Bernd Leitenbergers Blog

Mögliche Feststoffboosterverlängerungen beim Space Shuttle

Eine, wenn auch vorhersehbare Tragik des Space Shuttles war, das es anders als alle US-Träger während der 30 Jahre im Einsatz praktisch keine großen Upgrades gab. Die Gründe sind vielfältig. Anfangs waren durchaus Upgrades vorgesehen. Doch nach der Challengerkatastrophe hatte die Sicherheit Vorrang. So entfiel nicht nur die Centaur Oberstufe, sondern es entfielen auch alle Upgradepläne. Daneben ist dies bei einem bemannten Raumfahrzeug jede gravierende Veränderung sowieso schweirig, man kann ja nicht einfach so einen unbemannten Qualifikationsflug einschieben.

Es blieben nur Upgrades der Feststoffbooster. Es war auch eines geplant, nämlich für den operationellen Betrieb der ISS. Dadurch das man sich mit Russland auf eine Bahnneigung von 51,6 Grad geeinigt hatte – vorher war eine viel niedrige Bahnneigung für die US-Station „Freedom“ geplant, sank die Nutzlast des Space Shuttles stark ab. Eine Verlängerung auf 5 Segmente hätte die Nutzlast für die ISS um 9,1 t erhöht, das waren 50 % der Nominalnutzlast für diesen Orbit.

5 Segment SRB setzt auch die SLS ein. Die Ares V sollte 5,5 Segment SRB einsetzen. Eine Verlängerung der Booster ist um je ein halbes Segment möglich. Da ATK Datenblätter für kleinere Versionen der Booster führt, kann man ausrechnen, dass ein Segment die Startmasse um rund 143 t erhöht und die Trockenmasse um 15 t. Ich habe mir die Aufgabe gemacht, die Nutzlasten des Space Shuttles mit verschiedenen Verlängerungen zu berechnen.

Die Simulation des Space Shuttle Aufstiegsprofil ist nicht ganz einfach, weil der Orbiter auf einer suborbitalen Bahn ausgesetzt wird. Dann befinden sich in ihm aber noch Restflüssigkeiten und Gase des ET bzw. für dessen Druckbeaufschlagung. Die werden dann jedoch abgelassen. Es zünden die OMS um den endgültigen Orbit zu erreichen, mindestens einmal um das Apogäum anzuheben, es können je nach Aufstiegsbahn aber auch zwei Zündungen sein.

Das alles zu simulieren wurde mir zu komplex. Ich habe daher eine andere Taktik gewählt. Anstatt den Orbiter und diese komplexe Bahn zu simulieren, berechne ich nur welche Masse die 3 SSME mit dem ET auf eine 150 x 407 km Transferbahn mit einer Bahnneigung von 51,8 Grad abliefern. Diese Bruttomasse enthält dann den Orbiter, OMS-Treibstoff und Nutzlast. Der nun benötigte OMS-Treibstoff ist aufgrund der Geschwindigkeitsänderung von 75 m/s berechenbar, er macht 2,5 % der Gesamtmasse aus. Diesen ziehe ich dann von der Grossmasse ab und erhalte die Bruttomasse für einen 407-km-Orbit. Die Nutzlast für die ISS ist mit 18,2 t bekannt, so kann ich die Orbitermasse bei Erreichen der ISS bestimmen. Und durch Subtraktion dieser erhält man dann die Nettomasse zur ISS. Ich erhalte so eine Orbitermasse von 81,4 t was zu den bekannten Orbitermassen von 78,5 bis 79,2 t passt.

Version Brutto 150 x 407 km Brutto 407 km Netto 407 km
Space Shuttle 102 t 99,4 t 18,2 t
4,5 Segment SRB 112 t 109,2 t 28,1 t
5 Segment SRB 118 t 115,1 t 33,8 t
5,5 Segment SRB 131 t 127,7 t 46,4 t

Ich komme auf sehr hohe Nutzlasten, für den 5 Segment Booster um 15,6 t mehr, nicht nur 9,1 t wie die NASA angibt. Dafür kann es Gründe geben. Zum einen habe ich am SRB nichts außer dem neuen Segment geändert, das heißt auch nichts an der Düse und Bergungssystem. Beides kann Gewicht addieren. Allerdings ist der Einfluss klein – ich errechnet für 5 t mehr Trockengewicht bei den Booster nur eine Nutzlastabnahme von 500 kg bei der 4,5 Segment Version und mehr als 5 t pro Segment werden es nicht sein, denn die Trockenmasse der normalen Booster beträgt, wenn man das Startgewicht auf die Segmente umrechnet, 22 t pro Segment.

Wahrscheinlicher ist, dass die NASA ein anderes Aufstiegsprofil fährt. Wie man an dem Höhendiagramm sieht, ist die für maximale Nutzlast optimierte Aufstiegsbahn bei den Versionen mit höherem Startschub flacher. Ebenso kann es sein, das das Abbrandverhalten verändert wird, um die Brenndauer zu verlängern, sonst würde die Spitzenbeschleunigung auf 46 m/s bei der 5,5 Segmentversion ansteigen. Ein auf Basis der SRB neu designter Booster von ATK hat z.B. 133 anstatt 123 s Brennzeit. Ein Großteil der zusätzlichen Nutzlast beruht aber auf der Reduzierung der Gravitationsverluste:

Version Aufstiegsverluste
Space Shuttle 1906 m/s
4,5 Segment SRB 1757 m/s
5 Segment SRB 1690 m/s
5,5 Segment SRB 1586 m/s

Bei der 5-Segment Version würden die gleichen Aufstiegsverluste, mithin ein ähnliches Aufstiegsprofil z.B. die Differenz in der Nutzlast von 6,5 auf 1,2 t senken. Dafür gibt es Gründe, wie die aerodynamische Belastung des Shuttles.

Daneben gibt es natürlich noch andere Eigenheiten des Space Shuttles, die ich nicht simuliere und die Einflüsse auf die Nutzlast haben, so der variable Schub der Haupttriebwerke. Um Ende der Brennzeit wird der Schub ständig gedrosselt, um eine 3-g-Spitzenbeschleunigung aufrechtzuerhalten. Selbst wenn man dies beibehält, wäre diese Phase bei höherem Gewicht des Space Shuttles mit Nutzlast kürzer und die Höhe der Schubreduktion ebenfalls. Allerdings denke ich, wurde diese 3-g-Kriterium festgesetzt, damit auch nicht ausgebildete Astronauten als Nutzlast- oder Missionsspezialisten mitfliegen können, was bei den ersten Missionen ja auch oft vorkam. Nach dem Challengerunglück waren aber alle Passagiere ausgebildete Astronauten. Diese haben, wenn sie andere Reisemöglichkeiten nehmen – egal ob es Sojus, Starliner oder Dragon sind, heute mit erheblich höheren Beschleunigungen zu tun, die auch die der 5,5 Segmentbooster überschreiten.

Trotzdem gibt es natürlich noch offene Fragen, so ob der Tank die zusätzliche Belastung aushält. Die Schubreduktion erfolgte auch nicht nur spät, sondern auch in der frühen Phase um die aerodynamische Belastung zu senken. Die letzte vollständige Kommunikation mit der Challenger, oft noch zu hören in Dokus war die Ansage von der Missionskontrolle, dass nun die Triebwerke wieder Schub zulegen „Throttle up“ nachdem sie während des Zeitpunkts von Max-Q herunterfuhren.

Eine weitere offene Frage die bei der Nutzlast mitspielt ist, ob die NASA auch von mehr Downmass ausgeht, also auch mehr Masse zurückführen will. Da man rund 5 % der Startmasse als Treibstoff braucht, um den Orbit zu verlassen, bedeuten 10 t mehr Nutzlast 500 kg mehr OMS-Treibstoff. Es dürfte trotzdem genügend OMS Treibstoff geben, um die Missionen durchzuführen.

Oberstufen

Das 5-Segment-Upgrade war ja gedacht, um die Nutzlast für die ISS zu erhöhen. Ganz weggefallen ist nach der Challengerkatastrophe die Entwicklung von Oberstufen. Da Wasserstoff/Sauerstoff als zu riskant galt, bleiben eigentlich nur noch lagerfähige Treibstoffe – Sauerstoff/Kerosin wäre auch denkbar, bietet aber wenige Vorteile und Sauerstoff ist zwar nicht so flüchtig wie Wasserstoff, aber würde auch eine aufwendige Isolierung benötigen.

Meiner Meinung nach hatte ie NASA aber tatsächlich eine Alternative untersucht, die gut geeignet war. Das war eine Agena-Version für den Space Shuttle. Die Agena ist eine der ältesten Oberstufen und sie lief Mitte der Achtziger aus. Verglichen mit den anderen Stufen mit lagerfähigen Treibstoffen wie der Transtage oder Delta hat sie aber einen Vorteil: Ihr Triebwerk hat eine Turbopumpe. Damit liefert es mehr Schub als ein AJ-10 und vor allem benötigt man keine Tanks, die hohen Druck aushalten, weil der Treibstoff durch Druckgasförderung ins Triebwerk gelangt. Das senkt die Leermasse deutlich ab, wichtig wenn man vom LEO in den GEO möchte oder gar zu den Planeten.

Die neue Agena wäre auf NTO/MMH als Treibstoffe umgestellt worden, hätte ein neues Triebwerk mit großer Expansionsdüse erhalten. Zwei Versionen waren gedacht. Die eine war eine Standard-Agena von 1,54 m Durchmesser, nur modernisiert. Sie hätte für GTO-Missionen ausgereicht. Die Zweite hätte zwei Zusatztanks erhalten, die dann die Stufe einfach verbreitern. Sie wäre für GEO- und Planetenmissionen eingesetzt worden und 27.5 t gewogen – damals (1973) plante man noch Shuttle Upgrades, welche mehr als die nominellen 29,5 t Nutzlast erbringen würden. Diese Agena hätte man mit einem Nutzlast Upgrade einführen können. Sie sollte 6 t in den GEO (zum Vergleich: IUS: 2,3 t) bringen, noch etwas mehr zum Mars. Der Vorteil wäre eine für lagerfähige Treibstoffe hohe Nutzlast gewesen, zudem wäre die Version mit Zusatztanks auch kompakt gewesen. Allerdings gab es nur wenige Nutzlasten, die diese Stufe erfordert hätten und die normale Version hatte den Nachteil das sie lang, aber nur 1,54 m Durchmesser hatte. Eine Neukonstruktion, die kürzer ist, aber den Nutzlastraum in der Höhe voll ausnützt wäre bei kleineren und mittelschweren Satelliten und Raumsonden wohl besser gewesen. Das hätte dann gemische Missionen wie das Aussetzen eines Satelliten mit der Agena und der Transport von Fracht oder eines Spacelabs zugelassen, oder eben mehrere Satelliten auf einmal, aber auch Satellitentransporte hatte die NASA nach Challenger ja weitestgehend eingestellt.

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