Bernd Leitenbergers Blog

Rock statt Rente und die Gerechtigkeit

Nachdem ich am Mittwoch ausnahmsweise mal Fernsehen live gesehen habe, anstatt wie sonst üblich zeitversetzt, habe ich auch gleich ein neues Thema für meinen Blog gefunden. Es geht um zwei Sendungen. Die erste „Rock anstatt Rente“. Nachdem vor einigen Jahren die „Zimmers“ in England schon bekannt wurden mit „My Generation“, macht nun SAT-1 das gleiche: Rentner zwischen 70 und 99 sollen eine Band bilden und innerhalb von 3 Monaten soweit fit sein, dass bei einem großen Konzert auftreten können.

Okay, das klingt nach einem interessanten Konzept und Grund genug es sich mal anzusehen. Aber mit dem Chorleiter hat es SAT-1 wohl ganz versemmelt. Wenn er was vom Geschäft versteht dann hat er zwei Probleme: Er muss aus Laien einen Chor formen. Aus Leuten die singen wollen, aber es vielleicht nicht so gut können. Und er muss alten Leuten eine Musik beibringen die sie vielleicht nicht so gut kennen, meistens auch englische Texte, wobei man bei dieser Altersgruppe ausgehen kann dass bis auf die wenigen die früher das Abi machten (und das waren nicht der Großteil, wie heute) kein Englisch können. So waren von 25 auch nur zwei dieser Sprache mächtig.

So wie würde ich es machen? Ich hole die Leute da ab, wo sie herkommen. Erst mal muss man einen Chor formen. Leute müssen auf den Nachbarn hören, synchron singen in der richtigen Lautstärke. Wenn das klappt, dann kann man zu Schritt zwei übergehen. Also würde ich erst mal bei etwas langsamen üben, das alle kennen, dass sie sich auf die Zusammenarbeit im Chor konzentrieren können. Vielleicht die Capri Fischer oder einen einfachen Schlager oder ein Volkslied. Das ist schon schwierig. Musik hören und exakt nachzusingen sind zwei paar Stiefel. Wer es nicht glaubt, kann ja mal das kostenlose Ultrastar installieren und sich auch an „Highway to Hell“ versuchen.

Dann kommt Schritt zwei – die Leute müssen Rocklieder können. Aber auch da kann man es leicht angehen. Es gibt welche mit einfacher Melodie und schwierige. Vor allem teilt man bei diesem Publikum nicht Zettel mit dem englischen Text aus, sondern ergänzt diesen durch eine phonetische Schreibweise, also wie würde man den Text im Deutschen aussprechen. Leute so arbeiten selbst Profis – Phil Collins hat mal bei „Wetten Dass“ ein Titellied von einem Musical das er komponiert hatte in Deutsch vorgesungen und Gottschalk hielt das Blättchen mit D-englisch in die Kamera.

Aber darum geht es nicht bei SAT-1 sondern um Action und ein bisschen auch darum, sich über die alten Leute lustig zu machen (z.B. indem sie nach einer Probe fragten wie dass Lied denn nun hieß, das sie geprobt haben und die falschen Antworten aneinander gehängt haben). Was also macht der Chorleiter: Er fängt mit AC/DC an „Highway to Gell“ sollen die Senioren proben. Klar der Refrain geht gut, aber der gepresste Gesang im Rest? Lied Nummer zwei ist dann Deutsch aber noch schwieriger : „Hurra“ von den Ärzten. Eine Dame wollte das nicht singen. Kann ich verstehen. Ich kann den Titel auch nicht leiden wie auch die ganze Band.

Warum es den Leuten geht das machen die Einblender über ihr Leben und Gespräche was sie sich vom Chor erhoffen deutlich: Gesellschaft, nicht mehr alleine zu sein. Leute, dazu braucht ihr kein Fernsehteam. Sucht euch einen Raum zum üben und probt das was euch Spaß macht oder trefft euch in der Kneipe und lasst den Fernsehzirkus sein…

Die nächste Sendung habe ich schon nicht mehr angeschaut, weil die Werbung vorher mich so geärgert hat Leonora Holling ist die „Anwältin für alle Fälle“. Mir reichte schon ihr Gesicht in der Kamera bei der Werbung mit der Aussage „Ich kämpfe für Gerechtigkeit“. Mädel, Du hast den falschen Beruf! Anwälte kämpfen nicht für Gerechtigkeit. Sie kämpfen für ihre Klienten. Für Gerechtigkeit sollte das ganze System sorgen, zu dem auch Staatsanwälte, Schöffen und Richter gehören. Was macht ein Anwalt wenn er weiß, das sein Klient schuldig ist, die Beweislage aber so schwach, das es schwierig wird eine Verurteilung zu erreichen? Kämpft er dann für Gerechtigkeit und sagt: „Mein Klient ist schuldig, verdonnern sie ihn zu 6 Jahren“ oder fordert er einen Freispruch, bringt die noch bestehenden Indizien ins Wanken?

Unser Gerichtssystem hat schon genug Macken, so die, dass sich Geständnisse je nach Zeitpunkt mehr oder weniger strafmildernd auswirken – selbst wenn klar ist dass der Täter überführt ist. Offizielle Begründung: Die Prozessdauer wird verkürzt, das spart Kosten. Doch dafür gleich ein paar Jahre weniger? Oder die Handel die es ab und an zwischen Staatsanwaltschaft und angeklagten gibt. Stichwort: Kronzeugenregelung.

Anwälte haben es ja nicht leicht. Ihr Berufsstand ist ja durch die Massenabmahnungen und die Zusammenarbeit mit den Betreibern von Abofallen schon in Verruf geraten. Warum sich aber keiner gegen diese Gerichtsshows im fernsehen wendet ist mir ein Rätsel. Anwälte und Staatsanwälte werden dort sehr schlecht präsentiert: Anwälte sehen ihre wesentliche Funktion darin, Zeugen zu verunsichern, selbst Verbrechen zu beschuldigen oder Unterstellungen zu machen die hart an der Beleidigungsgrenze sind und Staatsanwälte sind starrköpfig und uneinsichtig von der Schuld des Angeklagten überzeugt, sehen keine alternative Sicht des Falls und müssen mindestens dreimal in 45 Minuten sagen „Geben Sie es doch endlich zu dass sie es waren“. Das TV Format ist so mies, das selbst meine fernsehunkritische Mutter inzwischen lieber zu den Tiersendungen im ZDF umschaltet wo man im Prinzip den Zoobesuch sparen kann.

Beide Sendungen sind übrigens bei den Quoten durchgefallen. Ihr hättet eben bei „Herz und Handschellen“ bleiben sollen. Oder noch besser, ihr zeigt knuddelige Miezen, die sich räkeln, wie diese hier.

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