Bernd Leitenbergers Blog

OSC vs. SpaceX

Nachdem ich bei den Kommentaren zu meinem vorletzten Blog den Eindruck gewonnen habe, dass man meine Blogs überhaupt nicht liest, sondern nur die anderen Kommentare, wollte ich eigentlich mal einen Blindtext veröffentlichen. Aber mich erinnerte die nur von persönlichen Erfahrungen geprägten Kommentare (so wie es bei mir ist so muss die ganze Welt sein. Wilhelm II. lässt grüßen: Am Linux Wesen kann doch die Welt genesen) an etwas: Genauso wird die Diskussion um SpaceX geführt. Auch hier werden gerne mal falsche Vergleiche gemacht wie z.B. SpaceX mit LM / Boeing / Arianespace obwohl SpaceX ganz andere Märkte bedient als die anderen Firmen oder es werden mal Phantasiesummen erdacht, wie die von einem Kommentierer angegebenen angebliche 40 Mrd. $ für die Atlas V Entwicklung – der dreifache NASA Etat nur für eine Trägerrakete. Warum nicht 400 Milliarden oder 4000 Milliarden? Nachprüfen ist ja so arbeitsintensiv, wenn man doch Postings in Foren als primäre Informationsquelle nimmt)

Aber man kann SpaceX vergleichen und zwar mit OSC. Denn beide Firmen haben von der NASA Entwicklungsaufträge und Beförderungsaufträge erhalten.

Im Jahre 2006 schuf die NASA das COTS-Programm (Commercial Orbital Transportation Services kommerzielle Transportdienste in die Erdumlaufbahn). Es rief die Industrie auf, Vorschläge für den Frachttransport zur ISS zu machen. In einer ersten Runde am 18.8.2006 bekamen zwei Unternehmen einen Entwicklungsauftrag: Kistler Rocketplane erhielt 207 Millionen Dollar und SpaceX 278 Millionen Dollar. Beide Firmen wurden dafür bezahlt, dass sie ein System entwickeln, dass später für den Transport eingesetzt werden könnte. Gipfeln sollte die Entwicklung mit Demonstrationsflügen. Eine Versorgung der ISS war mit dieser ersten Runde noch nicht vorgesehen.

Kistler-Rocketplane entstand erst als Antwort auf die Ausschreibung der NASA (diese wurde am 18.1.2006 veröffentlicht, Rocketplane-Kistler entstand durch Übernahme von Kistler durch Rocketplane im Februar 2006). Kistler hatte seit einigen Jahren eine wiederverwendbare Trägerrakete entwickelt und diese schon zu 75% fertiggestellt, war aber danach in Finanznöte geraten, nachdem es durch Rückzug von Investoren im Risikokapitalmarkt keine neuen Geldgeber aufgetrieben werden konnten. Die Entwicklung stand daher für Jahre. Kistler Rocketplane wurde der Kontrakt schon im Oktober 2007 wieder entzogen, da die Firma keine ausreichende Finanzierung nachweisen konnte. Bis dahin hatte die NASA 32,1 Millionen Dollar an Kistler gezahlt. Rocketplane war wohl an dem Kontrakt und dem Geld interessiert wollte (oder konnte) aber die Entwicklung nicht fortführen.

Das verbliebende Geld wurde dann in einer zweiten Runde erneut ausgeschüttet. Sieben Firmen reichten Vorschläge ein. Am 22.1.2008 bekam Orbital Sciences Corporation (OSC) den Zuschlag über 170 Millionen Dollar für die Entwicklung ihrer Taurus II Trägerrakete und des Cygnus Raumschiffes.

Ein viel umfangreicherer Vertrag wurde am 22.12.2008 abgeschlossen. Diesmal ging es um die Versorgung der ISS. Es ist nicht verwunderlich, dass die beiden Gewinner aus den ersten beiden Runden den Zuschlag bekamen: SpaceX wird zwölf Flüge mit der Dragon Kapsel und der Trägerrakete Falcon 9 durchführen und erhält dafür 1,6 Milliarden Dollar. OSC führt acht Flüge mit der Cygnus Kapsel auf der Taurus II Trägerrakete durch. Diese sind der NASA 1,9 Milliarden Dollar wert. Beide Anbieter sollen innerhalb von drei Jahren für diese Summe mindestens 20 Tonnen Fracht zur ISS bringen. Die Erweiterung eines Vertrags auf das Gesamtvolumen von 3,5 Milliarden Dollar ist möglich, wenn der Konkurrent seinen Verpflichtungen nicht nachkommt.

Das bedeutet, dass beide Unternehmen sowohl Geld von der NASA für die Entwicklung, wie auch für den Transport bekommen. Sie sind also direkte Konkurrenten. SpaceX ist eigentlich im Vorteil: Die Firma bekam 278 Millionen Dollar, OSC nur 170 Millionen Dollar. Weiterhin hat sie einen Zeitvorsprung von 17 Monaten durch die notwendige zweite Runde. Doch wie es so ist – die Firma konnte das nicht ausnutzen. Die Firma hat jetzt schon das erhaltene Geld für den Transport verbraten um die Falcon 9 Entwicklung abzuschließen und die erste COTS Mission sollte schon im September 2008 stattfinden. Derzeit plant SpaceX den Flug derzeit für November 2009, liegt also ganze 26 Monate hinter dem Zeitplan. Auch OSC liegt hinter dem Zeitplan hinterher – hier sollte die erste Mission im Dezember 2010 stattfeinden. Derzeit ist März bis Juni 2011 im Gespräch, also 3-6 Monate hinter dem Zeitplan. Neben den 170 Millionen der NASA investiert OSC 150 Millionen eigenes Geld in die Entwicklung – erheblich mehr als SpaceX.

Auch die Transportverträge sind vergleichbar. Beide Firmen werden für die Summe 20 t zur ISS bringen. Hier erhält OSC etwas mehr Geld (1,9 anstatt 1,6 Milliarden Dollar). Dafür führt SpaceX viel mehr Flüge durch. Jeder einzelne Flug ist bei SpaceX daher deutlich preiswerter. Das wird von manchen als Vorteil gesehen. Doch in der Wirklichkeit ist es ein Nachteil. Die Dragon hat eine viel kleinere Nutzlast und muss viel öfters starten um die 20 t Nutzlast zu befördern. Wenn sie nicht wiederverwendet werden kann – zumindest bei den bisher vier versuchten Bergungen von Stufen klappte das bei SpaceX ja nicht – dann wird die Firma ins Minus kommen.

Die folgende Tabelle informiert mal über die Fakten

SpaceX OSC
Auftrag erhalten 18.8.2006 22.1.2008
geplanter erste COTS Missiojn September 2008 Dezember 2010
Tatsächlicher Startermin November 2010 März-Juni 2011
Zeitverzögerung 26 Monate 3-6 Monate
investiertes Eigenkapital 50 Millionen $ 150 Millionen $
investierte NASA Mittel 349 Millionen $ 170 Millionen $
Eigenkapitalanteil 12,5 % 46,9 %
Nutzlast der Trägerrakete anfangs 8,750 kg 5.300 kg
Erweiterbar auf 10.450 kg 7.000 kg
Geld für die COTS Flüge 1.600 Mill. $ 1.900 Mill. $
Flüge: 12 8
pro Start: 133 Mill $. 237,5 Mill $
Durchschnittliche Nutzlast pro Flug: 1.666 kg 2350 kg
Anteil an der Gesamtnutzlast für den Orbit: 19 % 44,3 %

Die letzte Ziffer ist übrigens nicht unbedeutend. Manchmal muss bei einer Rakete nachgebessert werden, was Nutzlast kostet. Oder das Raumschiff hat eine höhere Trockenmasse. Beide Firmen bauen daher auf verbesserte Versionen ihrer Träger, da die ersten nicht leistungsfähig genug sind um mit den angegebenen Flügen die Transportmenge zu erbringen. Nur wenn das nicht klappt, dann wird es eng, wenn die Nutzlast klein ist. Sinkt die Nutzlast der Trägerrakete um 5% so benötigt SpaceX zwei Flüge mehr um die Transportleistung zu erbringen, OSC aber nur einen zusätzlichen Flug. Dabei ist das Risiko bei SpaceX wegen der Wiederverwendung höher als wie bei OSC, die ja wie die anderen Transporter einen nur einmal einzusetzenden Frachter plant. Bei völlig neuen Konzepten es durchaus üblich dass diese nachgebessert werden müssen und schwerer werden. Apollo wurde schwerer und auch das Space Shuttle legt kräftig an Gewicht zu.

Also wenn ich vergleiche, so habe ich eine Firma die viel mehr NASA Kapital braucht um ihr Programm durchzuführen, dabei massiv hinter dem Zeitplan hinterherhinkt und die zwar eine nominell leistungsfähigere Rakete entwickelt, diese aber weniger Nutzlast transportiert und deren Konzept auf der Wiederverwendung aufbaut – das haben nicht mal die Russen mit ihren 4-8 Sojus/Progresststarts in einigen Jahrzehnten eingeführt. Eine zweite Firma setzt viel Eigenkapital ein, liegt nur wenige Monate im Zeitplan hinterher und baut auf bewährte Technik. Interessanterweise wird die erste als „privat“ angesehen obwohl sie inzwischen weitgehend von NASA Mitteln lebt und für die zweite interessiert sich fast keiner.

Beide Firmen bekommen übrigens noch mehr Geld. Derzeit läuft eine Eingabe der NASA über weitere 312 Millionen Dollar für COTS durch den Kongress. OSC  will die zusätzlichen Mittel nutzen die Taurus II ohne Cygnus zu erproben (sonst wäre der Jungfernflug auch der erste Einsatz der Cygnus gewesen) und SpaceX hat ja schon 100 Millionen von den Transportmitteln verbraucht, obwohl noch kein einziger Demonstrationsflug erfolgte (einer von dreien kann  der Firma erlassen werden, wenn die beiden anderen die Meilensteine erfüllen – die Firma ist nun in Zugzwang gekommen).

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