Bernd Leitenbergers Blog

Ein Triebwerk für alle Stufen – Teil 2

Im ersten Teil habe ich dargelegt das bei zweistufigen Raketen sehr viele Triebwerke in der ersten Stufe benötigt werden, wenn man nur ein Triebwerk in beiden Stufen verwendet wird. Heute will ich die Konsequenzen dessen darlegen.

Nun ist es sicher so, dass größere Stückzahlen ein Triebwerk preiswerter ist, das muss aber gegengerechnet werden, dass ein großes, schubstarkes Triebwerk immer noch preiswerter als zehn kleine sind. Ich denke, wenn man einen Vergleich zur Luftfahrt macht, wo ein Jumbojet auch maximal vier anstatt 10 bis 12 Triebwerke hat, liegt die Obergrenze bei vier Triebwerken.

Das ist bei LOX/LH2 noch zu erreichen, wenn man bei der zweiten Stufe etwas höheren Startschub toleriert, hier 700 kN, entsprechend 10,4 m/s Beschleunigung beim Start und 36,9 m/s² Brennschluss. Würde man bei der LOX/Kerosinlösung genauso verfahren, so kommt man auf 668 kN Schub pro Triebwerk und 17,3 m/s² Start- und 83 m/s² Brennschlussbeschleunigung. Der letzte Wert ist intolerabel hoch und auch ist dann die Brennzeit so kurz, dass zu Brennschluss eventuell ohne Freiflugphase noch kein Orbit erreicht wurde.

So ist das Bündeln mehrerer Triebwerke eher sinnvoll für zweite und dritte Stufen, da hier:

Es gibt noch einen zweiten Grund, der gegen zu viele Triebwerke spricht: Die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls. Es ist das komplexeste einer Stufe, mit den meisten mechanisch-beweglichen Teilen, mit der höchsten Temperaturbelastung. Wenn ein Triebwerk eine Zuverlässigkeit von 99% hat, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit dass eines von 10 Triebwerken ausfällt schon 10%, mithin die Wahrscheinlichkeit eines Fehlstarts 10%, ein Wert der indiskutabel hoch ist, zumal es ja auch noch andere Risiken gibt, die sich dazu addieren.

Das bedeutet: setzt man mehrere Triebwerke ein, so muss man auf den Fall eines Ausfalls gewappnet sein, was im Fachjargon „engine-out capability“ heißt. Das bedeutet: Ein Triebwerksausfall muss rechtzeitig festgestellt werden, das Triebwerk sauber abgeschaltet werden, bevor es beschädigt wird und eventuell andere Triebwerke beschädigt. Danach muss der Treibstoff umverteilt und andere Triebwerke müssen den asymmetrischen Schub kompensieren können (Schwenkbar sein und dafür einen ausreichend großen Bereich verfügen oder man schaltet ein gegenüberliegendes Triebwerk ab und lebt dann mit dem doppelten Schubverlust).

Es hat auch Auswirkungen auf das Missionsdesign und die Auslegung der Trägerrakete. So müssen die Treibstoffvorräte so ausgelegt sein, dass die erhöhten Gravitationsverluste durch den Triebwerksausfall aufgefangen werden können. Der Schub muss ausreichend sein, um den Ausfall aufzufangen. Das ist meist beim Start nicht gegeben und so wird dann oft gesagt dass z.B. ab de 30 Sekunde eine Engine-Out Capability gegeben ist. Vor allem aber muss es auch getestet sein – bei Tests am Boden und beim Flug. Das erfolgte z.B. bei der Saturn I bei einem Testflug – die Saturn I/V sind auch die einzigen Raketen wo Engine-Out Capability wirklich funktionierte – bei einem Saturn IB Start fiel ein Triebwerk aus und bei zwei Saturn V Starts jeweils ein Triebwerk der S-II. Bei der N-1 funktionierte es nicht. Beim Space Shuttle funktionierte es, aber er ist ein Sonderfall: hier ging es darum das Shuttle sicher zu landen – die Mission wäre nur geglückt, wenn der Triebwerksausfall recht spät vorkommt, was einmal vorkam.

Ich denke in der Praxis ist die Engine-Out Capability eine Absicherung, wenn wirklich gut getestete und überwachte Triebwerke trotzdem ausfallen sollten. Das war bei der Saturn gegeben. Bei der S-IC konnte man sich wegen der langsamen Beschleunigung erst auf die Engine-Out Capability verlassen, wenn die 30 s Flugsekunde verstrichen war. Also wurden die F-1 Triebwerke extrem viel getestet – mehr als jeder andere Typ seitdem. Es sollte eben vermieden werden, dass sie überhaupt ausfallen sollten. Bei den J-2 war ein Ausfall nicht so dramatisch, er konnte von der S-II aufgefangen werden. Und in der Tat kamen alle Ausfälle von Triebwerken auch bei der S-II vor (bei dem zweiten Testflug, als eine falsche Verdrahtung sogar zwei Triebwerke abschaltete – anstatt dem betroffenen wurde ein anderes abgeschaltet) und bei der Mission von Apollo 13.

Nichte jede Rakete mit vielen Triebwerken hat eine Engine-Out Capability, z.B. die Ariane 1-4 hatte sie nicht und so gingen auch zwei Starts bei Versagen eines Triebwerks der Erststufe verloren Gerade Ariane 4 zeigt aber auch, dass ein Träger mit bis zu acht Triebwerken erfolgreich sein kann und eine hohe Zuverlässigkeit erreichen kann – hier war der Schlüssel eine sehr robuste Technologie der Triebwerke, die weit von dem entfernt war, was technisch damals möglich war. Das konservative Design lies aber auch wenig Platz für Fehler.

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