Bernd Leitenbergers Blog

Das Deorbitieren der ISS mit der Orion

Wenn man die ISS einmal deorbitieren will, ist das nicht so einfach. Sie wiegt 420 t und unkontrolliert will man sie nicht verglühen lassen. Kontrolliert eine so große Masse zu deorbitieren, ist aber nicht ganz einfach. Es ist erst mal eine Frage der Treibstoffmenge. Wenn man von eine 400 km hohen Kreisbahn ausgeht und diese Bahn auf eine 120 x 400 km Bahn absenken will, muss man die Geschwindigkeit um 82 m/s ändern. 120 km dürften das Minimum sein, ab da bremst die Atmosphäre die Station so schnell ab, das sie verglüht. Mehr Kontrolle über den Punkt wo die Trümmer niedergehen wäre ein Perigäum in 80 km Höhe, wie es zumindest vor einigen Jahren mal geplant war, ein ATV hat deswegen seinen Wiedereintritt auf diesen Punkt ausgerichtet, um dies schon zu simulieren. Leider ging der Datenrekorder, der dies aufzeichnen sollte, verloren. Für ein Perigäum in 80 km Höhe benötigt man schon 94 m/s Abbremsung. Je niedriger es ist desto mehr braucht man, das ist logisch, desto steiler ist aber auch der Eintritt und desto kleiner der Streifen, auf dem die Trümmer niedergehen.

Bei einer so großen Masse und wenig Geschwindigkeitsbedarf kann man die Treibstoffmenge ohne größeren Fehler über Dreisatz berechnen:

Das zweite ist der Schub. Ist die Betriebszeit des Antriebs zu lange, so sinkt auch das Apogäum ab. Das hat zwei unangenehme Folgen: Der Treibstoffverbrauch steigt an und die Bahn führt über einen Großteil des Orbits in niedriger Höhe über die Erde, wo die Station dann laufend abgebremst wird, wodurch sich der Impaktpunkt verschiebt und die Fläche größer wird. Die NASA rechnet bei einem regulären Eintritt schon mit einem Streifen von 6.000 km Länge und bei einem Notdeorbit mit 12.000 km Länge. Bisher waren alle ISS-Zubringer zu schubschwach, logisch ihr Antriebssystem war ja auch nur für die Geschwindigkeitsänderung eines 7 bis 20 t schweren Raumschiffs ausgelegt – 20 bis 60 mal weniger, als die ISS wiegt.

Glücklicherweise hat das Orion Servicemodul mit den OMS Triebwerk und 26,7 kN Schub genügend Schub für die Aufgabe. Ein Problem ist allerdings das Servicemodul eine Treibstoffzuladung von 8976 kg (Startmasse 15461 kg, Trockenmasse: 6485 kg). Deutlich weniger als die obige Schätzung von 13,2 t. Trotzdem will ich in diesem Blog die Möglichkeit untersuchen die ISS-Deorbitierung mit der Orion durchzuführen. Es gibt dazu einen wichtigen Punkt: Es ist immer noch offen, wie die ESA-Beteillgung an den Unterhaltskosten der ISS ab 2020 aussehen soll. Ohne Kompensationslieferungen müsste die ESA sonst 150 Millionen Euro pro Jahr bezahlen. Andererseits hat die NASA 950 Millionen Dollar für das Deorbitieren der ISS veranschlagt, das wären genauso viel wie 5 ½ Jahre Beteiligung der ESA.

Das Grundszenario ist Folgendes: Die ISS wird verlassen bis auf die letzte Teilcrew (die Crew besteht derzeit aus zwei Expeditions). Dann koppelt eine Orion oder ein aus der Orion abgeleitetes Gefährt an, ist die Orion bemannt, so kehrt die Besatzung nun mit dem kommerziellen Transporter der letzten Crew zurück. Die Crew-Versorger können bis zu sieben Astronauten befördern, normal sind allerdings vier. Denkbar wäre in jedem das Fall Orioncrew und letzte Crew nur zwei Personen stark sind, dann reichen die vier Sitzplätze aus.

Es gibt nun eine Reihe von Möglichkeiten:

Fazit

Vier Szenarien, vier Möglichkeiten. Alle mit Vor- und Nachteilen. Für die NASA vorteilhaft: ihr Anteil besteht maximal in einer Orionkapsel und einem Start. Russland würde maximal drei Progress starten. Der ESA Anteil ist stark schwankend von relativ gut bezifferbaren Kosten für ein Servicemodul und einen Ariane 6 Start und schwer einzuschätzenden für Umbauten dieses. Basierend auf dem was man heute zur Verfügung hat würde ich die Stationsvorräte zuerst auffüllen und dann mit diesen die Bahn absenken, dann mit einer normalen Orion das Deorbiting durchführen.

Wenn man wirklich ein Mondprogramm angeht, wird man aber sowieso ein größeres Servicemodul benötigen. Dann wäre der Start einer vergrößerter Orion durch eine US-Rakete die bessere Lösung.

Das Absinkenlassen halte ich für riskant, Umbauten ohne die Kapsel und Vergrößerung des Servicemoduls kämen praktisch einer Neukonstruktion eines ATV gleich und wären entsprechend teuer.

Außer der Reihe: Die ESA kann auch so Kosten sparen

Ein Punkt weshalb ich auf dieses Szenario gekommen bin war ja, dass ich damit die offene ESA-Beteilligung der nächsten Jahre decken kann. Zudem wird die Orion öfters gebaut, was diese auch billiger macht. Bisher ist ja nur ein Einsatz alle zwei Jahre vorgesehen.

Nun gibt es aber auch so Neuigkeiten. Die NASA hat gerade einen Kommerzialisierungsplan verabschiedet. Er muss den Partnern wie eine Ohrfeige vorkommen: 35.000 Dollar pro Tag, zwei Astronauten pro Jahr, 30 Tage pro Astronaut, Flug extra zu bezahlen. Nimmt man den Durchschnitt der letzten Jahre, so hat die NASA 1 Milliarde Dollar pro Jahr für die Fracht für vier Astronauten des westlichen Teils bezahlt, dazu kämen noch die HTV-Transporte. Mit Besatzung rechnet die NASA für die nächsten Jahre mit 1,8 Milliarden Dollar. Das sind alleine an Fracht 700.000 Dollar pro Tag – zwanzigmal mehr als sie von einem Kunden verlangt. Selbst wenn dieser nun 81,7 Millionen Dollar zusätzlich für einen Start mit einer Sojus bezahlen muss. (Vielleicht wird’s ja mit Starliner und Crewed Dragon billiger – gut möglich, da die NASA alle Sitze nicht ausnutzen will und so die Zusatzkosten minimal wären).

30 Tage sind zwar nicht 180 Tage, so lange ist die Regelaufenthaltsdauer derzeit (dürfte bei vier geplanten Crew-Missionen auf 90 Tage sinken), aber es gibt auch Vorteile: Die derzeitige Besatzung muss viel Sport treiben, um sich fit zu halten und dazu kommt die Zeit für die Arbeit an der Station selbst. So kommt die Besatzung im Mittel nur auf 10 bis 15 Stunden Arbeit an Experimenten pro Woche. Bei einem Gastastronauten fällt die Arbeit an der Station weg und Sport um einen körperlichen Verfall zu verhindern muss er bei einer Kurzzeitmission auch nicht machen. Das war wohl auch der Grund, warum er nur 30 Tage im Orbit ist – alleine wegen den hohen Startkosten wäre länger ja sinnvoller. Er könnte 48 Stunden pro Woche an Experimenten arbeiten – schon wären die 30 Tage äquivalent mit einer 120 Tage Normalmission.

Nur wären sie billiger: Die ESA bezahlt rund 150 Millionen Euro pro Jahr und bekommt dafür 90 Astronautentage pro Jahr. Für einen Gastastronauten wären es mit Start weniger als 74 Millionen Euro bei 120 Äquivalentarbeitstagen. Für das gleiche Budget könnte man also die 2,5-fache „Astronautenzeit“ bekommen.

Mich würde interessieren, inwieweit dieser die internationalen Partner sicher verstörende Vorschlag mit diesen abgesprochen ist. Rein rechtlich kann die NASA nur von ihrem Kontingent Zeit abgeben, das bedeutet, dass, wenn nun 60 Astronautentage hinzukommen, die JAXA weitere 10 und die ESA weitere 7 Tage erhalten müsste. Mein Vorschlag an die ESA: bewerbt euch mit euren Astronauten um diese zusätzlichen Plätze, sie können ja dann auch kommerzielle Experimente durchführen …

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