Ich schreibe ja wenig über Politik, meist auch weil das gar keinen Blog ergibt. Meine Meinung über die derzeitige Regierung und ihre Streitereien kann ich in wenigen Sätzen ausdrücken. Aber den Gefangenaustausch mit Russland vor einigen Tagen kann ich nicht unkommentiert lassen. Ich will das Thema aber weiter fassen und beginne ab dem Beginn des Krieges mit der Ukraine und dehne das auch über Deutschland heraus.
Wer meint ich solle nichts über Politik schreiben, der kann jetzt die Seite schließen. Ich rechne mit kontroversen Kommentaren, aber ich bitte darum das man respektvoll miteinander umgeht.
Klotzen anstatt Kleckern
Seit zwei Jahren tobt nun der Krieg in der Ukraine, und seit zwei Jahren gibt es Waffenlieferungen des Westens. Deutschland war – und ist – in der Situation dass man über Gebühr abgerüstet hat und schon die Bundeswehr selbst nicht vollständig einsatzfähig ist. Aber der Kriegsbeginn und die „Zeitenwende“ sind nun zwei Jahre her. Zeit genug um Fabriken für die Herstellung der Munition aufzubauen, was auch geschah, aber trotzdem kämpft die Ukraine mit Munitionsmangel was natürlich ihre Fähigkeit schmälert russische Angriffe aufzuhalten. Warum klappt das nicht?
Ein besonderer Problempunkt ist die Luftverteidigung. Eigentlich ist es ganz einfach: Jede Rakete, Gleitbombe oder Drohne die nicht abgefangen wird, verursacht einen Schaden, dessen Auswirkungen variieren. Militärisch nutzlos sind die Angriffe auf Wohngebäude, die meiner Ansicht nach sicher auch daran liegen, dass die Waffen inzwischen nicht mehr genau genug sind. Schwerwiegender sind die Folgen, wenn Kraftwerke, Fabriken oder Staudämme getroffen werden. Dann fehlt Strom, von der Ukraine produzierte Rüstungsgüter und Vorprodukte und noch verheerender, sind natürlich Angriffe auf militärische Ziele, auch im Hinterland wie Bahnhöfe oder Flugplätze. All dies verursacht Kosten. Kosten für Reparatur und Ersatz, letztendlich aber auch Milliarden für den Wiederaufbau der Ukraine. Es dürfte klar sein, dass wir auch hier bezahlen, daher sollte man so viele Abwehrwaffen für die Luftverteidigung liefern, wie nur möglich. Das geschieht auch, aber immer nur in kleinen Portionen. Immer wenn es mal wieder Meldungen gibt, die besonders erschreckend sind, wie das ein Kinderkrankenhaus getroffen wurde, dann gibt es weitere Systeme. Warum? Gebt alles ab, was entbehrbar ist. In der Verantwortung sind vor allem die Vereinigten Staaten, zum einen müssen sie nicht einen russischen Angriff fürchten (siehe „Rote Linien“) zum anderen haben sie die weltweit größte Armee und eine Abgabe von Systemen schwächt diese am wenigsten. Nach Wikipedia haben die USA 2010 insgesamt 483 Abschusssysteme vom Typ Patriot installiert, der gesamte Export in andere Staaten betrug nur 250 Systeme. Die Bundeswehr hatte vor dem Ukrainekrieg nur 24 Systeme. Wenn die USA nur 10 Prozent ihrer Systeme abgeben würden, dann wäre das mehr als alle anderen Nato-Staaten entbehren könnten.
Ich hebe das hervor, weil wir hier von einem rein defensiven System reden, anders als bei einem Kampfpanzer oder Kampfflugzeug und man vor allem damit auch die Zivilbevölkerung schützt und verhindern kann das die Infrastruktur zusammenbricht.
Nach meinem Gefühl wird von allem zu wenig geliefert. In den Nachrichten kommen derzeit die F-16 Jets. Wir reden hier von 30 Flugzeugen, das ist nichts im Vergleich zu dem was Russland an Flugzeug hat. Als Vergleich: Deutschland mit seiner geschrumpften Bundeswehr hat 201 Eurofighter beschafft. Selbst das sind sechsmal mehr Flugzeuge, als das was der Ukraine geliefert wurde.
So wie das derzeit abläuft wird der Krieg noch sehr lange weitergehen. Russland scheint anders als die NATO nach dem kalten Krieg nicht abgerüstet zu haben. Sie hat enorme Mengen an Munition und Rüstungsgüter gebunkert. Auf Satellitenaufnahmen sieht man wie diese Depots nun abgebaut werden, denn so viel wie sie verschießt kann sie nicht nachproduzieren, aber auch wenn das Altbestände sind und kein modernes Gerät, so rechnen Experten das Russland noch bis 2026 auf diese Vorräte zurückgreifen kann und erst dann nur von dem leben muss was sie neu produzieren.
„Rote Linien“
Seit es den Krieg gibt, gibt es auch Drohungen von Russland. Die laufen in der Regel so ab: „wenn die NATO/Westen dieses und jenes tut, dann betrachten wir das als eine direkte Einmischung in den Krieg und damit die NATO als Kriegspartei. Ein Angriff könnte der Folge sein“. Das geht bis hin zur Drohung eines Angriffs mit Atombomben, vor allem durch Medejew, Putins Lakai, der seit er den Präsidentensessel für Putin warm hielt, für Jahre in der Versenkung verschwand bis er nun durch dn Krieg wieder in den russischen Medien auftaucht.
Solche „Roten Linien“ gab es schon etliche: Wenn der Westen westliche Panzer liefert, wenn Schweden und Finnland der NATO beitreten, wenn man weitreichende Waffen liefert die auch Russlands Boden erreichen können, wenn man Kampfflugzeuge liefert …
Mal abgesehen davon, dass Russland selbst Waffen aus Nordkorea und dem Iran bezieht, ist die Situation nach dem Völkerrecht eindeutig. Wir dürfen der Ukraine alle Waffen liefern. Kriegspartei würden wir erst werden, wenn Soldaten der NATO bei Kriegshandlungen teilnehmen würden. Trotzdem kann ich mich erinnern, das man bei der erste dieser Drohungen tatsächlich noch Experten für Völkerrecht befragte, ob man nicht dadurch Kriegspartei wird.
Passiert ist seitdem nichts. Es entpuppte sich jede Drohung als Heiße Luft. Diese Roten Linien sollen nur verhindern, dass die Ukraine sich effektiv verteidigen kann, eben ohne schwere Waffen, ohne funktionierende Luftverteidigung, ohne die Möglichkeit anstatt Drohnen und Gleitbomben abzufangen, die Flugzeuge die sie über russischem Gebiet starten zu zerstören oder gar ihre Kommandozentren und Flugplätze selbst zu treffen.
Ein Atomschlag – selbst ein begrenzter – wäre Russlands Untergang. Das weiß Putin selbst, denn damit löst er die Beistandsklausel des NATO-Vertrags aus. Selbst wenn die Antwort nur konventionell kommt, wäre Russland bald am Boden. Nur zu Erinnerung: sie schaffen es nicht seit zwei Jahren die kleine Ukraine einzunehmen, haben inzwischen ihre modernsten Waffen verschossen und greifen auf eingelagerte Rüstungsgüter, produziert vor dem Ende des kalten Krieges zurück, die entsprechend veraltet sind. Daneben ist ihre Verteidigung auch nicht besonders gut aufgestellt. Es gab mehrmals Drohnen die bis nach Moskau gelangten also über 1.000 km russisches Gebiet durchquerten und als vor einem Jahr die Wagner Gruppe auf Moskau marschierte, konnte man diese auch nicht aufhalten. Wenn man noch weiter in die Vergangenheit zurückgeht, fällt einem der Flug von Matthias Rust mit einer Cessna bis nach Moskau 1987 ein. Auch der konnte auf dem roten Platz landen und überquerte über 1.000 km russisches Gebiet. Da würde selbst eine beschenkte atomare Antwort wohl ihr Ziel erreichen, während wir – das wissen wir ja seit dem Ukrainekrieg, mit den verfügbaren Waffensystemen russische Raketen abfangen können, sofern man genügend Systeme für die Abwehr hat.
Aber wie gesagt. Zum einen weiß selbst Putin, dass ein Angriff auf die NATO schlecht für ihn endet und zum anderen wurden bisher etliche dieser „roten Linien“ überschritten, ohne dass etwas passierte. Es ist die übliche russische Drohmentalität und ich wundere mich immer noch, das hier jemand drauf hereinfällt wie bei der Nicht-Lieferung der Taurus Marschflugkörper.
Der Gefangenenaustausch
Dann gab es vor wenigen Tagen den Gefangenenaustausch. Verurteile Spione und Verbrecher gegen Regimekritiker und willkürlich verhaftete Personen. So sehe ich das. Am kontroversesten ist wohl die Freilassung von Wadim Krassikow, dem „Tiergartenmörder“. Als er in Russland ankommt, wird bekannt – was aber schon das Gericht bei seinem Schuldspruch 2021 festgestellt hat – das er Agent des FSB ist und er bekommt noch einen Orden.
Ich hätte ihn nicht ausgetauscht. Es ist schon schlimm, das Putin bei uns, aber auch in England (Alexander Litvinenko, Julija und Sergei Skripal) Regimekritiker, Journalisten oder sonst wie unliebsame Personen ermorden kann und das hat nicht dieser Tat angemessene Konsequenzen. Es geht in Richtung Erpressung. Medejew hat ja schon gedroht, dass die nun ausgetauschten Personen nicht sicher wären. Indirekt droht er sogar mit ihrer Ermordung.
Was wir gesehen haben, ist das in Russland Regimekritiker und Journalisten ermordet wrden. Mal offen auf der Straße, mal wenn sie in Haft sind wie Nawalny, nachdem ein erster Vergiftungsversuch nicht funktionierte. Wie sicher sind die freigekommenen Regimekritiker? Muss man diese nun auch im Westen dauernd schützen? Sicher ist es lobenswert, wenn man sie freibekommt, aber dafür erhält Russland verurteilte Verbrecher: Spione und sogar Mörder.
Mich erinnert das an den „deutschen Herbst“ von 1977. Damals entführte die RAF Wirtschaftsbosse wie Martin Schleyer oder versuchte es bei Ponto, der dann erschossen wurde, weil er sich wehrte. Das geschah, um die inhaftierte RAF-Mitglieder der ersten Generation freizupressen. Damals beschloss Helmut Schmidt, das sich der Staat nicht erpressen lassen darf und es keinen Gefangenenaustausch gab – wenige Jahre vorher hatte man dies noch gemacht. Es ist auch logisch, wenngleich natürlich für die Betroffenen und ihre Familien unverständlich – wenn man einmal nachgibt wird das nie enden. Es gibt ja nach wie vor westliche Journalisten in Russland und Weißrussland, die man einfach festnehmen und zu Haftstrafen verurteilen kann, ein unabhängiges Justizsystem gibt es ja in Russland nicht mehr. So hat Putin freie Hand weitere Leute freizupressen und wenn man nicht dazu bereit ist, dann nutzt er seinen Lakaien Lukaschenko, um sogar ein Todesurteil auszusprechen, damit man einen Mörder freibekommt.
Ich wage zu prophezeien, dass es genau so kommen wird: Wenn Putin weitere Leute freibekommen will wird er Journalisten oder andere Bürger von NATO-Staaten verhaften und verurteilen lasen.
Das geht in Richtung Staatsterrorismus. Die USA haben da ja eine alte Tradition: Sie setzen bei Verbrechern Prämien für die Ergreifung aus, so auch eine „Belohnung“ von 25 Millionen Dollar bei Osama Bin Laden. Und, da es bei ihnen die Todestrafe gibt, auch „Dead or Alife“. Es wäre wohl ein Tabubruch so eine Belohnung für Putin auszuschreiben, aber es würde den Krieg wohl drastisch abkürzen und vielleicht sogar Russland einen Neuanfang offerieren. Bei Osama Bin Laden brachte die Belohnung von 25 Millionen Dollar nichts. Aber er umgab sich ja auch nur von treuen Gefährten. Putin wird von einem Heer von Angestellten, Wachmannschaften, Dienstboten umgeben. Die Wahrscheinlichkeit das da einer bei einer hohen Belohnung schwach wird, dürfte ungleich größer sein. Aber das verletzt unser Rechtsempfinden. So was könnte nur jemand beschließe,n dem selbst die Gesetze egal sind wie Donald Trump. Doch genau der wird das nicht tun, denn zum einen haben russische Hacker ihm ja 2016 geholfen Präsident zu werden und zum anderen bewundert er Putin, weil der sich nicht mit so was Lästigem wie Parlamenten, Gerichten, Wahlen oder gar einer Verfassung herumschlagen muss, die verhindern, dass man lebenslang Präsident ist und machen kann was immer man will.