Bernd Leitenbergers Blog

Die Nutzlast der Falcon 9 mit Wiederverwendung oder die Mär, das Wiederverwendung immer etwas bringt

Ich will im heutigen Blog einmal berechnen, was die Wiederverwendung der Falcon 9 für andere Orbits bringt. Offiziell bestätigt ist inzwischen ja das die nicht der Website entsprechen, nicht mal ohne Wiederverwendung. Nach dem IAC 2018 in Bremen:

Rakete Falcon 9 Falcon Heavy
GTO, ohne Wiederverwendung 6.500 kg 15.000 kg
GTO, Seelandung 5.500 kg 10.000 kg
GTO Landlandung 3.500 kg 8.000 kg

Bevor ich in die Rechnung einsteige erst mal etwas Grundlagen. Wenn SpaceX die Falcon 9 Erststufe landen will, muss sie in ihr Treibstoff hinterlassen. Wie Musk selbst schon erkannt hat, ist es ein Unterschied ob man die Atmosphäre beim Start in einer aerodynamischen Hülle durchquert oder mit dem Heck voraus. Sie wäre dann so dicht wie Melasse. Um die Kräfte zu reduzieren, bremst die Falcon Erststufe ab, wie man auch auf den Videos sieht. Ein bisschen Treibstoff braucht man auch noch zum Navigieren und zur Landung selbst, aber relativ wenig, da die Endgeschwindigkeit vor der Landung nur noch weniger Hundert Meter pro Sekunde beträgt und die Stufe dann idealerweise fast leer ist.

Bei der Landlandung muss man zusätzlich die horizontale Geschwindigkeit, die nach Osten aufgebaut wird, nicht nur auf Null abbauen, sondern auch in eine Geschwindigkeit nach Westen „umdrehen“. Das braucht nochmals einiges an Treibstoff.

Beides braucht Treibstoff, denn man nicht für den eigentlichen Antrieb in den Orbit nutzen kann. Das bedeutet zwangsläufig das die erste Stufe bei geringerer Geschwindigkeit abgetrennt wird. Die Oberstufe muss also mehr Geschwindigkeit aufbringen. Damit sinkt die Nutzlast ab, man kann dies mit der Nutzlastabnahme für höhere Geschwindigkeiten vergleichen. Daraus folgt auch: die Nutzlastabnahme müsste für den LEO-Orbit kleiner sein und für noch höhere Geschwindigkeiten (GEO oder Marsbahn) noch höher als in denGTO.

So nach den einleitenden Worten zu der Berechnung. Basierend auf der obigen GTO-Nutzlast von 6500 kg habe ich mittels meiner Aufstiegssimulation unter Verwendung bekannter und geschätzter Werte folgende Falcon 9 modelliert:

Rakete: Falcon 9 Real GTO

Startmasse
[kg]
Nutzlast
[kg]
Geschwindigkeit
[m/s]
Verluste
[m/s]
Nutzlastanteil
[Prozent]
Sattelpunkt
[km]
Perigäum
[km]
Apogäum
[km]
Inklination
[Grad]

557.500

6.500

10.279

1.410

1,17

160,00

185,00

35790,00

90,00

Startschub
[kN]
Geographische Breite
[Grad]
Azimut
[Grad]
Verkleidung
[kg]
Abwurfzeitpunkt
[s]
Startwinkel
[Grad]
Konstant für
[s]
Starthöhe
[m]
Startgeschwindigkeit
[m/s]

7.686

28

90

2.000

217

90

5

10

0

Stufe Anzahl Vollmasse
[kg]
Leermasse
[kg]
Spez.Impuls (Vakuum)
[m/s]
Schub (Meereshöhe)
[kN]
Schub Vakuum
[kN]
Brenndauer
[s]
Zündung
[s]

1

1

452.300

22.000

3.050

7686,0

8227,0

159,53

0,00

2

1

96.700

5.000

3.273

981,0

981,0

305,95

162,00

Wichtig für die Betrachtung ist vor allem die Trockenmasse der Stufe. Die habe ich stufenweise erhöht, erneut eine optimale Aufstiegsbahn optimiert, bis ich dann die niedrigere Nutzlast für den GTO erreicht habe. Danach habe ich mit der Rakete die LEO-Nutzlast für einen 200-km-Orbit mit Azimut 90 Grad also nach Osten berechnet und komme auf folgende Daten:

Rakete Nutzlast LEO Trennmasse der ersten Stufe
Falcon 9 keine Wiederverwendung 21 t 22 t
Falcon 9, Seelandung 19 t 34 t
Falcon 9, Landlandung 14 t 66 t

Wie schon angedeutet: Der Nutzlastunterschied ist nicht so riesig. 2/3 der Maximalnutzlast sind noch nutzbar, bei GTO sind nur noch 54 %. Das müsste bei höheren Geschwindigkeiten noch mehr sein. Also habe ich mal für ein c3 von 10 km²/s² (typisch für eine Marstransferbahn) dasselbe berechnet:

Rakete Nutzlast C3=10 km²/s² Trennmasse der ersten Stufe
Falcon 9 keine Wiederverwendung 2,8 t 22 t
Falcon 9, Seelandung 2,2 t 34 t
Falcon 9, Landlandung 0,8 t 66 t

Wie erwartet ist die Nutzlastabnahme noch drastischer. Das liegt auch an der Oberstufe. Sie wiegt trocken 5 t und gelangt immer auf die gleiche Bahn.

Man sieht an der Oberstufe aber auch, wie die Optimierung der Falcon 9 für die Wiederverwendung sich auf das Gesamtsystem auswirkt. Gegenüber der ersten Version der Falcon 9 ist die heutige Version um 2/3 schwerer. Jedoch wurde die erste Stufe nur rund 50 % schwerer, die zweite dagegen um 100 %. Das ist aus Sicht der Wiederverwendung logisch. Denn die zweite Stufe muss nun ja einen viel größeren Teil der Gesamtgeschwindigkeit aufbringen. Weiterhin erfolgt die Stufentrennung bei niedriger Geschwindigkeit, wenn die erste Stufe durch den benötigten Resttreibstoff schwerer ist. Damit muss auch weniger Geschwindigkeit bei der Bergung abgebaut wird.

Für hohe Geschwindigkeiten resultiert dann aber eine viel höhere Nutzlastabnahme durch die hohe Leermasse der Oberstufe, als wenn die Oberstufe etwas kleiner wäre und die erste Stufe bei höherer Geschwindigkeit abgetrennt wird. Kurzum: SpaceX hat ein Gefährt für den LEO gebaut, wie vor 40 Jahren die NASA das Space Shuttle.

Eine weitere Oberstufe

Da die Firma ja angekündigt hat, dass sie mal auch die Oberstufe bergen will, wäre es wie beim Vorbild Space Shuttle sinnvoll, eine weitere Stufe einzuführen. Ich habe das mal für SpaceX getan, indem ich um die Super-Draco Triebwerke eine Stufe konstruiert habe. Ich habe den Voll/Leermasse-Koeffizienten der Titan II Zweitstufe mit derselben Treibstoffkombination, mit in etwa gleicher Masse und deutlich mehr Schub genommen. Der müsste eigentlich leicht umsetzbar sein. Als Masse habe ich 25 t angesetzt das ist ein Viertel der Oberstufenmasse und viermal mehr als die Nutzlast in GTO für die Seelandung. Als spezifischen Impuls der Super-Draco 3050 m/s, das ist selbst mit druckgeförderten Triebwerken leicht zu erreichen (sprich: real würde man eine erheblich bessere Stufe konstruieren können und die Nutzlast wäre eher höher).

Parameter Wert
Startmasse Stufe: 25.000 kg
Trockenmasse Stufe: 2.300 kg
Schub: 2 x 71 kN
Spezifischer Impuls: 3050 m/s
Brenndauer: 487 s

Hier einmal die Nutzlasten für GTO:

Rakete Falcon 9 Falcon 9 mit Dritter Stufe
GTO, ohne Wiederverwendung 6.500 kg 7.300 kg
GTO, Seelandung 5.500 kg 6.700 kg
GTO Landlandung 3.500 kg 4.600 kg

Wie man sieht, ist die Zunahme wieder überproportional, weil die letzte Stufe nur noch 2,3 anstatt 5 t trocken wiegt. Ohne Bergung sind es nur 800 kg mehr, mit Landbergung dagegen 2.100 kg. Als kleiner Nebeneffekt wird die Rakete auch schwerer was die Abtrenngeschwindigkeit bei der ersten Stufe verringert und die Bergung vereinfacht. Das gilt auch für die zweite Stufe, denn selbst bei GTO-Missionen erreicht die Falcon 9 Zweitstufe nun keinen Orbit mehr. Die Oberstufe muss daher nicht mehr aus dem Orbit abgebremst werden, was weiteren Treibstoff kostet. Die Abtrenngeschwindigkeit beträgt um 6.800 m/s bei einer GTO-Mission. Beim Rückkehr aus einem GTO wären es dagegen über 10,2 km/s, was eine erheblich höhere thermische Belastung bedeutet. Vor allem wird so die Bergung erst wirtschaftlich sinnvoll. Denn jedes Kilogramm, das bei der Falcon 9 die Oberstufe mehr wiegt, geht direkt von der Nutzlast ab. Bei der Seebergung stieg die Masse der ersten Stufe um 54 %. Würde man nur den gleichen Anteil (es wäre wegen der viel höheren Wiedereintrittsgeschwindigkeit sicher mehr) bei der Oberstufe ansetzen, so sind das 2,72 t mehr Gewicht. Und die 2,72 t gehen direkt von der Nutzlast ab, kein Problem beim LEO, wo die Nutzlast dann immer noch über 10 t wiegt, bei Seebergung schwindet die GTO-Nutzlast dann auf 2,8 t.

Wichtig für DoD und NASA

Es gibt für mich einen wirklich schlagkräftigen Grund, warum ich diese Oberstufe entwickeln würde, selbst wenn man keine Bergung der Oberstufe betreibt. Das sind die Missionen für NASA und DoD. Die NASA hat ab und an Hochenergiemissionen. Aktuelles Beispiel: Lucy. ULA gewann den Start für 148,3 Millionen Dollar, SpaceX klagt nun gegen diesen Entschluss, da ihr Start billiger wäre. Lucy wird auf eine Bahn mit einem c3 von 29,9 km/s geschickt. Ich errechnet in meiner Simulation eine Nutzlast der Falcon 9 für diese Bahn (oder Bergung) von 900 kg, für die von ULA verwendete Atlas V 401 dagegen 1.700 kg. Lucy selbst wiegt 1.431 kg. Da ist es logisch, das man ULA wählte. Wahrscheinlich weis dies auch SpaceX und hat die Falcon Heavy ins Rennen geschickt. Doch die Mission hat ein enges Zeitfenster für den Start. SpaceX hat nach dem Jungfernflug der Falcon Heavy die nächste Mission STP-2 für Juni 2018 angekündigt. Sie ist bis jetzt nicht erfolgt. Schaut man sich das Launch Schedule von Spaceflight Now an, so tauchen bei den Falcons häufiger als bei anderen Trägern Verzögerungen auf und die sind tendenziell länger. Von den Starts in der Vergangenheit, die teilweise Jahre warten mussten, gar nicht erst zu reden.

Würde man die Falcon 9 anstatt der Falcon Heavy einsetzte, so wäre dieser Punkt nicht ganz so kritisch. Doch die schafft die Nutzlast nicht. Mit Oberstufe dagegen kein Problem: die erhöht die Nutzlast ohne Bergung auf 2.300 kg. Es ist sogar eine Seebergung möglich.

Das zweite sind die DoD Missionen. Militärische Satelliten werden anders als kommerzielle meistens von der Rakete in den GEO befördert. Da gibt es bei 27° Bahnneigung des GTO einen Geschwindigkeitsbedarf von 1853 m/s. Mit Oberstufe reduziert sich die Bahnneigung schon mal auf 23,7 Grad und die Falcon 9 kann ohne Bergung 2,9 t in den GEO befördern ohne Oberstufe sind es nur 1,5 t was wohl kaum ausreichen wird. Nur deswegen braucht SpaceX die Falcon Heavy. Ohne diese gibt es die richtig teuren Startaufträge seitens DoD und NASA nicht. Anders als bei kommerziellen Satelliten darf da ja keine ausländische Konkurrenz mitbieten. Der Start von Lucy kostet die NASA 148,3 Millionen Dollar. Würde SpaceX bei allen anderen Kriterien mit ULA gleichziehen, sie müssten also nur etwas billiger sein, das verspricht saftige Renditen.

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