 2017/18 wurde die Zahl der Toten auf 25.100 geschätzt was 0,5 Prozent der Infizierten waren. Beides sind aber Schätzwerte, da man bei Grippe lange nicht alle Fälle erfasst und auch nicht bei Toten automatisch auf die Ursache testet, wie man dies bei Corona macht. Die Datenlage ist bei Covid-19 daher belastbarer. Bestätigt sind labortechnisch nur 1.700 Fälle bei der Grippesaison 2017/18, demgegenüber haben wir innerhalb eines Jahres über 180.000 labortechnisch bestätigte Todesfälle durch Covid-19. Die Letalität der Grippe wird bei einer Welle mit 0,5 Prozent vom RKI geschätzt, aber solche Wellen mit erhöhter Letalität treten bei der Grippe nur alle paar Jahre auf, bei Corona sprechen wir ja inzwischen schon von der fünften Welle in nicht mal zwei Jahren. Über viele Jahre hinweg scheint die Grippe eine Sterblichkeit von 0,05 Prozent zu haben, nach Christian Drosten ist Covid-19 16-mal tödlicher. Darüber hinaus scheinen die Langzeitfolgen von Covid-19 sehr häufig und schwerwiegender als bei der Grippe zu sein. Die Grippe ist zwar ein hinkender Vergleich, aber aus dem Erfahrungshorizont der meisten, die anders als Epidemiologen es noch nie mit Ebola oder ähnlichem zu tun hatten, die beste Analogie. Wie bei Grippeviren wird die Lunge getroffen und auch die Ansteckungsgefahr gemessen am R-Wert liegt ähnlich hoch und wie bei Grippe überlebt das Virus in der Kälte länger in der Luft. Doch es gibt wesentliche Unterschiede, so ist die Grippe nach 1-2 Tagen symptomatisch, Covid-19 erst nach einer Woche, sodass Infizierte viel mehr Personen anstecken können.
Der zweite Unterschied ist die schnelle Mutation, die uns ja zu schaffen macht. Die ganze Bevölkerung einmal im Jahr zu impfen scheint ja noch möglich, obwohl das schon jetzt ein Kraftakt ist. Eine jährliche Impfung gibt es nur bei Grippe, alle anderen Impfungen haben größere Abstände und gegen Grippe wird nicht die ganze Bevölkerung geimpft, sondern weil die Impfung freiwillig ist, zwischen 20 und 30 Prozent. Den Impfabstand zwischen zwei Auffrischungsimpfungen cvon Corona hat man kontinuierlich gesenkt. Erst war von jährlichen Impfungen die Rede, dann sechs Monaten, inzwischen ist man bei drei Monaten. Wie soll man das im normalen Betrieb der Arztpraxen gewährleisten? Also wenn ich mal 5 Minuten Zeit für eine Impfung und das bürokratische Prozedere drumherum pro Patent ansetze, bei 57 Millionen Menschen, die schon geimpft sind – viel mehr wird es nicht werden – und das viermal pro Jahr, dann kommt man auf knapp 2,4 Millionen Arbeitstage, oder wenn man nur Ärzte mit dieser Aufgabe beauftragen würde, die also sonst nichts anderes machen, wären es 10.000 Vollzeitstellen die man dafür bräuchte. Nur zum Vergleich: In diesem Sommer haben 6.500 Praxen geimpft, sicher viele Praxen mit mehreren Ärzten, aber die haben eben auch noch anderes zu tun. Ich denke, da gibt es keine Patentlösung. Die Idee auch Apotheken und Zahnärzte mit einzubeziehen halte ich gut. Denn das ist vor Ort, anders als ein Kreisimpfzentrum. Aber man wird mehr geschultes Personal benötigen, das schlussendlich dann nur diese Aufgabe hat.
Ebenso wird man die Kapazität des Gesundheitswesens aufstocken müssen, sowohl bei den Intensivbetten wie auch normaler Behandlung, die Omikron Variante soll ja gerade die normalen Stationen mehr belasten durch den „milden“ Verlauf. Es kann ja nicht sein, das wir bei jeder Welle andere Operationen verschieben, die ja auch nicht aus Spaß gemacht werden. Das bedeutet, dass man sowohl technisch, vor allem aber personell aufstocken muss. Bisher haben die Pflegekräfte aber auch Ärzte zwar viel Lob von der Politik bekommen, aber wenig Hilfe. Ich meine das die Misere es Berufs nicht nur an der Bezahlung liegt, sondern an den Arbeitsbedingungen selbst und auch das die nötigen Stellen geschaffen werden. Bei uns war schon vor Corona eine Pflegekraft für viel mehr Patienten zuständig, als in anderen Ländern.
Die große Hoffnung dürfte wohl die medikamentöse Hilfe sein, ein erstes Medikament wird ja gerade zugelassen. Medikamente verhindern zwar keine Infektion, aber sie verhindern einen schlimmen Verlauf oder mildern die Symptome. Mir fällt in dem Zusammenhang HIV ein. Das war, als es in den Achtziger Jahren aufkam, absolut tödlich, noch schlimmer als Covid-19 und zeitweise wurden damals genauso rigide Maßnahmen wie heute vorgeschlagen, so von Gauweiler, der in Bayern Zwangstests einführen wollte oder Horst Seehofer der Infizierte kasernieren wollte. Damals war man da sogar noch eher bereit als heute, weil die Krankheit ja nur in einem bestimmten Milieu tobte. Anders als bei Corona konnte man sich aber relativ einfach mit Kondomen vor Ansteckung schützen. So das es keine Epidemie unter der Bevölkerung wurde. HIV ist, weil man heute den Ausbruch des Virus mit Medikamenten nahezu vollständig unterdrücken kann, kein Problem mehr.
Was würde ich als Gesundheitsminister machen? Ich würde neben dem „Boostern“ als direkte Maßnahme, Reformen anschieben, die zwar erst in Monaten oder Jahren greifen, aber nötig sind und nicht nur wegen Corona:
- Es muss genügend Fachpersonal geben. In der Pflege, aber auch bei Ärzten. Schon heute ist es ja so das es einen Fachärztemangel gibt und in ländlichen Gegenden auch einen Mangel an Allgemeinärzten. Dieser Studiengang ist auch hoch zulassungsbeschränkt und da sollte man einfach mal mehr Studenten zulassen, auch verbunden mit Reglementierungen, z. B. dass Studenten mit einem schlechteren Abidurchschnitt aufs Land für einige Jahre müssen oder bestimmte Fachrichtungen ergreifen, in denen es einen Mangel an Fachärzten gibt anstatt den finanziell lukrativen Privat- oder Zahnärzten. Bei den Pflegekräften wäre vor allem neben der Bezahlung wichtig, dass der Arbeitsaufwand bewältigbar sind, denn viele Pflegekräfte haben wir ja nach der ersten Welle verloren, weil die Beanspruchung noch größer wurde.
- Krankenhäuser müssen ebenso über ausreichende Reservekapazitäten verfügen und nicht mehr wie bisher daraus ausgerichtet sein, dass sie möglichst lukrative Operationen durchführen.
- Es muss eine örtliche, niederschwellige Impfung geben, übrigens nicht nur gegen Covid-19, sondern man sollte da gleich auch andere fällige Auffrischimpfungen durchführen können, das würde dann auch gegen andere Infektionskrankheiten, vor allem die Grippe helfen. Es wäre auch an der Zeit mal das informationstechnisch richtig zu organisieren. Bei den Impfzentren machte jedes Bundesland sein eigenes Süppchen. Ebenso sollte man über den Aufwand für Nachweise und Drumherum nachdenken. Ich hatte dieses Jahr auch eine Grippe- und FSME-Impfung. Da reichte es den Wunsch zu äußern. Bei Covid-19 bekam ich einen mehrseitigen Aufklärungsbogen den ich zum Teil ausfüllen musste, einen Anamnesebogen, den ich ausfüllen musste und beim Verlassen der Praxis musste ich auch bestätigen das ich das auf eigene Gefahr tue. Bei keiner anderen Impfung gibt es diesen Aufwand und da kann ich dann auch verstehen, wenn einige sowieso Übervorsichtige vor der Impfung mehr Angst haben als vor dem Virus.
Solange wird man wie bisher nur das Virus in Schach halten können, indem man Infektionen vermeidet. Dabei spart man komischerweise immer das Feld aus, wo die meisten von uns die meisten Kontakte, sowohl zeitlich wie auch nach Anzahl der Personen haben: die Arbeitswelt. Warum macht man hier nicht 2G mit nachgewiesener regelmäßiger Boosterimpfung zur Pflicht und zwar gesetzlich? Dann hätte sich auch jede Diskussion über eine Impfpflicht erledigt.