Bernd Leitenbergers Blog

Wer hat die Größte?

Ja und ausnahmsweise auch mal mit dem richtigen Geschlecht versehen. Es geht nicht um den Größten, sondern es geht um die größte – und zwar die größte Bombe. Ich denke ja im Allgemeinen, das die Menschheit, oder zumindest Politiker, die ja auch Berater haben, Entscheidungen mehr oder weniger vernünftig fällen. Aber bei manchen Geschichten kommen mir doch starke Zweifel. Eine davon ist der Atomwaffenwettlauf nach dem Zweiten Weltkrieg. Amerikaner und Russland überboten sich im Bau immer größerer Atomwaffen.

Zuerst einmal einige Grundlagen. Zuerst gab es nur die Atombomben, im Fachjargon Fissionswaffen, da der physikalische Prozess die Kernspaltung ist. Von den zwei noch vorhandenen Isotopen des Urans ist nur das U-235 als Isotop für eine Atombombe nutzbar. Beim Zerfall werden zwei bis drei Neutronen frei. Wenn eines der Neutronen auf ein weiteres U-235 Atom trifft und es spaltet, so wird eine gleichmäßige Kernreaktion erhalten, die man bei Kernreaktoren ausnutzt, Bei mehr als einem Neutron pro zerfallendem Atom kommt es zu einer Kettenreaktion. Es werden immer mehr Atome gespalten und die setzen dabei enorme Energiemengen frei.

Wesentlich für den Bau einer Atombombe ist es also, in einem bestimmten Volumen genügend U-235 Atome zu haben. Da die U-238 Atome an der Reaktion nicht teilnehmen, muss man zuerst das Uran anreichern – für einen Kernreaktor auf einige Prozent, für Kernwaffen auf einen hohen Prozentsatz. Da man die beiden Isotope nur physikalisch trennen kann, ist dies ziemlich aufwendig und das Haupthindernis für den Bau einer Atombombe auf Basis von Uran. Einfacher geht es, wenn man Plutonium nimmt, dass bei Kernreaktoren aus dem Uran entsteht, denn man kann es leicht chemisch vom Uran abtrennen und es enthält mehr spaltbare Isotope, weshalb die meisten Atombomben der Nuklearmächte heute Plutonium einsetzen. Daher versuchen diese auch den Export von Reaktortypen bei denen man Plutonium „erbrüten“ kann zu verhindern.

Für die Sprengkraft einer Atombombe benötigt man eine Mindestmenge an spaltbarem Material, ansonsten treffen zu wenige Neutronen ein Atom sondern verlassen den Brocken spaltbares Material. Eingebürgert hat sich der Begriff einer „Kritischen Masse“. Er ist aber eigentlich nur für die ersten Entwürfe gültig, bei denen man zwei Massen, jede unterkritisch aufeinander schoss und beim Zusammentreffen die kritische Masse erreichte. Physikalisch genauer benötigt man keine kritische Masse, sondern eine kritische Dichte, das heißt in einem bestimmten Volumen befindet sich eine Mindestzahl an spaltbaren Atomen. Diese Dchte wird heute erzeugt, indem man eine unterkritisiche Kugel aus spaltbarem Material durch Sprengstoff komprimiert. Die Dichte wird so nur kurze Zeit erhöht, das reicht, weil eine Kernspaltung je nach Geschwindigkeit der Neutronen innerhalb von 10-3 bis 10-18 Sekunden abläuft. So kann man auch Atombomben bauen, bei denen die Materialmenge unterkritisch ist. Die Hiroshima-Atombombe hatte gerade die kritische Masse (etwa 50 kg reines U-235) und eine Sprengkraft von 10 bis 15 kt. Die kleinsten gebauten Atombomben haben ein Zehntel dieser Sprengkraft. Dies geht, weil die Kompression durch die Sprengung auch das Material länger zusammenhält, denn natürlich führt die Energiefreisetzung zur Expansion der kritischen Masse. Problematischer ist es Fissionsbomben zu bauen die eine sehr hohe Sprengkraft haben, denn man kann nun auch mehrere unterirdische Massen mit Sprengstoff zusammenführen und so die kritische Masse leicht überschreiten, aber je mehr Teile man hat, desto problematischer wird das. Mit einigen Tricks, wie einem Mantel aus U-238 der Neutronen reflektiert, soll man auf 500 kt Sprengkraft kommen, die größte von den USA jemals gebaute reine Fissionsbombe hatte 525 kT Sprengkraft. Mehr als 200 bis 300 kt Sprengkraft erfordern einen deutlich höheren Aufwand als kleinere Atombomben.

Doch Physiker erkannten sehr bald, das man die enorme Temperatur im Inneren einer Atombombe nutzen konnte, um eine Kernfusion zu ermöglichen. Bezogen auf das Gewicht wird bei der Kernfusion erheblich mehr Energie frei und noch ein Vorteil: das Material ist vor der Zündung nicht radioaktiv. Es gibt keine kritische Masse. Eine Fusionsbombe kann prinzipiell beliebig groß gebaut werden, in der Praxis limitiert der Umstand das das gesamte Material in einem sehr kurzen Zeitraum zur Fusion gebracht werden muss, die Größe. Mit einer Atombombe als Zünder kommt man auf maximal 10 bis 25 MT Sprengkraft, hier limitiert die Sprengkraft der Atombombe die Größe der Fusionsbombe. Doch das kann man auch umgehen, indem man um die Wasserstoffbombe eine weitere Stufe hinzufügt, die durch die Wasserstoffbombe gezündet wird. Praktisch erreicht man dann jedoch bald eine so hohes Gewicht, dass die Bombe militärisch keinen Sinn macht, weil sie zu schwer ist, um sie mit Bombern oder Raketen zu befördern.

Beginnend mit der Zündung der ersten Wasserstoffbombe durch die USA 1952 etablierte sich ein Wettrennen um die größte Sprengkraft. Bei der ersten Wasserstoffbombe schätzte man die Sprengkraft noch falsch ein, sie war mit 10,4 MT noch größer als gedacht. Allerdings war sie die erste Wasserstoffbombe so schwer, dass sie stationär getastet wurde. Das galt auch für die folgende Testserie „Bravo“, bei der mehrere Wasserstoffbomben, nun mit einem optimierten Design und erheblich leichter, getestet wurden. Beim stärksten Test „Bravo“ war eine Sprengkraft von 6 MT prognostiziert worden und erreicht wurden 15 MT. Das lies sich Russland, die bisher Sprengköpfe getestet hatten, die weniger Sprengkraft hatten, nicht bieten und sie bauten die Bombe AN602. Saccharow begrenzte die Sprengkraft der auf 100 MT konzipierten Bombe sogar künstlich, um den Fallout zu reduzieren auf 50 bis 60 MT. Trotzdem war der Test eine Herausforderung denn bei der Sprengkraft gab es eigentlich zu wenig Zeit für das Flugzeug sich in Sicherheit zu bringen. So konstruierte man einen riesigen Fallschirm, der die Fallgeschwindigkeit reduzierte.

Und man testete natürlich auch alle möglichen Explosionsarten – am Boden, in verschiedener Höhe, unter Wasser und sogar im Weltraum, wobei man entdeckte das dabei ein Elektromagnetischer Impuls induziert wird, der Elektronik beschädigen kann. Selbst der Beschuss des Mondes wurde von beiden Nuklearmächte erwogen. Der Test einer Bombe ist das eine. Doch baut man dann auch so große Bomben?

Es gibt auch aus militärischer Sicht einen Nachteil von Atomwaffen mit hoher Sprengkraft, denn die zerstörte Fläche steigt gegenüber der Sprengkraft nicht linear an, eine achtmal höhere Spengrkaft korrespondiert mit einer vierfach größeren Fläche mit derselben Zerstörungswirkung. Bei sehr hoher Sprengkraft kann der Pilz der bei der Explosion entsteht, so große Höhen erreichen, dass er bei dem dort herrschenden niedrigen Druck überexpandiert, wodurch die Waffe einen Großteil der Wirkung der Druckwelle verliert. Die meiste Zerstörungsenergie steckt in der Druckwelle, die Hitze überwiegt nur auf einem Hundertstel der Fläche und die radioaktive Strahlung tötet, was für Militärs von Bedeutung ist, nicht sofort und wird daher meist nicht als relevant angesehen. Daher macht eine sehr große Fusionsbombe dann auch militärisch wenig sinn.

Da bei Atomwaffen die Sprengkraft von größeren Sprengköpfen linear mit dem Gewicht korrespondiert, wird eine Kernwaffe mit hoher Sprengkraft auch schwer und erfordert ein leistungsfähiges Flugzeug oder eine Rakete.

Trotzdem baute man anfangs so riesige Sprengköpfe. Die Atlas ICBM hatten Sprengköpfe mit 3,75 MT Sprengkraft die 1.840 kg wogen. Die Titan schon einen 4.020 kg schweren 9 MT Sprengkopf. Ähnlich war es bei der Sowjetunion, dort wurde die Proton sogar als Interkontinentalrakete konzipiert, die die AN602, also die obige 100 MT Bombe mit 27 t Gewicht transportieren sollte. Dieses Projekt wurde nach dem Sturz Chrustschows aber eingestellt und aus der Proton eine Trägerrakete. Auch bei der R-7 war ein großer Sprengkopf geplant. Er wurde deutlich leichter, allerdings nicht wegen der Reduktion der Sprengkraft, sondern weil eine andere Technologie leichtere Sprengköpfe bei der gleichen Sprengkraft erlaubte. Warum sie so groß sein mussten, ist zumindest mir ein Rätsel. Wenn ich davon ausgehe, dass die Raketen sich gegen militärische Ziele richten, dann sind diese ja selten so ausgedehnt das man hier Megatonnen an Sprengkraft benötigt. Das Militär muss anders gedacht haben. So kam die Entwicklung der Rakete als Träger für Atomwaffen ja auch erst in Bewegung, als die Wasserstoffbombe entwickelt war, vorher so meinte man zumindest in den USA wäre das kosten/Nutzenverhältnis bei Atombomben zu schlecht. Immerhin verdanken wir dem Umstand das es leistungsfähige Trägerraketen gab. Wie die Raumfahrt wohl verlaufen wäre, wenn die ICBM die Größe von Minuteman gehabt hätten?

Die USA machten schon einige Jahre später eine Kehrtwende, verursacht durch die Entwicklung von Raketen mit Atomsprengköpfen auf U-Booten. Diese mussten wesentlich kleiner sein, sonst hätte ein U-Boot die Rakete nicht transportieren können. Dafür wurden dann auch kleinere Nuklearsprengköpfe entwickelt. Das führte dann auch zur Entwicklung kleinerer landgestützten Raketen wie den Minuteman. Russland blieb dagegen zumindest bei den landgestützten Raketen noch lange bei den relativ schweren Sprengköpfen.

Die Verkleinerung der Sprengkraft hat aber nichts an der nuklearen Bedrohung geändert. Es wurden jeweils 54 Atlas und Titan stationiert (die Titan ersetzten die Atlas), aber 1.000 Minuteman. Jeder Sprengkopf hatte zwar weniger Sprengkraft aber es waren sehr viel mehr. Ende der Sechziger Jahre wurden dann die MIRV eingeführt, also mehrere Sprengköpfe pro Rakete, die separat nach Brennschluss auf verschiedene Zeile gelenkt werden können. Das vergrößerte die Zahl der Sprengköpfe nochmals. Russland zog nach – während der ganzen Zeit war es so das Russland sowohl was Anzahl der stationierten Raketen, wie auch Sprengköpfe angeht, den USA nachhinkte. Das hatte wirtschaftliche Gründe, vor allem aber technische Gründe. Die MIRV wurden von Russland erst deutlich später eingeführt da sie die Technologie erst später beherschten.

Viel gelernt hat man meiner Ansicht nach nicht. Es gab ja noch den Nachrüstungsbeschluss der NATO, mit initiiert von Helmut Schmidt. Der meinte man müsste in allen Bereichen mit der Sowjetunion gleichziehen. Russland ersetzte ihre alten Mittelstreckenraketen aus den Fünfzigern durch neue mit größerer Reichweite und MIRV. Darauf müsste man mit der „Nachtstationierung“ weiterer US-Waffen begegnen und „das Gleichgewicht“ zu bewahren. 1975 hatten die USA über 27.000 Atomsprengköpfe. Die meisten davon mit einem vielfachen der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe. Mit fiel es schon damals sehr schwer zu glauben, dass man schon für diese vielen MIRV überhaupt so viele Ziele finden würde. Ich glaube nicht das Russland so viele Militärbasen hat, ja selbst wenn man zivile Ziele angreift – auch so viele Städte gibt es dort sicher nicht. Bei der damaligen Einwohneranzahl Russlands und des Warschauer Pakts hätte man wohl pro 10.000 Einwohner, also pro Kleinstadt einen Atomsprengkopf gehabt. Auch war für mich die Argumentation das Russland sonst Deutschland nuklear angreifen könnte und die USA in diesem Falle nicht mit einem Gegenschlag antworten würden nicht nachvollziehbar. In Deutschland waren mehrere Hunderttausend GI stationiert, eine Kaserne lag direkt an unserem Ortsrand. Unter denen würde es enorm viele tote geben. Bedenkt man das im ersten Weltkrieg die Versenkung, der Louisiana zum Kriegseintritt der USA führte, erschein mir das sehr unwahrscheinlich.

Viel geändert hat sich seitdem nicht. Gorbatschow machte Reagan den Vorschlag alle Atomsprengköpfe bis auf 100 abzuschaffen. Es kam nicht dazu. Die Projektion für 2022 sind für beide Länder zusammen 9.000 Sprengköpfe. Mit großem Abstand folgt dann China mit 320. Was hat man bei mehreren Tausend Sprengköpfen mehr an Sicherheit, als bei 320? Bedenkt man die Zerstörungskraft jeder einzelnen Atomwaffe und vergegenwärtigt man sich Hiroshima und Nagasaki, so finde ich schon 320 Sprengköpfe ziemlich viel. Jeder möge nur mal versuchen, so viele US-Städte zu finden. Nach Wikipedia gibt es 302 Städte in den USA mit mehr als 100.000 Einwohner. Hiroshima und Nagasaki hatten damals jeweils zwischen 240.000 und 260.000 Einwohner, von denen 100.000 bzw. 70.000 starben.

Dabei fing ja alles recht klein an.1950 hatten die USA 299 Sprengköpfe, auch schon ziemlich viele, doch im Jahr vorher hatte Russland ihre erste Atombombe gezündet und in der Folge wurden immer mehr Sprengköpfe gebaut. Meiner Ansicht nach ist Verstand beim Militär ein absolutes Einstellungshindernis. Das zeigt sich in dieser Aufrüstung wie auch zahlreichen militärischen Projekten angefangen von der A-4 bis zu SDI. Was immer einen militärischen Vorteil verspricht, wird finanziert, egal wie unsinnig oder ressourcenverbrauchend es ist. So auch bei den Menge an Rüstungsgütern. Welchen Sinn haben Tausende von Sprengköpfen und welche Abschreckung bieten sie mehr als einige Hundert?

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