Nun ist die Polaris Dawn Mission mit vier Weltraumtosristen gestartet. Die Crew Dragon die „Resilience“ genannt wird, erreichte beim Start einen 190 x 1,200 km x 51,64 Grad Orbit. Vielleicht habe ich es nicht mitbekommen, aber sollte die Mission nicht in einen sonnensynchronen Orbit, deswegen auch die Bezeichnung „Polaris Dawn“? (man überquert die Pole und in einem sonnensynchronen Orbit hat man immer den gleichen Sonnenstand, kann also die Bahn so einfachen das gerade immer Sonnenaufgang (Dawn) ist.).
Ich vermute die Bahn mit der gleichen Neigung wie die ISS wurde aus Sicherheitsgründen so gewählt. So könnte – bei genügend Treibstoffvorrat – auch die Bahn an die Höhe der ISS angepasst werden und diese angeflogen werden. Vielleicht eine Folge dessen was mit dem ersten bemannten Starliner passierte. Ansonsten würde ich bei einem Vorfall, bei dem nicht der Hitzeschutzschild betroffen ist, den Orbit verlassen und landen. Dazu braucht man zwar funktionierende Triebwerke, doch die braucht man auch zum Andocken an die ISS, das ist sogar noch wesentlich komplexer.
Ich will mich aber gar nicht mit dieser Mission beschäftigen, sondern drei Szenarien untersuchen:
- Welches maximale Apogäum kann man bei einer 28 Grad Bahn erreichen
- Welche maximale Kreisbahn kann man bei einer 28 Grad geneigten Bahn erreichen
- Welche maximale Kreisbahn kann man bei einer 90 Grad geneigten Bahn erreichen
Zur Erklärung: die maximale Nutzlast einer Falcon 9 hat sie bei einer 28 Grad zum Äquator geneigten Bahn mit niedrigem Perigäum=Apogäum. Beim Durchschauen der Wikipedia-Liste der Starts war die maximale Nutzlast 17,4 t in einen 43 Grad geneigten LEO (die Bahnhöhe von 530 km, die dort angegeben wurde, erreichten die Satelliten mit ihrem eigenen Antrieb). Die Polaris Dawn Mission wiegt nach dieser Seite beim Start 13 t.
Man kann davon ausgehen, das diese 17,4 t auch die absolut maximale Nutzlast ist, denn schon das leichte Ändern der Bahnneigung auf 53 Grad (das entspricht einer um 60,2 m/s höheren Zielgeschwindigkeit lässt die Nutzlast um einige Hundert Kilogramm abfallen.
Es gibt für die Berechnung aber noch zwei unbekannte. Das eine ist die Brennschlussmasse der Oberstufe, die auch einen Orbit erreicht. Die Treibstoffmasse kann man anhand der maximalen Brennzeit von 369 Sekunden und des Schubs von 981 kN auf der SpaceX Seite auf etwa 108 bis 110 t berechnen. Ich würde als Leermasse für eine solche Stufe im Bereich von 6 bis 7 t ansetzen und rechne mit dem Mittelwert, also 6,5 t.
Das zweite ist der spezifische Impuls. Der wurde von SpaceX zwar mit 348 s angegeben. Das dumme ist nur das diese Ausströmgeschwindigkeit nicht möglich ist. Zumindest nicht, wenn man berücksichtigt das als Nebenstromtriebwerk etwa 2-3 Prozent des Treibstoffs nicht genutzt werden können. Ich vermute dieses „kleine Detail“ hat man bei SpaceX einfach „übersehen“. Genauso wie man bei der Trockenmasse mal einfach ein paar Subsysteme des Triebwerks weglässt, damit es leichter wird. Das Spiel das mit den Merlins begonnen wurde wiederholt man gerade bei den Raptors. Ich rechne mit einem spezifischen Impuls von 3.300 m/s, was für ein Nebenstromtriebwerk schon sehr gut wäre.
Errechnung der maximalen Nutzlast
Die erwähnten 17,4 t gingen in einen 43 Grad geneigten Orbit, die maximale Nutzlast erreicht man bei einem 28 Grad geneigten Orbit. Der Geschwindigkeitsunterschied beträgt dann:
vdiff = vErdrotation * cos(28) – cos(43) [1]
Die Erde rotiert mit 464 m/s am Äquator und so ergibt sich eine Geschwindigkeitsdifferenz von 70 m/s.
Die Raketengrundgleichung lautet:
v = vspez * ln (Vollmasse/Leermasse) [2]
um den Term Vollmasse/Leermasse zu erhalten, muss ich umformen:
Vollmasse/Leermasse = exp(v/vspez) [3]
mit unseren Werten von 70 m/s und 3300 m/s kommt da 1,0215 raus. Die Orbitmasse (Leermasse der Oberstufe und Nutzlast also 17,4 + 6,5 t = 23,8 t) wäre um 2,15 % höher das wären 24.414 kg oder wenn man die Oberstufe abzieht 17.914 kg, das wäre dann die absolut maximal mögliche Nutzlast einer Falcon 9.
In der folgenden Betrachtung gehe ich davon aus, dass die Oberstufe alleine alle Bahnänderungen durchführen muss. Das ist natürlich nicht korrekt (als Techniker und Naturwissenschaftler bin ich der Wahrheit verpflichtet). Durch die wechselnde Masse der Nutzlast ändert sich auch das, was die erste Stufe an Geschwindigkeit erbringen muss, zudem können verschiedenen Bahnen Differenzen in den Aufstiegsbahnen nötig machen. Der genaue Wert wäre nur durch eine Simulation zu ermitteln, die aber daran scheitert das es für die genauen Flugbahnen und Massen keine Daten von SpaceX gibt. Der Fehler ist aber klein, weil bei Brennschluss – mit dem Resttreibstoff für die Landung eine Falcon 9 noch etwa 170 bis 180 t wiegt. Da wir hier von einem Massenunterschied von wenigen Tonnen reden, ist dessen Einfluss sehr gering und somit ohne größeren Fehler zu vernachlässigen.
Die maximale Apogäumshöhe
Die einfachste Berechnung ist die der maximalen Apogäumshöhe. Dabei bleibt die Bahnneigung bei 28 Grad, man verbraucht aber den Treibstoff den man bei der 13 t schweren Mission noch in den Tanks hat, um das Apogäum zu erhöhen. Zuerst errechnen wir welcher Geschwindigkeitsänderung dies entspricht. Nun die minimale Leermasse sind 13 t für Resilence und 6,5 t für die Oberstufe, also 19,5 t. Die maximale Startmasse liegt bei 24,4.14 t. Setzt ihr das in [2] ein, so erhaltet ihr 741 m/s. Wenn ihr nun etwas mit der vis-Viva Gleichung [4] spielt werdet ihr erkennen, dass ein Apogäum von 3.480 km Höhe bei einer Ausgangskreisbahn von 200 km genau diese Geschwindigkeitsdifferenz aufweist.
V = Wurzel(MasseErde * Gravitationskonstante * (2/perigäum – 1/Apogäum)) [4]
Anstatt 1.200 km Höhe wäre also ein noch wesentlich extreme Bahn möglich, aber eben nicht bei 51,6 Grad Bahnneigung, denn die alleine kostet schon 122 m/s die für die Bahnanhebung fehlen, trotzdem wäre ein höheres Apogäum möglich, ich vermute die Treibstoffreserven der Dragon die für eine Ankopplung an die ISS ja ausreichen müssen (das sind 270 m/s, Geschwindigkeitsänderung, dazu kommen noch Feintuning Manöver beim Annähern) begrenzen die Orbithöhe. So bleibt der Rekord für ein Apogäum von Gemini 11 von 1.390 km Erdferne zuerst ungeschlagen. Dabei ist der fast 60 Jahre alt.
Die 28 Grad Bahn bietet übrigens, wenn man einen schönen Ausblick haben will, hier Vorteile gegenüber einer polaren Bahn – dort ist das Apogäum zumindest, wenn es nbicht über einen Mehrimpulstransfer erhalten wird, über den Polen. Man würde also immer nur den Nordpol sehen. Bei einer 28 Grad Bahn wechselt das Apogäum zwischen 28 Grad Nord und Süd und da man in dieser Höhe problemlos die ganze Erde überblicken kann – sie nimmt nur etwa 41 Grad ein, das ist in etwa die Größe eines 70 cm großen Objektes aus 1 m Entfernung.
Die maximale Kreisbahnhöhe
Ist relativ einfach zu ermitteln. In diesem Falle würden die 741 m/s einfach von der Kreisbahngeschwindigkeit in 200 km Höhe abgezogen werden. Da für Kreisbahnen gilt:
v = Wurzel(MasseErde * G / Abstand)
ist dies leicht umformulierbar zu
Abstand = MasseErde * G / v²
und man erhält 8.034 km, wobei der Erdradius im Mittel bei 6.378 km liegt, also rund 1.656 km Höhe.
Bei der Betrachtung bleibt aber eines offen: Kommt die Dragon denn auch wieder zurück? Sie hat Treibstoffvorräte die bei ISS Missionen zuerst genutzt werden, um von einer niedrigen Erdbahn aus die ISS zu erreichen und nach Verlassen der ISS muss sie das Perigäum soweit absenken, dass sie in die Atmosphäre eintritt.
Sie braucht dafür auch Treibstoff, um zum Beispiel das Perigäum von 1.656 km auf 0 km abzusenken sind es 360 m/s. Das ist deutlich mehr als eine Dragon braucht. um ausgehend von einer niedrigen Erdumlaufbahn die ISS zu erreichen und danach zu deorbitieren. Ob die Dragon über so viele Treibstoffvorräte verfügt. ist leider nicht bekannt.
Es gibt aber einige Daten die zur Abschätzung genutzt werden können. Das Space Shuttle hatte eine maximale Korrekturkapazität von 305 m/s. Beim ATV waren es 306 m/s, also fast gleich viel. Zuletzt ist Resilence ja in einer Bahn mit der gleichen Bahnneigung wie die ISS. Um von dieser Bahn ausgehend die ISS zu erreichen muss die ihre Geschwindigkeit um 270 m/s ändern. Alle drei Werte liegen um 300 m/s und damit weniger als die 360 m/s die eine Dragon benötigt um die Bahn in 1656 km Höhe zu verlassen. Bei einer nur 1.000 km hohen Kreisbahn benötigt man nur 273 m/s, was im Bereich dessen liegt was die Dragon benötigt. um von der derzeitigen Bahn aus die ISS zu erreichen.
Real würde eine Dragon aber noch Treibstoff für das Ankoppeln benötigen, sodass vielleicht die 360 m/s insgesamt vorhanden sind.
Die maximale Kreisbahnhöhe für eine Polarbahn
Will man die Kreisbahnhöhe für eine Polarbahn berechnen so muss man nur die Erdrotationsgeschwindigkeit in 28 Grad von den schon berechneten 741 m/s abziehen, das sind nach [1] 416 m/s. So bleiben nur noch 325 m/s um die Bahnhöhe anzuheben. So bleiben nach [4] 792 km Bahnhöhe. Bei eine elliptischen Bahn mit 190 km Perigäum würde das Apogäum bis in 1.412 km Höhe reichen. Durch die geringere Bahnhöhe reicht in diesem Falle auch der Treibstoff der Dragon zum Verlassen der Kreisbahn aus, zumindest ist die benötigte Geschwindigkeitsänderung nicht größer als bei einer ISS-Mission.
Offene Fragen
Der Start erfolgte zuerst nur eine Umlaufbahn (je nach Quelle mit einem Apogäum von 1.200 bis 1.215 km Höhe). Danach musste die Dragon selbst wohl mit ihren eigenen Triebwerken die Bahnhöhe auf 1.393 km angehoben haben, nahe an der Zielhöhe von 1.400 km und 23 km höher als der bisherigen Rekord von Gemini 11. Das man die Dragon dazu nutzt, dürfte wohl daran liegen das die Falcon 9 nicht die nötige Performance hat. Dazu muss die Dragon deutlich schwerer sein als bisher bekannt. Wie viel sie beim Start wiegt, ist ja unbekannt. Nur beim ersten bemannten Einsatz nannte die NASA eine Zahl von 12.520 kg. Doch das ist nicht die Startmasse, sondern die Masse beim Abkoppeln von der ISS, vorher hat sie aber schon Treibstoff verbraucht, um die ISS zu erreichen, ebenso Gase, Wasser und andere Verbrauchsgüter.
Man kann, wenn man davon ausgeht, das die Falcon 9 maximal ein 1.215 km hohes Apogäum erreicht, ihre Startmasse berechnen, vorausgesetzt die obige Annahme von 6,5 t für die Oberstufe stimmt so sind es, wenn man die Formeln [1] bis [3] für die Bahnparameter annimmt 15,64 t. Das wäre etwa 2 t mehr als ich annehmen würde, wenn man zu den bekannten 12,52 t beim Verlassen der ISS noch den Treibstoff addiert, den man bis zum Ankoppeln an die ISS braucht.
Mehrgewicht addieren die Weltraumanzüge, die Besatzung selbst und die Vorräte für die Fünftagesmission, aber bestimmt keine 2 t. So gibt es als weitere Erklärungsmöglichkeit das meine Annahme von 6,5 t Trockenmasse für die Oberstufe zu optimistisch ist, dann müsste man aber alles neu durchrechnen, das überlasse ich euch. Eventuell ist aber auch die Crew Dragon seit 2020 – von dem Zeitpunkt stammt die NASA Angabe – auch einfach schwerer geworden.
In der hohen Umlaufbahn blieb die Dragon nur einen Tag, inzwischen wurde die Umlaufbahn schon wieder auf maximal 750 km abgesenkt. Der Grund dürfte die mit der Höhe rasch ansteigende Strahlenbelastung gewesen sein. Klingt zuerst logisch, aber sollte diese Dragon nicht auch mal zum Mond fliegen? Außerhalb des Magnetfeldes der Erde ist die Strahlenbelastung noch viel höher und in dieser Zone wäre man etwa eine Woche.
Ebenso finde ich die Bahnneigung von 51,64 Grad, also dieselbe wie die der ISS seltsam, außer man will diese besuchen (ist nicht vorgesehen) oder sie dient als Rettung. Nur – reicht dann der Treibstoff aus (siehe obige Diskussion) und für was für Fälle von Havarien sind denkbar? Beim Starliner erfolgte die Rückkehr ja ohne Besatzung weil es Probleme mit einigen Triebwerken gab. Wenn die betroffen wären, könnte man aber weder risikolos landen noch an die ISS andocken. Mir fällt, relativ wenig ein was ausfallen könnte bei dem dann das Ankoppeln an die ISS gelingt, aber nicht die Rückkehr zur Erde. Eigentlich nur der Ausfall des Hitzeschutzschildes oder das man den Trunk nicht abtrennen kann. Beides wurde von der normalen Dragon übernommen und dürfte so durch etliche Missionen erprobt sein.