Bernd Leitenbergers Blog

Aufwand für die Landung des Starships

Anstatt der Novembernachlese für SpaceX habe ich mangels Neuigkeiten mir heute wieder ein technisches Thema ausgesucht, das mich auch selbst interessiert. Trotzdem noch eine kleine Nachbemerkung. Bei meiner Wette steht es derzeit so das SpaceX 14 Starlink Starts durchgeführt, ich hatte auf maximal 17 getippt. Wäre die Corona-Pandemie nicht dazwischen gekommen, so hätten sie es schaffen können. Allerdings ging ich auch davon aus, das SpaceX auch noch andere Starts für die Regierung und kommerziell durchführt, wenn auch der Nutzlaststau abgearbeitet ist, aber das der Einbruch so riesig ist – nur sieben andere Starts dieses Jahr, habe ich nicht geahnt. Für alle die so gerne über europäische Träger lamentieren, empfehle ich auch mal einen Blick auf den Start von Sentinel 6 zu werfen. Das ist der dritte Start eines Satelliten, der vor allem in Europa gebaut wurde mit einer Falcon 9, nimmt man noch den Start von Solar Orbiter hinzu, dann fand in den letzten Jahren im Schnitt jedes Jahr ein Start eines europäischen Satelliten mit einer US-Rakete statt. Alles waren Gemeinschaftsprojekte, nur ist die ESA bzw. bei Grace Follow On das DLR nicht so fokussiert wie die USA darauf, das man die eigene Trägerindustrie unterstützt.

Heute geht es um die Landung des Starships – ich vermute die erste Stufe wird wie die erste Stufe der Falcon 9 landen. Doch beim Starship wird das nicht so möglich sein. Dafür muss sie zu viel Geschwindigkeit abbauen. Die erste Stufe der Falcon 9 hat bei der Landung zwei Brennperioden. Die Erste bremst die Stufe stark ab, bei diesem Manöver brennen drei Triebwerke. Das zweite Manöver ist dann für die direkte Landung und vernichtet die Restgeschwindigkeit, die die Stufe hat. Nun benötigt man nur ein Triebwerk. Das erste Manöver dauert zwischen 20 und 30 s, das Zweite eher um 20 s. Beim letzten Starlink Start waren es (nach Stoppen der Kommentaraussagen) 26 und 23 s. Daraus kann man den Treibstoffverbrauch abschätzen. Es gibt natürlich Unsicherheiten. So sind die Zeiten bei jedem Start etwas anders und die Triebwerke sind im Schub auch regelbar, wobei das Herunterregeln außer vor dem Aufsetzen eigentlich keinen Sinn macht, da es nur einen Mehrverbrauch an Treibstoff bedeutet. Addiert man aber beide Zeiten, so hat man 26 x 3 + 23 x 1 Triebwerkssekunden zusammen also 101 Sekunden. Ein Merlin verbraucht, wenn man die offiziellen Angaben für Vakuumschub und spezifischen Impuls nimmt (845 kN, 3050 m/s, besser wären die Bodenwerte doch die bleit SpaceX beim Schub schuldig), 277 kg Treibstoff pro Sekunde, in 101 Sekunden Betriebszeit verbrennen also fast 28 t. Das ist erheblich mehr als die erste Stufe wiegen dürfte – glaubt man Musks Angaben eines Voll-/Leermasseverhältnisses so wöge sie nur 15 t, was aber außer ihm niemand glaubt, doch selbst bei realistischen 22 t ist das mehr als die Stufe selbst wiegt.

Beim Starship das bei 120 t Zielleermasse nur 100 t Nutzlast hat, dürfte das ausgeschlossen sein. Da wäre der Treibstoff für die Landung schon beim gleichen Vorgehen wie bei der Falcon 8 größer als die Nutzlast.

Wie die Mission abläuft darüber schweigt sich auch Musk aus. Es gibt ein Fanvideo, das „nahe an der Wirklichkeit“ nach Musks Angaben sein soll. In dem gleitet die Stufe und dreht erst direkt über der Landestelle in die Horizontale. Dieser Landungstyp, wie beim Space Shuttle macht Sinn. Gegen ihn sprechen auch nicht die relativ kleinen Flügel, denn auch moderne Shuttle Entwürfe wie das X-37B oder Sierra Nevadas Gleiter haben kleine Flügel. Die großen Flügel des Space Shuttle waren nur nötig wegen der USAF-Forderung nach einer großen Querreichweite (die übrigens nie benötigt wurde). Daneben wirkt der ganze Tank von rund 50 m Länge und 9 m Querschnittt natürlich auch als Fläche, die bremst.

Ich denke aber man wird in größerer Höhe in die Senkrechte drehen. In welcher Höhe ist offen. Vielleicht wissen wir mehr, wenn der Aufstieg auf 15 km Höhe bald stattfindet, denn sinnvoll sist es ja dann eine Landung zu erproben. Aber man kann eine Abschätzung machen und mit der Falcon 9 Landung vergleichen. Zuerst Mal eine Abschätzung für den Geschwindigkeitsbedarf. Eine Falcon 9 Erststufe wird auf 22 t geschätzt bei 3,7 m Durchmesser. Wenn sie den gleichen Luftwiderstand hat wie ein Starship, dann entspräche dies bei 120 t Masse einem Durchmesser von 8,4 m. Nun hat das Starship 9 m Durchmesser, das heißt, die Endgeschwindigkeit beim freien Fall sollte vergleichbar sein. So müsste auch die zweite Abbremsphase in etwa gleich viel Geschwindigkeit abbauen.

Wie hoch sie ist, hängt davon ab, mit welcher Geschwindigkeit der Fall startet und in welcher Höhe. Würde SpaceX bei dem Test z.B. in 15 km Höhe aufsteigen und dann die Stufe einfach fallen lassen, um sie erst vor der Landung abzubremsen, so wären es rund 530 m/s. Ich nehme an, das bei der Landung drei Raptors arbeiten, weil die zweite Stufe drei Triebwerke mit und drei ohne Vakuumdüsen hat. Das würde bei 2.500 kN Schub dann 7.500 kN Schub ergeben, was bei einer leeren Stufe einer Abbremsung um 62,5 m/s entspricht, zieht man 1 g ab, um die die Rakete durch die Erdgravitation beschleunigt, wird so sind es noch 52 m/s, erheblich mehr als bei der Falcon 9, wo die Erststufe ein Sechstel wiegt, das Triebwerk aber nur ein Neuntel des Schubs hat. Damit fällt diese Brennperiode kürzer aus und das spart Treibstoff. Ich würde bei sonst gleichen Ausgangsvoraussetzungen auf 17 Sekunden tippen. 17 Sekunden entsprechen aber bei 2.500 kN Schub pro Triebwerk und 3.240 m/s spezifischem Impuls fast 40 t Treibstoff. Das ist immerhin 40 % der Nutzlastmasse. Zu Vermuten ist daher das man anders landet, wie im Video erst in niedriger Höhe in die Vertikale dreht, wenn auch nicht direkt über dem Startplatz, sondern in sicherer Höhe. Ich denke für das Drehen um 90 Grad müsste das Starship aber mindestens unterschallschnell sein, weil ich mir sonst kaum vorstellen, kann das es die Scherkräfte sonst aushält. Ariane 5 zerbrach beim Jungfernflug, als die Booster die Rakete in 3,7 km Höhe abrupt drehten. Ein Drehen reduziert die abzubauende Geschwindigkeit gegenüber einer Falcon 9 deutlich. Da man so keine große Vertikalgeschwindigkeit aufbaut. Um, wie viel hängt von der horizontalen Restgeschwindigkeit (die vernichtet werden muss) und der Höhe ab. Ich würde eine Halbierung, mithin auch eine Halbierung des Treibstoffs von 40 auf 20 t für möglich halten.

Doch das ist nicht das Einzige. Das Starship braucht auch Treibstoff um den Orbit zu verlassen. Wie viel das ist, hängt von Orbithöhe und niedrigstem Bahnpunkt ab. Die Space Shuttles hatten etwa 100 m/s für dieses Manöver reserviert. Nimmt man 140 t Masse nach Verlassen des Orbits an (120 t Leermasse und 20 t Treibstoff zum Landen), so entspricht dies bei einem reklamierten spezifischen Impuls von 3.719 im Vakuum weiteren 3,3 t Treibstoff. Zusammen kommt man so auf etwa 23 t Treibstoff, mithin ein Fünftel der maximalen Nutzlast. Die 100 m/s sind allerdings stark von der Bahn abhängig, je höher die Kreisbahn, desto höher der Geschwindigkeitsbedarf. Hier eine kleine Tabelle:

Kreisbahnhöhe Aufwand Absenkung Perigäum auf Meereshöhe Aufwand Absenkung Perigäum auf 70 km Höhe
200 61 m/s 39 m/s
300 90 m/s 68 m/s
400 118 m/s 97 m/s
500 145 m/s 124 m/s
600 172 m/s 151 m/s

Die 70 km habe ich gewählt, weil zwischen 60 und 80 km Höhe bei normalen Satelliten das Auseinanderbrechen durch die Luftreibung beginnt. Das heißt, in dieser Höhe würde ein Raumschiff so stark abgebremst werden, dass es den Orbit verlässt.

Bei elliptischen Bahnen wird es komplizierter. Zum einen haben sie eine Überschussgeschwindigkeit. Bei jeder Bahn sinkt durch Abbremsung zuerst das Apogäum ab, bei einer niedrigen Kreisbahn sind dazu in etwa die obigen Werte für eine Perigäumsabsenkung auch für eine Apogäumsabsenkung nötig und damit verlässt das Raumschiff den Orbit. Bei einer elliptischen Bahn kann eine geringe Abbremsung aber bedeuten, dass das Apogäum noch in einer Höhe liegt, in der die Atmosphäre kaum abbremst und dann verlässt das Gefährt nach Durchlaufen des Perigäums wieder die Zone der Abbremsung und verbleibt im Orbit. Daneben ist die Zeit, in der es in dieser Zone bleibt, erheblich kürzer als bei einer kreisförmigen Bahn. Man wird hier also kaum die Abbremsung auf eine Zone von 60 bis 80 km Höhe nehmen können sondern wird tiefer gehen müssen. Als Nebeneffekt ist auch die abzubauende Energie größer. Zum Kühlen der Außenhaut will ja SpaceX Treibstoff einsetzen und davon wird man dann mehr benötigen. In der Summe denke ich wird man bei elliptischen Bahnen wie z.B. eine GTO-Bahn mehr Treibstoff zum Verlassen des Orbits benötigen als bei niedrigen kreisfömigen Umlaufbahnen.

SpaceX rechnet übrigens mit vielen Tests, bei der FAA haben sie 15 beantragt. Elon Musk rechnet nur zu einem Drittel mit einem erfolgreichen Test beim ersten Flug. Inzwischen haben sie die FAA auch ersucht eine zweite Testplattform zu bauen für den Fall „in the case of an anomaly on the primary test pad“. Erheblich problematischer sehe ich aber die Phase des Wiedereintritts. Schlussendlich ist das System für die Abführung der Energie eine neue Technologie, das dürfte ähnlich spannend sein wie beim ersten Testflug des Space Shuttles.

[Edit 10.12.2020]

Da nun bekannt ist wie der ablauf des Tests ist (nach Spacenews) kann man eine Berechnung machen: Das Starship wird raketenantrieben in 12,5 km Höhe gebracht und fällt dann frei, mit der Seite nach unten. Bei einem Cw-Wert von 0,82 (für eine längs angeströmte Walze mit Länge/Durchmesser von 10) 450 m² Fläche (9 x 50 m – das starship wird vorne schmaler, hat aber Flügel die den Flächenverlust ausgleichen) erhält man eine ungebremste Landegeschwindigkeit von 118m/s bei 140 t Masse (120 t Leermasse + 20 t Treibstoff). Die Geschwindigkeit ist so gering, das theoretisch bei vollen Schub das Zünden in rund 200 m Höhe bei nur wenigen Sekunden Betrieb ausreicht. Dazu käme dann aber noch der Aufwand das Gefährt um 90 Grad zu drehen, was genauso viel Energie verbraucht. Bei insgesamt rund 250 m/s Abbremsung benötigt man nur rund 10 t Treibstoff.,

Inzwischen fand der Testflug statt. 10 Sekunden lang brannten die Triebwerke, was 23 t Treibstoff bei vollem Schub entspricht, bei eher wahrscheinlichen 2.000 kN Schub sind es 18,5 t. Ausgreicht hat es nicht, der Prototyp landete zu schnell und explodierte. Je nach Sichtweise kann man das unterschiedlich als Schlagzeile nutzen:

Starship prototype makes first high-altitude flight, explodes upon landing

oder

SpaceX’s Starship achieves most objectives in mesmerizing test flight

 

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