Bernd Leitenbergers Blog

Die Energie im Starship

Statt einer Oktober-Nachlese für SpaceX, die eigentlich eine September-Nachlese ist, gibt es heute einen informativen Blog zum Starship. Zwei kleine Neuigkeiten möchte ich aber doch noch erwähnen.

Die erste ist von gestern, nämlich dass die FAA ihre Untersuchung der „Anomaly“ so würde es SpaceX wohl ausdrücken, des ersten Teststarts im April abgeschlossen hat. 63 Punkte wurden identifiziert, nur 27 wurden veröffentlicht. Was immer noch offen ist, wann nun der nächste Teststart stattfinden kann. Zum einen gibt es bis jetzt weder von der FAA eine Lizenz, die für den nächsten Start nötig ist, noch ist damit der ganze Prozess abgeschlossen. Denn durch die Umweltschäden, die beim ersten Versuch entstanden sind, ist nun noch eine zweite Agentur, die FWS (United States Fish and Wildlife Service) beteiligt. Die hat nun weitere 135 Tage für eine Stellungnahme, die sie aber nicht voll ausschöpfen will.

Gegen dieses langsame Vorgehen gibt es natürlich Widerstand. So hat Bill Gerstenmeier, über ein Jahrzehnt bei der NASA für die Versorgung der ISS zuständig und nun bei SpaceX vice president for build and flight reliability bei einer Senatsanhörung gesagt, das man seit einem Monat bereit für den Start wäre, aber wegen diesen bösen Regierungsagenturen nicht starten darf. Die Lizenzierung wird aber auch von anderen „neuen“ Anbietern von Launch services in den USA kritisiert, als zu lange dauernd. Gut, wie es bei den anderen Firmen läuft, kann ich nicht sagen, aber beim Teststart im April hat die FAA meiner Ansicht nach auf voller Linie versagt:

Die FAA hat nicht die Aufgabe, den technischen Zustand der Raketen, die die Unternehmen starten wollen, zu beurteilen, sondern sie hat dafür zu sorgen, dass Dritte, d.h. Anwohner, Betroffene in der Flugroute, nicht gefährdet werden. Es hat sich gezeigt, dass mindestens zwei Dinge, für die die FAA zuständig ist, damals nicht funktioniert haben. Das Offensichtlichste, und dafür brauche ich nicht einmal den Sachverstand einer Regierungsbehörde, war, dass die FAA zugelassen hat, dass auf der Startplattform keinerlei Vorkehrungen gegen die Auswirkungen der entstehenden Abgase getroffen wurden. Wesentlich kleinere Raketen haben einen Flammenablenkschacht und oft auch einen Wassergraben oder ein Sprinklersystem. Sie lenken die Flammen ab in eine Richtung, in der sie keinen Schaden anrichten können, und das Wasser verdampft, kühlt die Flammen, reduziert ihre Energie und vor allem den Schalldruck. Man darf nicht vergessen, dass, wenn, wie beim Starship, 20 Tonnen Treibstoff pro Sekunde in heißes Gas umgewandelt werden und sich dabei das Volumen um das Tausendfache vergrößert, ein enormer Schalldruck entsteht, der so hoch ist, dass er auch die Startanlage beschädigen kann. Selbst die NASA hat das einmal unterschätzt und nach STS-1 zusätzlich eine Sprinkleranlage installiert, weil die Feststoffbooster noch mehr Energie freisetzen als die Saturn V, von der das System vorher stammte.

Wenn man solche Systeme kennt, muss man nur einmal vor dem Flammenablenkschacht des LC 39 stehen, der für das Space Shuttle gebaut wurde, um sich zu wundern, dass die FAA einen Start mit nur einem kleinen Starttisch genehmigt hat, wie es bei den 100-mal kleineren Feststoffraketen üblich ist.

Dann ist da noch das FTS das erst 40 Sekunden nach Aktivierung zündete. Dazu sind zwei Dinge zu sagen. Zum einen, dass es sich bei der Sekundenangabe wahrscheinlich um einen Befehl von der Bodenstation an die Rakete handelt, denn wenn das FTS selbst festgestellt hätte, dass die Mission gescheitert ist, dann wüsste ich nicht, warum es dann erst nach 40 Sekunden die Sprengbolzen zündet. Ein solches System muss immer sofort reagieren und darf nicht warten, bis es den richtigen Zeitpunkt für gekommen hält. 40 Sekunden vor der Explosion ist aber deutlich nach dem Zeitpunkt wo die Rakete schon einen Looping nach dem anderen dreht. Warum braucht SpaceX so lange um die Rakete zu sprengen? Ich vermute es liegt an diesem Milliardär, der ganz außen in der ersten Reihe saß und mit Leichenbittermiene den Start verfolgte. Seine sprachlichen Entgleisungen und Wutausbrüche sind ja inzwischen berühmt.

Der zweite Punkt ist, dass ein Sicherheitssystem IMMER funktionieren muss. Die restliche Hardware kann fehlerhaft sein, aber das Sicherheitssystem muss ausgereift sein und darf keine Fehlermöglichkeiten haben, denn es ist die einzige Absicherung gegen eine Katastrophe und wenn ausgerechnet dieses System versagt, dann frage ich mich, ob die FAA es überhaupt geprüft hat, bevor der Start freigegeben wurde.

Dass der Start jetzt nicht stattfinden kann, ist die Schuld von SpaceX und nicht von FAA oder FWS. Denn hätten sie beim ersten Start nicht so geschludert, wäre keine so lange Nachuntersuchung nötig gewesen, bzw. würde man jetzt viel mehr von der FAA erwarten als beim ersten Start. Dass die FWS überhaupt involviert ist, was weitere Verzögerungen addiert, ist den Umweltschäden beim Start zu verdanken. Hätte SpaceX vermeiden können.

[Edit 4.11.2023]

SpaceX meint ein Teststart seit ab Mitte November möglich, allerdings ist das nur SpaceX Meinung, wann die Umweltverträglichkeitsprüfung abgeschlossen ist ohne die es nicht geht ist weiterhin offen

SpaceX poised for ‘mid-November’ launch of second Starship test flight

Die „Sprengkraft“ des Startships

Bei der Saturn V hat man die Sprengkraft der Treibstoffe untersucht und ist auf eine Sprengkraft von 543.000 kg TNT-Äquivalent gekommen. Das ist zwar nur ein Bruchteil der Energie des Treibstoffs, die bei 7.567.o00 kg TNT-Äquivalent liegt, aber man hat das Risiko nicht nur abgeschätzt, sondern auch bei der Konstruktion des Fluchtturms berücksichtigt, der im Falle einer Explosion auf der Startrampe die Besatzung in Sicherheit bringen sollte.

Aber zunächst eine Bemerkung. Ich kann nur sagen, wie viel Energie in den Treibstoffen steckt und das in TNT-Äquivalent umrechnen. TNT-Äquivalent steht bei Kernwaffen für die Sprengkraft, die aber nicht nur von der Energie abhängt (1 kg TNT (Trinitrotoluol) liefert bei der Verbrennung 3.726 kJ Energie), sondern auch von der Sprengwirkung, und die hängt eben davon ab, wie schnell die Reaktion abläuft. Sprengstoffe unterscheiden sich von normalen Verbrennungen dadurch, dass die Reaktion sehr schnell abläuft und dadurch die Sprengwirkung entsteht, denn sonst würden die entstehenden heißen Gase den Sprengstoff auseinander treiben und damit die Reaktion beenden. Eine Verbrennung verläuft langsamer, bei der Auslösung der Selbstzerstörung im April konnte man noch einige Sekunden lang Flammen sehen.

Die Sprengkraft hängt nicht nur von der chemischen Reaktion ab, sondern auch von den Umständen. Auch Stoffe, die sonst relativ kontrolliert brennen, können wie Sprengstoff explodieren, wenn sie gut mit Luft (Sauerstoff) vermischt sind, wie es oft bei der Explosion von Gasgemischen vorkommt, selbst Mehl kann zum Sprengstoff werden. Was ich also zuerst berechne, ist die im Brennstoff enthaltene Energie.

Das ist relativ einfach. In beiden Fällen wird Methan mit Sauerstoff verbrannt. Die Reaktionsgleichung lautet:

CH4 + 2 O2 → CO2 + H2O + 802,4 kJ

Für das Starship ist der Sauerstoff relevant, er begrenzt die Reaktion, weil er im Unterschuss vorhanden ist. Sauerstoff ist zwar auch in der Luft vorhanden, aber viel zu wenig, um ca. 1000 t Methan in kurzer Zeit zu verbrennen.

Bisher (inzwischen soll ja mehr Treibstoff zugeladen werden) geht man von 3.400 bis 3.500 t Treibstoff in der ersten Stufe und 1.200 t in der zweiten Stufe aus. Die Triebwerke verbrennen ihn in einem Mischungsverhältnis von 3,6 – später soll es auf 3,8 erhöht werden.

Setzt man die Molmassen für die Reaktionsgleichung ein, so ergibt sich folgendes Bild

CH4 + 2 O2 → CO2 + H2O + 802,4 kJ

16 g + 2 x 32 g → 44 g + 2 x 18 g

Das sind bei 80 g für die Edukte/Produkte pro Reaktionsgleichung bei 802,4 kJ freiwerdender Enthalpie 10,03 kJ pro Gramm.

In der Stöchiometrie wird 1 g Methan mit 4 g Sauerstoff umgesetzt (16 g zu 64 g in der Reaktionsgleichung). Das Verhältnis im Starship beträgt 3,6, sodass ich zunächst den Sauerstoffanteil berechne. Bei 3.500 t Treibstoff in der ersten Stufe und 1.200 t Treibstoff in der zweiten Stufe sind das

3.500 t + 1.200 t / (1 + 3,6) * 3,6 = 3.678,3 t Sauerstoff, entsprechend – Differenz zu 4.700 t Gesamtmasse, sind es 1.021,7 t Methan.

Dividiert man die Sauerstoffmenge durch 4 und multipliziert sie mit 5, entsprechend dem stöchiometrischen Verhältnis (4:1), so erhält man die Gesamtmasse der bei einer Explosion sofort umgesetzten Brennstoffe:

3.678,3 t / 4 * 5 = 4.597,8 t.

Die Differenz zur Gesamtmenge (4.700 t) ist das Methan, das bei einer schnellen Verbrennung nicht umgesetzt wird. Das sind etwas mehr als 102 t.

Damit kann die Gesamtenergie berechnet werden, dazu benötigt man nur die Molmasse der Reaktion (80 g) und die dabei freiwerdende Energie (802,4 kJ):

4.597.800.000 g / 80 g * 802,4 kJ = 46.115.934.000 kJ

oder in exponentieller Schreibweise: 4,61 x 1010 kJ = 4,61 x 1013 J

Vergleicht man dies mit den 2,81 x 1013 J Energie in den Treibstoffen eines Saturn, so ist dies etwa zwei Drittel mehr Energie. Umgerechnet in TNT-Äquivalent (3.726 kJ/kg TNT) entspricht dies 12.376 kg TNT-Äquivalent. Das entspricht in der Energie in etwa der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.

Aber wie bei der Saturn V handelt es sich eben um eine Verbrennung und nicht um die Zündung eines Sprengsatzes – Kohlenwasserstoffe können durchaus als Bomben verwendet werden, so wurden für militärische Zwecke Aerosolbomben entwickelt, dabei sprengt eine kleine Sprengladung einen Behälter mit einer brennbaren Flüssigkeit wie Benzin und verteilt es fein in der Luft, eine zweite Explosion zündet dann diese Aerosole, aufgrund der viel größeren Oberfläche verlöuft die Verbrennung explosiv und es wird dabei sehr viel Energie freigesetzt. Eine 2007 von Russland getestete Bombe soll bei einer Masse von 7 Tonnen eine Sprengkraft von 44 Tonnen TNT-Äquivalent haben – bestünde sie nur aus TNT, könnte die Sprengkraft nicht höher als 7 Tonnen sein. Überträgt man diese Bildung eines explosiven Gemisches auf das Starship – Methan und Sauerstoff gehen bei normalen Umgebungstemperaturen sofort in die Gasphase über und bilden ein explosionsfähiges Gemisch, so dass sich auch das Gemisch einer Aerosolbombe ergibt – so hätten die 1021,7 t Methan eine Sprengkraft von 6.422 kT.

Rechnet man mit den bekannten Werten für die Sprengkraft der Saturn V (0,543 kt TNT-Äquivalent bei einer Sprengkraft von 7,567 kt Energie-äquivalent), so wäre die Sprengkraft 0,888 kT.In der Realität ist der genaue Wert mit einfachen Mitteln wie hier schwer zu berechnen. Der Vergleich mit der Saturn V hinkt etwas. In den physikalischen Eigenschaften, die für eine gute Durchmischung und die Bildung eines explosionsfähigen Gemisches wichtig sind, ist Methan/Sauerstoff eher mit dem Wasserstoff/Sauerstoff vergleichbar, der in den beiden oberen Stufen verwendet wurde. Hinsichtlich des Energiegehalts ist Methan als Kohlenwasserstoff dagegen eher mit dem Kerosin der ersten Stufe vergleichbar. Allerdings verdampft Kerosin erst bei wesentlich höheren Temperaturen und bildet daher wesentlich schwieriger ein explosionsfähiges Gemisch.

Ich habe dies – nun, weil es noch mehr Teilrechnungen sind, ohne den Rechenweg – die Explosionskraft auf Basis der veröffentlichten Werte für die Saturn V berechnet: Mit dem Analogon Kerosin/Sauerstoff sind es 0,5253 kT Sprengkraft, mit dem Analogon Wasserstoff/Sauerstoff komme ich auf 1,2208 kT. Wenn man bedenkt, dass schon die kontrollierte Verbrennung, die nur von der Zündung bis zum Abheben auf den Boden einwirken konnte, einen fast 8 m tiefen Krater hinterlassen hat, kann man sich vorstellen, was passiert, wenn die Rakete beim Start explodiert, z.B. wenn sie mit dem Startturm kollidiert, wie es im April fast passiert wäre.

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