Bernd Leitenbergers Blog

Anarchy in the UK

Es mag ein Zufall sein, aber immer, wenn ich an den Brexit denke und nach einer Überschrift für den Blog suche fallen mir Titel der Punk Bands The Clash und Sex Pistols ein: London Calling, Should i stay or should i go? Und wenn ich die letzten Tage rekapituliere, eben Anarchy in the UK.

Ich habe einiges gelernt. So das die Queen so ziemlich der armseligste Tropf im ganzen Königreich ist. Denn jeder, auch wenn er kein Amt hat, darf dort zumindest eine eigene Meinung haben. Auch bei uns darf der Bundespräsident die nicht immer äußern, weil er überparteilich sein muss. Aber er ist nicht verpflichtet, Regierungserklärungen von Boris Johnson als die eigene vorzulesen und er darf, wenn er Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Gesetzes hat, die Unterzeichnung ablehnen. Die Queen musste aber die Zwangspause von Johnson unterzeichnen, die dann auch schnell wieder einkassiert wurde.

Nun hat Johnson einen neuen „Deal“ abgeschlossen der für mich sehr komisch wirkt, demnach sollen in Nordirland die Engländer Waren zolltechnisch abfertigen, die an die EU gehen und dort ankommen. Man überträgt also eine wichtige Hoheitsrechtliche Sache einem Drittland. Sehr komisch. Klingt für mich wie der Vorbote für ein neues Steuerparadies. Doch selbst das wird nicht vom Unterhaus genehmigt. Kann ich verstehen, ich würde auch erst Mal das Ganze durchlesen, das sollen ja 400 Seiten sein. Johnson ist zweimal gescheitert, das Gesetz auch nur zur Abstimmung zu bringen. Dafür verdonnert ihn das Unterhaus dazu, einen Brief an die EU zu schreiben, in dem er um einen neuen Termin bittet. Er unterzeichnet den nicht und schreibt einen zweiten an die EU, in dem sinngemäß schreibt, dass er persönlich keine Verschiebung will und lieber zum 31.10 ohne Vertrag ausscheiden will. Gespaltene Persönlichkeit? Was macht man als Empfänger? Sucht man sich das Schreiben aus, das einem, gefällt? Oder das das unterschrieben ist – sonst ist ja auch nur etwas gültig, wenn es unterschrieben ist. Oder das mit der Verschiebung, da es ein von dem Parlament verabschiedetes Gesetz ist oder das von Johnson, schließlich ist er immer noch Ministerpräsident, wenn auch nicht durch Wahlen legitimiert und derzeit ohne Mehrheit. Keine einfache Entscheidung.

Heute nun erneut ein Ersuchen den Austritt nochmals um drei Monate auf den 31.1.2020 zu verschieben. Außerdem will er Neuwahlen. Verständlich wenn man keine Mehrheit hat (man hätte eben nicht zwei Dutzend Abgeordnete der eigenen Partei ausschließen sollen).

Soviel in Kürze wie ich das Possenspiel sehe, das in Great Britain abläuft. Mir ist allerdings auch klar geworden, das dies nicht nur ein Problem eines Parlaments und einer Situation ist, in der es keine für England akzeptable Lösung für Nordirland gibt, die auch für die EU akzeptabel ist. Es ist ein Problem der Engländer selbst. Nach dem, was ich in den letzten Wochen erlebt habe würde ich annehmen, das Johnson Neuwahlen haushoch verlieren würde. Er ist im Parlament gescheitert, hat lange Zeit nichts gemacht und die ersten Vorschläge waren inakzeptabel und dann hat er auch noch die Verfassung gebrochen, indem er das Parlament in die Zwangspause schickte.

Zumindest wäre das bei uns so, wenn ein Kanzler eine Reihe von Schlappen und Ohrfeigen bekommen würde. Aber er will ja deswegen Neuwahlen (ein neues Referendum würde es ja auch tun) weil er in den Meinungsumfragen dann hinzugewinnen würde. Und das bei einem Mann der lügt, wenn er nur den Mund aufmacht. Offensichtlich honoriert der Wähler neuerdings so was. Als weitere Beispiele könnte man Trump und Erdogan oder die AFD-Führung anführen.

Was mich aber mehr erstaunt, war sowohl in den Debatten des Unterhauses, wie auch bei Befragungen von Engländern immer geredet wurde in der Form „wir und die EU“. Also so als wären sie nicht noch Bestandteil der EU. Natürlich wird auch bei uns von der EU in der dritten Person gesprochen, wenn es um EU-Gesetzgebung geht z.B. aber ich bin überzeugt, das die meisten Deutschen sich als Mitglied der EU und als Europäer verstehen und nicht nur die Deutschen, sondern ich würde diese Mehrheit auch bei den meisten Ländern annehmen, die lange in der EU sind. (bei den neuen Mitgliedsländern bin ich mir da noch nicht so sicher. Die müssen nach dem Zerfall des Ostblocks erst noch teilweise ihre Nationalphase nachholen). Jeder der älter ist, kennt noch ein Europa mit Grenzen und Grenzkontrollen, und zig Währungen die man umtauschen musste. Das die EU trotz mancher Nachteile in der Summe mehr Vorteile für jeden bringt, ist bei uns gesellschaftlicher Konsens.

Anders war das bei den Engländern. Dort sah man sich nicht als EU-Bürger noch Bestandteil der EU, ja nicht mal von Europa – denn oft wird von „Europe“ synonym mit der EU gesprochen. Sie haben ja sich auch nie so eng eingebunden wie andere Staaten, haben z.b. noch ihre eigene Währung. Ich vermute, dass ist eine Folge der Insellage. Man kann dann eben nicht mal schnell sich ins Auto setzen und nach Holland oder Österreich fahren, sondern muss entweder über den Eurotunnel oder mit der Fähre übersetzen. Dadurch bliebt man zwangsläufig isoliert. So muss einen auch nicht verwundern, wenn die Hälfte für den Austritt war.

Wie geht es weiter? Ich vermute, man wird erneut verschieben. Einfach, weil es das einfachste ist und sich so auch die EU-Regierungen eine Entscheidung sparen. Offen ist immer noch, ob dieser neue Deal von Johnson überhaupt durch alle 27 nationale Parlamente kommen würde. Man hat nach den bisherigen Erfahrungen voraussichtlich abgewartet, ob das englische Parlament das Gesetz überhaupt abnickt. May ist ja dreimal mit ihrem Vertrag gescheitert. Aber noch mal Verschieben das löst doch nicht das Problem. Derzeit ist die Regierung nicht handlungsfähig und die Opposition kann kein Abkommen aushandeln und selbst dann wäre offen, ob diese eine Mehrheit findet, weil es im Parlament einen bunten Mix an Meinungen gibt von dem einen Extrem „Wir sollten in der EU blieben“ bis zum anderen „Raus aus der EU, so schnell wie möglich, koste es, was es wolle“.

Wenn um weitere drei Monate verschoben wird, dann wird es dabei nicht bleiben. Man hat schon dreimal verschoben vom 29.3 auf den 12.4, dann den 30.6 und zuletzt gleich um vier Monate auf den 31.10. Wie hat England die letzten vier Monate genutzt? Gar nicht. Sie haben Zeit verplempert, indem sie in einer Mitgliederabstimmung einen neuen Tory-Parteischef gesucht haben, der – ja so funktioniert Demokratie dort – ohne Wahl dann automatisch Exministerpräsident wird, und der hat dann auch erst mal Däumchen gedreht. Weitere 3 Monate bedeuten nur, das Johnson dann Neuwahlen anstreben wird und die nächste Regierung wird dann, egal ob es wieder Johnson oder jemand anders ist, mit dem Hinweis man wäre gerade frisch gewählt und müsste erst mal sich einarbeiten, gleich eine neue Verlängerung beantragen. Das Einzige, was dabei positiv heraus käme wäre, wenn es eine stabile Mehrheit gäbe für oder gegen den Brexit das wäre egal, aber was alle nervt ist ja das es keine Mehrheit derzeit für jede Position in dieser Frage gibt.

Johnson hat monatelang hoffentlich angekündigt, er wolle am 31.10 raus und wenn es sein muss ohne Vertrag. Liebe Verantwortliche, Eu-Botschafter und Regierungschefs, tut ihm endlich diesen Gefallen!

[Edit]

Da alles an dieser Nordirland Frage hängt – ich halte es für die EU für besser hier keine Sonderlösung zu stricken, sondern eine allgemein gültige. Das Problem, das ein EU-Land eine Grenze zu einem Nicht-EU Land hat, ist nun ja nicht so neu. Alle Staaten im Osten haben eine Grenze zu einem Nachbarn und innerhalb der EU gibt es das auch – die Schweiz grenzt an Österreich, Italien, Frankreich und Deutschland und es gibt nur wenige Waren die die Schweiz erreichen, ohne die EU zu passieren und umgekehrt gibt es auch EU Güter die von Frankreich oder Deutschland nach Italien die Schweiz passieren.

Spätestens, wenn ein anderer EU Staat die EU verlässt, muss es eine Grenzregelung geben. Der GAU für die EU wäre wohl der Austritt von Deutschland – wie haben die meisten Nachbarn und liegen in der Mitte. Durch uns führen die meisten Routen zwischen den Ländern.

Behandelt England mit Nordirland als normales Land. Da gibt es eben Grenzen und Grenzkontrollen. Versucht nicht das einzusparen, nur weil England eine Insel ist und deswegen eine Sonderlösung für Nordirland zu finden.

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