Bernd Leitenbergers Blog

Russlands Schlitterkurs in der Raumfahrt

Die Kommentare von Jewgeni-7 dass man nun in Russland die Angara zugunsten anderer Raketen (die es noch nicht gibt) aufgeben will, bringen mich auf ein Dauerthema, das eigentlich seit 20 Jahren aktuell ist. Der Widerspruch zwischen Plänen und Wirklichkeit. Russlands Raumfahrt litt wie fast alle Bereiche des Staatswesens unter dem Niedergang der Wirtschaft der schon vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion einsetzte, aber sich danach noch verschlimmerte. Teilweise konnte der Staat über Jahre hinweg nicht die Löhne bezahlen, von neuen Projekten ganz zu schweigen. In den Neunzigern waren Projekte dann möglich wenn es ausländische Beteiligung gab und die internationalen Partner die fehlende Finanzierung übernahmen. So kaufte die NASA nicht nur Sarja sondern finanzierte auch Swesda als einziges russisches Modul mit, damit es überhaupt mit immer noch einjähriger Verzögerung gestartet werden konnte. Analog finanzierte die ESA Mars 96 mit, weil sich auf der Sonde wichtige Experimente aus ESA-Mitgliedstaaten befanden. Im neuen Jahrtausend sah es so aus als würde sich die Lage verbessern. Russland einigte sich mit Kasachstan, dem nun Baikonur gehörte über den Status und zahlte eine hohe Pacht. ILS vermarktete die Proton mit so viel Erfolg, dass Lockheed Martin die im gleichen Unternehmen angebotene Atlas kaum noch verkaufen konnte. Sealaunch startete erfolgreich die Zenit.

Doch an der Raumfahrt änderte dies nichts, stattdessen ist sie geprägt von Projekten die angefangen und nicht fortgesetzt werden. Die ISS Beteiligung umfasste einmal einige Module mehr, das einzige was noch übrig blieb ist nun schon mehrfach verschoben. Nauka sollte 2007 starten, inzwischen ist von 2017 die Rede. Die letzten Verzögerungen werden dadurch verursacht, dass Teile des Antriebssystems nun schon so lange am Boden rumstehen, dass ihre Lebensdauer überschritten ist…. Phobos Grunt wurde 2009 um zwei Jahre verschoben, weil Teile der Elektronik noch nicht fertig waren. Als sie 2011 dann nach dem Start ausfiel wurde bekannt dass die Elektronik immer noch nicht ausgereift war und stellenweise Prototypcharakter hatte. Viele andere Planetensonden wie Venera-D tauchen seit langem in den Planungen auf, die auch Missionen zu Merkur Jupiter und die Bodenprobenentnahme vom Mond und Mars beinhaltet. Nur gebaut werden sie nicht.

Um die Abhängigkeit von Kasachstan zu verringern baute man den ICBM Testplatz Svobodny zu einem Kosmodrom aus. Das gab man dann wieder auf als man eine Einigung über Baikonur bekam. Nun baut man ein neues Kosmodrom in Vostochny, das nicht weit von Svobodny ist.

Russland hat zahlreiche, ausgereifte Trägerraketen. Trotzdem plant man neues. Schon in den Neunzigern die RUS, dann viele Sojus Varianten oder kryogene Oberstufen für die Proton. Was es gab war die Nutzung ausgemusterter ICBM. Die Angara sollte 2009 noch ihren Erstflug 2011 haben, obwohl schon damals die Rakete überfällig war. Nun ist 2014 und eventuell gibt es diesen Jahr einen Test. Dabei kann Russland die Stufen bauen wenn die Arbeit bezahlt wird. Das sieht man an der für Indien gefertigten kryogenen Oberstufe für die GSLV (die man selbst nie einsetzte) und die erste Stufe der KSLV, die viele Ähnlichkeiten mit der Angara haben soll.

Gerade bei den Raketen verstehe ich den Zwang zur Modernisierung nicht. Die Sojus als am häufigsten eingesetztes Modell ist ist außerordentlich zuverlässig. Problematisch waren andere Modelle: die Kosmos, wurde schon lange nicht mehr hergestellt. Die Zyklon und Zenit basierend auf vielen in der Ukraine hergestellten Teilen und sind so „außerrussisch“ und mit Devisen zu starten (nun ja bis vor wenigen Monaten zumindest noch). Die Proton hat eine nur mittelmäßige Zuverlässigkeit. Gerade sie arbeitet aber wie die Zenit, die auch sehr unzuverlässig ist mit moderner  Hauptstromtreibwerken. Das spricht eher gegen eine Modernisierung. Dabei ist meiner Ansicht nach aber nicht die Technologie schuld, sondern wie viel man bereit ist zu zahlen. Während das RD-171 der Zenit sehr oft versagt hat, ist das davon abgeleitete RD-180 bei der Atlas bisher ohne Probleme. Die Frage ist warum man erst die Angara entwickelt, wenn man doch Träger hat und die ausbauen könnte (kryogene Oberstufen für die existierenden träger würden die Nutzlast steigern, die GEO Nutzlast könnte man am einfachsten durch einen äquatorial gelegenen Startplatz steigern – das kostet weniger als neue Modelle).

Nun ist die Angara noch nicht mal gestartet und Jewgeni spricht schon davon dass man sie durch wieder was neues ablösen soll. Von den Plänen für viel größere Raketen die im Bereich von Schwerlastraketen liegen mal ganz zu schweigen. Auch im Kleinen gibt es Widersprüche. So hat man für die USA das RD-180 entwickelt. Es ist zuverlässig, es funktioniert. Für die Angara entwickelt man dann ein neues Triebwerk und braucht dafür bis zu 7 Booster. Würde man auf die kleinste (eh nicht attraktive) Version verzichten, so könnte man mit dem RD-180 mit 1-3 Triebwerken die Sojus, Zenit und Proton ersetzen. Für Korea entwickelte man das RD-151. In der Sojus 2-1v nimmt man aber das nicht mehr hergestellte NK-33, obwohl man die gewinnbringend an Orbital verkaufen könnte, die derzeit nach Triebwerken für weitere Flügen suchen. Eigentlich sollte ein diktatorisch regiertes Land ein Programm haben, das durchgehend ist, das forciert wird. Stattdessen zersplittert sich Russland noch mehr als die ESA die in den letzten Jahren von sehr unterschiedlichen Interessen der beteiligten Länder gelähmt wird.

Eigentlich müsste Russland ihre Weltraumpläne finanzieren können. Das Land lebt von dem Export von Rohstoffen, die sich seit 2008 enorm verteuert haben. Doch nach wie vor werden nur Anwendungssatelliten gestartet, verzögern sich wissenschaftliche Projekte oder neue Raketen / Kosmodrome. Von einem größeren ISS Engagement ganz zu schweigen. Stattdessen will man die Verweildauer verlängern um wieder Weltraumtouristen zu starten und die einnahmen zu erhöhen. Gerade hat man ein 52 Milliarden Dollar Programm bis 2020 angekündigt um die Infrastruktur zu verbessern. Rätselhaft ist für mich auch, warum man offensichtlich, das zeigen Fehlstarts aber auch der Verlust von Phobos Grunt, an der Qualitätssicherung spart und damit hohe Verluste riskiert.

Das einzige was sich nicht geändert hat, zumindest nach offiziellen Verlautbarungen ist die Vorgehensweise bei einem Fehler. Das hat man schon 1961 im Spielfilm „1-2-3“ erkannt: „Das ist eine Sache wo wir sind weit voraus Amerika. Wenn in Cape Canaveral eine Rakete weicht ab vom Kurs drückt man einen Knopf und puff – weg ist Rakete. Aber in Russland wir haben zwei Knöpfe. einen zu sprengen Rakete, eine zu sprengen Spezialist“.

https://www.youtube.com/watch?v=6majlMA2j1g

Traurig, aber wahr….

Die mobile Version verlassen