Bernd Leitenbergers Blog

Das Ende einer Ära

Gestern hob die vorletzte Ariane 5 mit der Jupitermission JUICE ab. Ich denke, das ist ein guter Augenblick, um die Geschichte der aktuellen Ariane-Generation nochmals zu betrachten. Die Geschichte der Ariane 5 geht lange zurück, bis ins Jahr 1985. Es war damals eine andere Zeit, ich will sie für alle jüngeren Blogleser nochmals rekapitulieren.

1985 sah es so aus, als gehörte die Zukunft dem Space Shuttle. Es flog immer häufiger – neunmal in diesem Jahr – und wurde auch für kommerzielle Starts eingesetzt und transportierte pro Flug gleich mehrere Satelliten der Delta-Klasse. 1979 hatte die europäische Industrie Arianespace gegründet, mit dem Ziel, die Ariane 1 zu vermarkten. Das war bis 1985 auch erfolgreich, man hatte einige Aufträge an Land gezogen, aber der Aufstieg zum Weltmarktführer stand noch aus. Dieser erfolgte erst einige Jahre später mit der Ariane 4.

Obwohl die Ariane 4 schon 50 Prozent mehr Nutzlast als die Ariane 3, als bisher größtes Modell, offerierte, plante die ESA gleich die nächste Rakete, auch wenn diese nicht vor Mitte der Neunziger Jahre zur Verfügung stehen würde. Ein zweites Projekt, das damals nämlich aus der Taufe gehoben wurde, war die Raumstation „Freedom“. Der markige Name ist bewusst als Gegenstück zur „Mir“ (Frieden) gewählt, und die NASA lud auch ESA und JAXA ein, sich daran zu beteiligen. Die ESA plante gleich ganz groß. Es sollte ein eigenes Labor, Columbus, geben, das an die Raumstation angekoppelt wird, aber auch alleine fliegen kann. Dazu eine unbemannte polare Plattform mit Erderkundungsexperimenten, die so optimale Beobachtungsbedingungen hat. Und damit man das alles versorgen kann, einen eigenen kleinen Shuttle, den Hermes, der in etwa so aussah wie heute das X-37B.

Die Ariane 4 war zu klein, um alles zu transportieren und war auch nicht auf schwere LEO-Nutzlasten ausgelegt. Zudem war ihre rechnerische Zuverlässigkeit zu gering für bemannte Einsätze. Deshalb musste eine neue Rakete entwickelt werden, die Ariane 5. Im Jahr 1985 konnte man sich noch nicht dazu durchringen, sie zu bauen, vor allem weil das Vulcain-Triebwerk für Europa ein großer Schritt nach vorne in Bezug auf Schub und Brennkammerdruck war. Es wurde beschlossen, zunächst drei Jahre lang zu forschen, ob das Vulcain gebaut werden kann. 1988 wusste die ESA, dass sie es schaffen würde und es wurde der formelle Entwicklungsbeschluss gefällt.

In den nächsten Jahren wurde die Rakete leicht verändert. Die Treibstoffzuladung der Zentralstufe und des Boosters wurde erhöht, aber vor allem gab es massive Änderungen an der Oberstufe EPS.

Die Nutzlast war ursprünglich viel kleiner. Die Ariane 5 war nicht für GEO-Transporte ausgelegt, die nach wie vor von der Ariane 4 übernommen wurden, sondern für die neuen bemannten Programme, die alle in den LEO führten. Die Idee war, dass man dafür eigentlich keine Oberstufe benötigt, und dass sie nur sehr wenig Geschwindigkeit aufbringt, um zu verhindern, dass die riesige EPC (Zentralstufe) einen Orbit erreicht – eine Entscheidung, um den Weltraum nicht zu verunreinigen, die China beispielsweise bis heute nicht getroffen hat.

Für Hermes-Flüge sollte auch diese EPS (erste Oberstufe) weggelassen werden können, um die Zuverlässigkeit zu erhöhen, denn eine Oberstufe, die es nicht gibt, kann auch nicht ausfallen. Deshalb wurde die EPS zu einer Stufe mit lagerfähigen Treibstoffen und kleinem Triebwerk, die so wenig Platz wegnimmt, dass sie in den Stufenadapter passt und so auch entfallen kann.

Jedoch wurde das Hermes-Projekt immer schwerer und bald war die EPS notwendig, um es in den Orbit zu bringen. Die Treibstoffzuladung der EPS wurde der Gewichtszunahme von Hermes angepasst, bis Hermes letztendlich zu schwer für die Ariane 5 wurde. Zusätzlich geriet das Hermes-Projekt außer Kontrolle und wurde noch vor dem Jungfernflug der Ariane 5 eingestellt.

Durch die größere EPS konnte die Ariane 5 nun auch Satelliten in den GTO befördern und somit die Ariane 4 ersetzen. Später entschied man sich, für noch mehr Nutzlast, zwei neue Oberstufen einzuführen. Die ESC-A, die gestern auch zum Einsatz kam, basierte auf der Oberstufe der Ariane 4, nur wurde der Wasserstofftank auf 5,4 m vergrößert. Sie sollte 2006 von einer neuen Oberstufe, der ESC-B, mit dem Vinci-Triebwerk und der doppelten Treibstoffzuladung abgelöst werden.

Allerdings lief zuerst einmal alles schief. Der Jungfernflug der Ariane 5 am 4. Juni 1996 mit V88 scheiterte. Die ESA war so zuversichtlich, dass die Rakete funktionieren würde, dass sie vier Cluster-Forschungssatelliten als Nutzlast hatte. Die Ursache des Fehlers war blamabel: Eine Softwareroutine der Ariane 4 wurde ohne Änderung übernommen, obwohl diese viel langsamer startet. Dadurch kam es zu einem Überlauf in einem Wert und der Fehlercode wurde als Kursabweichung interpretiert. Dies ist jedoch eine sehr vereinfachte Darstellung des Vorfalls. Die ganze Geschichte findet man auf meiner Website.

Daraufhin musste zunächst ein weiterer Testflug stattfinden. In der Zwischenzeit stand die Ariane 5 nicht zur Verfügung. Im Gegensatz zum Übergang zur Ariane 6 bestellte Arianespace jedoch direkt neue Ariane 4 und konnte den Ausfall damit abfedern.

Der zweite Start, V101 am 30. Oktober 1997, war teilweise erfolgreich. Ein Testsatellit, vor allem als Massekörper, wurde gestartet, aber die Rollachsentriebwerke der EPC waren zu schwach dimensioniert, sodass die Ariane 5 ins Rollen geriet und Treibstoff sich an der Außenseite der Tanks ansammelte. Als keiner mehr durch die Leitungen kam, löste das den Brennschluss der EPC aus und es fehlte etwas Geschwindigkeit. Aber im Prinzip hatten alle Stufen funktioniert und man verdoppelte einfach die Triebwerkszahl für die Rollachse.

Die folgenden Starts verliefen dann problemlos bis zum zehnten Start am 12. Juli 2001, als die EPS-Stufe vorzeitig Brennschluss hatte, weil eine der beiden Treibstoffkomponenten vorzeitig verbraucht war. Auch hier kann man streiten, ob es ein Fehlstart war. Dem Satelliten fehlte wenig Geschwindigkeit, um das Apogäum anzuheben. Es waren zwei Satelliten an Bord, der europäische Technologiesatellit Artemis konnte dank seiner elektrischen Triebwerke den GEO erreichen, der japanische Satellit BSAT-2B wurde als Versicherungsschaden gemeldet.

Es scheiterte dann auch am 11.12.2002 der Jungfernflug der Ariane 5 ECA mit V157. Anders als beim Jungfernflug der ersten Version, die seitdem „Ariane 5 G“, „G“ für Generic genannt wird, war der Fehler einer, den man nicht vorher erkennen konnte. Die Kühlung der Brennkammer erwies sich beim schubstärkeren Vulcain 2 als nicht ausreichend. Bei Tests auf der Erde, wo die Atmosphäre auch Energie aufnimmt, trat dieser Fehler nie auf. Kenner werden an den zweiten Test einer Saturn V erinnert, als mehrere J-2 ausfielen. Auch hier trat der Fehler bei Bodenversuchen nie auf, weil sich um das Teil, das durch Vibrationen abfiel, immer ein Mantel aus gefrorenem Eis bildete und das die Vibrationen dämpfte.

Die Kühlung wurde verbessert und die Wand des Vulcain 2 verstärkt. Doch das war der letzte Fehlstart. Seitdem arbeitete Ariane 5 problemlos, auch wenn es einen Flug mit Abweichungen gab. Am 25.1.2018 startete die Ariane 5 V241 erstmals mit zwei Satelliten mit Ionentriebwerken. Dies war auch der erste Start in einen subsynchronen GTO. Ariane 5 hätte die nur 9,2 t schweren Satelliten problemlos in einen normalen GTO bringen können, doch da die Bahn durch die Ionentriebwerke ansteigt, war ein subsynchroner GTO gewünscht worden. Dabei wurde der Bordcomputer wohl fehlprogrammiert, denn Ariane 5 startete mit einem Azimut von 112 bis 113 Grad anstatt 90 Grad, und die Bahnneigung betrug so nur 20,6 anstatt 3 Grad. Da beide Satelliten jedoch ihren Zielorbit erreichten, ist dies kein Fehlstart.

In den 27 Jahren gab es 116 Starts, genau zwei mehr als Ariane 4 absolvierte, die bisher den Rekord hielt. Mit drei Fehlstarts (wenn man V142 und V241 jeweils als zu 50 Prozent erfolgreich wertet) sind es auch genauso viele Fehlstarts. Ansonsten hat sie sogar eine bessere Bilanz als das Vorgängermodell.

In der Zeit hat die Ariane 5 sehr viele Nutzlasten befördert, darunter hochkarätige Forschungsnutzlasten wie schon früh Cluster, XMM und Integral (die heute noch aktiv sind) sowie der bis heute größte Umweltsatellit Envisat. Dazu gehören auch das James-Webb-Teleskop und Herschel/Planck in Librationspunkten. Ariane 5 hat die über 20 t schweren ATV gestartet und beim Aufbau des Galileo-Netzes geholfen. Der letzte Start galt nun der Jupitersonde JUICE, was ein guter Abschluss war, da sie eine besondere Mission ist und mein Interesse bei der Erforschung der Planeten den Gasplaneten und ihren Monden gilt.

Für JUICE, die mal 4,8 t wiegen sollte, beim Start aber 5,963 t schwer war, war es vorteilhaft, dass die Performance der Ariane 5 laufend gesteigert wurde. Als die Ariane 5 ECA 2002 zum ersten Mal startete, hatte sie eine Nutzlast von 9,2 t, schon deutlich mehr als die 6,8 t der Ariane 5G, doch Verbesserungen wie Gewichtseinsparungen, verbesserte Aufstiegsbahnen und Schubsteigerungen steigerten dies laufend. Die schwerste Nutzlast in den GTO wurde bei VA255 transportiert. Mit 11,210 t war sie um 2 t schwerer als die maximale Nutzlast der ersten Ariane 5 ECA Version. So etwas Ähnliches gab es auch schon bei Ariane 1 bis 4, aber dort war der Gewinn im Bereich einiger hundert Kilogramm. Ariane 5 hält auch den Rekord für den schwersten Satelliten in einem echten GTO. Dies war Terrstar-1, der bereits 2009 bei V189 transportiert wurde und 6.902 kg wog.

Das leitet über zur Startfrequenz und Finanzplanung. Ariane 5 wurde auch entwickelt, weil es immer mehr schwere Satelliten gab und man weiterhin Doppelstarts durchführen wollte. Doch in den letzten 20 Jahren hat sich einiges geändert. Die Zahl der zu transportierenden Satelliten nahm ab und ihre Masse stieg auch nicht mehr an. Terrestar-1 wurde am 1.7.2009 gestartet, das ist 14 Jahre her, und seitdem gab es keinen schwereren Satelliten. Das Gros der Satelliten ist auch heute noch leichter und liegt unter 6 t. Ariane 5 kam so nie auf ihre maximale Startfrequenz von 8 Starts pro Jahr. Maximal wurden in drei Jahren sieben Starts pro Jahr erreicht. In den letzten Jahren gab es weniger Starts, weil Ariane 6 eigentlich schon 2020 starten sollte, was sogar ein Jahr früher war als bei den ersten Vorschlägen geplant. Daraus wurde jedoch nichts. Corona und andere Umstände verschoben den Jungfernflug auf Ende 2023. Anders als beim Übergang von der Ariane 4 auf die Ariane 5 wurden jedoch keine neuen Ariane 5 bestellt, um die Zeitverzögerung der Ariane 6 abzufangen.

Soviel für heute. Morgen mache ich an der Stelle weiter mit den Versionen der Ariane 5, dem Beschluss für die Ariane 6, meiner Meinung dazu und ein paar Infos über JUICE. Kleines Detail am Rande: Ariane 5 wurde für eine rechnerische Zuverlässigkeit von 98,5 Prozent bei drei Stufen ausgelegt, sie beendet, wenn der letzte Start auch noch klappt,  ihre Laufbahn mit 98,3 Prozent Zuverlässigkeit.

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