Bernd Leitenbergers Blog

Ein Triebwerk für alle Stufen – Teil 1

Ich dachte mir, ich nehme heute mal wieder ein theoretisches Thema und greife das auf. Ideal wäre es doch, wenn man ein Triebwerk bei einer Trägerrakete in allen Stufen einsetzen könnte. Das würde Kosten für die Entwicklung verschiedener Triebwerke sparen und es würde eine höhere Stückzahl ergeben, also auch bei der Fertigung Kosten sparen. Die Oberstufen würden dann nur geringe Modifikationen erfordern wie eine verlängerte Düse, die z.B. aus einem einfachen, ungekühlten Zeil bestehen kann und die Fähigkeit zur Zündung unter Schwerelosigkeit (Auf die man mit Hilfsraketen verzichten kann, wenn diese vorher den Treibstoff sammeln).

Schaut man sich die existierenden Typen an, so gibt es in der Tat einige Umsetzungen dieser Idee. Hier eine kleine Liste (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):

Zu den russischen Triebwerken NK-XX wäre zu sagen, das NK-33/43 dasselbe Triebwerk mit unterschiedlichen Düsen und NK-9/19 ebenfalls eines mit oder ohne kardanische Aufhängung sind, also zwei Versionen eines Typs.

Versuchen wir uns aber mal dem Problem theoretisch zu nähern. Der Schub eines Triebwerks bzw. der Gesamtschub ergibt sich aus der Gesamtmasse beim Start und der benötigten Beschleunigung. Am einfachsten ist dies bei der ersten Stufe: sie muss mit mindestens 1 g starten, vorzugsweise mehr, weil sie sonst erst mal über dem Starttisch schweben würde. Bei mit flüssigen Treibstoffen angetriebenen Raketen ist eine Beschleunigung um 1,2 bis 1,4 g üblich. Bei mehr besteht bei zweistufiger Bauweise die Problematik, dass bei Brennschluss eine sehr hohe Spitzenbeschleunigung resultiert. Bei militärischen Raketen gibt es diese Einschränkung nicht, da Atomsprengköpfe nicht so empfindlich wie Satelliten sind, so hat die Dnepr z.B. eine Startbeschleunigung von 2 g.

Schwieriger ist es bei den Oberstufen. Hier spielt schon eine Rolle, wie das Trägersystem ausgelegt ist, das heißt welchen Anteil der Geschwindigkeit die sie aufbringen muss und bei welcher Geschwindigkeit sie gezündet wird. Wenn schon fast Orbitalgeschwindigkeit erreicht wird, wie dies z.B. bei der Ariane 5 nach Brennschluss der EPC der Fall ist, kann die Oberstufe eine sehr geringe Beschleunigung aufweisen (Extrembeispiel: ATV Missionen mit der EPS: nur 0,1 g Beschleunigung. Üblich sind aber eher 0,5 bis 0,8 g. Bei einer zweiten Stufe ist der Wert eher höher als bei einer dritten Stufe. Er muss nicht über 1 g liegen, weil die Beschleunigung in der Vertikalen von der ersten Stufe zum größten Teil erbracht wurde. Typisch ergibt sich dann eine Aufstiegskurve mit einem Buckel: die erste Stufe liefet eine hohe vertikale Beschleunigung und die oberen Stufen beschleunigen vor allem in die Horizontale. Dadurch steigen die Stufen erst auf, fallen dann nach Erreichen einer Spitzenhöhe und fangen sich in der Höhe einer stabilen Umlaufbahn, wenn dort dann die Kreisbahngeschwindigkeit erreicht ist. Ist der Schub zu niedrig, dann ist die Höhe zu gering und die erste Stufe muss mehr Hubarbeit für die Vertikale aufbringen. Nehmen wir also 0,5 bis 0,8 g als Vorgabe.

Konzentrieren wir uns nun erst mal auf zweistufige Träger. Warum? Nun leicht zu begründen. Sind es drei Stufen und setzen wir ein Triebwerk in der dritten Stufe ein, so ist bei typischen Stufenmassen schon in der zweiten vier Triebwerke nötig und 16 bis 25 in der ersten. Das ist dann schon recht viel und wir bekommen zwei Probleme die ich weiter unten angehen will. Bei zwei Stufen sind in der ersten Stufe dann nicht so viele Triebwerke nötig. Weiterhin reichen zwei Stufen bei LOX/Kerosin für gute LEO-Nutzlasten und bei LOX/LH2 auch für GTO oder Fluchtbahnen aus.

Die Abschätzung der Stufenmassen kann man leicht aus folgenden Überlegungen machen: Bei gleichen Treibstoffen in allen Stufen sollte gelten: Startmasse (Stufe 1 / Startmasse Stufe 2) ~ (Startmasse Stufe 2 / Nutzlast). Die Nutzlast ist von bisherigen Trägern bekannt. Sie beträgt bei LOX/Kerosin etwa 2,5 bis 3% der Startmasse und bei 7% bei LH2/LOX.

Die Stufenverhältnisse bekommt man dann aus der Wurzel dieses Verhältnisses also bei LOX/Kerosin = √ 100/3 und bei LOX/LH2 = √ 100/7 oder 3,8 bzw. 6:1. Daraus kann  man, ausgehend von der Nutzlast, die zweite Stufe berechnen und dann die erste. Nehmen wir mal eine Trägerrakete mit jeweils 200 t Startmasse, einmal mit LOX/LH2 und einmal mit LOX/Kerosin, dann kommt man auf folgende Stufenmassen:

LOX/LH2 LOX/Kerosin
Nutzlast 14 t 5,5 t
zweite Stufe 53,2 t 33,1 t
erste Stufe 146,8 t 166,9 t
Startgewicht mit Nutzlast: 214 t 205,5 t

Das soll nur eine empirische Näherung sein, die aber nicht weit von optimalen Werten entfernt ist. Nehmen wir mal an, das die zweite Stufe 70% des Gewichts (Masse x Erdgravitation) der zweiten Stufe mit Nutzlast als Schub bringen muss und die erste Stufe 130%, so kommt man zu folgender Schubtabelle:

LOX/LH2 Triebwerke LOX/Kerosin Triebwerke
zweite Stufe 470 kN 1 270 kN 1
erste Stufe 2780 kN 5,9 ~ 6 2671 kN 9,7 ~ 10

Das zeigt schon ein Problem: Aufgrund des höheren Schubs den die erste Stufe erbringen muss (Beschleunigung über 1 g) und der viel größeren Masse, steigt selbst bei Bestückung mit nur einem Triebwerk die Anzahl der Triebwerke für die erste Stufe stark an. Hier sind es 10 bei der LOX/Kerosin Lösung und immerhin noch 6 bei der LOX/LH2 – hier ist die zweite Stufe und die Nutzlast schwerer, sodass die Unterschiede im Schub kleiner sind.

An dieser Stelle ein Break. Welche Auswirkungen viele Triebwerke haben und ob nicht weniger besser sind, darum geht es im zweiten Teil übermorgen.

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