Irgendwann einmal wird man auch die ISS deorbitieren müssen. Aufgrund ihrer Masse wird das nicht einfach werden. Wenn bemannte Missionen wiedereintreten müssen, dann bremsen sie meist um etwa 100 m/s gegen die Umlaufrichtung ab. Das erniedrigt den erdnächsten Punkt und liegt dieser dann so niedrig, dass er schon in Luftschichten kommt, die das Gefährt stark abbremsen weil ihre dichte hoch genug ist, dann reicht das das Gefährt zum Wiedereintritt zu bringen. Viele frühere Missionen senkten ihn sogar unter die Meeresoberfläche ab. Eine nicht durch einen Hitzeschutzschild geschützte Station bricht dann auseinander und verglüht. Bei Skylab begann das schon in 120 km Höhe. Allerdings sank diese Station sehr langsam ab, sodass sie sie in flachem Winkel in die Atmosphäre eintrat und die Trümmer erstreckten sich über einen Streifen von 6400 km Länge un 160 km Breite.
Skylab hatte keine Möglichkeit sich gezielt zu deorbitieren, die NASA konnte nur wenig tun und diese Misere ging durch die Presse. Das will man sicher bei der ISS vermeiden. Seitdem wurden alle Raumstationen aktiv deorbitert. Dazu braucht man Treibstoff. Nun wiegt die Station 420 t. Multipliziert man das mit 100 m/s so kommt man auf einen Gesamtimpuls von 42.000.000 Ns. Bei lagerfähigen Treibstoffen mit einem spezifischen Impuls von 3000 m/s braucht man 14.000 kg um die Station abzubremsen. Das erste was man also tun wird ist den Treibstoffverbrauch reduzieren.
Das naheliegende ist es die Station zuerst absinken zu lassen in eine Umlaufbahn die noch stabil ist, aber niedriger liegt als die heutige Höhe (rund 420 km). Denn der Impuls hängt ab von der Differenz der alten und neuen Perigäumshöhe. Als Basis mag ein Aufbaukriterium dienen: Die ISS dürfte beim Aufbau eine Höhe von 330 km nicht unterschreiten, weil sie sonst in 3 Monaten so stark absinken würde, dass sie kein Transporter mehr anheben kann. Da es für ein Deorbitgefährt auch Verzögerungen gibt würde ich 340 km als Ausgangsbahnhöhe ansetzen. Diese Abbildung einer Simulation zeigt, dass die Station aus einer 330 km hohen Umlaufbahn alleine durch die Abbremsung innerhalb von 304 Tagen verglühen würde. Diese Simulation stammt aus der Zeit des Aufbaus, als die ISS noch 244 t wog. Mit den größeren heutigen Solararrays dürft es eher noch schneller gehen.
Wie tief muss man die Bahn absenken? Nun man muss sie nicht zu stark absenken, aber auch nicht gerade bis an die Grenze wo die Reibung die Station dann endgültig abbremst, denn dann erhält man wie bei Skylab einen langen Streifen weil sich das auseinanderbrechen über eine größere Strecke erstreckt. Die ATV brechen in 60 bis 80 km Höhe auseinander. So würde ich als niedrigsten Bahnpunkt eine Höhe von 80 km definieren.
Nach den Gleichungen für Bahnen muss man dann nicht mehr um 100 m/s abbremsen, sondern „nur“ noch um 76,4 m/s. Machen mithin aber immer noch über 10 t Treibstoff die man braucht. Das ist mehr als jeder Transporter heute zur Station bringen kann. Noch problematischer: Um das langsame Absinken wie bei Skylab zu vermeiden müssen zwei Bedingungen erfüllt sein:
- Beim Abbremsen darf man nur während des Apogäums den Antrieb einsetzen, sonst senkt man die ganze Bahn ab und nicht nur einen Punkt
- Ein Absinken des Perigäums unter 180 km sollte bei mehreren Zündungen bis zur letzten vermeiden werden, weil sonst die Station unkontrolliert eintritt.
Wenn man dies mit den Progress oder ATV durchführt, reicht zum einen deren Treibstoff nicht aus, zum anderen müssen ihre leistungsschwachen Triebwerke sehr lange arbeiten – über viele Stunden. Sie würden die Bahn daher stufenweise absenken. Beim Einsatz der derzeitigen Transporter würden diese nur kurz während des Apogäums arbeiten und so die 340 × 340 km Bahn über viele Umläufe zuerst in eine 340 × 330 Bahn dann irgendwann in eine 340 × 180 km Bahn bringen. Doch dann stehen wir vor einem Problem, denn nun müsste man in einem Umlauf den Rest schaffen, dazu braucht man schubstarke Triebwerke. Die gibt es auf der ISS nur in der Swesda. Leider sind deren Tanks zu klein: sie fassen nur 860 Treibstoff.
Kurzum: Mit den heutigen Möglichkeiten kann man die ISS nicht sicher deorbitieren. Dazu braucht man ein Gefährt das:
- über mindestens 11,2 t Treibstoff verfügt
- diesen Treibstoff relativ schnell verbrennt (Brennzeit < 3000 s)
- Damit braucht es ein Triebwerk mit einem Schub von 12 kN oder mehr.
Das könnte die Orion sein: ihr Servicemodul wird viel Treibstoff aufnehmen, für die Mond Missionen braucht man diesen um in eine Umlaufbahn einzuschwenken oder sie zu verlassen. Zudem wird es das AJ10-26 einsetzen, das 26,7 kN Schub aufweist. Ich will aber hier mal eine andere Lösung auf Basis des ATV nennen.
Das ATV setzt sich aus zwei Elementen zusammen – einem vorderen Druckmodul für die Fracht und im hinteren Teil auch Gase, Wasser und Treibstoff mit dem Kopplungsadapter und dem Bus der auch den Reboosttreibstoff enthält. Vom Druckbehälter brauchen wir nur den Kopplungsadapter und die Annäherungssensoren. Ersterer wiegt 254 kg, zusammen mit einigen vorne noch befindlichen Triebwerken soll das 500 kg wiegen. Im hinteren Servicemodul befinden sich dagegen nicht nur die Steuerung und Energieversorgung sondern auch die Treibstoffe für den Antrieb und das Anheben der ISS. Das sind derzeit 6,8 t, von denen ein ATV rund 1 t verbraucht bis er angekoppelt hat.
Lösung Nummer 1 wäre es diesen Teil so umzubauen, dass er mehr Treibstoff aufnimmt und ein leistungsfähiges Triebwerk einzubauen. Der Platz steht zur Verfügung denn im Servicemodul liegt alles auf einem Kreisring, der in der Mitte leer ist. Dort könnte man dann ein Aestus Triebwerk einbauen und man benötigt weitere Tanks. Nimmt man ein Voll/Leermasseverhältnis von 5 zu 1 an (es kommt ja noch Druckgas hinzu und die Hülle und Befestigung wird auch verlängert, dann kommt man zu folgender Rechnung:
- Heutiges ATV Servicemodul: 5,5 t Trockenmasse
- zusätzlich: Kopplungsadapter und Annäherungssensoren: 0,5 t
- zusätzlich Aestus Triebwerk und Schubgerüst, Schwenkmechanismus: 0,3 t
- zusätzlich: bisheriger Treibstoff: 6,8 t
- zusätzlich 6,16 t neuer Treibstoff
- zusätzlich 1,23 t für Tanks / Druckgas etc.
Gesamtgewicht: 20,5 t davon 12,96 t Treibstoff
Wenn man 1 t abzieht für Annäherungsmanöver, so bleiben 11,9 t für das Deorbitieren nutzbarer Treibstoff. Diese reichen aus um 440 t (ISS + angekoppelter ATV) um 87,3 s abzubremsen. Das Aestus Triebwerk muss dafür 1321 s lang arbeiten. Damit erfüllt es beide Kriterien. Damit ist der Job zu machen.
Nicht ganz reicht es für eine zweite Überlegung: Anstatt das ATV umzubauen, könnte man ja auch nur mit einer Ariane 5 ES und einer vollen Oberstufe nur das Servicemodul mit Kopplungsadapter starten. Die EPS würde dann zuerst kurz zünden um die suborbitale Bahn anzuheben. Danach würde das Servicemodul mit relativ kleinen Treibstoffvorräten ankoppeln, ohne das man sich von der Oberstufe getrennt hätte und mit dieser dann die Deorbitierung durchführen. Das Problem ist, dass die Oberstufe derzeit nur 10 t Treibstoff hat, von dem noch etwas abgeht weil die EPC das Gefährt auf einer suborbitalen Bahn entlässt (nicht weil es zu schwer ist, sondern weil die EPC verglühen soll). Das ist zu wenig Treibstoff. Die Lösung wäre es zuerst mit den ATV Triebwerken den Orbit abzusenken, sie haben ja weitere 5 t nutzbaren Treibstoff Damit kann man die Bahn von 340 auf 284 km Höhe absenken. Danach wäre die EPS dran, die nun weitere 60,4 m/s abbauen muss, das entspricht 8,3 t Treibstoff. Leider verbraucht bei normalen ATV Missionen die Oberstufe aber schon 4,6 t um die Umlaufbahn zu erreichen und damit bräuchte sie mindestens 12,9 t Treibstoff, ihre Tanks fassen aber nur 10 t. Man hat mal erwogen sie zu vergrößern (das war eine Ausbauoption für die Ariane 5), doch das ummodeln würde wahrscheinlich genauso aufwendig sein, wie das ATV umzubauen, zudem gibt es noch das Problem der Steuerung, denn die EPOS wird ja sonst von der VEB nicht dem ATV gesteuert.
Warum ich dieses Szenario durchgerechnet habe? Noch ist ja offen ob Europa bei einem Betrieb der ISS von 2020 bis 2024 dabei ist. Derzeit sieht es nicht danach aus. Für den Betrieb von 2006 bis 2017 hat man fünf ATV gestartet. Für 2018 bis 2020 entwickelt man als Kompensation das Orionmodul. Ein solches Deorbitgefährt wäre eine Möglichkeit den Betrieb von 2020 bis 2024 zu kompensieren. Wie schon gesagt, wäre eine Orion besser geeignet für die Aufgabe. Sie müsste sie ohne größere Umbauten erledigen können, man müsste nur am russischen Segment andocken können.
Zuletzt gäbe es noch eine andere Möglichkeit: wenn man die ISS nicht deorbitieren kann, weil man mittelfristig kein Gefährt an den Start kommt gibt es noch eine Alternative: sie nicht zu deorbitieren, sondern ihre Bahn anzuheben. Das verlängert die Lebensdauer und man gewinnt Zeit. Einer der inzwischen nicht mehr Eingesetzten Tankversionen der Progress kann die Station um 20 km anheben. Das bringt mindestens ein Jahr Zeit um eine Lösung zu finden. Verglichen mit dem Deorbitieren würde das regelmäßige Anheben mit den bisherigen Transportern möglich sein und relativ wenige Flüge erfordern.