Bernd Leitenbergers Blog

Die ökonomische ISS Versorgung

Willkommen bei einem neuen Aufsatz in der Rubrik: „Wir wissen es besser als die NASA“ (was angesichts des derzeitigen Chaoses dort auch wirklich kein Problem ist). Nehmen wir mal an, man hätte die ISS richtig geplant und dazu gehört auch ein echtes Versorgungskonzept. Die ISS soll nach den derzeitigen Planungen noch 9 Jahre betrieben werden, Weitere 13 Jahre wurde sie aufgebaut. Selbst wenn ein Transporter nur einmal pro Jahr sie anfliegt, kommt da also eine schöne Anzahl an Exemplaren zusammen.

Entsprechend sind auch Kosten recht hoch, wenn der Transport zu teuer ist oder die Nutzlast zu gering. Auf der Erde gibt es verschiedene Güter zu transportieren: sperriges Frachtgut wie Lebensmittel, Paletten, Wasser, Benzin, Druckgas. Kennen Sie einen Transporter der mehrere dieser Güter befördert? Also den Möbeltransporter, der auch Wasser, Druckgas und Treibstoff befördert? Nein? Das liegt wohl daran, dass man hier auf der Erde ökonomisch denkt und nicht meint die eierlegende Wollmilchsau erfinden zu müssen. Ganz anders wird es wenn Raumfahrtagenturen sich demselben Thema annehmen, dann kommen genau solche Wolpertinger raus.

Das bedeutet: Pro Transporter nur ein Frachtgut. Also einer für:

Bis auf die Cygnus sind alle Transporter Multitalente. Das HTV kann Fracht und Paletten. Das Shuttle konnte Fracht und Paletten. Die Progress können Treibstoff, Gase, Wasser, Fracht und das ATV auch. Bei den Progress gibt es sogar zwei Typen, der eine mehr für den Treibstofftransport ausgelegt und der andere mehr für den Frachttransport. Die Dragon kann wie das HTV Fracht und Paletten und zugleich auch noch den Rücktransport.

Warum das von Nachteil ist, zeigt sich am ATV. Dort befinden sich die Gas- und Wassertanks hinter dem Druckbehälter. Selbst wenn man sie entfernt, bleibt die Doppelwand, die Leitungen und die Verstärkung der Struktur um ihr Gewicht aufzunehmen. Das gilt auch für die Treibstofftanks im hinteren Teil. Es ist auch nur möglich den Treibstoff zu reduzieren, aber wegen der Doppelfunktion als Antriebstreibstoff kann er nicht komplett eingespart werden. Der Druckbehälter vorne enthält auch den Kopplungsadapter. Er kann daher nicht eingespart werden, selbst wenn es keine Fracht in ihm zu befördern gäbe.

Daher Vorschlag 1: Ein Transporter pro Frachtsorte.

Europa hätte sich auf Treibstoff beschränken können: Die EPS Oberstufe hat schon lagerfähige Treibstoffe und das Triebwerk ist wiederzündbar. Hätte man an die EPS-Oberstufe ein Avionikteil angebracht, wie das des ATV mit kleinen Triebwerken, so hätte man einen reinen Treibstofftransporter. Die Vorteile wären neben viel kleineren Entwicklungskosten offensichtlich: Das Aestus-Triebwerk nutzt den Treibstoff besser aus, man benötigt rund 10% weniger davon. Die Avionik könnte auch die VEB ersetzen und so rund 1,5 t Gewicht einsparen (klappte als kombiniertes Gefährt ja schon bei den KH1-8 Satelliten gut). Selbst ohne, wäre ein reiner Treibstofftransporter für rund 12 t Treibstoff gut – mehr als 50% Nutzlastgewinn verglichen mit dem ATV.

Russland kann wegen der kleinen Nutzlasthülle der Sojus keine großen Druckbehälter starten. Daher wäre ein eigener Wasser/Gastransporter sinnvoll. Das Servicemodul der Progress könnte einen Kopplungsadapter mit einer Betankungseinrichtung transportieren, angeschlossen an einen Wassertank und einer oder mehreren Druckgasflaschen je nachdem ob nur Wasser oder auch Gase transportiert werden sollen. Tank- und Frachteinheit würden entfallen. Das Problem der heutigen Progress ist das Wasser/Druckgas in vielen kleinen Tanks befördert wird, anstatt einem großen Tank und einem Druckgastank zur Förderung. Die Menge ist daher auf rund 450 kg pro Flug begrenzt.

Anstatt dem HTV in der heutigen Form wäre ein reiner Frachttransporter für die Beförderung von Racks sinnvoll (weder Cygnus noch Dragon können diese aufgrund ihrer Größe befördern).

Die Dragon in der heutigen Form ist geeignet für den Transport von Paletten (im Erweiterungszylinder) und den Rücktransport von Ergebnissen. Das Hauptproblem ist, dass diese beiden Anforderungen recht gering sind. Man benötigt nicht viele Paletten und auch nur 1000 bis 1.500 kg Fracht die zur Erde zurückgebracht werden. Ein Flug pro Jahr würde ausreichen. Für den Frachttransport ist die Kapsel aber nur bedingt geeignet. Ihr Volumen ist zu klein und sie ist unnötig massiv für den Job. Doch auch die Cygnus ist nicht ideal. Sie ist zu klein für Standardracks und sie leidet unter dem Volumenproblem: Ihr Druckbehälter hat einen Durchmesser von 3,0 m bei einer Länge von 3 m. Geht man über auf 4,4 m Durchmesser und 4 m länge, also die Abmessungen von HTV und ATV, so steigt die Oberfläche (verantwortlich für die Masse) um den Faktor 95%, das Volumen (verantwortlich für die beförderte Fracht) aber um 186% – es lohnt sich einfach große Transporter zu bauen.

Vorschlag 2: Nicht nur die Nutzlast optimieren, sondern auch die Kosten

Gehen wir von einer neutralen Kostenbetrachtung aus. Neutral heißt man schaut sich mal die Kosten an. Was verursacht die Kosten? Sicher nicht die Druckbehälter. Es sind die Buse, mit der Stromversorgung, Lageregelung, Computern, Thermalkontrolle. Satelliten arbeiten heute einige Jahre bis Jahrzehnte. Diese Avionikbusse verglühen aber mit dem Rest der Transporter bei jedem Einsatz. Sinnvoll wäre es daher sie wiederzuverwenden. Zumindest bei den Transportern mit Druckfracht, die keine Flüssigkeiten und Gase transferieren müssen sollte dies recht einfach sein. Es müsste eben der Frachtbehälter zwei Adapter haben. Einen zur ISS hin und einen zum Bus. Nach dem Verlassen der Station bremst der Bus zuerst ab, sodass der Bus verglüht, trennt ihn ab und zündet gleich wieder um sich selbst in eine sichere Bahn zu bringen. Das Problem ist nur dass dies zeitkritisch ist, da zwischen erster Zündung und Verglühen nur etwa 30-40 Minuten liegen. Es muss also automatisch geschehen. Es muss aber nicht optimal sein – es reicht wenn die Bahn eine Mindesthöhe von 200 km hat, es muss nicht dieselbe Bahn wie vorher erreicht werden. Dann hat man genügend Zeit um sie in Ruhe anzuheben.

Auf der anderen Seite spart dies nicht nur einen Bus ein, sondern erhöht auch die Nutzlast. Denn der Druckbehälter der beim zweiten Start vom Avionikbus abgeholt wird benötigt diesen nicht und ist so um 4-5 t leichter (HTV/ATV). Entsprechend kann die Nutzlast höher werden. Beliebig oft geht das Spiel allerdings nicht, da jeder Transporter etwa 10% seines Eigengewichts als Treibstoff benötigt. Dazu kommt noch Treibstoff um den Avionikteil am Verglühen zu verhindern. Der Treibstoff für folgende Manöver muss auch mitgeführt werden, erhöht aber zugleich als Totgewicht den Treibstoffbedarf für dei ersten Missionen. Realistisch ist eine Wiederverwendung im Bereich von 2-4 Flügen sinnvoll, was immerhin 50-80% der Kosten des Avionikteils einspart.

Wenn man noch weiter geht würde man die Transporter vielleicht modular gestalten, also nicht jedes Land seinen eigenen entwickelt. Auf Bauteilebene ist das ja schon heute der Fall (Druckbehälter, Annäherungssensoren und Triebwerke). Noch weiter würde der Start mit dem billigsten Träger gehen, doch kommen wir spätestens dann in den Bereich der Fiktion, jenseits jeder politischen Unvernunft.

Die bemannte Lösung?

Das ist in der Tat eine offene Frage. Die Sojus ist bewährt und hat seit 40 Jahren keinen Versager mehr aufzuweisen. Aber sie transportiert nur drei Astronauten. Ein neues System würde wohl im wesentlichen nur eine Kapsel mit Triebwerken ohne Serviceeinheit sein. Eine Wohnheit oder eine Serviceeinheit für langen Betrieb oder (wie bei Orion/Apollo) für den Einsatz zum Mond ist bei ISS Flügen überflüssig. 1974 konnte die NASA noch in acht Stunden ankoppeln. So lange könnte man es auch heute in einer engen Kapsel aushalten. Nur kostet ein neues bemanntes System bei den hohen Anforderungen sehr viel Geld und man hätte es schon vor Jahren entwickeln müssen.

Die wahrscheinlich preiswerteste Lösung wäre es die Sojus zu upgraden – die Wohneinheit entfernen und die Wiedereintrittseinheit vergrößern. Die eingesparten 1.370 kg für die Wohneinheit und die 1.000 kg mehr welche die Sojus 2A befördern erlauben es diese um rund 2,95 m Durchmesser zu vergrößern. Das sollte dann für vier Astronauten, vielleicht 5 Astronauten (unten drei, oben zwei)  reichen. Man bräuchte dann zwar immer noch zwei Kapseln, könnte aber die Mannschaft um 33% bis 66% erhöhen. Da derzeit nur 20 h in der Woche geforscht werden (ein Astronaut fiel den Einsparungen zum Opfer und die Russen forschen nicht, sodass netto nur eine halbe Kraft arbeitet) wären zwei Astronauten eine Vergrößerung der Zeit für die Forschung um rund 200%.

Ich denke alles könnte klappen, wenn man an einer vernünftigen Lösung interessiert wäre – nur will man keine vernünftige Lösung sondern jeder will sein System umsetzen. Entweder als Technikdemo, oder weil man nichts neues entwickeln kann und die eigene Raumfahrt mit den Frachttransporten finanziert oder man sucht eine schnelle Lösung um einen Transportauftrag seitens der NASA zu erhalten. Aber was ist schon bei einer Raumstation zu erwarten, deren Nutzungsdauer kürzer als die Aufbauzeit ist?

Die mobile Version verlassen