Bernd Leitenbergers Blog

Eine Belohnung fürs Impfen?

Die Auswirkungen des Sommers werden allmählich sichtbar. Es ist Urlaubszeit und damit fahren bzw. fliegen mehr Personen in den Urlaub und können von dort auch Corona mitbringen – die meisten wollen ja da hin, wo auch andere Menschen sind nicht auf die einsame Insel oder isolierte Berghütte. Die zur Vermeidung einer Ansteckung nötigen Abstände werden kaum noch eingehalten, bzw. können gar nicht eingehalten werden und die Maske – man ist doch im Urlaub. Dazu kommt, dass sie dort auf andere Urlauber treffen, aus Ländern, bei denen die 7-Tages-Inzidenz nicht so gering ist wie bei uns. Gestern wurde erst Spanien zum Hochrisikogebiet vom RKI hochgestuft. Bei uns steigt die 7-Tages-Inzidenz seit einigen Tagen auch wieder leicht an und wenn man nicht ein besseres Konzept hat, als letztes Jahr, wird die 7-Tages-Inzidenz mit der Rückreisewelle dann stark ansteigen und im Herbst kommt dann die vierte Welle.

Ein Vorschlag um die Impffreudigkeit als wichtigste Bekämpfung von Corona wurde gestern im Radio gebracht und man rief die Hörer auf, über ihn zu diskutieren. Nach einer Studie des Ifo Instituts sollte eine „Impfprämie“ von 100 Euro pro Person die Impfquote nahe der 80 Prozent Grenze bringen, 500 Euro sogar zu 90 Prozent. Angesichts der ansteckenderen Delta-Variante sind nun 85 Prozent Impfquote das neue Ziel von RKI und Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn – das bedeutet, da wir Kinder unter 12 nicht impfen wollen bzw. es keine für sie zugelassenen Impfstoffe gibt, und auch von den Erwachsenen einige Risikogruppen nicht geimpft werden können, das sich praktisch jeder ab 12 Jahren impfen lassen sollte. Prämien werden in verschiedenster Form diskutiert. Forscher plädieren für eine Prämie von 200 bis 300 Euro, FDP Chef Lindner für einen kostenlosen Eintritt in Museen. Verwiesen wird bei diesem Modell auf Griechenland, wo junge Erwachsene 150 Euro für eine Impfung bekommen.

Das Ganze ist zwiespältig. Auf der einen Seite bekommen wir das Coronavirus nur in den Griff, wenn wir eine hohe Impfquote haben, das es jemals wieder verschwindet, glaube ich nicht, denn dazu müssten wir diese hohe Impfquote weltweit erreichen. Das heißt ein normales Leben, die Einschränkungen, die ja viele Betriebe auch wirtschaftlich treffen, wie nur zum Teil gefüllte Stadien und Gaststätten, werden erst dann vollständig fallen. Auf der anderen Seite will wohl niemand eine Impfpflicht. Die gibt es derzeit nur für Angestellte in Kitas wegen der Masern. Aber selbst für die Kinder gibt es die Impfpflicht nicht – sie ist nur Voraussetzung um überhaupt einen Platz in der KITA zu erhalten, man kann sich aber immer noch entscheiden, sein Kind nicht impfen zu lassen und dann selbst zu betreuen. Wie sollte eine Impfpflicht denn auch aussehen? Dazu müsste man jeden Geimpften ja erfassen und nach einer bestimmten Frist Nicht-Geimpfte durch die Polizei zwangsweise zur Impfung abholen lassen, Gewalt wird man wohl keine anwenden, so bleibt noch eine Strafe für Impfverweigern wie Bußgeld.

Wenn es eine Prämie gibt, fühlen sich dann nicht alle verschaukelt, die sich schon geimpft haben lassen? Ich habe für meine Impfung einen Nachmittag geopfert und wurde dafür in den Schwarzwald gefahren. Andere haben etliche Versuche an Telefonhotlines oder Online hinter sich um einen Termin zu ergattern. Das alles kostet Zeit und Nerven und nun gibt es die Impfung auf dem Silbertablett mit Geldprämie?

Die Begründung für die Impfprämie ist, dass die Impfung nach Untersuchung des Ifo Instituts rund 1.500 Euro dem Staat wert ist. Um diesen Betrag sinken die Ausgaben des Staates bzw. steigen die Einnahmen durch höhere Steuern, wenn jemand geimpft ist. Schlussendlich bedeutet die fehlende Impfung, dass die heutigen Einschränkungen die auch die Geschäfte und Veranstalter treffen beibehalten werden. Sie verursachen bei ihnen Kosten und Verdienstausfälle. Infiziert sich ein Nicht-Geimpfter so muss er 14 Tage in Quarantäne und den Lohnausfall bezahlt auch der Staat.

Das Offensichtlichste an der Problematik ist, das man zuerst mal die Impfung einfacher machen sollte. In den USA gibt es eine Impfung bei öffentlichen Veranstaltungen in Einkaufszentren. Das könnte man zum Vorbild nehmen. Das meint auch der SPD-Experte Karl Lauterbach. Das ist noch niedrigschwelliger, als der Termin beim Arzt, den man auch erst mal vereinbaren und wahrnehmen muss. Wie schon teilweise praktiziert, könnte man mobile Impfkampagnen in sozialen Brennpunkten durchführen. Würden (was aber wegen des Datenschutzes nicht der Fall ist) alle Geimpften erfasst, so könnte man, wenn auch bei Einsatz dieser neuen Möglichkeiten das Interesse abflaut, alle persönlich abklappern, die noch nicht geimpft sind.

Eine Prämie? Auch wenn ich gerne 100 Euro bezahlt hätte, hätte ich in den letzten sieben Monaten mein normales Leben führen können, glaube ich nicht, dass eine Prämie der richtige Weg ist. Zumindest nicht in Form von ausgezahltem oder überwiesenem Geld.

Ich denke, vorher sollte man es mit gesellschaftlichem Druck probieren. Der kommt aber nicht vom Staat, sondern der Gesellschaft. Sprich: Unternehmen haben schon heute die Möglichkeit jemanden nicht einzustellen, weil er nicht geimpft ist oder ihn nach Ende der Probezeit nicht zu übernehmen. Sie können einen ungeimpften Arbeitnehmer auch versetzen, von einem attraktiven Job mit Publikumsverkehr in eine einsame Lagerhalle, wo er Inventur machen muss. Das ist ihr Recht nach den Vorschriften des Arbeitsrechts. Sie dürfen zwar niemanden diskriminieren, aber sie können hier auf den Gesundheitsschutz verweisen. Ebenso können Unternehmen, die Publikumsverkehr haben, diesen auf Geimpfte beschränken. Das ist ihr Hausrecht und sie müssen das nicht mal begründen, wie jeder weiß, der mal von einem Türsteher an einer Disco abgewiesen wurde. Für eine Einschränkung auf Geimpfte kann es gute Gründe geben – wenn erst mal genügend geimpft sind – und 42 Prozent sind schon vollständig geimpft – dann muss ein Laden oder eine Wirtschaft abwägen – was bringt mir mehr Umsatz? wenn nur ein Teil der Besucher in den Laden kann, aber dafür wie vorher ohne Quadratmeterbeschränkung, also mehr Kunden pro Fläche – oder, wenn alle reinkönnen, aber der Laden halb leer ist, weil es zu wenige geimpfte gibt. Ich denke, sobald es genügend Geimpfte gibt, wird die Entscheidung alle nicht geimpften gar nicht reinzulassen leichter fallen. Vor allem bei Lokalitäten, wo es schon vorher schwer war, einen Platz ohne Reservierung zu erhalten. Länder können – und tun dies bereits – heute schon die Einreise für nicht Geimpfte verweigern. So bleibt Impfgegnern nur noch Balkonien übrig und manch einer der Reisen möchte, lässt sich Impfen. So war es auch bei meinem Bruder, der trotz seines Alters (72) meinte, er bräuchte keine Impfung, er „habe ja genügend Immunabwehr“ aber dann doch in den Urlaub fahren wollte.

Wenn man sich für eine Prämie entscheidet, dann erst, wenn wirklich absehbar ist, dass man sonst die nötige Impfquote nicht erreicht, dann aber schon wegen der Gerechtigkeit wegen für alle, auch rückwirkend. Und nicht in Form von Geld. Möglich wären auch Gutscheine, mit denen man in staatlichen Stellen freien Eintritt hat – da ist für jeden was dabei egal ob Museum, Theater, Zoo oder Schwimmbad. Alternativ, mein Vorschlag da näher am Zweck der Impfung, ein Gutschein für eine Zuzahlung der Summe der Krankenkasse bei Dingen wo sie sonst nicht mehr viel bezahlt, also z.B. Brillen, Hörgeräte, Zahnbehandlungen oder Zuzahlungen bei Medikamenten. So wird auch eines vermeiden, was ich immer befürchte, wenn für ALG-II Empfänger nach Kulturprämien gerufen wird – solange es als Geld aufs normale ALG-Budget drauf kommt, wird eben davon nicht der Sportverein, die Gitarrenlehrstunde etc. bezahlt, sondern sich ein Luxusartikel gekauft, der sonst nicht drin wäre. Die Kosten für den Staat sind angesichts der schon veranschlagten Kosten für Hilfe und Kredite überschaubar. Bei einer Impfquote von 85 Prozent und 200 Euro Prämie wären dies 14 Mrd. Euro. Angesichts durch Covid-19 verursachten neuen Schulden in Höhen von 240,2 Mrd. Euro ist das wenig.

Was aber viel wichtiger ist, ist ein Langzeitplan. Ebenfalls in den Nachrichten war, dass Biontech/Pfizer eine Zulassung für eine dritte Impfung in den USA beantragt haben. Dann würden die Antikörper erneut um den Faktor fünf bis zehn ansteigen und nach Beobachtungen in Israel, wo man besonders früh mit dem Impfen anfing, scheint der Impfstoff nach sechs Monaten an Wirksamkeit (zumindest bei den ersten geimpften, alten Patienten) zu verlieren. Da der Biontech-Impfstoff einer anderen Studie nach nur zu 64 Prozent vor der Ansteckung der Delta-Variante, aber immerhin zu 93 Prozent vor schweren Verläufen, die das Gesundheitssystem belasten schützt, ist dann ja noch eine weitere Negativbotschaft, die dazu zwingt, eine hohe Impfquote aufrecht zu erhalten – da normalerweise etwa 20 Prozent der infizieren einen schweren Verlauf haben, würde bei 100 Prozent Impfquote man immer noch erwarten, das sich 36 Prozent der Bevölkerung anstecken, und etwa 0,5 Prozent einen schweren Verlauf hätten. Das wären bei 82 Millionen Einwohnern aber immer noch 410.000 Patienten. Nach den derzeitigen Erfahrungen würden davon etwa 50.000 an Covid-19 sterben. Und dass bei 100 Prozent Impfquote. Die bisherige Erfahrung mit Varianten zeigt auch das schon infizierte oder geimpfte sich mit neuen Varianten neu anstecken können.

Das bedeutet: Wir werden wie bei Grippe regelmäßig impfen müssen. Vielleicht sogar anders, als bei der Grippe, halbjährlich. Darauf sollte man sich einstellen und eine Infrastruktur schaffen, die das leistet – das kann sein, indem man die Aufgabe an Ärzte delegiert, das kann, sein, indem man niederschwellige Impfzentren dauerhaft etabliert, also Impfzentren möglichst in der Nähe von Punkten, wo die Menschen sowieso oft hingehen und die man ohne Termin besuchen kann. Bisher ist aber noch ganz offen, ob es bei uns überhaupt eine dritte Impfung geben wird, erst recht wann und wie. Und nett wäre, auch wenn man mal einen Impfnachweis etabliert, der einfacher handelbar ist als ein gelber Impfausweis oder nur mit einem technischen Geräte wie einem Smartphone und einer App funktioniert – wenn überhaupt.

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