Strontium 90 – eine Alternative zu Plutonium 238?

Loading

Auf den heutigen Artikel komme ich durch folgende Schlagzeile bei Spacenews: Zeno to recycle decades-old radioactive material to fuel its radioisotope power systems. Ich dachte zuerst, es ginge um das Aufarbeiten alten Plutoniums 238 für neue RTG, aber es geht um Strontium 90. Es soll eine Alternative zu Plutonium 238 sein. Die RTG aus diesem Isotop waren noch nie billig. Perseverance und Curiosity waren die beiden letzten Missionen die RTG einsetzen. Jeder der MMRTG hat 3,5 Kilogramm Plutonium als Energiequelle und kostet 36 Millionen Dollar. Neben den Kosten gibt es eine zweite Einschränkung: die Kapazität zur Produktion ist recht klein, die USA können weniger als 10 kg pro Jahr produzieren. Das liegt an der Produktion.

Das Element Plutonium entsteht als Abfallprodukt in Kernreaktoren. Uran fängt dabei Neutronen aus dem Zerfall anderer Urankerne auf und diese zerfallen in Protonen und Elektronen. Als Folge nimmt der Plutoniumanteil in den Brennstäben zu. Dies ist ein angenehmer Nebeneffekt, da alle Plutoniumisotope erheblich kürzere Halbwertszeiten als das Uran haben. Je länger man ein Atomkraftwerk betreibt, desto mehr Plutonium gibt es und um so mehr Energie liefert dieses. Im dritten Jahr stammen schon 70 Prozent des Stroms aus dem Zerfall von Plutonium obwohl dieses nur 1 Prozent der Masse ausmacht. Das Plutonium besteht dann aus folgendem Gemisch:

  • 2 Prozent Pu-238
  • 58 Prozent Pu-239
  • 24 Prozent Pu-240
  • 12 Prozent Pu-241
  • 4 Prozent Pu-242

Eine Tonne abgebrannter Kernbrennstäbe (nach drei Jahren Betrieb in einem Druckwasserreaktor) enthält 9,74 kg Plutonium, aber nur 0,2 kg Pu-238 pro Tonne.

Die kleinen Mengen an dem gewünschten Isotop Pu-238 physikalisch aus dem Gemisch zu extrahieren ist zwar möglich, aber sehr teuer. Er funktioniert über eine Trennung nach der Masse, ähnlich wie bei der Anreicherung von Uran-235. Dieser Weg wird daher heute nicht bei der Gewinnung gegangen.

Für einen RTG spielt die Halbwertszeit eine Rolle. Sie sollte kurz, aber nicht zu kurz sein. Das Pu-238 mit 87,7 Jahren Halbwertszeit gibt rund 100-mal mehr Wärme ab, als das Pu-240 oder 30-mal mehr als das Pu-239. Dafür sinkt die Leistung innerhalb von Jahrzehnten auf die Hälfte ab (in der Regel schneller als die Halbwertszeit, weil der Wirkungsgrad der Thermoelektrischen Elemente mit sinkender Temperatur absinkt). Die Energieabgabe ist proportional zur Halbwertszeit. Sie beträgt bei Pu-238 über 500 Watt/kg, wodurch sich das Material schon stark aufheizt. Zudem sind die anderen Plutoniumisotope nicht für RTG brauchbar, weil sie anders als Pu-238 nicht nur die leicht abschirmbaren Alphastrahlen abgeben, sondern auch durchdringende Beta- und Gammastrahlen.

Plutonium zerfällt in einem Schritt zu Uran-234:

238Pu → 234U + Alphastrahlung (5,593 MeV)

Uran-234 hat eine Halbwertszeit von 246.000 Jahren, das heißt sein weiterer Zerfall spielt keine Rolle für die Radioaktivität die von dem RTG ausgeht.

Teuer sind RTG, weil das für ihren Betrieb verwendete Isotop Plutonium 238 (Pu-238) nicht als Abfallprodukt beim normalen Betrieb von Atomkraftwerken anfällt, sondern in speziellen Reaktoren „erbrütet“ werden muss. Um Pu-238 gewinnen zu können, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muss der Reaktor die Bildung eines Vorproduktes begünstigen. Dies ist zum Beispiel bei einem Schwerwasserreaktor oder einem Graphitreaktor (Tschernobyltyp) der Fall. Zum anderen muss man die Brennstäbe nach kurzer Betriebszeit oder im laufenden Betrieb schnell austauschen können. Leichtwasserreaktoren, wie die früheren bundesdeutschen Typen müssen dazu aufwendig und zeitraubend heruntergefahren werden.

Schwerwasserreaktoren sind heute die bevorzugte Quelle für Plutonium. Dazu werden zuerst alte Brennstäbe aufgearbeitet. In Brennstäben entsteht aus Uran 235 unter anderem das Isotop Neptunium Np-237. Dieses hat eine sehr große Halbwertszeit von über 2 Millionen Jahren und unterscheidet sich chemisch von Plutonium und Uran. Es kann also leicht chemisch abgetrennt werden.

235U + Neutron → 236U + Gammastrahlung

236U + Neutron → 237U → 237Np + Betastrahlung

Aus dem Neptunium werden neue Brennstäbe aus Neptunium gefertigt. Diese Brennstäbe werden in einem Schwerwasserreaktor dem Beschuss von hochenergetischen Neutronen ausgesetzt. Dabei wird Pu-238 gebildet.

237Np + Neutron → 238Np → 238Pu + Betastrahlung

Der limitierende Faktor der Kette ist das im ersten Schritt gebildete Neptunium. Sein Anteil beträgt nur 0,1 Prozent des gebildeten Plutoniums. Ein großes Kernkraftwerk der 1.000 MW Klasse produziert lediglich 10 kg Neptunium pro Jahr. Pro Tonne Kernbrennstäbe werden lediglich 400 g Neptunium gebildet. Früher gab es in den USA mehr Reaktoren, die Neptunium synthetisieren, weil sie gleichzeitig für die Produktion von Plutonium für Kernwaffen genutzt wurden. Wahrscheinlich gilt das Gleiche für Russland. Beide Mächte haben innerhalb von zwei Jahrzehnten je etwa 30.000 Atom- und H-Bomben gebaut, wobei jede Wasserstoffbombe eine Atombombe als Zünder für die Kernfusion beinhaltet. Die Anforderungen an die Reaktoren sind für beide Isotope identisch, und so fiel bei der Gewinnung des atomwaffentauglichen Pu-239 auch Neptunium-237 an, aus dem man Plutonium-238 erzeugte. In beiden Fällen mussten die Kernbrennstäbe aufgearbeitet werden und die einzelnen Elemente vom Uran getrennt werden. Für die Atombomben brauchte man möglichst reines Pu-239 und für die RTG möglichst reine Neptunium-237.

Die USA haben ab 1988 für zwei Jahrzehnte ihr Plutonium-238 von Russland bezogen. Danach wurde ein Jahrzehnt über die Wiederaufnahme der Eigenproduktion gestritten, seit einigen Jahren produziert das Department of Energy wieder Plutonium für wissenschaftliche Missionen der NASA.

Alternativen

Aufgrund der Kosten des Plutoniums hat man schon vor Jahrzehnten Alternativen untersucht. Alternativen zum Pu-238 sind andere Isotope mit Halbwertszeiten zwischen einigen Jahrzehnten und wenigen Jahrhunderten. Je kürzer die Halbwertszeit ist, desto weniger Material benötigt man für einen RTG, aber auch desto schneller fällt aber auch die Leistung ab. Für die meisten Missionen die vielleicht nur einige Jahre bis ein Jahrzehnt arbeiten ist dieser Punkt aber nicht so bedeutend. Für die Kosten spielt viele Faktoren eine Rolle. Zum einen wie häufig das Material in Kernreaktoren anfällt – das geringe Vorkommen von Neptunium als Vorprodukt macht das Plutonium 238 so teuer. Zum anderen, wie leicht man das Isotop aus den abgebrannten Brennstäben isolieren kann. Plutonium-238 wird auch deswegen nicht aus Kernbrennstäben direkt gewonnen, weil es nur eines von fünf Plutonumisotopen ist und man es sehr aufwendig über physikalische Methoden isolieren müsste. Ein anderes Element kann man über seine chemischen Reaktionen viel einfacher extrahieren.

Andere Materialien, die als Brennstoff für RTG genannt werden:

Material Halbwertszeit Wärmabgabe anfangs pro g Äquivalente Abschirmung in Blei [mm]
Plutonium, Pu-238 87,7 Jahre 0,39 J/g 5 mm
Americium, Am-241 432 0,097 J/g 18 mm
Curium Cm-244 18,1 2,27 J/g 51 mm
Cäsium, Cs-137 30 0,12 J/g 117 mm
Strontium, Sr-90 28,78 0,22 J/g 152 mm
Kobalt, Co-60 5,24 1,74 J/g 242 mm

Es gibt neben der Halbwertszeit auch andere Faktoren zu berücksichtigen, so z.B. ob von dem Isotop Alphastrahlen, Betastrahlen oder Gammastrahlen emittiert werden. Plutonium 238 wird ja gerade deswegen eingesetzt, weil es ein reiner Alphastrahler ist. Die Alphastrahlen sind am leichtesten abschirmbar. Durchdringender sind Betastrahlen. Gammastrahlen sind nur schwer abschirmbar, da sie nicht aus geladenen Teilchen, sondern Lichtteilchen hoher Energie bestehen.

Das von Zeno abgenommene Strontium-90, das sieht man in der Tabelle, braucht eine viel stärkere Abschirmung als Plutonium-238. Das liegt am Zerfall. Es zerfällt zuerst mit einer Halbwertszeit von 28,78 Jahren in Yttrium-90 unter der Abgabe von energiereicher Betastrahlung (0,546 MeV). Yttrium-90 zerfällt dann aber mit einer Halbwertszeit von 64 Stunden in das stabile Zirkonium 90. Dabei gibt es noch energiereichere Betastrahlung (2,28 MeV) und Gammastrahlung ab. Diese beiden Betastrahlungen machen die Abschirmung so viel aufwendiger. Man benötigt wegen der dreimal geringeren Halbwertszeit zwar weniger Material, aber da Strontium eine Dichte von 2,63 g/cm³ hat, Plutonium aber eine von 19,8 g/cm³ wird das Volumen, das abgeschirmt werden muss nicht abnehmen, sondern zunehmen.

So ist verständlich, dass ich erstaunt über diesen Vorschlag war. Alle hier aufgeführten Isotope sind im Aspekt, Leistung pro Kilogramm Masse Pu-238 unterlegen. Die Frage ist wofür Zeno das Strontium-90 nutzen wird. RTG dienen als unabhängige Energieversorgung bei Missionen wo dies sonst anders nicht geht. Ich kenne keine kommerzielle Mission wo man welche eingesetzt hat. Die sind in der Regel in einem Erorbit und da werden Solarpaneele mindestens während der halben Umlaufzeit beschienen, für die Überbrückung der restlichen Zeit kann man Batterien einsetzen.

Selbst bei wissenschaftlichen Missionen setzt man inzwischen dort Solarzellen ein, wo früher RTG genutzt wurden. Juno umkreist schon seit Jahren den Jupiter, JUICE ist unterwegs und Europa Clipper folgt noch dieses Jahr. Noch etwas weiter von der Sonne entfernt sich die Raumsonde Lucy, die bis in fast 1.000 Millionen Kilometer Entfernung arbeiten wird.

Denkbar wäre eine zusätzliche Energieversorgung und Wärmequelle für kommerzielle Mondlander die ja derzeit „en vogue“ sind. Das RHU (Radioisotope Heater Unit) sind Isotope schon lange dafür im Einsatz, dafür werden kleine Mengen eines Isotops im Bereich einiger Gramm verkapselt und an kritischen Stellen als Heizelement platziert. Die beiden Lunochods nutzten dafür Polonium-210 mit einer Halbwertszeit von lediglich 138 Tagen.

Bisher kannte ich nur eine ernsthafte Suche nach Alternativen und die betrifft Americium-241, das in der Tabelle immerhin die zweitgeringste Abschirmung nach uU-238 erfordert. Die ESA untersuchte Americium-241 als Alternative. Der Hauptvorteil dieses Elements ist, dass es in normalen Reaktoren in größeren Mengen als Abfall anfällt, während Pu-238 in normalen Reaktoren kaum anfällt. Eine Tonne abgebrannter Kernbrennstäbe enthält 100 g Americium 241. Obwohl die Menge kleiner als beim Neptunium 237 als Ausgangsmaterial für das Pu-238 ist, soll der Grammpreis mit 1.500 Dollar günstiger als bei Pu-238 sein (das ab 2013 in den USA produzierte Plutonium-238 wird 6.700 bis 10.000 Dollar pro Gramm kosten), da es einfacher isolierbar ist. Der günstige Preis relativiert sich dadurch, dass die Halbwertszeit 432 anstatt 87 Jahre beträgt, wodurch es nur ein Viertel der Wärmeenergie liefert, man also für eine bestimmte Leistung viermal so viel Americium benötigt.

Nach einer Untersuchung können RTG auf Basis von Americium-241 ein Leistungsgewicht von 1,5 bis 2,0 W/kg erreichen, liegen also deutlich unter den Möglichkeiten von RTG auf Basis von Pu-238 (5 bis 6 W/kg). Ein wahrscheinlicher Einsatz wäre als Heizelement. Entsprechend den RHU auf Basis von Plutonium würden diese RHU genutzt werden, um Raumsonden in kalten Umgebungen zu heizen, zumindest kritische Systeme wie die Elektronik oder Batterie. Selbst solarversorgte Marssonden haben solche RGHU als Heizquelle an Bord. Dies geschieht sonst mit Strom der aus der Batterie erfolgt. Ein kombinierter kleiner RTG mit einem RHU würde primär Wärme liefern – 20 Watt Wärme bei einem Modulgewicht von 1,3 kg, daneben 1 Watt an Strom. Das würde ausreichen, um zum Beispiel bei einer Marslandemission die Temperatur aufrechtzuerhalten und etwas Strom zu liefern, um minimale Systeme zu betreiben, auch während der Nacht oder wenn die Solarpaneele verstaubt sind.

Ansonsten hat es einige Nachteile. Neben der Problematik, dass es eine starke Neutronenquelle ist (schädlich für den Menschen, aber tolerabel für Elektronik) ist die Halbwertszeit mit 432 Jahren viel zu hoch. Eine Studie geht davon aus, dass ein GPHS Einzelmodul, dass bestückt mit Pu-238 etwa 56 Watt Strom liefert, wegen der längeren Halbwertszeit und geringeren Wärmeabgabe mit Am-241 nur noch 11 Watt abgibt. Bei einem kompletten GPHS-RTG würde so die Leistung von 285 auf 55 Watt absinken, oder man benötigt fünf Am241-RTG wo mit Pu-238 einer reicht. Für Raumsonden bei denen das Gewicht kritisch ist, wie Raumsonden zu Jupiter und darüber hinaus ist dies ein Problem. Bei Marslandesonden, die auch einen geringeren Strombedarf haben (das MSL z.B. nur noch 110 Watt), wäre es eventuell eine Alternative.

Ein Vorteil von Americium-241 ist, dass die Leistung viel langsamer absinkt. Nicht nur durch die längere Halbwertszeit und dadurch geringeren thermischen Leistung. Auch altern die Thermoelemente durch die hohen Temperaturen an der Kontaktstelle und die Temperatur sinkt beim Übergang von Pu-238 auf Americium von 1.250 auf 814 K ab. Nach 50 Jahren sollte so ein Am-241 bestückter RTG noch 93,8 Prozent der Ausgangsleistung abgeben. Bei Plutonium sind es weniger als 50 Prozent, allerdings arbeiten die meisten Missionen nicht so lange.

2 thoughts on “Strontium 90 – eine Alternative zu Plutonium 238?

  1. Nur mal eine Frage eines Physik-Laien:
    Ein Beta-Strahler strahlt ja normalerweise Elektronen ab.
    Kann man diese nicht in einen Stromkreislauf einspeisen?
    Vielleicht in Verbindung mit den Alpha-Strahlern (Heliumkerne ohne Elektronen)?
    Oder werden bei Alpha-Strahlung die überschüssigen Elektronen des neuen Atoms gleich „mitgerissen“?

    1. Die Energie ist viel zu hoch. Um ein Elektron aus einem Atom herauszuschlagen braucht man einige Elektronenvolt. Alle angaben hier sind in Mega-Elektronenvolt….

      Anderer Vergleich: Metallkugeln kann man mit einem Magnetfeld leicht ablenken, klappt komischerweise bei Kanonenkugeln überhaupt nicht ….

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.